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Wie sich Großbritannien der DDR-Anerkennung entzog
Wäre es nach den Vorstellungen der britischen Regierung gegangen, hätte die DDR nicht so lange auf ihre Anerkennung durch den Westen warten müssen. London war schon während der von Chruschtschow 1958 ausgelösten Berlin-Krise bereit, die Teilung Deutschlands in zwei Staaten hinzunehmen, wenn im Gegenzug die sowjetischen Maximalforderungen zurückgenommen und die Anwesenheit der Westmächte in West-Berlin sowie ihr ungehinderter Zugang dorthin garantiert worden wären. Dagegen stemmten sich gleichermaßen die Bundesregierung in Bonn und der Berliner Senat. Auch für die Vereinigten Staaten kam der britische Vorschlag nicht in Betracht, obwohl auch in Washington der Widerspruch zwischen dem westdeutschen Alleinvertretungsanspruch und dem Interesse an Entspannung zwischen den Supermächten gesehen wurde. Doch wichtiger als ein Ost-West-Arrangement gegen den Willen der Bundesrepublik war deren Verankerung im westlichen Bündnis, so daß das Vetorecht Bonns gegen Modifikationen in der Deutschland-Politik vorerst erhalten blieb.
Für die DDR folgte daraus, daß sie weiterhin im Schatten der Bundesrepublik existierte. Wie sich dennoch zwischen Großbritannien und der DDR eine Beziehungsgeschichte entwickeln konnte, beschreibt Henning Hoff auf breiter Aktengrundlage. Die Untersuchung setzt 1955 mit der Einfügung der beiden deutschen Staaten in ihre jeweiligen Bündnissysteme ein. Im selben Jahr kam es auch zur ersten Vertretung der DDR in London, als das Leipziger Messeamt dort die Leipzig Fair Agency gründen konnte. Ihr folgte 1959 die Einrichtung eines weiteren Büros, das mit Handelsbeziehungen befaßt war, der KfA Ltd., einer Einrichtung der ostdeutschen Kammer für Außenhandel, die jährlich Handelsabkommen mit dem Verband der britischen Industrie abschloß. Auch wenn es sich, formal betrachtet, um nicht-staatliche Institutionen handelte, agierten die Vertragspartner doch in engem Kontakt mit den jeweiligen staatlichen Stellen. Ende der sechziger Jahre mauserte sich die KfA Ltd. zu einer Art Ersatzbotschaft der DDR, zu allem Überfluß in einem Gebäude unweit der westdeutschen Botschaft am Belgrave Square.
Entgegen den Hoffnungen der DDR erwuchs aus dieser "Diplomatie auf Umwegen", die auch in anderen westlichen Staaten betrieben wurde, keine Diplomatie der Anerkennung. Es blieb bei Beziehungen auf der nichtstaatlichen Ebene, die Hoff als transnationale Beziehungen verstanden wissen will, wohl wissend, daß darunter üblicherweise die von staatlicher Einwirkung frei bleibenden Beziehungen gesellschaftlicher Akteure verstanden werden, die es im Fall der DDR schlechterdings nicht gab. Auf britischer Seite dagegen kann man durchaus von gesellschaftlichen Gruppierungen sprechen, die aus politischen Gründen eine Annäherung an die DDR befürworteten oder aufgrund wirtschaftlicher Interessen eine Entkrampfung in den Beziehungen zur DDR forderten.
Die seit 1964 amtierende Labour-Regierung gab solchen Erwartungen schon deshalb nicht nach, weil sie die Unterstützung der Bundesregierung gegen Frankreich in den Verhandlungen über einen britischen EG-Beitritt benötigte. Zugleich aber erlaubte die in der Deutschland-Politik neue Akzente setzende Große Koalition der Jahre 1966 bis 1969, daß die britische Regierung Überlegungen zu einer aktiveren DDR-Politik anstellen konnte - allerdings nach wie vor ohne direkte staatliche Involvierung und beschränkt auf Wirtschafts-, Kultur- oder Sportbeziehungen.
Manchen Kabinettsmitgliedern wie Richard Crossman ging dies nicht weit genug. Er wollte auch die politische Ebene betreten wissen und plädierte für eine konsequente Einbeziehung der DDR in ein kooperatives Détente-Konzept. Von der Fortsetzung des Kalten Kriegs profitiere nur Ulbricht. Er sei nur durch Kontaktaufnahme und Kooperation zu besiegen ("can only be killed by kindness"). Berührungspunkte mit der Formel "Wandel durch Annäherung", die in der DDR völlig zu Recht als "Aggression auf Filzlatschen" verstanden wurde, sind unübersehbar. In der operativen Umsetzung mußte die Bundesrepublik der Vortritt gelassen werden, so daß Verhandlungen über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Großbritannien und der DDR erst nach der Unterzeichnung des deutsch-deutschen Grundlagenvertrags Ende 1972 beginnen konnten. Welche Auswirkungen eine wesentlich frühere Anerkennung der DDR gehabt hätte, kann niemand mit Gewißheit sagen. Hoff gibt zu bedenken, daß gerade der "internationale Ostrazismus", den Großbritannien schon im Zuge der Berlin-Krise überwinden wollte, "zur Stabilisierung des DDR-Herrschaftssystems beigetragen" haben könnte.
GOTTFRIED NIEDHART
Henning Hoff: Großbritannien und die DDR 1955-1973. Diplomatie auf Umwegen. R. Oldenbourg Verlag, München 2003. 492 S., 59,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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