During the winter of 1972, a woman spends a single night with a young Chilean poet before he departs New York, leaving her his desk. It is the only time they ever meet. Two years later, he is arrested by Pinochet's secret police and never seen again. Across the ocean, in the leafy suburbs of London, a man caring for his dying wife discovers a lock of hair among her papers that unravels a terrible secret. In Jerusalem, an antiques dealer has spent a lifetime reassembling his father's study, plundered by the Nazis from Budapest in 1944; now only one item remains to be found.
Connecting these lives is a desk of many drawers that exerts a power over those who possess it or give it away. And as the narrators of Great House make their confessions, this desk comes finally to stand for all that has been taken from them, and all that binds them to what has disappeared.
Great House is a story haunted by questions: What do we pass on to our children and how do they absorb our dreams and losses? How do we respond to disappearance, destruction, and change?
Nicole Krauss has written a soaring, powerful novel about memory struggling to create a meaningful permanence in the face of inevitable loss.
Connecting these lives is a desk of many drawers that exerts a power over those who possess it or give it away. And as the narrators of Great House make their confessions, this desk comes finally to stand for all that has been taken from them, and all that binds them to what has disappeared.
Great House is a story haunted by questions: What do we pass on to our children and how do they absorb our dreams and losses? How do we respond to disappearance, destruction, and change?
Nicole Krauss has written a soaring, powerful novel about memory struggling to create a meaningful permanence in the face of inevitable loss.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.01.2011Ihr fliegender Teppich ist ein Schreibtisch
Nicole Krauss hat sich für ihren neuen Roman "Das große Haus" viel vorgenommen. Die amerikanische Schriftstellerin verbindet Schicksale, Zeiten und Orte mit Hilfe eines magischen Möbels.
Von Felicitas von Lovenberg
Die ehrlichste literarische Bewährungsprobe ist das Langzeitgedächtnis. Jeder Leser kennt den peinigenden Moment, da man von einem Roman schwärmt, den man vor längerer Zeit gelesen hat, und merkt, dass einem die Figuren abhandengekommen sind und man auch die Handlung nur noch ansatzweise zusammenbekommt. Von manchem Buch bleibt nicht mehr als die Erinnerung an ein gutes Gefühl beim Lesen - und die ernüchternde Erkenntnis, dass die Freundschaft, die man mit seinen Charakteren geschlossen zu haben meinte, offenbar doch keine fürs Leben war.
Nicole Krauss ist schön, begabt und berühmt (F.A.Z. vom 8. Januar). Nach einem glänzenden und eigenwilligen Debüt veröffentlichte die Amerikanerin 2005 ihren zweiten Roman, "Die Geschichte der Liebe", in dem sich der formale Ehrgeiz der Autorin mit der Wahrhaftigkeit dessen, was sie zu erzählen hatte, erfreulich die Waage hielt. Damals war es ein Romanmanuskript, das über Ländergrenzen und Zeiten hinweg verschiedene Leben berührte und so ein unsichtbares Netz von Beziehungen knüpfte.
Jetzt, in ihrem neuen Roman "Das große Haus", ist es ein sehr viel schwereres und unhandlicheres Objekt, das Schicksale zusammenführt: ein Schreibtisch, ein ebenholzdunkles Trum von einem Möbel, mehr Tanker als Tisch, eine Art Hauffsches Geisterschiff, wie es "auf stockfinsterem Meer in der Tiefe einer mondlosen Nacht, ohne Hoffnung, irgendwo Land zu sichten" herumirrt. "Über der Schreibfläche erhob sich ein Aufbau von Schubladen, Schubladen in absolut unpraktischen Größen, wie am Tisch eines mittelalterlichen Zauberers." Diesen Sekretär, an dem womöglich García Lorca einmal geschrieben hat, lässt Nicole Krauss als Frachter der Erinnerung durch Leben, Kontinente und das zwanzigste Jahrhundert segeln. Dabei wird er nie ge- oder verkauft, sondern wechselt den Besitzer als Leihgabe, Geschenk, Pfand oder Vermächtnis.
Zwei Schriftstellerinnen, der einen in London und Oxford, der anderen in New York, leistet das Möbel in der Einsamkeit des Schreibens stumme inspiratorische Gesellschaft, ebenso einem jungen Dichter, der in den Folterkammern des Generals Pinochet verschwindet. Für einen ungarischen Juden birgt er die kostbare Erinnerung an seine Budapester Kindheit. All seine Hüter sind Emigranten, Flüchtlinge - sei es die in Nürnberg geborene Schriftstellerin Lotte Berg, die 1939 mit einem Kindertransport nach England kam und so als Einzige ihrer Familie den Nationalsozialisten entkommen konnte, oder George Weisz, Sohn eines jüdischen Gelehrten, in dessen Budapester Arbeitszimmer der Schreibtisch einst stand und der es sich als Antiquitätenhändler zur Aufgabe gemacht hat, Juden auf der ganzen Welt Teile ihres früheren Eigentums und damit ein Stück Heimat wiederzubeschaffen, oder der chilenische Poet Daniel Varsky, der nach Wanderjahren 1973 nach Hause zurückzukehren beschließt und sein Mobiliar, darunter auch den Schreibtisch, der angehenden Schriftstellerin Nadia in New York überlässt. Nadia wiederum erhält nach mehr als einem Vierteljahrhundert überraschend Besuch von Leah Weisz, die sagt, sie sei die Tochter Daniel Varskys und wolle seinen Schreibtisch abholen. Als Nadia dem Möbel nach Israel nachreist, kommt es zu einem Zusammenstoß mit Dov, dem als Autor gescheiterten israelischen Richter, der wiederum von seinem verwitweten Vater verzweifelt gesucht wird. Und dann ist da noch die amerikanische Literaturstudentin Isabel, die sich als Studentin in Oxford in Joav, Sohn von George Weisz und Bruder Leahs, verliebt und so über Umwege fast mit dem Schreibtisch in Berührung kommt - aber eben nur fast.
Der Schreibtisch mit seinen unzähligen Fächern und Laden, von denen eine stets verschlossen bleibt, ist das offensichtliche Sinnbild einer Romankonstruktion, in der die einzelnen Geschichten und Erinnerungen wie Schubladen herausgezogen werden, ohne dass am Ende das letzte Geheimnis, wie alle miteinander oder wenigstens mit dem Möbel zusammenhängen, detektivisch befriedigend gelöst würde. Nicole Krauss geht es erkennbar nicht um Handlung und nicht um die Lösung eines Rätsels, sondern um die Verwandlung der Seelen ihrer Figuren in eine Idee, in ein Objekt, das sie spiegelt und bewahrt. In diesem Motiv folgt sie einer Schule des Talmud, auf die auch der Romantitel "Das große Haus", das metaphorische Haus des Geistes, zurückgeht.
Der Leser verliert in diesem gehobenen Verwirrspiel schnell die Orientierung, zumal aus jeder Lade ein neuer Monolog anhebt und es lauter Ich-Erzähler sind, die sich rechtfertigen, etwas beichten oder verlorene Lieben noch einmal heraufbeschwören wollen - und dabei manche Sprünge vollführen. Die meisten wenden sich noch dazu an unsichtbar und stumm bleibende Gegenüber ("Euer Ehren").
Symmetrien, die wir im Leben finden, hätten etwas Tröstliches, bemerkt einer der Erzähler, "weil sie einen Plan suggerieren, wo keiner ist". In der Kunst hingegen darf man hinter Mustern einen Plan vermuten und anders als im Leben sogar erwarten, dass dieser aufgeht. Brüche dienen dann dazu, die unerwartete Anordnung sinnfällig zu machen. Nicole Krauss erhebt den Bruch zum Prinzip, indem sie die Geschichten ihres Romans nur selten auf der Handlungsebene miteinander verschränkt. Stattdessen suggeriert sie mit Hilfe von Motiven, Metaphern und Erfahrungen innere Zusammenhänge. Doch während Zeiten, Orte, Personen wechseln, ohne dass sich die Sprache diesen Veränderungen anpasst, scheinen auch die inneren Verschränkungen nurmehr behauptet, eben konstruiert. Zwar muss eine Geschichte, um glaubwürdig zu sein, nicht unbedingt plausibel erscheinen, aber bloß, weil ein Roman nicht konventionell linear, sondern in endlosen Verschachtelungen erzählt wird, handelt es sich dabei noch nicht um Avantgarde, geschweige denn um eine überzeugende Kampfansage an die plotfixierte Literatur der Kollegen.
Der Schreibtisch, der eigentliche Protagonist dieses elegischen Buchs, sei ein trojanisches Pferd, heißt es an einer Stelle. In der Tat, seine Schubladen bergen große Themen: Exil und Einsamkeit; die Bedingungen der Schriftstellerei; Distanz und Nähe zwischen Paaren; Mutterschaft, Vaterschaft und Kinderlosigkeit; die bange, entsetzliche Frage, wie es sein mag, "weiterzuleben, wenn das eigene Kind tot ist".
All das beschwört Nicole Krauss durchaus eindringlich. Doch während sie vieles anreißt und dabei klug offenlässt, entpuppt sich ihr Schiffs-Schreibtisch leider auch als Mottenkiste an Metaphern. Im Wunsch, die Zimmer ihres Romanhauses einzurichten, scheint der sprachliche Dekorationsdrang bisweilen mit der Autorin durchzugehen: "Wir tauschten einen Blick aus, wie man ihn in seltenen Situationen mit Fremden austauscht, wenn beide wortlos darin übereinstimmen, dass die Wirklichkeit kratergroße Löcher enthält, deren Tiefe unergründlich scheint." Es gibt (und keineswegs nur in der deutschen Übersetzung) eine Fülle solcher verunglückter, pathetisch und hohl dröhnender Formulierungen, ebenso wie zahlreiche Löcher, Lücken, Flecken und Punkte, die alles zu verschlingen scheinen. Dazwischen leuchten zum Glück aber auch immer wieder unprätentiöse, stimmige Bilder: "Wenn ich mit Joav zusammen war, stand alles auf, was sich in mir gesetzt hatte."
Zusätzlich irritiert, dass einem vieles bekannt vorkommt - nicht nur, weil die Grundidee, Menschen und Schicksale anhand eines Gegenstands zu verknüpfen, keine neue ist. So erinnert das Zusammenleben von Lotte Berg und ihrem Mann, einem Oxforder Don, spätestens als bei ihr die Alzheimer-Krankheit ausbricht, sehr an John Bayleys Schilderung von Iris Murdochs letzten Jahren; und bei der Litanei eines israelischen Vaters, der seinen Sohn Uri in den Krieg ziehen sieht und ständig fürchtet, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte, wird vielen Lesern unwillkürlich David Grossmans "Eine Frau flieht vor einer Nachricht" vor Augen stehen.
Am besten ist "Das große Haus" da, wo man vergessen kann, dass es einen Roman, also ein Werk mit Plan, vorstellt, und sich den einzelnen Stimmen und ihren Erzählungen einfach überlässt. Über die Macht der Erinnerung, den Trost der Gewohnheit, die weibliche Überlebensstrategie des Alleinseins und nicht zuletzt über die Rätsel, die Frauen Männern und Männer Frauen auch nach langem Zusammenleben noch aufzugeben imstande sind, hat Nicole Krauss uns noch viel zu erzählen - auch wenn man sich an diesen Roman, kaum dass er ausgelesen ist, nicht mehr im Einzelnen erinnern kann.
Nicole Krauss: "Das große Haus". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Grete Osterwald. Rowohlt Verlag, Reinbek 2011. 375 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nicole Krauss hat sich für ihren neuen Roman "Das große Haus" viel vorgenommen. Die amerikanische Schriftstellerin verbindet Schicksale, Zeiten und Orte mit Hilfe eines magischen Möbels.
Von Felicitas von Lovenberg
Die ehrlichste literarische Bewährungsprobe ist das Langzeitgedächtnis. Jeder Leser kennt den peinigenden Moment, da man von einem Roman schwärmt, den man vor längerer Zeit gelesen hat, und merkt, dass einem die Figuren abhandengekommen sind und man auch die Handlung nur noch ansatzweise zusammenbekommt. Von manchem Buch bleibt nicht mehr als die Erinnerung an ein gutes Gefühl beim Lesen - und die ernüchternde Erkenntnis, dass die Freundschaft, die man mit seinen Charakteren geschlossen zu haben meinte, offenbar doch keine fürs Leben war.
Nicole Krauss ist schön, begabt und berühmt (F.A.Z. vom 8. Januar). Nach einem glänzenden und eigenwilligen Debüt veröffentlichte die Amerikanerin 2005 ihren zweiten Roman, "Die Geschichte der Liebe", in dem sich der formale Ehrgeiz der Autorin mit der Wahrhaftigkeit dessen, was sie zu erzählen hatte, erfreulich die Waage hielt. Damals war es ein Romanmanuskript, das über Ländergrenzen und Zeiten hinweg verschiedene Leben berührte und so ein unsichtbares Netz von Beziehungen knüpfte.
Jetzt, in ihrem neuen Roman "Das große Haus", ist es ein sehr viel schwereres und unhandlicheres Objekt, das Schicksale zusammenführt: ein Schreibtisch, ein ebenholzdunkles Trum von einem Möbel, mehr Tanker als Tisch, eine Art Hauffsches Geisterschiff, wie es "auf stockfinsterem Meer in der Tiefe einer mondlosen Nacht, ohne Hoffnung, irgendwo Land zu sichten" herumirrt. "Über der Schreibfläche erhob sich ein Aufbau von Schubladen, Schubladen in absolut unpraktischen Größen, wie am Tisch eines mittelalterlichen Zauberers." Diesen Sekretär, an dem womöglich García Lorca einmal geschrieben hat, lässt Nicole Krauss als Frachter der Erinnerung durch Leben, Kontinente und das zwanzigste Jahrhundert segeln. Dabei wird er nie ge- oder verkauft, sondern wechselt den Besitzer als Leihgabe, Geschenk, Pfand oder Vermächtnis.
Zwei Schriftstellerinnen, der einen in London und Oxford, der anderen in New York, leistet das Möbel in der Einsamkeit des Schreibens stumme inspiratorische Gesellschaft, ebenso einem jungen Dichter, der in den Folterkammern des Generals Pinochet verschwindet. Für einen ungarischen Juden birgt er die kostbare Erinnerung an seine Budapester Kindheit. All seine Hüter sind Emigranten, Flüchtlinge - sei es die in Nürnberg geborene Schriftstellerin Lotte Berg, die 1939 mit einem Kindertransport nach England kam und so als Einzige ihrer Familie den Nationalsozialisten entkommen konnte, oder George Weisz, Sohn eines jüdischen Gelehrten, in dessen Budapester Arbeitszimmer der Schreibtisch einst stand und der es sich als Antiquitätenhändler zur Aufgabe gemacht hat, Juden auf der ganzen Welt Teile ihres früheren Eigentums und damit ein Stück Heimat wiederzubeschaffen, oder der chilenische Poet Daniel Varsky, der nach Wanderjahren 1973 nach Hause zurückzukehren beschließt und sein Mobiliar, darunter auch den Schreibtisch, der angehenden Schriftstellerin Nadia in New York überlässt. Nadia wiederum erhält nach mehr als einem Vierteljahrhundert überraschend Besuch von Leah Weisz, die sagt, sie sei die Tochter Daniel Varskys und wolle seinen Schreibtisch abholen. Als Nadia dem Möbel nach Israel nachreist, kommt es zu einem Zusammenstoß mit Dov, dem als Autor gescheiterten israelischen Richter, der wiederum von seinem verwitweten Vater verzweifelt gesucht wird. Und dann ist da noch die amerikanische Literaturstudentin Isabel, die sich als Studentin in Oxford in Joav, Sohn von George Weisz und Bruder Leahs, verliebt und so über Umwege fast mit dem Schreibtisch in Berührung kommt - aber eben nur fast.
Der Schreibtisch mit seinen unzähligen Fächern und Laden, von denen eine stets verschlossen bleibt, ist das offensichtliche Sinnbild einer Romankonstruktion, in der die einzelnen Geschichten und Erinnerungen wie Schubladen herausgezogen werden, ohne dass am Ende das letzte Geheimnis, wie alle miteinander oder wenigstens mit dem Möbel zusammenhängen, detektivisch befriedigend gelöst würde. Nicole Krauss geht es erkennbar nicht um Handlung und nicht um die Lösung eines Rätsels, sondern um die Verwandlung der Seelen ihrer Figuren in eine Idee, in ein Objekt, das sie spiegelt und bewahrt. In diesem Motiv folgt sie einer Schule des Talmud, auf die auch der Romantitel "Das große Haus", das metaphorische Haus des Geistes, zurückgeht.
Der Leser verliert in diesem gehobenen Verwirrspiel schnell die Orientierung, zumal aus jeder Lade ein neuer Monolog anhebt und es lauter Ich-Erzähler sind, die sich rechtfertigen, etwas beichten oder verlorene Lieben noch einmal heraufbeschwören wollen - und dabei manche Sprünge vollführen. Die meisten wenden sich noch dazu an unsichtbar und stumm bleibende Gegenüber ("Euer Ehren").
Symmetrien, die wir im Leben finden, hätten etwas Tröstliches, bemerkt einer der Erzähler, "weil sie einen Plan suggerieren, wo keiner ist". In der Kunst hingegen darf man hinter Mustern einen Plan vermuten und anders als im Leben sogar erwarten, dass dieser aufgeht. Brüche dienen dann dazu, die unerwartete Anordnung sinnfällig zu machen. Nicole Krauss erhebt den Bruch zum Prinzip, indem sie die Geschichten ihres Romans nur selten auf der Handlungsebene miteinander verschränkt. Stattdessen suggeriert sie mit Hilfe von Motiven, Metaphern und Erfahrungen innere Zusammenhänge. Doch während Zeiten, Orte, Personen wechseln, ohne dass sich die Sprache diesen Veränderungen anpasst, scheinen auch die inneren Verschränkungen nurmehr behauptet, eben konstruiert. Zwar muss eine Geschichte, um glaubwürdig zu sein, nicht unbedingt plausibel erscheinen, aber bloß, weil ein Roman nicht konventionell linear, sondern in endlosen Verschachtelungen erzählt wird, handelt es sich dabei noch nicht um Avantgarde, geschweige denn um eine überzeugende Kampfansage an die plotfixierte Literatur der Kollegen.
Der Schreibtisch, der eigentliche Protagonist dieses elegischen Buchs, sei ein trojanisches Pferd, heißt es an einer Stelle. In der Tat, seine Schubladen bergen große Themen: Exil und Einsamkeit; die Bedingungen der Schriftstellerei; Distanz und Nähe zwischen Paaren; Mutterschaft, Vaterschaft und Kinderlosigkeit; die bange, entsetzliche Frage, wie es sein mag, "weiterzuleben, wenn das eigene Kind tot ist".
All das beschwört Nicole Krauss durchaus eindringlich. Doch während sie vieles anreißt und dabei klug offenlässt, entpuppt sich ihr Schiffs-Schreibtisch leider auch als Mottenkiste an Metaphern. Im Wunsch, die Zimmer ihres Romanhauses einzurichten, scheint der sprachliche Dekorationsdrang bisweilen mit der Autorin durchzugehen: "Wir tauschten einen Blick aus, wie man ihn in seltenen Situationen mit Fremden austauscht, wenn beide wortlos darin übereinstimmen, dass die Wirklichkeit kratergroße Löcher enthält, deren Tiefe unergründlich scheint." Es gibt (und keineswegs nur in der deutschen Übersetzung) eine Fülle solcher verunglückter, pathetisch und hohl dröhnender Formulierungen, ebenso wie zahlreiche Löcher, Lücken, Flecken und Punkte, die alles zu verschlingen scheinen. Dazwischen leuchten zum Glück aber auch immer wieder unprätentiöse, stimmige Bilder: "Wenn ich mit Joav zusammen war, stand alles auf, was sich in mir gesetzt hatte."
Zusätzlich irritiert, dass einem vieles bekannt vorkommt - nicht nur, weil die Grundidee, Menschen und Schicksale anhand eines Gegenstands zu verknüpfen, keine neue ist. So erinnert das Zusammenleben von Lotte Berg und ihrem Mann, einem Oxforder Don, spätestens als bei ihr die Alzheimer-Krankheit ausbricht, sehr an John Bayleys Schilderung von Iris Murdochs letzten Jahren; und bei der Litanei eines israelischen Vaters, der seinen Sohn Uri in den Krieg ziehen sieht und ständig fürchtet, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte, wird vielen Lesern unwillkürlich David Grossmans "Eine Frau flieht vor einer Nachricht" vor Augen stehen.
Am besten ist "Das große Haus" da, wo man vergessen kann, dass es einen Roman, also ein Werk mit Plan, vorstellt, und sich den einzelnen Stimmen und ihren Erzählungen einfach überlässt. Über die Macht der Erinnerung, den Trost der Gewohnheit, die weibliche Überlebensstrategie des Alleinseins und nicht zuletzt über die Rätsel, die Frauen Männern und Männer Frauen auch nach langem Zusammenleben noch aufzugeben imstande sind, hat Nicole Krauss uns noch viel zu erzählen - auch wenn man sich an diesen Roman, kaum dass er ausgelesen ist, nicht mehr im Einzelnen erinnern kann.
Nicole Krauss: "Das große Haus". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Grete Osterwald. Rowohlt Verlag, Reinbek 2011. 375 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.01.2011Schreibtischlein deck’ dich!
Die Schriftstellerin Nicole Krauss erzählt in ihrem Roman „Das große Haus“ von einem sperrigen Möbel, das voller Geschichten steckt
In „Der Verschollene“ kommt Franz Kafka auf einen höchst eigentümlichen Schreibtisch amerikanischer Machart zu sprechen. Eigentümlich an diesem Tisch ist, dass er über eine Vorrichtung verfügt, mittels derer sich die Fächer in seinem Aufsatz nach Bedarf verstellen und neu einteilen lassen. Dreht man an der seitlichen Kurbel, so verwandelt sich das starre Monstrum in eine magische Menagerie, die Karl Roßmann, den nach Amerika ausgewanderten Helden des Romans, an die Krippenspiele auf den Weihnachtsmärkten seiner Heimat denken lässt.
Wir wissen nicht, ob die 36-jährige amerikanische Schriftstellerin Nicole Krauss sich an die Passage bei Kafka erinnert hat, als sie ihren dritten Roman „Das große Haus“ schrieb, der in ihrer Heimat als Meisterwerk gefeiert wird und dessen Erscheinen auf Deutsch von Teilen der Kritik wie eine Krönungsmesse zelebriert wurde.
Was wir jedoch wissen, ist, dass die Autorin selbst einen monströsen alten Schreibtisch besitzt, das war im Spiegel zu lesen. Und wenn man ihren ungefügen, schludrig zusammengeschusterten und hoffnungslos sentimentalen Roman gelesen hat, könnte man sich gut vorstellen, wie er entstanden sein mag. Wäre es nicht denkbar, dass in den Schubfächern ihres Schreibtischs lauter unfertige, kürzere Manuskripte lagen? Und dass an diesen Schubladen kleine gelbe Zettel mit Aufschriften wie „Mutterschaft“ oder „Schreibkrise“ klebten, vagen Angaben also, worum es in diesen Texten geht?
Nun lesen die Menschen bekanntlich nicht so gerne Erzählungen, und seit dem vorhergehenden, ebenfalls hochgelobten Roman von Nicole Krauss sind auch schon wieder fast sechs Jahre vergangen. In dieser Zeit hat sie ihrem Mann, dem Bestsellerautor Jonathan Safran Foer, zwei Kinder geboren. Da wäre es äußerst praktisch, die ganzen Schubladen einmal auf einen Haufen auszuleeren und all die Stoffreste und losen Erzählfäden zu einem buntscheckigen Romanteppich zu verweben, um sich als Autorin in Erinnerung zu bringen. Auch ein paar entliehene Flicken sind darunter, aus David Grossmans „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“ und W.G. Sebalds „Austerlitz“. Der Schreibtisch aber, er soll selbst der epische Webstuhl sein, der die Geschichten verknüpft – schließlich schaffte er es schon bei Kafka, abgelegte Papiere in Bestandteile eines zu Herzen gehenden Schauspiels zu verwandeln.
Nehmen wir einfach mal an, dieser Schreibtisch habe eine lange Lebensreise hinter sich, sei hin und her über die Meere gefahren und habe auf seiner Odyssee immer wieder die Besitzer gewechselt, deren Biographien, ohne dass sie es ahnen, schicksalhaft miteinander zusammenhängen. Indem man sich auf Spurensuche begäbe, hätte man zugleich ein kriminalistisches Spannungsmoment.
Doch halt, wir sind nicht im Genreroman, sondern in der gehobenen Literatur, und hier darf nichts bündig aufgehen, soll der Plot nur ein Köder sein, der den Leser in tiefere, gebrochene Mysterien lockt, die Geheimnisse der eigenen Herkunft, die verschütteten und verdrängten Labyrinthe der Familiengeschichte. Zum Glück gibt es die Postmoderne, die einen gelehrt hat, wie man ein Netz aus losen Schlingen auslegt. Man braucht nur einen Stein zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten durch eine Fensterscheibe fliegen zu lassen, und jeder wird überzeugt sein, das müsse etwas zu bedeuten haben. Und man gliedert die zwei Teile des Buches in je vier gleichnamige Kapitel, macht aber eine Ausnahme und bringt die Reihenfolge durcheinander, schon starrt jeder behext auf den Zauberstab der Analogie.
Für den formalen Mehrwert wäre also gesorgt, aber wie steht es um die Relevanz des Stoffes? Auch, was diesen Punkt angeht, hat Nicole Krauss insofern Massel, als ja nicht nur Kafka Jude war, sondern auch sie selbst von europäischen Juden abstammt. Denken wir uns daher, der sagenumwobene Schreibtisch habe ursprünglich einem ungarischen Juden gehört, der vor den Nazis fliehen musste. Und denken wir uns weiter, dieser habe einen Sohn, dessen Obsession es ist, als Jäger des verlorenen Familienschatzes das in alle Winde verstreute Mobiliar des väterlichen Arbeitszimmers zusammenzutragen und damit symbolisch das „große Haus“ des Judentums wiederaufzubauen.
In seinem Haus in Jerusalem hat er das Zimmer rekonstruiert, ganz so, wie es einst Sigmund Freuds Familie mit dessen Wiener Arbeitszimmer im Londoner Exil getan hat. Nur der Schreibtisch fehlt noch, der zwei Jahrzehnte bei einer deutschen Schriftstellerin in London stand, welche mit einem Transport jüdischer Kinder nach England kam und ihren Sohn kurz nach dessen Geburt zur Adoption frei gab. Ist der junge chilenische Dichter, der eines Abends fünfundzwanzig Jahre danach an ihrer Tür klingelt, womöglich dieser verlorene Sohn? Zumindest vermacht die Schriftstellerin ihm den Schreibtisch, den er wiederum einer New Yorker Kollegin überlässt. Diese wird schon länger aufgestört durch die Geisterstimmen schreiender Kinder, aber als – wiederum zwanzig Jahre später– eine junge Israelin den Schreibtisch von ihr zurückfordert und kurz darauf auch noch ihr geliebter Ficus Benjamin an einer rätselhaften Krankheit eingeht, bricht sie nach Jerusalem auf, um den Dingen auf den Grund zu gehen. Doch auf den Grund geht weder sie noch Nicole Krauss den Spiegelungen und Symmetrien in den mäandernden Lebensgeschichten der fünf Ich-Erzähler, Charakteren, denen die Autorin den gehobenen Korrespondenzton ihrer makellos manikürten Prosa schon einmal gar nicht anpasst.
Nicht nur auf der Handlungsebene sind die Motive unzureichend miteinander verschraubt, auch die Zusammenhänge bleiben oft nur Behauptung. Die Brüchigkeit der Konstruktion wird durch eine Überfülle eher allgemeiner, hochpathetischer Exkurse über erlittene Verluste und Beschädigungen verschleiert. Das alles ist so redundant und gefühlig, dass man den Eindruck nicht los wird, die Verfasserin habe tatsächlich ein relativ formloses Material im Nachhinein mit einigen wenigen suggestiven Eingriffen zurechtgebogen, etwa indem sie einen Kunden des Antiquitätenhändlers einfach mal ein bisschen aussehen lässt wie Heinrich Himmler. Das einzige Rätsel dieses Romans ist die unidiomatische Übersetzung, die sich streckenweise liest wie Deutsch als Fremdsprache.
Die Schriftstellerin im Roman bezeichnet ihre literarische Technik einmal als „ausschmücken“, und das trifft auch Nicole Krauss’ ornamentalen Stil recht gut. Sie dekoriert ihre Geschichten mit geschmackvollen Adjektiven und liebevoll gehäkelten Metaphern, und eine Stimme aus dem Schreibseminar scheint ihr dabei zuzuflüstern: Bleib anschaulich! Halt dich ans Konkrete! Dem Roman hat das ein Übermaß an betulichen Details eingebracht, bis hin zur Bemerkung einer Ich-Erzählerin, sie habe ihrem Mann heute das Fischgrät-Sakko rausgelegt, weil das freundlicher wirke. Solche Rollenprosa dient augenscheinlich dem Zweck, szenischen Darstellungen aus dem Wege zu gehen, zu deren Gestaltung der Autorin die Mittel fehlen. Lieber weicht sie in klischierte Herzensergießungen aus.
Kein Zweifel, hier fabuliert eine schreibfreudige höhere Tochter („Wie sich herausstellte, liebten wir beide Rilke“) einfach so vor sich hin. Nur wenn es wirklich mal sinnlich wird, versagt die Sprache auffallend: „Mit einem Stöhnen presse ich meinen Körper an seinen und versuche, in den unteren Regionen etwas Hartes aufzuspüren.“
Am Schluss stellt sich heraus, dass der verschollene Schreibtisch, der sich von selbst reich mit Geschichten decken soll, in einem Möbellager herumsteht – und die eine verschlossene Schublade, deren Schlüssel fehlt, ist natürlich leer. Das ist eine fade Pointe für ein Buch, das ein staubiges Möbel zum Inbild des Ahasvers, des ewig wandernden Juden machen will. Nicht ohne Grund hat der Onkel in Kafkas „Der Verschollene“ seinem Schützling geraten, nicht nutzlos mit den Schüben seines Schreibtischs herumzuspielen. CHRISTOPHER SCHMIDT
NICOLE KRAUSS: Das große Haus. Roman. Aus dem Englischen von Grete Osterwald. Rowohlt Verlag, Reinbek 2011. 384 Seiten, 19,95 Euro.
Wenn man einen Sohn zur
Adoption freigibt, steht er vielleicht
irgendwann vor der Tür
Gilt als neuer Star der amerikanischen Literatur: Nicole Krauss. Foto: AP
Wem gerade nichts Neues einfällt, der kann immer noch die liegengelassenen Manuskripte aus der Ablage plündern. Foto: Getty Images
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Die Schriftstellerin Nicole Krauss erzählt in ihrem Roman „Das große Haus“ von einem sperrigen Möbel, das voller Geschichten steckt
In „Der Verschollene“ kommt Franz Kafka auf einen höchst eigentümlichen Schreibtisch amerikanischer Machart zu sprechen. Eigentümlich an diesem Tisch ist, dass er über eine Vorrichtung verfügt, mittels derer sich die Fächer in seinem Aufsatz nach Bedarf verstellen und neu einteilen lassen. Dreht man an der seitlichen Kurbel, so verwandelt sich das starre Monstrum in eine magische Menagerie, die Karl Roßmann, den nach Amerika ausgewanderten Helden des Romans, an die Krippenspiele auf den Weihnachtsmärkten seiner Heimat denken lässt.
Wir wissen nicht, ob die 36-jährige amerikanische Schriftstellerin Nicole Krauss sich an die Passage bei Kafka erinnert hat, als sie ihren dritten Roman „Das große Haus“ schrieb, der in ihrer Heimat als Meisterwerk gefeiert wird und dessen Erscheinen auf Deutsch von Teilen der Kritik wie eine Krönungsmesse zelebriert wurde.
Was wir jedoch wissen, ist, dass die Autorin selbst einen monströsen alten Schreibtisch besitzt, das war im Spiegel zu lesen. Und wenn man ihren ungefügen, schludrig zusammengeschusterten und hoffnungslos sentimentalen Roman gelesen hat, könnte man sich gut vorstellen, wie er entstanden sein mag. Wäre es nicht denkbar, dass in den Schubfächern ihres Schreibtischs lauter unfertige, kürzere Manuskripte lagen? Und dass an diesen Schubladen kleine gelbe Zettel mit Aufschriften wie „Mutterschaft“ oder „Schreibkrise“ klebten, vagen Angaben also, worum es in diesen Texten geht?
Nun lesen die Menschen bekanntlich nicht so gerne Erzählungen, und seit dem vorhergehenden, ebenfalls hochgelobten Roman von Nicole Krauss sind auch schon wieder fast sechs Jahre vergangen. In dieser Zeit hat sie ihrem Mann, dem Bestsellerautor Jonathan Safran Foer, zwei Kinder geboren. Da wäre es äußerst praktisch, die ganzen Schubladen einmal auf einen Haufen auszuleeren und all die Stoffreste und losen Erzählfäden zu einem buntscheckigen Romanteppich zu verweben, um sich als Autorin in Erinnerung zu bringen. Auch ein paar entliehene Flicken sind darunter, aus David Grossmans „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“ und W.G. Sebalds „Austerlitz“. Der Schreibtisch aber, er soll selbst der epische Webstuhl sein, der die Geschichten verknüpft – schließlich schaffte er es schon bei Kafka, abgelegte Papiere in Bestandteile eines zu Herzen gehenden Schauspiels zu verwandeln.
Nehmen wir einfach mal an, dieser Schreibtisch habe eine lange Lebensreise hinter sich, sei hin und her über die Meere gefahren und habe auf seiner Odyssee immer wieder die Besitzer gewechselt, deren Biographien, ohne dass sie es ahnen, schicksalhaft miteinander zusammenhängen. Indem man sich auf Spurensuche begäbe, hätte man zugleich ein kriminalistisches Spannungsmoment.
Doch halt, wir sind nicht im Genreroman, sondern in der gehobenen Literatur, und hier darf nichts bündig aufgehen, soll der Plot nur ein Köder sein, der den Leser in tiefere, gebrochene Mysterien lockt, die Geheimnisse der eigenen Herkunft, die verschütteten und verdrängten Labyrinthe der Familiengeschichte. Zum Glück gibt es die Postmoderne, die einen gelehrt hat, wie man ein Netz aus losen Schlingen auslegt. Man braucht nur einen Stein zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten durch eine Fensterscheibe fliegen zu lassen, und jeder wird überzeugt sein, das müsse etwas zu bedeuten haben. Und man gliedert die zwei Teile des Buches in je vier gleichnamige Kapitel, macht aber eine Ausnahme und bringt die Reihenfolge durcheinander, schon starrt jeder behext auf den Zauberstab der Analogie.
Für den formalen Mehrwert wäre also gesorgt, aber wie steht es um die Relevanz des Stoffes? Auch, was diesen Punkt angeht, hat Nicole Krauss insofern Massel, als ja nicht nur Kafka Jude war, sondern auch sie selbst von europäischen Juden abstammt. Denken wir uns daher, der sagenumwobene Schreibtisch habe ursprünglich einem ungarischen Juden gehört, der vor den Nazis fliehen musste. Und denken wir uns weiter, dieser habe einen Sohn, dessen Obsession es ist, als Jäger des verlorenen Familienschatzes das in alle Winde verstreute Mobiliar des väterlichen Arbeitszimmers zusammenzutragen und damit symbolisch das „große Haus“ des Judentums wiederaufzubauen.
In seinem Haus in Jerusalem hat er das Zimmer rekonstruiert, ganz so, wie es einst Sigmund Freuds Familie mit dessen Wiener Arbeitszimmer im Londoner Exil getan hat. Nur der Schreibtisch fehlt noch, der zwei Jahrzehnte bei einer deutschen Schriftstellerin in London stand, welche mit einem Transport jüdischer Kinder nach England kam und ihren Sohn kurz nach dessen Geburt zur Adoption frei gab. Ist der junge chilenische Dichter, der eines Abends fünfundzwanzig Jahre danach an ihrer Tür klingelt, womöglich dieser verlorene Sohn? Zumindest vermacht die Schriftstellerin ihm den Schreibtisch, den er wiederum einer New Yorker Kollegin überlässt. Diese wird schon länger aufgestört durch die Geisterstimmen schreiender Kinder, aber als – wiederum zwanzig Jahre später– eine junge Israelin den Schreibtisch von ihr zurückfordert und kurz darauf auch noch ihr geliebter Ficus Benjamin an einer rätselhaften Krankheit eingeht, bricht sie nach Jerusalem auf, um den Dingen auf den Grund zu gehen. Doch auf den Grund geht weder sie noch Nicole Krauss den Spiegelungen und Symmetrien in den mäandernden Lebensgeschichten der fünf Ich-Erzähler, Charakteren, denen die Autorin den gehobenen Korrespondenzton ihrer makellos manikürten Prosa schon einmal gar nicht anpasst.
Nicht nur auf der Handlungsebene sind die Motive unzureichend miteinander verschraubt, auch die Zusammenhänge bleiben oft nur Behauptung. Die Brüchigkeit der Konstruktion wird durch eine Überfülle eher allgemeiner, hochpathetischer Exkurse über erlittene Verluste und Beschädigungen verschleiert. Das alles ist so redundant und gefühlig, dass man den Eindruck nicht los wird, die Verfasserin habe tatsächlich ein relativ formloses Material im Nachhinein mit einigen wenigen suggestiven Eingriffen zurechtgebogen, etwa indem sie einen Kunden des Antiquitätenhändlers einfach mal ein bisschen aussehen lässt wie Heinrich Himmler. Das einzige Rätsel dieses Romans ist die unidiomatische Übersetzung, die sich streckenweise liest wie Deutsch als Fremdsprache.
Die Schriftstellerin im Roman bezeichnet ihre literarische Technik einmal als „ausschmücken“, und das trifft auch Nicole Krauss’ ornamentalen Stil recht gut. Sie dekoriert ihre Geschichten mit geschmackvollen Adjektiven und liebevoll gehäkelten Metaphern, und eine Stimme aus dem Schreibseminar scheint ihr dabei zuzuflüstern: Bleib anschaulich! Halt dich ans Konkrete! Dem Roman hat das ein Übermaß an betulichen Details eingebracht, bis hin zur Bemerkung einer Ich-Erzählerin, sie habe ihrem Mann heute das Fischgrät-Sakko rausgelegt, weil das freundlicher wirke. Solche Rollenprosa dient augenscheinlich dem Zweck, szenischen Darstellungen aus dem Wege zu gehen, zu deren Gestaltung der Autorin die Mittel fehlen. Lieber weicht sie in klischierte Herzensergießungen aus.
Kein Zweifel, hier fabuliert eine schreibfreudige höhere Tochter („Wie sich herausstellte, liebten wir beide Rilke“) einfach so vor sich hin. Nur wenn es wirklich mal sinnlich wird, versagt die Sprache auffallend: „Mit einem Stöhnen presse ich meinen Körper an seinen und versuche, in den unteren Regionen etwas Hartes aufzuspüren.“
Am Schluss stellt sich heraus, dass der verschollene Schreibtisch, der sich von selbst reich mit Geschichten decken soll, in einem Möbellager herumsteht – und die eine verschlossene Schublade, deren Schlüssel fehlt, ist natürlich leer. Das ist eine fade Pointe für ein Buch, das ein staubiges Möbel zum Inbild des Ahasvers, des ewig wandernden Juden machen will. Nicht ohne Grund hat der Onkel in Kafkas „Der Verschollene“ seinem Schützling geraten, nicht nutzlos mit den Schüben seines Schreibtischs herumzuspielen. CHRISTOPHER SCHMIDT
NICOLE KRAUSS: Das große Haus. Roman. Aus dem Englischen von Grete Osterwald. Rowohlt Verlag, Reinbek 2011. 384 Seiten, 19,95 Euro.
Wenn man einen Sohn zur
Adoption freigibt, steht er vielleicht
irgendwann vor der Tür
Gilt als neuer Star der amerikanischen Literatur: Nicole Krauss. Foto: AP
Wem gerade nichts Neues einfällt, der kann immer noch die liegengelassenen Manuskripte aus der Ablage plündern. Foto: Getty Images
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