Aus der Distanz eines halben Jahrhunderts erinnert sich Jean, wie er sich nach dem Algerienkrieg in die geheimnisvolle Dannie verliebte. Als er sie in den 1960er Jahren kennenlernt, lebt sie in Paris, hat so viele Namen wie Adressen und verkehrt mit einer zwielichtigen Bande, die Kontakte nach Marokko unterhält. Trotz der vage lauernden Gefahr werden der angehende Schriftsteller und die junge Frau ein Paar. Doch dann verschwindet Dannie von einem Tag auf den anderen. Und Jean wird als Zeuge in einem Mordfall verhört, der eine neue Geschichte von Dannie erzählt. Modianos Roman ist wie ein Film noir, voller Spannung, Sehnsucht und Geheimnis.
In seinem aktuellen Roman "Gräser der Nacht" erzählt Frankreichs neuer Literaturnobelpreisträger Patrick Modiano die Geschichte einer kurzen, dunklen Affäre in den Sechzigern.
Als Jean die geheimnisvolle Dannie in den 1960er Jahren kennenlernt, lebt sie in Paris, hat so viele Namen wie Adressen und verkehrt mit einer zwielichtigen Bande. Der angehende Schriftsteller und die junge Frau werden ein Paar. Doch dann verschwindet Dannie von einem Tag auf den anderen. Und Jean wird als Zeuge in einem ungeklärten Todesfall verhört.
Gräser der Nacht von Patrick Modiano eine geheimnisvolle Geschichte voll Sehnsucht und Spannung, als eBook bei Hanser erschienen.
Das meint die Klassik Radio Redaktion:
In seinem aktuellen Roman "Gräser der Nacht" erzählt Frankreichs neuer Literaturnobelpreisträger Patrick Modiano die Geschichte einer kurzen, dunklen Affäre in den Sechzigern.
Als Jean die geheimnisvolle Dannie in den 1960er Jahren kennenlernt, lebt sie in Paris, hat so viele Namen wie Adressen und verkehrt mit einer zwielichtigen Bande. Der angehende Schriftsteller und die junge Frau werden ein Paar. Doch dann verschwindet Dannie von einem Tag auf den anderen. Und Jean wird als Zeuge in einem ungeklärten Todesfall verhört.
Gräser der Nacht von Patrick Modiano eine geheimnisvolle Geschichte voll Sehnsucht und Spannung, als eBook bei Hanser erschienen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.12.2014Aber ich habe doch nicht geträumt
Bei Patrick Modiano ist die Erinnerung kein geschützter Ort, sondern ein Aufenthaltsraum für Beobachter: der neue Roman des Nobelpreisträgers "Gräser der Nacht".
In vielerlei Hinsicht entspricht der neue Roman von Patrick Modiano genau dem, was man sich unter einem "typischen Modiano" vorstellen darf: Jean, der Ich-Erzähler des gut einhundertsiebzig Seiten schlanken Buches, erinnert sich an eine Liebschaft, die er vor einem halben Jahrhundert erlebte. Damals, mitten in den - wie so oft bei Modiano - sechziger Jahren war er Dannie begegnet, einer Frau, über die er kaum etwas Präzises sagen kann, außer dass sie ein, zwei Jahre älter war als er. Wobei letzten Endes auch das nicht sicher ist. Denn als Dannie nach ein paar gemeinsamen Wochen aus Jeans Leben verschwand - und zwar völlig unvermittelt, wie es so viele Figuren in Modianos Büchern schon getan haben -, hinterließ sie ihm einen Brief, in dem sie gesteht: "Ich habe dich ein bisschen angelogen, und das bedrückt mich. Ich bin nicht 21, wie ich dir gesagt habe. Ich bin 24. Du siehst, bald schon bin ich alt." Auch dies aber, die antizipierte Vergangenheit, die ihr letzter Satz ausdrückt, ist ganz und gar Modiano.
Wer diesem Autor schon begegnet ist, wird ihn in dem nun auf Deutsch vorliegenden "Gräser der Nacht" also problemlos wiedererkennen: Seine Erzählperspektive, die in der Gegenwart stets nur einen Anker sieht, den es braucht, um sich unwiederbringlich vergangenen Zeiten zuzuwenden; die aus dieser Haltung resultierende Überlappung verschiedener zeitlicher Ebenen, in der sich Erinnerungen und Träume mit tatsächlich Erlebtem und realen Orten vermischen; schließlich das Paris der vergangenen Jahre, in denen viele dieser Orte noch eine andere Stimmung evozierten als heute, so dass sie in der Gegenwart zu wunderbaren Projektionsflächen für das werden, um was es Patrick Modiano immer geht - für Erinnerungsreisen durch Raum und Zeit.
"Aber ich habe doch nicht geträumt", lautet denn auch der erste Satz seines neuen Romans. Nichts ist indes ungewisser als das. Denn sosehr sich Jean auch bemüht, jene unbeschwerten Tage, die er an der Seite von Dannie, durch Paris spazierend, verbrachte, in Gedanken wiederaufleben zu lassen, so sehr entzieht sich ihm die einst liebgewonnene Frau. Gewiss, sein Notizbuch (auch dies ein in Modianos Romanen beliebtes Requisit) liefert einige Hinweise, etwa auf das Hotel Unic im "Hinterland von Montparnasse", in dem Dannie eine Zeitlang wohnte. Es enthält auch die Namen einiger zwielichtiger Männer, mit denen sie zuweilen verkehrte. Aus den Tiefen von Jeans Gedächtnis tauchen jene Provinzorte auf, die er mit ihr besuchte und die so verträumt klingen, wie es eben nur französische Orte tun - Châteauneuf-en-Thymerais, Maillebois, Dampierre-sur-Blévy. Mehr als Assoziationen vermögen diese Bruchstücke der Erinnerung aber nicht heraufzubeschwören. Und doch wissen Modiano-Leser, dass es diese Fetzen sind, das Vage, Angedeutete oder Ungesagte, das diesem Autor als Material für seine Geschichten dient und im Übrigen völlig ausreicht.
Wie in mehreren seiner bislang gut dreißig veröffentlichten Romane findet sich auch in dem jüngsten ein Hinweis auf dieses poetologische Programm: "Vergangenheit? Nein, nein, es handelt sich nicht um die Vergangenheit, vielmehr um Episoden eines geträumten, zeitlosen Lebens, die ich Seite um Seite dem trüben Alltagsleben entreiße, damit es ein bisschen Schatten und Licht bekommt." Die Erinnerung gilt Modianos Erzählern also nicht als Zuflucht oder gar als geschützter Ort. Sie ist vielmehr eine Art Aufenthaltsraum, in dem sie die ihnen natürliche Position als Beobachter einnehmen können. Dass es das jeweils eigene Leben ist, dessen rätselhaften und geheimnisvollen Ereignissen es in diesem Sinn auch Jahrzehnte später nachzuspüren lohnt, ist dabei kein Widerspruch. Im Gegenteil lässt sich diese Verschränkung von Vergangenem und Gegenwärtigem einerseits als Abbild der ganz normalen menschlichen Gedankenwelt lesen, in der es ja auch häufig weder linear noch geordnet zugeht. Andererseits liegt in der suggerierten Simultaneität ein Hinweis auf das besondere Verhältnis, das Modiano zur Zeit entwickelt hat und das fälschlicherweise oft mit dem von Proust verglichen wurde.
Gerade darauf ist Modiano selbst in der Rede eingegangen, die er anlässlich der Verleihung des Literaturnobelpreises kürzlich in Stockholm hielt. Er gehöre, so sagte er, zu einer "Zwischengeneration". Schriftsteller des neunzehnten Jahrhunderts - er nannte Balzac, Dickens, Tolstoi und Dostojewski - vermochten ihre Aufmerksamkeit besser zu konzentrieren, weil ihre Zeit langsamer verging. Heute habe sich die Zeit beschleunigt und gehe stoßweise voran, was den Unterschied zwischen den "großen, wie Kathedralen gebauten Roman-Massiven der Vergangenheit" und den diskontinuierlichen, zerstückelten Werken der Gegenwart erkläre. Die Gesellschaft, die Proust beschrieben habe, sei stabil gewesen. Ihre Vergangenheit konnte in kleinsten Details wieder zutage treten. "Mir scheint heute, dass die Erinnerung ihrer selbst viel weniger sicher sein kann und dass sie ständig ankämpfen muss gegen die Amnesie und das Vergessen."
Diesen Kampf hat Modiano in seinen Büchern immer wieder führen lassen. Auch Jean, sein Erzähler aus "Gräser der Nacht", muss ihn aufnehmen. Er taucht ein in das Paris der sechziger Jahre, evoziert seine bedrohliche Stimmung, seine blinden Flecken und seine im Verborgenen ausgetragenen Konflikte, über die Dannie vermutlich mehr wusste, als sie zugeben wollte. Immerhin war Jean früh gewarnt worden. Sie sei "in eine üble Geschichte" verwickelt, verriet ihm ein Marokkaner namens Aghamouri. Und Jahrzehnte später übergab ihm ein gewisser Kommissar Langlais eine Polizeiakte, mit deren Hilfe Jean dem Rätsel um Dannie zwar ein Stück näher kommt.
Lösen kann er es letztlich nicht, wobei - und auch hierin liegt eine typische Besonderheit von Modianos Stil - nie ganz klar wird, ob des Rätsels Lösung wirklich jemals der Sinn der Suche war. Denn wie mehrere andere Modiano-Erzähler vor ihm ist auch Jean ein Mann, der um die Grenzen des Erforschbaren zu wissen scheint. "Ich glaube, damals hatte ich schon begriffen, dass nie irgendwer auf Fragen antwortet", heißt es einmal. Genau dieses Wissen ist es denn auch, das ihn vor den Versuchungen der Verzweiflung bewahrt und ihm stattdessen eine Art Gelassenheit schenkt, die man zwar melancholisch nennen darf, die aber trotzdem tröstlich stimmt und deswegen sicher mit ein Grund für die anhaltende Verehrung so vieler Modiano-Leser ist.
Wer immer Dannie also war und wie auch immer sie zu Jean stand - sie behält ihr Geheimnis für sich. Sie kann gar nicht anders.
LENA BOPP.
Patrick Modiano: "Gräser der Nacht". Roman.
Aus dem Französischen von Elisabeth Edl. Hanser Verlag, München 2014. 176 S. geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bei Patrick Modiano ist die Erinnerung kein geschützter Ort, sondern ein Aufenthaltsraum für Beobachter: der neue Roman des Nobelpreisträgers "Gräser der Nacht".
In vielerlei Hinsicht entspricht der neue Roman von Patrick Modiano genau dem, was man sich unter einem "typischen Modiano" vorstellen darf: Jean, der Ich-Erzähler des gut einhundertsiebzig Seiten schlanken Buches, erinnert sich an eine Liebschaft, die er vor einem halben Jahrhundert erlebte. Damals, mitten in den - wie so oft bei Modiano - sechziger Jahren war er Dannie begegnet, einer Frau, über die er kaum etwas Präzises sagen kann, außer dass sie ein, zwei Jahre älter war als er. Wobei letzten Endes auch das nicht sicher ist. Denn als Dannie nach ein paar gemeinsamen Wochen aus Jeans Leben verschwand - und zwar völlig unvermittelt, wie es so viele Figuren in Modianos Büchern schon getan haben -, hinterließ sie ihm einen Brief, in dem sie gesteht: "Ich habe dich ein bisschen angelogen, und das bedrückt mich. Ich bin nicht 21, wie ich dir gesagt habe. Ich bin 24. Du siehst, bald schon bin ich alt." Auch dies aber, die antizipierte Vergangenheit, die ihr letzter Satz ausdrückt, ist ganz und gar Modiano.
Wer diesem Autor schon begegnet ist, wird ihn in dem nun auf Deutsch vorliegenden "Gräser der Nacht" also problemlos wiedererkennen: Seine Erzählperspektive, die in der Gegenwart stets nur einen Anker sieht, den es braucht, um sich unwiederbringlich vergangenen Zeiten zuzuwenden; die aus dieser Haltung resultierende Überlappung verschiedener zeitlicher Ebenen, in der sich Erinnerungen und Träume mit tatsächlich Erlebtem und realen Orten vermischen; schließlich das Paris der vergangenen Jahre, in denen viele dieser Orte noch eine andere Stimmung evozierten als heute, so dass sie in der Gegenwart zu wunderbaren Projektionsflächen für das werden, um was es Patrick Modiano immer geht - für Erinnerungsreisen durch Raum und Zeit.
"Aber ich habe doch nicht geträumt", lautet denn auch der erste Satz seines neuen Romans. Nichts ist indes ungewisser als das. Denn sosehr sich Jean auch bemüht, jene unbeschwerten Tage, die er an der Seite von Dannie, durch Paris spazierend, verbrachte, in Gedanken wiederaufleben zu lassen, so sehr entzieht sich ihm die einst liebgewonnene Frau. Gewiss, sein Notizbuch (auch dies ein in Modianos Romanen beliebtes Requisit) liefert einige Hinweise, etwa auf das Hotel Unic im "Hinterland von Montparnasse", in dem Dannie eine Zeitlang wohnte. Es enthält auch die Namen einiger zwielichtiger Männer, mit denen sie zuweilen verkehrte. Aus den Tiefen von Jeans Gedächtnis tauchen jene Provinzorte auf, die er mit ihr besuchte und die so verträumt klingen, wie es eben nur französische Orte tun - Châteauneuf-en-Thymerais, Maillebois, Dampierre-sur-Blévy. Mehr als Assoziationen vermögen diese Bruchstücke der Erinnerung aber nicht heraufzubeschwören. Und doch wissen Modiano-Leser, dass es diese Fetzen sind, das Vage, Angedeutete oder Ungesagte, das diesem Autor als Material für seine Geschichten dient und im Übrigen völlig ausreicht.
Wie in mehreren seiner bislang gut dreißig veröffentlichten Romane findet sich auch in dem jüngsten ein Hinweis auf dieses poetologische Programm: "Vergangenheit? Nein, nein, es handelt sich nicht um die Vergangenheit, vielmehr um Episoden eines geträumten, zeitlosen Lebens, die ich Seite um Seite dem trüben Alltagsleben entreiße, damit es ein bisschen Schatten und Licht bekommt." Die Erinnerung gilt Modianos Erzählern also nicht als Zuflucht oder gar als geschützter Ort. Sie ist vielmehr eine Art Aufenthaltsraum, in dem sie die ihnen natürliche Position als Beobachter einnehmen können. Dass es das jeweils eigene Leben ist, dessen rätselhaften und geheimnisvollen Ereignissen es in diesem Sinn auch Jahrzehnte später nachzuspüren lohnt, ist dabei kein Widerspruch. Im Gegenteil lässt sich diese Verschränkung von Vergangenem und Gegenwärtigem einerseits als Abbild der ganz normalen menschlichen Gedankenwelt lesen, in der es ja auch häufig weder linear noch geordnet zugeht. Andererseits liegt in der suggerierten Simultaneität ein Hinweis auf das besondere Verhältnis, das Modiano zur Zeit entwickelt hat und das fälschlicherweise oft mit dem von Proust verglichen wurde.
Gerade darauf ist Modiano selbst in der Rede eingegangen, die er anlässlich der Verleihung des Literaturnobelpreises kürzlich in Stockholm hielt. Er gehöre, so sagte er, zu einer "Zwischengeneration". Schriftsteller des neunzehnten Jahrhunderts - er nannte Balzac, Dickens, Tolstoi und Dostojewski - vermochten ihre Aufmerksamkeit besser zu konzentrieren, weil ihre Zeit langsamer verging. Heute habe sich die Zeit beschleunigt und gehe stoßweise voran, was den Unterschied zwischen den "großen, wie Kathedralen gebauten Roman-Massiven der Vergangenheit" und den diskontinuierlichen, zerstückelten Werken der Gegenwart erkläre. Die Gesellschaft, die Proust beschrieben habe, sei stabil gewesen. Ihre Vergangenheit konnte in kleinsten Details wieder zutage treten. "Mir scheint heute, dass die Erinnerung ihrer selbst viel weniger sicher sein kann und dass sie ständig ankämpfen muss gegen die Amnesie und das Vergessen."
Diesen Kampf hat Modiano in seinen Büchern immer wieder führen lassen. Auch Jean, sein Erzähler aus "Gräser der Nacht", muss ihn aufnehmen. Er taucht ein in das Paris der sechziger Jahre, evoziert seine bedrohliche Stimmung, seine blinden Flecken und seine im Verborgenen ausgetragenen Konflikte, über die Dannie vermutlich mehr wusste, als sie zugeben wollte. Immerhin war Jean früh gewarnt worden. Sie sei "in eine üble Geschichte" verwickelt, verriet ihm ein Marokkaner namens Aghamouri. Und Jahrzehnte später übergab ihm ein gewisser Kommissar Langlais eine Polizeiakte, mit deren Hilfe Jean dem Rätsel um Dannie zwar ein Stück näher kommt.
Lösen kann er es letztlich nicht, wobei - und auch hierin liegt eine typische Besonderheit von Modianos Stil - nie ganz klar wird, ob des Rätsels Lösung wirklich jemals der Sinn der Suche war. Denn wie mehrere andere Modiano-Erzähler vor ihm ist auch Jean ein Mann, der um die Grenzen des Erforschbaren zu wissen scheint. "Ich glaube, damals hatte ich schon begriffen, dass nie irgendwer auf Fragen antwortet", heißt es einmal. Genau dieses Wissen ist es denn auch, das ihn vor den Versuchungen der Verzweiflung bewahrt und ihm stattdessen eine Art Gelassenheit schenkt, die man zwar melancholisch nennen darf, die aber trotzdem tröstlich stimmt und deswegen sicher mit ein Grund für die anhaltende Verehrung so vieler Modiano-Leser ist.
Wer immer Dannie also war und wie auch immer sie zu Jean stand - sie behält ihr Geheimnis für sich. Sie kann gar nicht anders.
LENA BOPP.
Patrick Modiano: "Gräser der Nacht". Roman.
Aus dem Französischen von Elisabeth Edl. Hanser Verlag, München 2014. 176 S. geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main