Ein Roman mit Knalleffekt und voll leiser Ironie: komisch, tragisch, furios! Novak entdeckt die Welt der großen Gefühle spät und ausgerechnet im Krankenhaus. Weil ihm sein Zimmergenosse Nacht für Nacht den Schlaf raubt, leiht ihm die indonesische Krankenschwester Manuela ihren Walkman samt Kassetten und infiziert ihn so mit ihrer Liebe zur Oper. Aus dem Krankenhaus entlassen, findet er nicht so recht in sein gewohntes, gewöhnliches Leben zurück. Manuela hat ihm die Ohren geöffnet, allerdings auch für die Zumutungen des lärmenden Alltags, für Rasenmäher, Pressluftbohrer und seine Frau Herta. Während er weiter seinem Laster frönt und Opern hört, vermutet sie hinter seiner Leidenschaft die Liebe zu einer anderen Frau. So falsch liegt sie damit auch nicht. Doch Manuela ist plötzlich verschwunden. War sie nur ein Trugbild auf der Bühne von Novaks späten Träumen? Oder hat Herta etwas mit ihrem stillen Abgang zu tun? Das Finale ist auch ohne sie große Oper: grausam dramatisch.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2011Im Gefühlskraftwerk klassischer Musik
Wie Franz und Herta wurden, was sie sind: Peter Henisch erzählt tragikomisch vom Ende einer alten Ehe.
Von Beate Tröger
Sie heißen Franz und Herta. Nicht etwa Loriot hat sich die Namen für dieses Ehepaar ausgedacht, sondern Peter Henisch. In seinem jüngsten Roman erzählt er von Franz Novak, bei der Post angestellter Mittfünfziger, und dessen Frau Herta, wenig jünger und Betreiberin eines dörflichen Friseursalons. In über dreißig Jahren haben Enttäuschungen und Missverständnisse ihre Ehe mit Mehltau überzogen. Zumindest der duldsame Franz scheint sich, briefmarkensammelnd und von Höherem träumend, damit abgefunden zu haben.
Doch eines Tages bringt ein kleiner Stein eine Lawine angestauter Gefühle ins Rollen. Ein Gallenstein lässt Franz nicht nur auf einen lautstarken Zimmernachbarn treffen, sondern auch auf die indonesische Krankenschwester Manuela mit der sanften Stimme, die ihm ein probates Mittel gegen den volksmusikhörenden Schnarcher im Nebenbett zur Verfügung stellt: einen Kassettenrekorder mit Kopfhörern, dazu eine Sammlung von Opernarien. Ausgerechnet diese musikalische Gattung, die nicht nur bei Novak im Ruch des Dünkelhaften steht, wirft in Kombination mit Manuelas schwesternkittelverhüllter Erotik den am Lärm Leidenden endgültig aus der Bahn. In Verbindung mit einer zarten Abschiedsberührung von Manuelas Brust, die Henischs tragikomische Hauptfigur womöglich nur erträumt hat, versperrt die erwachende Leidenschaft für die Oper den Rückweg in sein altes Leben.
Mit der Figur der Herta, ihrer schrillen Stimme, ihrer aufgesetzten Fröhlichkeit, ihren Tiraden gegen die neue musikalische Leidenschaft ihres Gatten, ihren ausländerfeindlichen Intrigen gegen die Krankenschwester, mutet Henisch nicht nur Novak, sondern auch seinen Lesern einiges zu. Bitterböse könnte man die Zeichnung dieser Frau nennen, fast schablonenhaft altherrenkriselnd auch Novaks späten Ausbruch, schiene nicht in dem wechselweise die Innensicht der Figuren abbildenden Erzählen hin und wieder auf, dass das Leben selbst Herta und Franz zu dem hat werden lassen, was sie sind. Weniger die große Katastrophe als eine Kette von kleinen haben das Ehefaß zum Überlaufen gebracht.
Peter Henisch, der seit Jahren leichthändig und hintersinnig mit akribischem Blick für die Verästelungen der Psyche seiner Figuren erzählt, erspart diesem Paar nichts. Doch "Großes Finale für Novak" ist auch eine Hommage an die Oper. Bearbeitet würde ein hervorragendes Libretto daraus: Zum garstigen Hin und Her zwischen Franz und Herta, zu der zarten Zuneigung zwischen Franz und der Krankenschwester, die von Herta genauso brutal zertrennt werden, wie sie ihrem Franz beim Hören einer Oper den Stecker aus der Steckdose reißt - zu all diesen Szenen wären Trompeten-, Pauken- und Streicherklänge, spitze Sopran- und tiefe Bass-Arien denkbar. Dabei gleitet Henischs Ton nie ins Pathetische ab, die Nuancen ergeben sich aus der Genauigkeit des Erzählens.
Aufgeräumt wird auch mit Vorurteilen gegen die Oper, die am Ende den einzigen Sieg davonträgt. Immer mehr Verschüttetes holt sie aus Novak hervor, wirkt be- und entzaubernd. Über diese Erlebnisse geht die wundersame Wirkung des Klangs, die Peter Henisch schon in "Eine sehr kleine Frau" beschworen hat, unweigerlich auch auf den Leser über.
Peter Henisch: "Großes Finale für Novak". Roman.
Residenz Verlag, Salzburg 2011. 240 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie Franz und Herta wurden, was sie sind: Peter Henisch erzählt tragikomisch vom Ende einer alten Ehe.
Von Beate Tröger
Sie heißen Franz und Herta. Nicht etwa Loriot hat sich die Namen für dieses Ehepaar ausgedacht, sondern Peter Henisch. In seinem jüngsten Roman erzählt er von Franz Novak, bei der Post angestellter Mittfünfziger, und dessen Frau Herta, wenig jünger und Betreiberin eines dörflichen Friseursalons. In über dreißig Jahren haben Enttäuschungen und Missverständnisse ihre Ehe mit Mehltau überzogen. Zumindest der duldsame Franz scheint sich, briefmarkensammelnd und von Höherem träumend, damit abgefunden zu haben.
Doch eines Tages bringt ein kleiner Stein eine Lawine angestauter Gefühle ins Rollen. Ein Gallenstein lässt Franz nicht nur auf einen lautstarken Zimmernachbarn treffen, sondern auch auf die indonesische Krankenschwester Manuela mit der sanften Stimme, die ihm ein probates Mittel gegen den volksmusikhörenden Schnarcher im Nebenbett zur Verfügung stellt: einen Kassettenrekorder mit Kopfhörern, dazu eine Sammlung von Opernarien. Ausgerechnet diese musikalische Gattung, die nicht nur bei Novak im Ruch des Dünkelhaften steht, wirft in Kombination mit Manuelas schwesternkittelverhüllter Erotik den am Lärm Leidenden endgültig aus der Bahn. In Verbindung mit einer zarten Abschiedsberührung von Manuelas Brust, die Henischs tragikomische Hauptfigur womöglich nur erträumt hat, versperrt die erwachende Leidenschaft für die Oper den Rückweg in sein altes Leben.
Mit der Figur der Herta, ihrer schrillen Stimme, ihrer aufgesetzten Fröhlichkeit, ihren Tiraden gegen die neue musikalische Leidenschaft ihres Gatten, ihren ausländerfeindlichen Intrigen gegen die Krankenschwester, mutet Henisch nicht nur Novak, sondern auch seinen Lesern einiges zu. Bitterböse könnte man die Zeichnung dieser Frau nennen, fast schablonenhaft altherrenkriselnd auch Novaks späten Ausbruch, schiene nicht in dem wechselweise die Innensicht der Figuren abbildenden Erzählen hin und wieder auf, dass das Leben selbst Herta und Franz zu dem hat werden lassen, was sie sind. Weniger die große Katastrophe als eine Kette von kleinen haben das Ehefaß zum Überlaufen gebracht.
Peter Henisch, der seit Jahren leichthändig und hintersinnig mit akribischem Blick für die Verästelungen der Psyche seiner Figuren erzählt, erspart diesem Paar nichts. Doch "Großes Finale für Novak" ist auch eine Hommage an die Oper. Bearbeitet würde ein hervorragendes Libretto daraus: Zum garstigen Hin und Her zwischen Franz und Herta, zu der zarten Zuneigung zwischen Franz und der Krankenschwester, die von Herta genauso brutal zertrennt werden, wie sie ihrem Franz beim Hören einer Oper den Stecker aus der Steckdose reißt - zu all diesen Szenen wären Trompeten-, Pauken- und Streicherklänge, spitze Sopran- und tiefe Bass-Arien denkbar. Dabei gleitet Henischs Ton nie ins Pathetische ab, die Nuancen ergeben sich aus der Genauigkeit des Erzählens.
Aufgeräumt wird auch mit Vorurteilen gegen die Oper, die am Ende den einzigen Sieg davonträgt. Immer mehr Verschüttetes holt sie aus Novak hervor, wirkt be- und entzaubernd. Über diese Erlebnisse geht die wundersame Wirkung des Klangs, die Peter Henisch schon in "Eine sehr kleine Frau" beschworen hat, unweigerlich auch auf den Leser über.
Peter Henisch: "Großes Finale für Novak". Roman.
Residenz Verlag, Salzburg 2011. 240 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Mit Sympathie, wenn auch nicht ganz ohne Einschränkungen empfiehlt der hier rezensierende Autor Jan Koneffke diesen Roman zur Lektüre. Was ihm gefällt, ist die Hauptfigur, ein biederer Postbeamter,der durch eine Operation und die Liebe zu einer indonesischen Krankenschwester ganz aus der so geraden wie tristen Bahn seines Lebens geworfen wird. Seine bisherige Ehehölle ist für ihn kaum noch zu ertragen, statt dessen hört er Oper. Was dem Rezensenten weniger gefällt, ist die Gegenfigur der Gattin, eine wahren Megäre und Spießerin, deren Porträt Henisch laut Novak bei weitem nicht so differenziert gerät. Am Ende gibt es dann aber doch wieder glänzende Passagen, und das ganze endet als Moritat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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