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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Ideologischer Eifer statt historischer Solidität: Alan Mikhails Buch über Selim I. ist ein prominenter Beispielfall für tendenziöse und verfälschende Geschichtsschreibung
Dieses Buch ist ein großes Ärgernis. Das liegt nicht daran, dass es von Selim I. (1470 bis 1520) handelt, dem neunten Sultan des Osmanischen Reiches, der als Selim Yavuz, "der Gestrenge", bis heute in der Türkei verehrt wird. Selim ist tatsächlich eine bedeutende Gestalt der Globalgeschichte, allein schon deshalb, weil er das Herrschaftsgebiet seiner Dynastie auf mehr als das Doppelte erweiterte, nachdem er das persische Reich der Safawiden und die nahöstliche Großmacht der ägyptischen Mamluken in zwei aufeinanderfolgenden Feldzügen besiegt hatte. Indem er nach der Vernichtung der Mamlukenarmee mit der Arabischen Halbinsel auch die heiligen Stätten von Mekka und Medina in Besitz nahm, machte er das Osmanensultanat zugleich zum geistlichen Oberhaupt der umma, der Gemeinschaft aller Gläubigen im Zeichen des sunnitischen Islams. Nach dem Tod des letzten Kalifen, den Selim aus dem eroberten Kairo nach Konstantinopel geholt hatte, übernahmen die osmanischen Herrscher dessen Titel samt Schwert und Umhang des Propheten Mohammed.
Erst durch diesen Zugewinn an Legitimität machte das Reich der Hohen Pforte letztlich den Sprung von der Regional- zur Weltmacht. Fortan führte es, meist aus der Position des überlegenen Angreifers, zweieinhalb Jahrhunderte lang einen Zweifrontenkrieg gegen die europäischen Staaten der Neuzeit und das wiedererstarkte Persien, bis es durch die gemeinsamen Anstrengungen Russlands und Österreich-Ungarns wieder in die Rolle einer regionalen Größe zurückgedrängt wurde.
Nein, ärgerlich ist dieses Buch, weil es seine Standpunkte abwechselnd im Predigerton und im Stil eines historischen Lore-Romans vorträgt. Schon die Einleitung verkündet vollmundig, auf den folgenden Seiten werde "eine kühne neue Weltgeschichte sichtbar", welche mit Irrtümern aufräume, die "seit einem Jahrtausend" Bestand hätten - obwohl die Osmanen vor tausend Jahren noch gar nicht in die Geschichte eingetreten waren. Später heißt es, wenn man die Zeit um 1500 aus der Perspektive Selims betrachte (in die sich Alan Mikhail offenbar mühelos einfühlen kann), erkenne man, welche gewaltige Rolle die Osmanen in der globalen Entwicklung gespielt hätten - "ganz im Gegensatz zu der kulturblinden Geschichte vom europäischen Aufstieg in der Renaissance und dem sogenannten Zeitalter der Entdeckungen". Mit diesem eifernden und anmaßenden Gestus treten fast alle historischen Schlussfolgerungen auf, die der Autor aus seiner biographischen Skizze zu ziehen versucht.
Vorliebe für obskure Quellen.
Umso freundlicher, um nicht zu sagen: blumiger ist diese Skizze selbst abgefasst. Über Cem, den Onkel des Titelhelden, der im Machtkampf um den Sultansthron um christliche Verbündete wirbt, heißt es beispielsweise: "Wenn er über die Reling in das klare blaue Wasser des nördlichen Mittelmeers schaute, erblickte er sein eigenes finsteres Schicksal, das ihn erneut zwang, sein Vertrauen in eine ausländische Macht zu setzen." Ein Admiral, den Selim ins Rote Meer sendet, ist ein Mannsbild "mit einem prächtigen langen Schnauzbart und baumstammgleichen Beinen". Geht's noch?
Die Taten des Sultans selbst, dessen innere Motive und Sehnsüchte unser Autor stets genau zu kennen scheint, werden vor allem am Leitfaden des Selimname aufgereiht, einer hagiografischen Dichtung, die der Hofschreiber Idris-i Bitlisî während Selims Regierungszeit begann und sein Sohn Abu'l-Fadl nach 1520 zu Ende brachte. Dabei gibt Alan Mikhail durchaus zu, dass etwa der Ausdruck "viele jasminhäutige Mädchen wurden genommen" bedeutet, dass es "zu einer Orgie von erzwungenem Sex" mit den weiblichen Gefangenen von Selims Heerschar kam. Gleichwohl zitiert er die triefenden Verse des Panegyrikers immer wieder in epischer Länge, zumal dort, wo es um Selims Kampf um die Herrschaft in Konstantinopel geht, der mit dem Tod seines Vaters und seiner Brüder und der Ausrottung ihrer gesamten Familien endete. Von Quellenkritik oder auch nur einem Mindestmaß an Skepsis gegenüber historischer Propaganda kann in "Gottes Schatten", wenigstens, soweit es die osmanische Seite betrifft, keine Rede sein.
Umso strenger - und umso laxer mit den Fakten - ist Mikhail in seiner Beschreibung der europäischen Expansion, die zu Selims Lebzeiten mit den Entdeckungen des Kolumbus, den Eroberungen von Cortés und Pizarro und dem Vordringen der Portugiesen in den Indischen Ozean begann. Alle diese Vorgänge seien "zweifellos die Geschichte eines Kreuzzugs", dekretiert der Autor, denn schon als Knabe sei Kolumbus mit "Fantasien" über die Kreuzritter aufgewachsen und als Jüngling habe er vor Tunis gegen islamische Korsaren gekämpft. Dass der Entdecker Amerikas im Dienst des Königs René von Neapel vor allem gegen das verfeindete christliche Sizilien zur See fuhr, unterschlägt Mikhail, so wie er auch verschweigt, dass Kolumbus eben nicht an der Belagerung der letzten muslimischen Enklave Granada durch die spanische Krone teilnahm, sondern im Heerlager abwartete, bis Königin Isabella nach der Übergabe der Stadt seine Expedition aus der Kriegsbeute finanzieren konnte.
Denn solche mehrdeutigen Details passen nicht ins Weltbild des Autors Alan Mikhail, das strikt manichäistisch ist: hier die fanatisierten Europäer, die ihren Hass auf den Islam in die Neue Welt exportieren, dort die toleranten Muslime, die auch ihren christlichen Untertanen "Sicherheit, weniger Steuern, weitgehende Autonomie" garantieren. Dass diese Autonomie überall dort an ihre Grenzen stieß, wo sich eine Bevölkerung dem osmanischen Expansionsdrang widersetzte, wie etwa im süditalienischen Otranto, in dem das Heer des Sultans nicht nur "Fuß fasste" (Mikhail), sondern auch Hunderte Zivilisten über die Klinge springen ließ, gerät in dieser Betrachtung aus dem Blick.
Alan Mikhail, der an der Yale-Universität lehrt, hat sich bislang hauptsächlich mit der Umwelt- und Wirtschaftsgeschichte des Osmanischen Reichs beschäftigt. "Gottes Schatten", sein viertes Buch, wurde in den Vereinigten Staaten mit einer großen Pressekampagne lanciert, zu der auch Statements prominenter Wissenschaftler wie Stephen Greenblatt und Natalie Zemon Davis gehörten. Die Kritik akademischer Experten, die sich erst allmählich artikulierte, warf Mikhail vor allem seinen selektiven Umgang mit der Fachliteratur vor: Während er neuere Standardwerke über die Osmanen, Kolumbus und die Renaissance ignoriere, greife er an entscheidenden Punkten seiner Argumentation auf obskure Autoren aus dem neunzehnten Jahrhundert oder aus türkischen Zeitschriften der Fünfzigerjahre zurück.
Freihändige Behauptungen.
In der Tat ist es seltsam, in dem Kolumbus-Kapitel des Buches die Biographie des Bestsellerautors Washington Irving von 1828 als Quelle zitiert zu sehen. Aber viel schlimmer als solche Schrullen ist Mikhails grundsätzlich tendenziöser Umgang mit historischen Fakten. Von der osmanischen Eroberung Konstantinopels etwa kann er nicht erzählen, ohne sie als "welterschütternden Sieg" zu preisen, nach dem die christlichen Bewohner der Stadt "sich in alle Winde zerstreuten" (in Wahrheit wurden die meisten der Überlebenden versklavt). Dass der Islam "für die größten Fortschritte in Astronomie, Architektur und Handel in Europa verantwortlich" war, ist für Mikhail selbstverständlich, aber bei der Verwendung des Begriffs "Rum" (Römer), mit dem die Osmanen eben nicht, wie er behauptet, sich selbst, sondern die Griechen Europas und Kleinasiens bezeichneten, gerät er ins Straucheln.
Ebenso wenig weiß er über Luther Bescheid, dem er die Ansicht unterschiebt, der Islam sei "ein Werkzeug, mit dessen Hilfe man die Korruption im Katholizismus ausmerzen" könne. Dieses Wechselspiel von freihändigen Behauptungen, ideologischen Verzerrungen und Ungenauigkeiten im Detail entwertet selbst jene Passagen über den transkaukasischen Sklavenhandel oder den Aufstand der Muslime auf Hispaniola, in denen Mikhail den heutigen Forschungsstand korrekt wiedergibt.
Dass er mit seiner These, die globale Expansion Westeuropas sei ebenso wie die Entstehung des indischen Mogulreiches "in Reaktion auf die Handlungen der Osmanen" erfolgt, mit der geschichtlichen Wirklichkeit in Konflikt geraten würde, muss selbst dem Autor bei der Niederschrift des Buches irgendwann gedämmert haben. Deshalb bemüht er sich geradezu verzweifelt, in seinem Helden Selim den Drang zur Weltherrschaft zu entdecken. Aber auch Mikhail kommt an der sprechenden Tatsache nicht vorbei, dass Selim die Weltkarte, die ihm sein Admiral Piri Reis in Kairo präsentierte, in zwei Teile riss und nur den östlichen für sich behielt. Das Osmanische Reich hatte eben keine atlantischen Ambitionen, weil es als Kontinentalmacht auf den Schutz seiner Handelswege am Mittelmeer und am Schwarzen Meer angewiesen war. In seinem Eifer, den europäischen Kolonialismus, die geschichtlichen Umwälzungen im Gefolge der Reformation und die Kulturblüte der Renaissance kleinzureden, verkennt Mikhail auch die Gesetzmäßigkeiten, die dem Imperialismus der Muslime zugrunde lagen.
Doch der vollmundige Stil des Autors kennt Grenzen. Im Schlusskapitel berichtet er ungewohnt nüchtern und ohne weltanschauliche Fanfaren über die Versuche des türkischen Präsidenten Erdogan, den Mythos Selims für seine Zwecke zu nutzen - etwa durch die Benennung der dritten Brücke über den Bosporus nach dem osmanischen Sultan. Ein Hauch jener Strenge, mit der Mikhail etwa die politische Moral Karls V. und der frühneuzeitlichen Päpste beurteilt, wäre hier durchaus am Platz gewesen. Aber unser Autor lässt seinen rhetorischen Knüppel im Schrank. Der Verdacht liegt nahe, dass er die Instrumentalisierung Selims durch Erdogan einerseits nicht übergehen konnte, andererseits die Türkei als Absatzmarkt für sein Werk auch nicht verlieren wollte. Es ist nur der letzte unschöne Zug in einem insgesamt unerfreulichen Buch. ANDREAS KILB.
Alan Mikhail: "Gottes Schatten". Sultan Selim und die Geburt der modernen Welt.
Aus dem Englischen von Heike Schlatterer und Helmut Dierlamm. C. H. Beck Verlag, München 2021. 508 S., Abb., geb., 32,- Euro.
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