Das Grandhotel der Jahrhundertwende war Erlebnisort, Traumhaus und Medienereignis. Seine Geschichte bietet ein facettenreiches Gesellschaftsbild dieser Epoche. Ob als »Wunderding" oder »Existenzform der Heimatlosigkeit": Grandhotels standen vom Beginn der Hochmoderne um 1880 bis über den Ersten Weltkrieg hinaus im Zentrum des gesellschaftlichen Lebens der europäischen und amerikanischen Eliten. Hier trafen sich Mächtige und Aufsteiger, Kaufleute und Reisende, Literaten und Hochstapler. Schrittmacher der kosmopolitischen Hotelkultur waren New York, London und später auch Berlin. Eine wachsende Oberschicht suchte luxuriösen Prunk und verschwenderischen Konsum, geheimnisvolle Diskretion und öffentliche Aufmerksamkeit. Modernste Technik, rationelle Organisation und globaler Austausch machten das moderne Hotel als »Welt in der Stadt" erst möglich. Mit dem Luxusleben der Grandhotels zeichnet Habbo Knoch ein breites Panorama der weltstädtischen Geselligkeit um 1900 zwischen Fortschrittsglaube und Kulturkritik. Anschaulich vermittelt der Autor, wie sich im Grandhotel als Sinnbild der Moderne traditionelle Ordnungen des Sozialen durch Gesellschaften auf Zeit auflösten.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.01.2017Luxus im Labor der Moderne
Hier treffen Adelige auf Bürger: Habbo Knochs Geschichte der Grandhotels um 1900
Das Grandhotel ist eine bürgerliche Erfindung des neunzehnten Jahrhunderts. Sie ahmt das Schloss nach und ersetzt es zugleich. Habbo Knoch nimmt diese Fährte auf und entdeckt im Grandhotel das Emblem eines neuen Zeitalters. Zugang erhalten alle, die die Rechnung bezahlen können und sich einigermaßen zu benehmen wissen. Nicht mehr nur Stand und Herkunft, sondern jede Art von persönlicher Distinktion, ob Adelsprädikat, Unternehmertum, Künstlerschaft, gelten nun etwas. Das Grandhotel wird, so Habbo Knoch, zum sozialen Versuchsfeld und "Laboratorium" der Moderne.
Der wohlhabende Bürger sieht im Grandhotel die Chance, wie Gott in Frankreich zu leben, und auch die aristokratische Gesellschaft, sofern sie noch zahlungskräftig ist, kann sich dieser neuen Institution nicht entziehen. Alle nutzen die neuen Reisemöglichkeiten mit der Eisenbahn. Bahnhöfe und die Grandhotels an Seepromenaden, Meeresstränden oder im Gebirge bringen unterschiedliche Kreise zusammen.
Seit dem ausgehenden achtzehnten Jahrhundert werden gehobene Gasthäuser in Europa wie in Nordamerika als "Hotel" bezeichnet, abgeleitet vom französischen Begriff des "hôtel" für das adlige Stadtpalais. Entscheidend für die Entwicklung des Grandhotels wurde ein verändertes Raumprogramm gegenüber dem herkömmlichen gehobenen Gasthaus. Knoch, der Gesichte in Köln lehrt, führt das "City Hotel" in New York an, das 1796 eröffnet wurde und mit Ballsaal und Theater die Räumlichkeiten eines Schlosses imitierte und zugleich eine Institution der republikanischen Bürgergesellschaft sein wollte.
In Deutschland übernahm diese Pionierrolle ein Verleger, zu dessen Autoren auch Schiller und Goethe gehörten: Johann Friedrich Cotta. Er erwarb mit einem Partner in Baden-Baden ein säkularisiertes Kapuzinerkloster und ließ es von dem renommierten Architekten Friedrich Weinbrenner zum großen Hotel umbauen: zum "Badischen Hof", ausgestattet mit Ball- und Speisesaal im ehemaligen Kirchenraum, ferner mit Casino, Theater und sechzig Zimmern. Nach Cottas Vorstellung sollten hier die Standesgrenzen zwischen Adel und Bürgertum überwunden werden.
Je schneller Industrie und Kapitalvermögen wuchsen, desto mehr Grandhotels entstanden. Schrittmacher waren, was die Größe anbelangte, die Vereinigten Staaten. Das "Tremont House" in Boston empfing den Gast seit 1829 mit einem dorischen Portikus und verfügte über hundertsiebzig Zimmer. Ein paar Jahre später entstand, nach Plänen desselben Architekten, das "Park Hotel" am Broadway in New York und erhielt bald den berühmteren Namen "Astor House", nun schon mit mehr als dreihundert Zimmern, aufwendigem Service und erstklassiger französischer Küche als Aushängeschild.
Der Broadway wurde zum Vergnügungsviertel von "Midtown" im Gegensatz zum Geschäftsviertel von "Downtown", bis ihm später die Fifth Avenue den Rang ablief. Das "Waldorf-Astoria" an der Fifth Avenue konnte 1897 mit rund 1000 Zimmern werben. Was sich architektonisch nobel gab, war im Kern Industrie: ein Stahlskelettbau, verkleidet nach den Idealen der Beaux-Arts-Schule: Talmiglanz und Standardisierung.
In Europa verlief die Entwicklung etwas gemäßigter. In Berlin etwa war ein Vergnügungsviertel in der Hauptstadt mit halböffentlichen Grandhotels, Restaurants, Cafés und Operettenbühnen gar nicht vorgesehen. Adel wie Bürgertum sollten eine asketische Haltung und die Bürger zumal die Häuslichkeit pflegen. Doch nach der Reichsgründung von 1871 hegte man auch an Spree und Panke den Ehrgeiz, eine "Weltstadt" zu werden, mondän, von internationaler Bedeutung. Grandhotels wie der "Kaiserhof" und später das "Adlon" wirkten bahnbrechend.
Knoch tischt eine Menge Fakten auf, und es kann sein, dass der Leser zwischendurch den Überblick verliert oder sich Argumente wiederholen. Ralf Nestmeyer hat in seinen Buch "Hotelwelten" dasselbe Thema bündiger behandelt. Dennoch ist man Knoch dankbar für das reiche Quellenmaterial und den sorgfältig zusammengestellten Anhang, der die Möglichkeit bietet, sein Wissen zu vertiefen. Der eigentliche Clou des Buches besteht darin, dass der Autor einer Phänomenologie des Grandhotels eine Phänomenologie der Moderne unterschiebt: soziale Verwandlungsdynamik, Verfall und Fortschritt, dialektische Struktur von herkömmlicher Ordnung und neuen Formen der Individualität - die Geburt der Moderne aus der Perspektive des Grandhotels.
ERWIN SEITZ
Habbo Knoch: "Grandhotels". Luxusräume und Gesellschaftswandel in New York, London und Berlin um 1900.
Wallstein Verlag, Göttingen 2016. 495 S., geb., 34,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hier treffen Adelige auf Bürger: Habbo Knochs Geschichte der Grandhotels um 1900
Das Grandhotel ist eine bürgerliche Erfindung des neunzehnten Jahrhunderts. Sie ahmt das Schloss nach und ersetzt es zugleich. Habbo Knoch nimmt diese Fährte auf und entdeckt im Grandhotel das Emblem eines neuen Zeitalters. Zugang erhalten alle, die die Rechnung bezahlen können und sich einigermaßen zu benehmen wissen. Nicht mehr nur Stand und Herkunft, sondern jede Art von persönlicher Distinktion, ob Adelsprädikat, Unternehmertum, Künstlerschaft, gelten nun etwas. Das Grandhotel wird, so Habbo Knoch, zum sozialen Versuchsfeld und "Laboratorium" der Moderne.
Der wohlhabende Bürger sieht im Grandhotel die Chance, wie Gott in Frankreich zu leben, und auch die aristokratische Gesellschaft, sofern sie noch zahlungskräftig ist, kann sich dieser neuen Institution nicht entziehen. Alle nutzen die neuen Reisemöglichkeiten mit der Eisenbahn. Bahnhöfe und die Grandhotels an Seepromenaden, Meeresstränden oder im Gebirge bringen unterschiedliche Kreise zusammen.
Seit dem ausgehenden achtzehnten Jahrhundert werden gehobene Gasthäuser in Europa wie in Nordamerika als "Hotel" bezeichnet, abgeleitet vom französischen Begriff des "hôtel" für das adlige Stadtpalais. Entscheidend für die Entwicklung des Grandhotels wurde ein verändertes Raumprogramm gegenüber dem herkömmlichen gehobenen Gasthaus. Knoch, der Gesichte in Köln lehrt, führt das "City Hotel" in New York an, das 1796 eröffnet wurde und mit Ballsaal und Theater die Räumlichkeiten eines Schlosses imitierte und zugleich eine Institution der republikanischen Bürgergesellschaft sein wollte.
In Deutschland übernahm diese Pionierrolle ein Verleger, zu dessen Autoren auch Schiller und Goethe gehörten: Johann Friedrich Cotta. Er erwarb mit einem Partner in Baden-Baden ein säkularisiertes Kapuzinerkloster und ließ es von dem renommierten Architekten Friedrich Weinbrenner zum großen Hotel umbauen: zum "Badischen Hof", ausgestattet mit Ball- und Speisesaal im ehemaligen Kirchenraum, ferner mit Casino, Theater und sechzig Zimmern. Nach Cottas Vorstellung sollten hier die Standesgrenzen zwischen Adel und Bürgertum überwunden werden.
Je schneller Industrie und Kapitalvermögen wuchsen, desto mehr Grandhotels entstanden. Schrittmacher waren, was die Größe anbelangte, die Vereinigten Staaten. Das "Tremont House" in Boston empfing den Gast seit 1829 mit einem dorischen Portikus und verfügte über hundertsiebzig Zimmer. Ein paar Jahre später entstand, nach Plänen desselben Architekten, das "Park Hotel" am Broadway in New York und erhielt bald den berühmteren Namen "Astor House", nun schon mit mehr als dreihundert Zimmern, aufwendigem Service und erstklassiger französischer Küche als Aushängeschild.
Der Broadway wurde zum Vergnügungsviertel von "Midtown" im Gegensatz zum Geschäftsviertel von "Downtown", bis ihm später die Fifth Avenue den Rang ablief. Das "Waldorf-Astoria" an der Fifth Avenue konnte 1897 mit rund 1000 Zimmern werben. Was sich architektonisch nobel gab, war im Kern Industrie: ein Stahlskelettbau, verkleidet nach den Idealen der Beaux-Arts-Schule: Talmiglanz und Standardisierung.
In Europa verlief die Entwicklung etwas gemäßigter. In Berlin etwa war ein Vergnügungsviertel in der Hauptstadt mit halböffentlichen Grandhotels, Restaurants, Cafés und Operettenbühnen gar nicht vorgesehen. Adel wie Bürgertum sollten eine asketische Haltung und die Bürger zumal die Häuslichkeit pflegen. Doch nach der Reichsgründung von 1871 hegte man auch an Spree und Panke den Ehrgeiz, eine "Weltstadt" zu werden, mondän, von internationaler Bedeutung. Grandhotels wie der "Kaiserhof" und später das "Adlon" wirkten bahnbrechend.
Knoch tischt eine Menge Fakten auf, und es kann sein, dass der Leser zwischendurch den Überblick verliert oder sich Argumente wiederholen. Ralf Nestmeyer hat in seinen Buch "Hotelwelten" dasselbe Thema bündiger behandelt. Dennoch ist man Knoch dankbar für das reiche Quellenmaterial und den sorgfältig zusammengestellten Anhang, der die Möglichkeit bietet, sein Wissen zu vertiefen. Der eigentliche Clou des Buches besteht darin, dass der Autor einer Phänomenologie des Grandhotels eine Phänomenologie der Moderne unterschiebt: soziale Verwandlungsdynamik, Verfall und Fortschritt, dialektische Struktur von herkömmlicher Ordnung und neuen Formen der Individualität - die Geburt der Moderne aus der Perspektive des Grandhotels.
ERWIN SEITZ
Habbo Knoch: "Grandhotels". Luxusräume und Gesellschaftswandel in New York, London und Berlin um 1900.
Wallstein Verlag, Göttingen 2016. 495 S., geb., 34,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Der eigentliche Clou des Buches besteht darin, dass der Autor einer Phänomenologie des Grandhotels eine Phänomenologie der Moderne unterschiebt« (Erwin Seitz, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.01.2017) »sehr detailreich und auch detailverliebt (...); alles wird vor dem inneren Auge des Lesers ausgebreitet, beschrieben bis ins allerkleinste Detail.« (Josef Fromholzer, www.amazon.de, 09.11.2016) »Der eigentliche Clou des Buches besteht darin, dass der Autor einer Phänomenologie des Grandhotels eine Phänomenologie der Moderne unterschiebt.« (Erwin Seitz, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.01.2017) »sehr übersichtlich und logisch gegliedert, exzellent recherchiert und (trotz allen wissenschaftlichen Anspruchs) sehr gut zu lesen und leicht verständlich.« (kulturbuchtipps.de, 30.01.2017) »eine Studie von großem Wert« (Florian G. Mildenberger, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 2/2017) »Knochs groß angelegte Studie verfolgt mit Akribie den Aufstieg und den Abglanz dieser gesellschaftlichen Bühne« (Elmar Schenkel, Das Historisch-Politische Buch, 2/2017) »Knoch schöpft aus einer enormen Quellenvielfalt« (Yvonne Robel, H-Soz-Kult, 05.09.2017) »beeindruckt (...) vor allem als breit angelegtes Panorama« (Friedrich Lenger, Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 105 2018/2) »schlüssig und gleichzeitig unterhaltsam« (VIERVIERTELKULT, Dezember 2018)