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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Der Schriftsteller Jochen Schimmang zelebriert die eigene Existenz in der Randständigkeit: Erinnerungen in "51 Geländegängen"
"Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien" war 1948 der Hit des ersten Kölner Karnevals nach dem Krieg. Mit Marschmusikelementen intoniert ("tschimmela-bumm"), erklärte darin das sich kolonialisiert fühlende deutsche Kollektivsubjekt so albern wie bockig, dass es wieder "stolz auf unser Land" sein wollte. Der Trizonesier habe schließlich Kultur und Geist, was freilich mit den Versen "Wir sind zwar keine Menschenfresser, / Doch wir küssen umso besser" sogleich widerlegt wird.
Ganz anders der 1948 geborene Schriftsteller Jochen Schimmang: Er empfindet es als "persönliche Geburtsgnade", dass er nicht als "Kind der Bundesrepublik, sondern der britischen Zone" geboren wurde. Dass sein Land damals "staatlich nicht existierte, sondern vollständig entmündigt war", verschafft ihm bis heute "ein Glücksgefühl". Mit der deutschen Staatlichkeit, gar "der Wiederkehr Großdeutschlands" hadert er entsprechend. Selbst zum fröhlichen Nationalismus des "Sommermärchens" der Fußball-WM 2006 fällt ihm, obwohl selbst Fußballfan, sogleich 1936 ein. So möchte er lieber ein Niemandsländer sein. In seinem Roman "Neue Mitte" (2011) hatte Schimmang schon die Utopie eines herrschaftsfreien Raums gestaltet, Scheitern inbegriffen.
Sein historistischer Snobismus mag einem heute so albern vorkommen wie die Selbstbehauptung des Trizonesiers; in der Generation derer, die jetzt im Rentenalter sind, haben aber nicht wenige ähnlich gedacht. Dazu trug wohl nicht nur bei, was man im jugendlichen Alter über die Verbrechen der Deutschen erfahren musste, sondern auch die autoritäre Engherzigkeit des nur zu häufig von Nazis geprägten Erziehungswesens in der Adenauerzeit, was im tiefbraunen Northeim zweifellos eindringlich zu erfahren war. So geraten Schimmangs Erinnerungen über weite Strecken zur Entzifferung der schwierigen Bewusstseinslage seiner Generation.
Wie für beinahe alle damals Pubertierenden verspricht die Musik der Beatles Befreiung von der bundesrepublikanischen Öde. Der illusionäre Charakter der Popmusik wird ihm später schlagartig klar. Auf einem Markt in Soho pfeift er John Lennons "Working Class Hero" vor sich hin, ein junger Mann, der gerade Gemüse auslädt, aber sagt leise: "Oh no, not you!" Schimmang bewundert die widerborstigen britischen Bergarbeiter der Thatcher-Zeit, erkennt jedoch schnell, dass sie systembedingt in ein Niemandsland geraten, "das keineswegs ein Synonym für Freiheit ist". Er aber sucht unverdrossen nach Orten, die herrschaftsfrei sind oder wenigstens so undefiniert, dass Herrschaftsverhältnisse sich darin nicht abbilden.
Das funktioniert aber nur durch entschlossene Literarisierung und Selektion nach dem Muster von Jürgen Becker, Peter Handke oder Emmanuel Boves "Bécon-les-Bruyères" (1927). Schimmang nennt es ein "Buch des Glücks". Als er die Ortschaft in der Nähe von Paris aufsucht, kann er sich folglich "die Bewohner dieses Niemandslandes als glückliche Menschen vorstellen". Unglück aber bedeutet für ihn eine Welt, "die im Zuge der Globalisierung endgültig erkundet, vermessen, bekannt und geheimnislos erscheint". Zu den letzten schönen Niemandsländern kann sogar der Kölner Media-Park zählen, aber nur solange dort noch das Chaos unfertiger Bauten herrscht. Die Mitte aber, in der sich "unter anderem Peer Steinbrück, Sigmar Gabriel, Peter Altmaier und Horst Seehofer" tummeln, hat für den Grenzgänger "immer ein bisschen was Obszönes" und "Erdrückendes".
Schimmang bewundert den meisterlichen Stilisten Julien Gracq für dessen Landschaftsbeschreibungen und die "natürliche, ruhige, ihrer selbst gewisse Liebe zur physischen Welt, die ohne jede Überhöhung, ohne jede Metaphysik auskommt". Auch Jochen Schimmang kann Orte sehr stimmungsvoll und dicht beschreiben, jedoch verderben ihm oft ein pharisäerhaftes Bescheidwissen und wohlfeile Kritik politischer Verhältnisse und herrschender Mentalitäten den Stil. Die Proklamation seiner Randständigkeit hat nicht selten etwas Selbstgefälliges, beinahe scheint er dem "lieben Gott" dafür zu danken, dass er nicht so ist wie jene dort in der Mitte.
FRIEDMAR APEL
Jochen Schimmang: "Grenzen Ränder Niemandsländer". 51 Geländegänge.
Edition Nautilus, Hamburg 2014. 160 S., geb., 19,90 [Euro].
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