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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Lang lebe der Kraftausdruck: In Aura Xilonens Debütroman "Gringo Champ" schlägt sich ein belesener mexikanischer Faustheld in Nordamerika durch.
Die meisten Romane, die Liborio in seinem Dachstübchen oder in einem Park liest, sind fade: "allesamt mit gedrilltem Satz-an-Satz ohne Seele, ohne Leben, bloß hübsche Wörtchen kreuz und quer. So knüpften die Schriftsteller ihre adretten, wurmigen Romane, ohne Atem, ohne Sauerstoff." Liborio, in dessen Namen sich der Freiheitswunsch, die Bücher und die Plackerei vereinen, ist die Hauptfigur von Aura Xilonens Debütroman "Gringo Champ". Und man darf getrost davon ausgehen, dass sich die mexikanische, bei Erscheinen des Originals gerade mal neunzehnjährige Schriftstellerin für ihr eigenes Werk das Gegenteil vorgenommen hat: also einen beseelten Roman voller Leben. Was gar nicht so einfach ist, wie Liborio feststellen wird: "Das Leben, verdammte Scheiße, ist nicht, wie es die Bücher malen." Die Realität ist der Literatur nämlich meistens einen Schritt voraus.
Wie Xilonen der Geschichte dieses illegalen mexikanischen Einwanderers, der sich in den Vereinigten Staaten in einer Buchhandlung, auf der Straße und später im Ring durchschlägt, Leben einzuhauchen versucht, ist bemerkenswert. Mit viel Verve verpasst sie der spanischen Sprache einen Aufwärtshaken und schickt sie auf die Bretter, um ihr anschließend wieder auf- und zu mehr Durchschlagskraft und Einsteckungsvermögen zu helfen. Dafür erfindet sie eine Kunstsprache, die das Spanische und das Englische, die klassische Literatur und den Straßenslang, die Popkultur und biblische Motive miteinander in Einklang bringt. Vorbei ist es mit der Aneinanderreihung hübscher Wörtchen, lang lebe der Kraftausdruck, das vermeintlich veraltete Wort, der fachsprachliche Begriff, der Hiphop- und Corrido-Jargon, der Neologismus und die Verhackstückung kanonischer Weisheiten. Demgemäß strotzt "Gringo Champ", ausgezeichnet mit dem Premio Mauricio Achar, nur so vor sprachlichen Grobheiten, Powermoves und idiomatischen Preziosen. Da gibt es die "fokkin polypathetischen, dreckspestenden Scheißgreifer", die "Mickerficker", die "Mackerfacker" und den "Knickerbastard". Da wird die Nacht mit Zittern besprüht und erklärt, wozu die steifkragige Lyrik alles taugt, "honigklebrig und voll karamellisiertem Stroh, so liebesprall wie die Därme von Kühen, wenn sie tüchtig Gras gekaut haben und schöne, süße Fladen in Braun gebären"; mit einem Band der hundert besten Liebesgedichte lässt sich immerhin eine Tür verrammeln.
Der vielfach ausgezeichneten Übersetzerin Susanne Lange wird dank Xilonens Originalitätssucht einiges abverlangt; Lange löst diese Aufgabe mit Bravour. Doch so ideenreich, räudig und vital die Sprache daherkommt, so überraschungsarm und konventionell sind Figurenzeichnung und Handlung. Liborios Liebes-, Passions- und Aufsteigergeschichte kommt zwar ohne Tellerwäscher und Millionäre aus, der amerikanische Traum liegt ihr - neben dem mexikanischen Untergrundheldengesang - trotzdem zugrunde. Da boxt sich einer hoch à la Rocky Balboa, vom Prügelknaben zur YouTube-Berühmtheit zum Sparringspartner und immer so weiter, gegen alle Widerstände und Wahrscheinlichkeiten. Verliebt ist er auch noch, in Aireen, das Mädchen von gegenüber. Fällt er hin, steht er wieder auf, steht er in der Wüste dem Tode nah, feiert er alsbald Wiederauferstehung: "Ein Toter, dazu verdonnert, von neuem zu leben."
An der Last der biblischen und manchmal märchenhaften Motive, die Xilonen ihrem Protagonisten aufhalst, hat Liborio schwer zu schleppen. Zu schwer. Sorgt ausgerechnet die Kunstsprache auf der einen Seite für mehr Leben und Bewegung, bringt auf der anderen Seite die Überladung der Kunstfigur Schwerfälligkeit, gar Stillstand mit sich. Je mehr Freiheit Xilonen sich sprachlich verschafft, desto enger schnürt sie das Korsett der Handlung, so dass "Gringo Champ" auf halber Strecke die Luft ausgeht, zumal diesem Entwicklungsroman eine politische Komponente fehlt. Wer hofft, angesichts der Ausgangssituation des Romans mehr über die Zusammenhänge mit der amerikanischen Migrationspolitik zu erfahren, ist bei Xilonen falsch. Liborios Flucht und die Ursachen dafür sind zwar ebenso von Gewalt geprägt wie sein Leben in den Vereinigten Staaten, diese Gewalt kommt aber nahezu ohne eine gesellschaftliche Grundierung aus, erscheint zuweilen willkürlich und ohne Kontext. Dies mag zwar in Teilen auch auf reale Fluchterfahrungen zutreffen, ist für den Leser jedoch wenig erhellend, außer vielleicht in dem Sinne, dass derjenige, der geschlagen wird, irgendwann auch lernt zurückzuschlagen.
Obgleich "Gringo Champ" infolgedessen einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt, wird es bei der jungen Autorin spannend sein zu verfolgen, was sie aus ihrem sprachlichen Talent noch alles machen wird. Sie verfügt über die nötige Chuzpe, um tatsächlich etwas Neues zu schaffen. Ihren eigenen Ton hat sie gleich mit ihrem Erstling gefunden. Das lässt sich nicht von vielen behaupten. Was ihr noch fehlt, ist eine eigene Geschichte.
ALEXANDER MÜLLER.
Aura Xilonen: "Gringo Champ". Roman.
Aus dem Spanischen von Susanne Lange. Hanser Verlag, München 2019.
336 S., geb., 23,- [Euro].
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"Was, wenn ein Roman Gewalt, Kampf und Unterdrückung nicht nur behauptet, sondern sprachlich vorführt? Es dürfte ein ziemlich guter Roman sein. So wie dieser." Ferdinand Quante, WDR 5 Buch der Woche, 01.02.19
"Eine literarische Sensation aus Mexiko ... Also 'Gringo Champ' 2015 in Mexiko erschien, war es genau das richtige Buch zur Zeit. Eine gerade 19-Jährige entwarf da eine Sprache, die völlig eigen war, abgehackt, rausgezischt, ruppig. Sie erfand Wörter, verwendete aber auch solche, die eigentlich nicht mehr in Gebrauch waren. Gerade deshalb gebührt Susanne Lange, die den Roman übersetzte, größte Hochachtung." Jochen Overbeck, Spiegel Online, 28.01.19
"Ein eindringliches Zeugnis über Flucht, ein elektrisierendes Sprachkunstwerk und ... ein engagiertes aufrüttelndes Buch der Stunde. ... Susanne Lange ist hier nicht nur Übersetzerin, sondern auch genialeWortschöpferin." Pascal Fischer, SWR2 Lesenswert Magazin, 27.01.19
"Die junge mexikanische Schriftstellerin Aura Xilonen erzählt eine [...] Geschichte über die Macht der Sprache und hebelt jedwede Grenze zwischen Sprache und Staaten einfach aus." Sofia Glasl, Münchner Feuilleton, November 2019