Umstritten wie er war, vielfach gelobt und oft niedergeschrien – Günter Grass hat in der Kultur- und Demokratiegeschichte dieses Landes Zeichen gesetzt. Kaum ein anderes Kunst- und Literaturlebenswerk hat nach 1945 die politischen, kulturellen und mentalitären Auf- und Abschwünge der Bundesrepublik in vergleichbarer Repräsentanz widergespiegelt und beeinflusst. Nach Jahrzehnten der Machtperversion des Nationalen war es der 32-jährige Autor aus dem verlorenen Danzig, der das durch Nazi-Wahn, Holocaust und Krieg ruinierte Deutschland in der Blechtrommel zur Kenntlichkeit brachte. Dieser höchst irritierende Roman konnte im Adenauer-Deutschland nur einen Skandal auslösen. In Grass' biographischem Profil – vom surrealistischen Wortkünstler zur Zentralfigur der literarischen Opposition, vom SPD-Wahlkämpfer zum ›Wappentier‹ der Republik, vom geistigen Repräsentanten der rot-grünen Regierungsära zum »vaterlandslosen« Kritiker der deutschen Un-Einheit, vom Waffen-SS-Streit zum Antisemitismus-Vorwurf – spiegeln sich wichtige Phasen der deutschen Diskurs- und Mentalitätsgeschichte nach 1945. Im Blick auf Grass' Lebenswerk und Wirkung als Künstler und Intellektueller ist in diesem Buch vom ›Nationalautor‹ die Rede, ja vom Dichter der deutschen Einheit, lange bevor sie Wirklichkeit werden konnte. Harro Zimmermann legt die erste große Biographie des Blechtrommel-Autors vor. Die internationale Forschung zu Günter Grass und sein umfangreicher Nachlass werden in diesem Buch aufgearbeitet, zahlreiche seiner Wegbegleiter, Kritiker und Zeitzeugen kommen zu Wort.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Als die bislang beste Grass-Biografie deklariert Rezensent Michael Hesse Harro Zimmermanns Buch. Hesses Rezension erzählt entlang von Zimmermanns Biografie den Lebensweg des Dichters nach, der in Danzig in einfachen Verhältnissen aufwächst und in den 1950ern als Außenseiter und Bohemien zur Gruppe 47 stößt. Besonders viel lernt man, so Hesse, über Grass' Zeit in Paris, wo er mit seiner damaligen Frau Anna Margareta Schwarz lebt und Paul Celan kennenlernt. Danach rekonstruiert der Rezensent mit Zimmermann die Entstehung der "Blechtrommel" sowie Grass' Aufstieg zum Gewissen der BRD, die sich in einer kritischen Nähe zur SPD artikulierte. Selbst das Brandtsche "Wir wollen mehr Demokratie wagen" entstammt laut Hesse, Zimmermann referierend, Grass' Feder. Schließlich geht es auch noch, weiterhin entlang Zimmermanns Buch, um die spät offengelegte Mitgliedschaft in der Waffen-SS und Grass' Beteiligung am Volkssport Israelkritik, letzteres erinnert den Rezensenten an aktuelle Debatten. Man bekommt Lust, noch einmal zur "Blechtrommel" zu greifen, resümiert Hesse.
© Perlentaucher Medien GmbH
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