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Jochen Schimmang schreibt vom Glück, das an den Rändern verborgen liegen kann. Entlang seiner Autobiografie erzählt er davon, was es heißt, ein Kind der britischen Besatzungszone (und nicht eines deutschen Staates) zu sein. Er berichtet von frühen Grenzerfahrungen im "Zonenrandgebiet" und an der höllandischen Grenze, vom verträumten dänischen Fährhafen Rodbyhavn, vom räumlichen und zeitlichen Ende der Welt, vom Transit BRD-Westberlin und vom Transitorischen im Allgemeinen. Er schreibt eine persönliche Kulturgeschichte des Verschwindens, des Verstecks, des Unsichtbarwerdens und prägender…mehr

Produktbeschreibung
Jochen Schimmang schreibt vom Glück, das an den Rändern verborgen liegen kann. Entlang seiner Autobiografie erzählt er davon, was es heißt, ein Kind der britischen Besatzungszone (und nicht eines deutschen Staates) zu sein. Er berichtet von frühen Grenzerfahrungen im "Zonenrandgebiet" und an der höllandischen Grenze, vom verträumten dänischen Fährhafen Rodbyhavn, vom räumlichen und zeitlichen Ende der Welt, vom Transit BRD-Westberlin und vom Transitorischen im Allgemeinen. Er schreibt eine persönliche Kulturgeschichte des Verschwindens, des Verstecks, des Unsichtbarwerdens und prägender Lektüren. Diese literarischen Geländegänge führen sowohl in den englischen Klassenkampf wie zu Peter Handke in Chaville. Der Leser darf dem Autor in entlegenste Winkel folgen, auf Dachböden und in kindsgroße Löcher unterm Bahndamm. Festes Schuhwerk ist dazu nicht nötig. Es reichen Neugier und Entdeckerfreude. Eine persönliche transitorische Kulturgeschichte des Verschwindens, des Verstecks und der Poetik des Reisens.
Autorenporträt
Jochen Schimmang, geboren 1948, lehrte an Universitäten und in der Erwachsenenbildung. Von 1978 bis 1998 lebte er in Köln, seit 1993 als freier Schriftsteller und Übersetzer. Jochen Schimmang ist heute in Oldenburg ansässig. 2010 erhielt Jochen Schimmang für seinen Roman Das Beste, was wir hatten den Rheingau Literatur Preis 2010. In der Begründung der Jury heißt es: "Die Jury würdigt die minutiöse Bildbeschreibung, mit der die alte Bundesrepublik wiederbelebt wird - durch dichte Milieuschilderung über mehrere Jahrzehnte hinweg und die Erzählung über Figuren, die allmählich den Boden unter den Füßen verlieren. Jochen Schimmang hält den zahlreichen Büchern, die der DDR ihre Erinnerung und ihre Kritik nachtragen, einen Roman entgegen, der den Untergang auch der Bonner Republik zur erzählerischen Gewissheit macht. Eingeschlossen ist die Trauer über die Vergänglichkeit der Aufbrüche, das Verschwinden von Hoffnungen und das Verblassen von Träumen in ungemein blickgewisser Genauigkeit." 2012 erhielt er den Phantastik-Preis der Stadt Wetzlar für Neue Mitte sowie die Künstlerstipendien der Villa Concordia in Bamberg und des Künstlerhauses Edenkoben.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit gemischten Gefühlen hat Rezensent Friedmar Apel Jochen Schimmangs neues Buch "Grenzen Ränder Niemandsländer" gelesen. Wie bereits im Vorgänger "Neue Mitte" folgt der Kritiker auch hier den Ausführungen des Autors über die Utopie eines herrschaftsfreien Raums; im neuen Buch begibt sich Schimmang in "51 Geländegängen" auf die Suche nach Niemandsländern und reist nach der Lektüre von Emmanuel Boves "Bécon-les-Bruyères" etwa in eine Ortschaft in der Nähe von Paris oder in den Media-Park in Köln, so Apel. Auch, wenn dem Rezensenten Schimmangs atmosphärische und dichte Beschreibungen durchaus gefallen, muss er gestehen, dass ihm das "pharisäerhafte Bescheidwissen" des Autors bisweilen die Lektüre verderben.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.01.2015

Frisch, fröhlich, herrschaftsfrei im Niemandsland
Der Schriftsteller Jochen Schimmang zelebriert die eigene Existenz in der Randständigkeit: Erinnerungen in "51 Geländegängen"

"Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien" war 1948 der Hit des ersten Kölner Karnevals nach dem Krieg. Mit Marschmusikelementen intoniert ("tschimmela-bumm"), erklärte darin das sich kolonialisiert fühlende deutsche Kollektivsubjekt so albern wie bockig, dass es wieder "stolz auf unser Land" sein wollte. Der Trizonesier habe schließlich Kultur und Geist, was freilich mit den Versen "Wir sind zwar keine Menschenfresser, / Doch wir küssen umso besser" sogleich widerlegt wird.

Ganz anders der 1948 geborene Schriftsteller Jochen Schimmang: Er empfindet es als "persönliche Geburtsgnade", dass er nicht als "Kind der Bundesrepublik, sondern der britischen Zone" geboren wurde. Dass sein Land damals "staatlich nicht existierte, sondern vollständig entmündigt war", verschafft ihm bis heute "ein Glücksgefühl". Mit der deutschen Staatlichkeit, gar "der Wiederkehr Großdeutschlands" hadert er entsprechend. Selbst zum fröhlichen Nationalismus des "Sommermärchens" der Fußball-WM 2006 fällt ihm, obwohl selbst Fußballfan, sogleich 1936 ein. So möchte er lieber ein Niemandsländer sein. In seinem Roman "Neue Mitte" (2011) hatte Schimmang schon die Utopie eines herrschaftsfreien Raums gestaltet, Scheitern inbegriffen.

Sein historistischer Snobismus mag einem heute so albern vorkommen wie die Selbstbehauptung des Trizonesiers; in der Generation derer, die jetzt im Rentenalter sind, haben aber nicht wenige ähnlich gedacht. Dazu trug wohl nicht nur bei, was man im jugendlichen Alter über die Verbrechen der Deutschen erfahren musste, sondern auch die autoritäre Engherzigkeit des nur zu häufig von Nazis geprägten Erziehungswesens in der Adenauerzeit, was im tiefbraunen Northeim zweifellos eindringlich zu erfahren war. So geraten Schimmangs Erinnerungen über weite Strecken zur Entzifferung der schwierigen Bewusstseinslage seiner Generation.

Wie für beinahe alle damals Pubertierenden verspricht die Musik der Beatles Befreiung von der bundesrepublikanischen Öde. Der illusionäre Charakter der Popmusik wird ihm später schlagartig klar. Auf einem Markt in Soho pfeift er John Lennons "Working Class Hero" vor sich hin, ein junger Mann, der gerade Gemüse auslädt, aber sagt leise: "Oh no, not you!" Schimmang bewundert die widerborstigen britischen Bergarbeiter der Thatcher-Zeit, erkennt jedoch schnell, dass sie systembedingt in ein Niemandsland geraten, "das keineswegs ein Synonym für Freiheit ist". Er aber sucht unverdrossen nach Orten, die herrschaftsfrei sind oder wenigstens so undefiniert, dass Herrschaftsverhältnisse sich darin nicht abbilden.

Das funktioniert aber nur durch entschlossene Literarisierung und Selektion nach dem Muster von Jürgen Becker, Peter Handke oder Emmanuel Boves "Bécon-les-Bruyères" (1927). Schimmang nennt es ein "Buch des Glücks". Als er die Ortschaft in der Nähe von Paris aufsucht, kann er sich folglich "die Bewohner dieses Niemandslandes als glückliche Menschen vorstellen". Unglück aber bedeutet für ihn eine Welt, "die im Zuge der Globalisierung endgültig erkundet, vermessen, bekannt und geheimnislos erscheint". Zu den letzten schönen Niemandsländern kann sogar der Kölner Media-Park zählen, aber nur solange dort noch das Chaos unfertiger Bauten herrscht. Die Mitte aber, in der sich "unter anderem Peer Steinbrück, Sigmar Gabriel, Peter Altmaier und Horst Seehofer" tummeln, hat für den Grenzgänger "immer ein bisschen was Obszönes" und "Erdrückendes".

Schimmang bewundert den meisterlichen Stilisten Julien Gracq für dessen Landschaftsbeschreibungen und die "natürliche, ruhige, ihrer selbst gewisse Liebe zur physischen Welt, die ohne jede Überhöhung, ohne jede Metaphysik auskommt". Auch Jochen Schimmang kann Orte sehr stimmungsvoll und dicht beschreiben, jedoch verderben ihm oft ein pharisäerhaftes Bescheidwissen und wohlfeile Kritik politischer Verhältnisse und herrschender Mentalitäten den Stil. Die Proklamation seiner Randständigkeit hat nicht selten etwas Selbstgefälliges, beinahe scheint er dem "lieben Gott" dafür zu danken, dass er nicht so ist wie jene dort in der Mitte.

FRIEDMAR APEL

Jochen Schimmang: "Grenzen Ränder Niemandsländer". 51 Geländegänge.

Edition Nautilus, Hamburg 2014. 160 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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