Magnus Striet und Helmut Hoping sind Antipoden in der theologischen Debatte. Während der eine seine Theologie ausgehend vom Begriff menschlicher Autonomie entwickelt, setzt der andere durchaus auch auf den Begriff der Freiheit. Er kommt aber angefangen vom Verhältnis zwischen kirchlichem Lehramt und Theologie, bei den klassischen Fragen katholischer Kirchenreform heute bis hin zu den ethischen Streitpunkten zu ganz anderen Schlüssen. In diesem Streitgespräch geht es um die Gottesfrage angesichts der modernen Naturwissenschaften und das Offenbarungsverständnis, die Ämterfragen bis hin zur Priesterweihe der Frau und den Umgang mit den gesellschaftlichen Entwicklungen rund um Fragen der Sexualethik und Genderdiskussion.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.05.2023Jesus, der Ewiggestrige
Im Streitgespräch: Helmut Hoping und Magnus Striet
Wie Lehrentwicklung innerhalb einer dogmatisch verfassten Offenbarungsreligion aussehen kann - das schildern anhand der katholischen Glaubenslehre die beiden Freiburger Theologen Helmut Hoping und Magnus Striet in einem Streitgespräch. Moderiert von Stefan Orth, dem Chefredakteur der "Herder Korrespondenz", ist es in Buchform bei Herder unter dem Titel "Gott, Freund der Freiheit" (144 S., geb., 18,- Euro) erschienen.
Ein Beispiel, legt Hoping dar, sei die klassische Eucharistielehre, deren Kern die Annahme einer Realpräsenz Christi unter den Zeichen von Brot und Wein ist, wie sie auch Martin Luther noch bekannte. Hoping unterscheidet im Blick auf das Thema Lehrentwicklung den theologischen Gehalt von der begrifflichen Fassung, in der sich dieser Gehalt ausdrückt. So gesehen, bleiben Begriffe auch in ihren Bestimmtheiten Fiktionen, die Spielraum bieten, was ihre jeweilige Bedeutung angeht. Mit anderen Worten: Dogmatische Aussagen bleiben auf Hermeneutik angewiesen. In der Rezeption von Dogmengeschichte werde oft nicht gesehen, dass nicht Denkmodelle oder Sprachformen als solche definiert seien, sondern, was mit ihnen ausgesagt werden soll. Es geht dann um Aussagen, die wiederum nicht begriffslos getroffen werden können. Nebenbei gefragt: Deutet sich hier bei Hoping eine Problemverschiebung an? So oder so, führt Hoping weiter aus, bedürfe es der Verständigung darüber, was genau definiert wurde und was nicht. Striet: "Genauso ist es."
Im Blick auf die Eucharistielehre wendet Hoping diese Unterscheidung zwischen Denkmodell und Sprachform einerseits und dem damit Ausgesagten andererseits nun wie folgt an: "Wenn man sagt, dass die Transsubstantiationslehre eine angemessene begriffliche Fassung der somatischen Realpräsenz Christi in der Eucharistie ist, folgt daraus nicht, dass man diese nur substanzmetaphysisch wie bei Thomas von Aquin verstehen kann." Heute stehe der philosophisch-theologische Begriff der Substanz nicht mehr zur Verfügung. Greife man stattdessen auf den geläufigen chemischen Substanzbegriff zurück, könne damit das religiös Intendierte nicht ausgesagt werden; es verändere sich durch die Wandlung (Konsekration) von Brot und Wein chemisch gesehen - nichts.
Im Nachgang zur dieser Überlegung heißt es bei Striet: "Die Transsubstantiationslehre ist nicht dogmatisiert worden. Das ist wichtig festzuhalten." Hoping: "Dogmatisiert wurde sie schon, aber nicht einfach die damit verbundene Substanzontologie." Striet: "Ja, aber um es nochmals zu sagen: Dogmatisiert wurde die Annahme einer Realpräsenz Christi unter den Zeichen von Brot und Wein, nicht aber die Denkform. Das war eine kluge Entscheidung." Hoping: "Richtig."
Für Striet setzt die Lehrentwicklung nicht nur im Begrifflichen an, in dessen fiktionaler, Spielraum gewährender Dimension, sondern bei Jesus selbst. Er müsse der Korrektur unterworfen werden, insofern der biblisch überlieferte Jesus erkennbar nicht auf der Höhe unserer Zeit gewesen sei. Striet setzt da ganz unbefangen "die Moderne" als Korrektiv Jesu ein, nicht etwa umgekehrt. Selbstbewusst heißt es bei Striet: "Wenn Gott eine Beziehung zum Menschen und dessen freie Anerkennung will, darf er sich nicht außerhalb des moralischen Universums bewegen, in dem wir uns bewegen."
Das hatte Sören Kierkegaard freilich genau andersherum gesehen: Unsere Moral habe hinter Gottes souveränem Willen zurückzutreten, sie reglementiere ihn nicht etwa. Indessen bleibt Striet dabei: Es gelte zu berücksichtigen, "dass Jesus von Nazaret ein Kind seiner Zeit war, und damit war er auch ein Kind seines soziokulturellen Umfeldes". Und als Kind seiner Zeit, das noch nicht auf der Höhe unserer Erkenntnis war, habe Jesus - versteht man Striets Historismus recht - seine Mitteilungen gleichsam unter den Vorbehalt einer künftigen Lehrentwicklung gestellt. Demnach gehe es nicht bloß darum, Dogmenhermeneutik zu betreiben, also neben dem historischen Kontext der Dogmen auch das heutige Denken zu berücksichtigen. Sondern Jesus, dieses Kind seiner Zeit, müsse in seiner jeweils modernsten Ausgabe vorgestellt werden. So habe Jesus während seines Erdenwandels noch "nicht das Konzept eines autonomen Moralbewusstseins" gekannt, "und ganz gewiss kannte er auch keine Selbstbestimmungsrechte im modernen Sinn. Er war nicht mit den philosophischen Debatten vertraut, die heute geführt werden. Wie auch?" Ja, wie auch? Wo Jesus in dieser Sicht doch weniger als der Ewige als vielmehr der Ewiggestrige erscheint.
Hoping dreht die Figur um und wendet Jesu Ewiggestrigkeit gegen die Neigung, ihn als Projektionsfläche für Heutiges zu nehmen. Da ist er ganz bei Striet, da dieser ja so viel Wert auf die Festellung legt, Jesus habe doch gar keine Ahnung von heutigen philosophischen Debatten gehabt. Wie auch? CHRISTIAN GEYER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im Streitgespräch: Helmut Hoping und Magnus Striet
Wie Lehrentwicklung innerhalb einer dogmatisch verfassten Offenbarungsreligion aussehen kann - das schildern anhand der katholischen Glaubenslehre die beiden Freiburger Theologen Helmut Hoping und Magnus Striet in einem Streitgespräch. Moderiert von Stefan Orth, dem Chefredakteur der "Herder Korrespondenz", ist es in Buchform bei Herder unter dem Titel "Gott, Freund der Freiheit" (144 S., geb., 18,- Euro) erschienen.
Ein Beispiel, legt Hoping dar, sei die klassische Eucharistielehre, deren Kern die Annahme einer Realpräsenz Christi unter den Zeichen von Brot und Wein ist, wie sie auch Martin Luther noch bekannte. Hoping unterscheidet im Blick auf das Thema Lehrentwicklung den theologischen Gehalt von der begrifflichen Fassung, in der sich dieser Gehalt ausdrückt. So gesehen, bleiben Begriffe auch in ihren Bestimmtheiten Fiktionen, die Spielraum bieten, was ihre jeweilige Bedeutung angeht. Mit anderen Worten: Dogmatische Aussagen bleiben auf Hermeneutik angewiesen. In der Rezeption von Dogmengeschichte werde oft nicht gesehen, dass nicht Denkmodelle oder Sprachformen als solche definiert seien, sondern, was mit ihnen ausgesagt werden soll. Es geht dann um Aussagen, die wiederum nicht begriffslos getroffen werden können. Nebenbei gefragt: Deutet sich hier bei Hoping eine Problemverschiebung an? So oder so, führt Hoping weiter aus, bedürfe es der Verständigung darüber, was genau definiert wurde und was nicht. Striet: "Genauso ist es."
Im Blick auf die Eucharistielehre wendet Hoping diese Unterscheidung zwischen Denkmodell und Sprachform einerseits und dem damit Ausgesagten andererseits nun wie folgt an: "Wenn man sagt, dass die Transsubstantiationslehre eine angemessene begriffliche Fassung der somatischen Realpräsenz Christi in der Eucharistie ist, folgt daraus nicht, dass man diese nur substanzmetaphysisch wie bei Thomas von Aquin verstehen kann." Heute stehe der philosophisch-theologische Begriff der Substanz nicht mehr zur Verfügung. Greife man stattdessen auf den geläufigen chemischen Substanzbegriff zurück, könne damit das religiös Intendierte nicht ausgesagt werden; es verändere sich durch die Wandlung (Konsekration) von Brot und Wein chemisch gesehen - nichts.
Im Nachgang zur dieser Überlegung heißt es bei Striet: "Die Transsubstantiationslehre ist nicht dogmatisiert worden. Das ist wichtig festzuhalten." Hoping: "Dogmatisiert wurde sie schon, aber nicht einfach die damit verbundene Substanzontologie." Striet: "Ja, aber um es nochmals zu sagen: Dogmatisiert wurde die Annahme einer Realpräsenz Christi unter den Zeichen von Brot und Wein, nicht aber die Denkform. Das war eine kluge Entscheidung." Hoping: "Richtig."
Für Striet setzt die Lehrentwicklung nicht nur im Begrifflichen an, in dessen fiktionaler, Spielraum gewährender Dimension, sondern bei Jesus selbst. Er müsse der Korrektur unterworfen werden, insofern der biblisch überlieferte Jesus erkennbar nicht auf der Höhe unserer Zeit gewesen sei. Striet setzt da ganz unbefangen "die Moderne" als Korrektiv Jesu ein, nicht etwa umgekehrt. Selbstbewusst heißt es bei Striet: "Wenn Gott eine Beziehung zum Menschen und dessen freie Anerkennung will, darf er sich nicht außerhalb des moralischen Universums bewegen, in dem wir uns bewegen."
Das hatte Sören Kierkegaard freilich genau andersherum gesehen: Unsere Moral habe hinter Gottes souveränem Willen zurückzutreten, sie reglementiere ihn nicht etwa. Indessen bleibt Striet dabei: Es gelte zu berücksichtigen, "dass Jesus von Nazaret ein Kind seiner Zeit war, und damit war er auch ein Kind seines soziokulturellen Umfeldes". Und als Kind seiner Zeit, das noch nicht auf der Höhe unserer Erkenntnis war, habe Jesus - versteht man Striets Historismus recht - seine Mitteilungen gleichsam unter den Vorbehalt einer künftigen Lehrentwicklung gestellt. Demnach gehe es nicht bloß darum, Dogmenhermeneutik zu betreiben, also neben dem historischen Kontext der Dogmen auch das heutige Denken zu berücksichtigen. Sondern Jesus, dieses Kind seiner Zeit, müsse in seiner jeweils modernsten Ausgabe vorgestellt werden. So habe Jesus während seines Erdenwandels noch "nicht das Konzept eines autonomen Moralbewusstseins" gekannt, "und ganz gewiss kannte er auch keine Selbstbestimmungsrechte im modernen Sinn. Er war nicht mit den philosophischen Debatten vertraut, die heute geführt werden. Wie auch?" Ja, wie auch? Wo Jesus in dieser Sicht doch weniger als der Ewige als vielmehr der Ewiggestrige erscheint.
Hoping dreht die Figur um und wendet Jesu Ewiggestrigkeit gegen die Neigung, ihn als Projektionsfläche für Heutiges zu nehmen. Da ist er ganz bei Striet, da dieser ja so viel Wert auf die Festellung legt, Jesus habe doch gar keine Ahnung von heutigen philosophischen Debatten gehabt. Wie auch? CHRISTIAN GEYER
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