Der Band bietet einen fundierten Überblick über die wesentlichen Fragestellungen und Argumente der aktuellen Diskussion um den Umgang mit der modernen Medizin in heutigen, pluralistischen Gesellschaften.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.09.2008Selbstbestimmung ist kein Patentrezept
Wer erfahren hat, wie man sich fühlt, wenn man eine vernichtende Diagnose an den Kopf geworfen bekommt und danach in einem trostlosen Krankenhausflur stehengelassen wird, der wird Bettina Schöne-Seiferts Aufruf zu mehr Menschlichkeit in der Medizin befürworten.
In einem 1992 erschienenen Buch bemerkte der amerikanische Forscher Howard Brody, die neuere Medizinethik erwecke den Eindruck, dass es ihr ausschließlich um Autonomie gehe. Werte wie Schadensvermeidung und Fürsorge seien bereits in der Antike anerkannt worden, während Autonomie das einzige wirklich neu diskutierte Prinzip sei. Wie die höchst informative und abgewogene Überblicksdarstellung der renommierten Münsteraner Medizinethikerin Bettina Schöne-Seifert zeigt, trifft diese Einschätzung im Großen und Ganzen auch auf die heutige Diskussionslage zu. Die Autonomie des Patienten, freilich nicht im kantischen Sinne als frei vollzogene Bindung an das Sittengesetz, sondern schlicht als individuelle Entscheidungshoheit verstanden, ist der fast allgemein geteilte Bezugspunkt aller medizinethischen Diskussionen. Offen ist allerdings nach wie vor die genaue Reichweite des Selbstbestimmungsgrundsatzes.
Unbestritten ist, dass Patienten und Probanden ein Recht darauf haben, über jeglichen diagnostischen, therapeutischen oder der Forschung dienenden Eingriff in ihre körperliche Integrität durch Zustimmung oder Ablehnung selbst zu entscheiden. Weitgehend anerkannt ist, jedenfalls in der Theorie, darüber hinaus auch, dass Patienten verlangen können, über nicht therapierbare tödliche Erkrankungen wahrheitsgemäß unterrichtet zu werden. Zu Recht betont Schöne-Seifert, dass gerade dieser Teil des Aufklärungsangebots von elementarer Bedeutung für das Gesamtwohl eines Patienten sei. "Denn die Umstände, unter denen jemand sein Leben zu Ende bringt, können ihm fundamental bedeutend sein und vielleicht einen zentralen ,roten Faden' seines Lebens fortsetzen."
Bereits mit dieser Erweiterung verliert das Autonomieprinzip freilich seinen ursprünglichen Charakter als reines Abwehrrecht und wird zu einem genuinen Leistungsrecht. Die Frage nach dem Umfang der Leistungen, die Patienten unter Berufung auf ihr Selbstbestimmungsrecht beanspruchen dürfen, bildet den Kern der meisten Diskussionen innerhalb der heutigen Medizinethik. Dies gilt nicht nur für den assistierten Suizid und die aktive Sterbehilfe, sondern auch für die praktisch ungleich bedeutsamere, wenngleich weniger schlagzeilenträchtige Debatte über die sehr bald unumgänglich werdenden Rationierungen im Gesundheitswesen. Während allerdings im Hinblick auf die Verteilung knapper Ressourcen Einigkeit darüber herrscht, dass niemand allein deshalb Sonderleistungen verlangen darf, weil er persönlich sie für sinnvoll hält, ist im Bereich der vorzeitigen Lebensbeendigung eine zunehmende Bereitschaft unübersehbar, dem Patientenwillen weiter gehend Rechnung zu tragen als bisher.
Sympathie für eine Lockerung der derzeitigen Sterbehilfe-Regelungen lässt auch Schöne-Seifert erkennen. Eindringlich und ohne jede Polemik weist sie darauf hin, dass diejenigen Liberalisierungsgegner es sich zu einfach machen, die den Sterbewunsch hauptsächlich auf die schlechten psychosozialen Umstände zurückführen, denen viele Todkranke ausgesetzt sind. Nicht weniger beherzigenswert sind Schöne-Seiferts Vorbehalte gegenüber den häufig beschworenen Dammbruchgefahren. Überzeugend weist die Autorin die Behauptung zurück, aktive Sterbehilfe enthalte ein höheres Irrtumsrisiko und ein größeres Missbrauchspotential als die unstrittig zulässige passive Sterbehilfe. Zwar treffe es offenkundig zu, dass eine aktive Tötung grundsätzlich bei jedermann erfolgen könne, während die passive Sterbehilfe die Abhängigkeit des Betroffenen von lebenserhaltenden medizinischen Maßnahmen voraussetze. Doch während eine Ausweitung von Sterbehilfe auf Gesunde oder Fast-Gesunde alles andere als wahrscheinlich sei, wachse die Zahl der Patienten, die am Lebensende etwa der künstlichen Ernährung bedürfen, ebenso stetig an wie die therapeutischen Optionen, mit deren Hilfe man Schwerstkranken potentiell noch eine weitere Lebensverlängerung ermöglichen könnte. "Missbräuchlicher Verzicht auf solche Optionen ist mitnichten ausgeschlossen, ja sogar viel wahrscheinlicher - ohne dass daraus ein Argument gegen die grundsätzliche Zulässigkeit passiver Sterbehilfe würde."
Allerdings will Schöne-Seifert die aktive Euthanasie und den assistierten Suizid strikt auf Fälle schwersten und unstillbaren Leidens und einer terminalen Erkrankung beschränkt wissen. Auf der Basis einer autonomiebezogenen Argumentation lässt sich eine solche Einschränkung schwerlich begründen. Weshalb sollte etwa die Selbstbestimmung eines Kranken, der sich im Frühstadium einer Demenz befindet, deren Weiterungen er sich und seiner Familie ersparen will, nicht gleichermaßen beachtlich sein? Schöne-Seifert beruft sich darauf, dass die Hilfe zum Sterben "nicht nur mit der Selbstbestimmung des Betroffenen, sondern auch mit der Verpflichtung zu Fürsorge und Schadensvermeidung" gerechtfertigt werden müsse.
Den Kern des Arztethos könne man auf die Formel bringen, dass Ärzte verpflichtet seien, medizinische Kompetenzen zu erwerben und zu pflegen, sie zum Besten ihres Patienten einzusetzen und diesem dabei mit Empathie zu begegnen, bei alledem jedoch dessen Selbstbestimmung zu respektieren. In aller Regel übersetze sich diese Grundnorm in Vorbeugung, Heilung, Lebensrettung und Leidlinderung. In der Krisensituation unheilbar gewordener Krankheit jedoch könnten neben menschlichem Beistand auch Suizidbeihilfe und aktive Euthanasie dazugehören. Dieser Eindämmungsversuch greift indessen zu kurz. Die Fürsorge, auf die Schöne-Seifert sich beruft, erschöpft sich darin, den Wunsch des Patienten nach einem gnädigen Tod zu erfüllen. Nur deshalb lässt sich das Verhalten des Helfers überhaupt als Fürsorge und nicht als Mord bezeichnen. Der Fürsorgegesichtspunkt bringt also kein legitimatorisches Plus in die Situation hinein. Ihren spezifischen Bedeutungsgehalt verdankt diese vielmehr ausschließlich dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Mit welcher Begründung aber will Schöne-Seifert dann die Bitte des Demenzkranken nach einem Tod zurückweisen, den er noch als den seinigen erleben und annehmen kann? Die Prämissen der Autorin beinhalten mehr, als sie einzuräumen bereit ist.
Auch wenn Schöne-Seiferts Berufung auf den Fürsorgegedanken nicht dazu taugt, dem Autonomiepostulat die der Verfasserin allzu scharf erscheinenden Zähne zu ziehen, ist er doch in anderer Hinsicht von erheblicher Bedeutung. Ein Kranker, der nichts weiter hat als seine Autonomie, hat erbärmlich wenig. Dies aus dem Blick zu verlieren ist womöglich die größte Gefahr für eine Medizinethik, die sich in subtilen Diskussionen um die Grenzen des Selbstbestimmungsgedankens aufreibt. Wer einmal am eigenen Leib erfahren hat, wie man sich fühlt, wenn man eine vernichtende Diagnose an den Kopf geworfen bekommt und danach in einem trostlosen Krankenhausflur stehengelassen wird, der wird Schöne-Seifert zustimmen, wenn sie betont, dass wichtiger als angemessene Normierungen einiger Grenzfragen die Erhaltung und Förderung von Vertrauen und Menschlichkeit im Verhältnis eines Kranken zu denjenigen seien, die ihn medizinisch versorgen.
"In modernen Großkliniken mit ihrer Bürokratisierung, arbeitsteiligen Spezialisierung und Anonymisierung und angesichts der nicht seltenen Verschränkung von Forschungs-, Finanz- und Karriereinteressen mit der ,eigentlichen' Arztrolle sind diese Werte jedoch so schwer zu realisieren, dass die Medizinethik gut daran täte, sich ihrer deutlicher anzunehmen." So recht Schöne-Seifert damit hat, sie lässt unausgesprochen, dass dazu ein Paradigmenwandel erforderlich ist. Die Medizinethik muss sich von ihrer einseitigen Fixierung auf den Selbstbestimmungsgedanken lösen und einsehen, dass sie ihrer Aufgabe, zumal in Zeiten eines sich verschärfenden Rationierungsdrucks, nur gerecht wird, wenn sie sich zugleich auch als eine Lehre von individuellen Tugenden und deren institutionellen Ermöglichungen versteht.
Paradoxerweise muss die Medizinethik gleichsam antiker werden, um auf der Höhe der Modernität anzukommen. Ob sie dazu bereit ist?
MICHAEL PAWLIK
Bettina Schöne-Seifert: "Grundlagen der Medizinethik". Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 2007. 227 S., br., 10,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wer erfahren hat, wie man sich fühlt, wenn man eine vernichtende Diagnose an den Kopf geworfen bekommt und danach in einem trostlosen Krankenhausflur stehengelassen wird, der wird Bettina Schöne-Seiferts Aufruf zu mehr Menschlichkeit in der Medizin befürworten.
In einem 1992 erschienenen Buch bemerkte der amerikanische Forscher Howard Brody, die neuere Medizinethik erwecke den Eindruck, dass es ihr ausschließlich um Autonomie gehe. Werte wie Schadensvermeidung und Fürsorge seien bereits in der Antike anerkannt worden, während Autonomie das einzige wirklich neu diskutierte Prinzip sei. Wie die höchst informative und abgewogene Überblicksdarstellung der renommierten Münsteraner Medizinethikerin Bettina Schöne-Seifert zeigt, trifft diese Einschätzung im Großen und Ganzen auch auf die heutige Diskussionslage zu. Die Autonomie des Patienten, freilich nicht im kantischen Sinne als frei vollzogene Bindung an das Sittengesetz, sondern schlicht als individuelle Entscheidungshoheit verstanden, ist der fast allgemein geteilte Bezugspunkt aller medizinethischen Diskussionen. Offen ist allerdings nach wie vor die genaue Reichweite des Selbstbestimmungsgrundsatzes.
Unbestritten ist, dass Patienten und Probanden ein Recht darauf haben, über jeglichen diagnostischen, therapeutischen oder der Forschung dienenden Eingriff in ihre körperliche Integrität durch Zustimmung oder Ablehnung selbst zu entscheiden. Weitgehend anerkannt ist, jedenfalls in der Theorie, darüber hinaus auch, dass Patienten verlangen können, über nicht therapierbare tödliche Erkrankungen wahrheitsgemäß unterrichtet zu werden. Zu Recht betont Schöne-Seifert, dass gerade dieser Teil des Aufklärungsangebots von elementarer Bedeutung für das Gesamtwohl eines Patienten sei. "Denn die Umstände, unter denen jemand sein Leben zu Ende bringt, können ihm fundamental bedeutend sein und vielleicht einen zentralen ,roten Faden' seines Lebens fortsetzen."
Bereits mit dieser Erweiterung verliert das Autonomieprinzip freilich seinen ursprünglichen Charakter als reines Abwehrrecht und wird zu einem genuinen Leistungsrecht. Die Frage nach dem Umfang der Leistungen, die Patienten unter Berufung auf ihr Selbstbestimmungsrecht beanspruchen dürfen, bildet den Kern der meisten Diskussionen innerhalb der heutigen Medizinethik. Dies gilt nicht nur für den assistierten Suizid und die aktive Sterbehilfe, sondern auch für die praktisch ungleich bedeutsamere, wenngleich weniger schlagzeilenträchtige Debatte über die sehr bald unumgänglich werdenden Rationierungen im Gesundheitswesen. Während allerdings im Hinblick auf die Verteilung knapper Ressourcen Einigkeit darüber herrscht, dass niemand allein deshalb Sonderleistungen verlangen darf, weil er persönlich sie für sinnvoll hält, ist im Bereich der vorzeitigen Lebensbeendigung eine zunehmende Bereitschaft unübersehbar, dem Patientenwillen weiter gehend Rechnung zu tragen als bisher.
Sympathie für eine Lockerung der derzeitigen Sterbehilfe-Regelungen lässt auch Schöne-Seifert erkennen. Eindringlich und ohne jede Polemik weist sie darauf hin, dass diejenigen Liberalisierungsgegner es sich zu einfach machen, die den Sterbewunsch hauptsächlich auf die schlechten psychosozialen Umstände zurückführen, denen viele Todkranke ausgesetzt sind. Nicht weniger beherzigenswert sind Schöne-Seiferts Vorbehalte gegenüber den häufig beschworenen Dammbruchgefahren. Überzeugend weist die Autorin die Behauptung zurück, aktive Sterbehilfe enthalte ein höheres Irrtumsrisiko und ein größeres Missbrauchspotential als die unstrittig zulässige passive Sterbehilfe. Zwar treffe es offenkundig zu, dass eine aktive Tötung grundsätzlich bei jedermann erfolgen könne, während die passive Sterbehilfe die Abhängigkeit des Betroffenen von lebenserhaltenden medizinischen Maßnahmen voraussetze. Doch während eine Ausweitung von Sterbehilfe auf Gesunde oder Fast-Gesunde alles andere als wahrscheinlich sei, wachse die Zahl der Patienten, die am Lebensende etwa der künstlichen Ernährung bedürfen, ebenso stetig an wie die therapeutischen Optionen, mit deren Hilfe man Schwerstkranken potentiell noch eine weitere Lebensverlängerung ermöglichen könnte. "Missbräuchlicher Verzicht auf solche Optionen ist mitnichten ausgeschlossen, ja sogar viel wahrscheinlicher - ohne dass daraus ein Argument gegen die grundsätzliche Zulässigkeit passiver Sterbehilfe würde."
Allerdings will Schöne-Seifert die aktive Euthanasie und den assistierten Suizid strikt auf Fälle schwersten und unstillbaren Leidens und einer terminalen Erkrankung beschränkt wissen. Auf der Basis einer autonomiebezogenen Argumentation lässt sich eine solche Einschränkung schwerlich begründen. Weshalb sollte etwa die Selbstbestimmung eines Kranken, der sich im Frühstadium einer Demenz befindet, deren Weiterungen er sich und seiner Familie ersparen will, nicht gleichermaßen beachtlich sein? Schöne-Seifert beruft sich darauf, dass die Hilfe zum Sterben "nicht nur mit der Selbstbestimmung des Betroffenen, sondern auch mit der Verpflichtung zu Fürsorge und Schadensvermeidung" gerechtfertigt werden müsse.
Den Kern des Arztethos könne man auf die Formel bringen, dass Ärzte verpflichtet seien, medizinische Kompetenzen zu erwerben und zu pflegen, sie zum Besten ihres Patienten einzusetzen und diesem dabei mit Empathie zu begegnen, bei alledem jedoch dessen Selbstbestimmung zu respektieren. In aller Regel übersetze sich diese Grundnorm in Vorbeugung, Heilung, Lebensrettung und Leidlinderung. In der Krisensituation unheilbar gewordener Krankheit jedoch könnten neben menschlichem Beistand auch Suizidbeihilfe und aktive Euthanasie dazugehören. Dieser Eindämmungsversuch greift indessen zu kurz. Die Fürsorge, auf die Schöne-Seifert sich beruft, erschöpft sich darin, den Wunsch des Patienten nach einem gnädigen Tod zu erfüllen. Nur deshalb lässt sich das Verhalten des Helfers überhaupt als Fürsorge und nicht als Mord bezeichnen. Der Fürsorgegesichtspunkt bringt also kein legitimatorisches Plus in die Situation hinein. Ihren spezifischen Bedeutungsgehalt verdankt diese vielmehr ausschließlich dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Mit welcher Begründung aber will Schöne-Seifert dann die Bitte des Demenzkranken nach einem Tod zurückweisen, den er noch als den seinigen erleben und annehmen kann? Die Prämissen der Autorin beinhalten mehr, als sie einzuräumen bereit ist.
Auch wenn Schöne-Seiferts Berufung auf den Fürsorgegedanken nicht dazu taugt, dem Autonomiepostulat die der Verfasserin allzu scharf erscheinenden Zähne zu ziehen, ist er doch in anderer Hinsicht von erheblicher Bedeutung. Ein Kranker, der nichts weiter hat als seine Autonomie, hat erbärmlich wenig. Dies aus dem Blick zu verlieren ist womöglich die größte Gefahr für eine Medizinethik, die sich in subtilen Diskussionen um die Grenzen des Selbstbestimmungsgedankens aufreibt. Wer einmal am eigenen Leib erfahren hat, wie man sich fühlt, wenn man eine vernichtende Diagnose an den Kopf geworfen bekommt und danach in einem trostlosen Krankenhausflur stehengelassen wird, der wird Schöne-Seifert zustimmen, wenn sie betont, dass wichtiger als angemessene Normierungen einiger Grenzfragen die Erhaltung und Förderung von Vertrauen und Menschlichkeit im Verhältnis eines Kranken zu denjenigen seien, die ihn medizinisch versorgen.
"In modernen Großkliniken mit ihrer Bürokratisierung, arbeitsteiligen Spezialisierung und Anonymisierung und angesichts der nicht seltenen Verschränkung von Forschungs-, Finanz- und Karriereinteressen mit der ,eigentlichen' Arztrolle sind diese Werte jedoch so schwer zu realisieren, dass die Medizinethik gut daran täte, sich ihrer deutlicher anzunehmen." So recht Schöne-Seifert damit hat, sie lässt unausgesprochen, dass dazu ein Paradigmenwandel erforderlich ist. Die Medizinethik muss sich von ihrer einseitigen Fixierung auf den Selbstbestimmungsgedanken lösen und einsehen, dass sie ihrer Aufgabe, zumal in Zeiten eines sich verschärfenden Rationierungsdrucks, nur gerecht wird, wenn sie sich zugleich auch als eine Lehre von individuellen Tugenden und deren institutionellen Ermöglichungen versteht.
Paradoxerweise muss die Medizinethik gleichsam antiker werden, um auf der Höhe der Modernität anzukommen. Ob sie dazu bereit ist?
MICHAEL PAWLIK
Bettina Schöne-Seifert: "Grundlagen der Medizinethik". Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 2007. 227 S., br., 10,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Dass die Medizinethik noch einen Weg zurückzulegen hat, um auf der Höhe der Modernität anzukommen, ahnt Michael Pawlik schon. Den erforderlichen Paradigmenwechsel hin zu einer Lehre von individuellen Tugenden und deren institutioneller Machbarkeit sieht er von der Autorin dieses Bandes nicht ausreichend erkannt. Das ändert allerdings nichts an Pawliks positiver Beurteilung des Buches von Bettina Schöne-Seifert. Als informativen, ausgewogenen Aufruf zu mehr Menschlichkeit in der Medizin versteht er es. Schöne-Seiferts unpolemisches Eintreten für eine Lockerung der Sterbehilfe-Regelungen und ihre Vorbehalte gegenüber vermeintlichen Dammbrüchen nimmt Pawlik sich zu Herzen. Allerdings räumt er auch ein, dass ihre Vorstellungen betreffend eine Beschränkung aktiver Euthanasie auf schwerste Fälle mit einer autonomiebezogenen Argumentation kaum zu vereinbaren sind.
© Perlentaucher Medien GmbH
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