Habeas Corpus in Wartime unearths and presents a comprehensive account of the legal and political history of habeas corpus in wartime in the Anglo-American legal tradition. The book begins by tracing the origins of the habeas privilege in English law, giving special attention to the English Habeas Corpus Act of 1679, which limited the scope of executive detention and used the machinery of the English courts to enforce its terms. It also explores the circumstances that led Parliament to invent the concept of suspension as a tool for setting aside the protections of the Habeas Corpus Act in wartime. Turning to the United States, the book highlights how the English suspension framework greatly influenced the development of early American habeas law before and after the American Revolution and during the Founding period, when the United States Constitution enshrined a habeas privilege in its Suspension Clause. The book then chronicles the story of the habeas privilege and suspension over the course of American history, giving special attention to the Civil War period. The final chapters explore how the challenges posed by modern warfare during the twentieth and twenty-first centuries have placed great strain on the previously well-settled understanding of the role of the habeas privilege and suspension in American constitutional law, particularly during World War II when the United States government detained tens of thousands of Japanese American citizens and later during the War on Terror. Throughout, the book draws upon a wealth of original and heretofore untapped historical resources to shed light on the purpose and role of the Suspension Clause in the United States Constitution, revealing all along that many of the questions that arise today regarding the scope of executive power to arrest and detain in wartime are not new ones.
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Frankfurter Allgemeine ZeitungFreiheitsrechte in Zeiten von Krieg und Terror
Ein Eckpfeiler des modernen Rechtsstaates hat heute in Amerika einen schweren Stand
Noch 41 von ehemals mehr als 600 Terrorverdächtigen sitzen im amerikanischen Gefangenenlager in Guantánamo Bay. Elf von ihnen machten Mitte Januar 2018 beim Bundesbezirksgericht von Washington eine sogenannte Habeas-Corpus-Eingabe. "Habeas Corpus", lateinisch für "Du mögest deinen Leib haben", heißen seit dem Mittelalter Anträge auf Haftprüfung. Die Häftlinge wollen damit nach mehr als eineinhalb Jahrzehnten ohne offizielle Anklage gerichtlich klären lassen, ob die Gründe für ihre Festsetzung stichhaltig sind. Dieses Recht garantiert Verhafteten Artikel I, Paragraph 9 der amerikanischen Verfassung. Eine einfache Sache, möchte man denken.
Dass nichts einfach ist in der Jurisprudenz, schon gar nicht, wenn Politiker entschlossen sind, gesetzliche Vorgaben zu umgehen, zeigt Amanda Tyler, Rechtsprofessorin in Berkeley an einer der zehn besten Jurafakultäten der Welt. Gegenstand ihres Buchs: die Entwicklung von Habeas Corpus in Amerika in Zeiten von Krieg und Terror von der Staatsgründung bis heute. Ihre These: Nach 150 Jahren der Achtung dieses grundlegenden Freiheitsrechts ist es im Zweiten Weltkrieg flagrant gebrochen worden und seit 9/11 massiv unter Druck geraten. Tylers Buch ist tief an Gedanken und dicht an Informationen, allein der wissenschaftliche Apparat nimmt 170 der 450 Seiten ein. Aber nach der Lektüre ist man nicht nur klüger, sondern auch gezwungen, das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit neu zu denken.
Tyler greift weit in die Geschichte zurück, um ihr Argument aufzubauen. Das ist gerade für die Vereinigten Staaten unerlässlich, wo die Gerichte, wie im angelsächsischen Gewohnheitsrecht üblich, mit Hinweis auf Präzedenzfälle entscheiden. Die Juraprofessorin zeigt zunächst, welch freiheitsrechtlichen Fortschritt das Habeas-Corpus-Gesetz von 1679 für England brachte. Zwar hatte schon die Magna Carta 1215 willkürliche Verhaftungen verboten, aber jetzt wurden die Gründe für Freiheitsentzug eingeschränkt, und der Bürger erhielt das Recht auf unverzügliche Haftprüfung. Worum es Tyler vor allem geht, ist die mögliche Suspendierung von Habeas Corpus in Krisenzeiten. Ursprünglich war dies gar nicht vorgesehen. Angesichts der Versuche der katholischen Stuarts, mit französischer Hilfe zwischen 1689 und 1745 fünf Aufstände anzuzetteln und den englischen Thron zurückzuerobern, erlaubte das Parlament der Exekutive indes, Verschwörer gegen den König in Zeiten von Unruhen und Krieg ohne Rechtsgarantien einzusperren.
Für die abtrünnigen amerikanischen Kolonien spielte Habeas Corpus eine herausragende Rolle, enthielt ihnen das Mutterland doch dieses Recht vor. Als die Gründerväter der Vereinigten Staaten nach gewonnenem Unabhängigkeitskrieg 1787 die Verfassung schrieben, verankerten sie es deshalb als zentrales Schutzinstrument für die Freiheit des Individuums. Artikel 1, der die Kompetenzen des Parlaments festlegt, bestimmt in Abschnitt 9: "Das Habeas-Corpus-Recht darf nicht ausgesetzt werden, es sei denn, dass es die öffentliche Sicherheit in Fällen der Rebellion oder der Invasion erfordert." Freiheitsentzug ohne richterliche Haftprüfung sollte nur unter präziser Benennung der Umstände möglich sein und lediglich in engen Grenzen verhängt werden können. Tatsächlich tastete in den ersten 70 Jahren nach der Staatsgründung niemand dieses Grundrecht an.
Das änderte sich 1861, als die Sezession der Südstaaten das Land in einen Überlebenskampf stürzte. Präsident Lincoln genehmigte seinen Militärführern, Habeas Corpus zunächst für einige, später für alle gefangenen Soldaten der Konföderierten zu suspendieren. Weil dies gemäß Verfassung eigentlich nur der Kongress anordnen durfte, gab es hitzige Debatten über die Rechtmäßigkeit des Erlasses. Erst 1863 legalisierte das Parlament die Maßnahme des Präsidenten. Im Kern hielt allerdings auch Lincoln daran fest, dass Habeas Corpus formal ausgesetzt werden musste, um Bürger ohne richterliche Haftprüfung zu internieren.
Der wirkliche Sündenfall kam 1942. In Reaktion auf den japanischen Überraschungsangriff auf Pearl Harbor erlaubte Präsident Roosevelt in Verwaltungserlass 9066 dem Kriegsminister am 19. Februar, Militärzonen festzulegen, aus denen "einige oder alle Personen" entfernt werden können. Er wurde zur Grundlage für die "Umsiedlung" von 120 000 Menschen mit japanischen Wurzeln, darunter 70 000 amerikanische Staatsbürger, von der Westküste ins Hinterland und ihre dreijährige Internierung in Lagern. Und das, obwohl Justizminister Francis Biddle keinerlei Notwendigkeit für diesen Schritt sah und FBI-Direktor J. Edgar Hoover feststellte, es fehle jeder Beleg für disloyales Verhalten von Japano-Amerikanern. Aber eine antijapanische Hysterie hatte das Land erfasst, und Roosevelt, der Japaner für nicht assimilierbar und gefährlich hielt, ritt die rassistische Welle. John McCloy, Staatssekretär im Kriegsministerium, triumphierte: "Wir haben carte blanche vom Präsidenten, um das zu tun, was wir tun wollen." Die Internierung war der schwerste Bruch der Suspendierungs-Pflicht von Habeas Corpus in der amerikanischen Geschichte. Doch weder Verfassungsgericht noch Kongress konnten sich in Kriegszeiten dazu aufraffen, der Regierung Schranken aufzuzeigen.
Die Internierung der Japano-Amerikaner schuf einen Präzedenzfall für Massenverhaftungen unter militärischer Federführung. Am stärksten beeinflusste Roosevelts dunkles Vermächtnis das Regierungshandeln nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Im Zuge des Afghanistan-Feldzugs gegen Al Qaida und Taliban fielen den Amerikanern Hunderte Terrorverdächtige in die Hände. Die Regierung deklarierte sie zu "feindlichen Kämpfern" und nahm sie in Militärhaft, ohne Anklage zu erheben.
Den Internierungsort Guantánamo wählte die Regierung wohl auch in dem Glauben, er liege außerhalb der Habeas-Corpus-Jurisdiktion der Bundesgerichte, weil die Vereinigten Staaten dort keine formalen Souveränitätsrechte ausüben. Der Kongress stützte diese Sichtweise. Doch das Verfassungsgericht entschied 2008, dass die Vereinigten Staaten in Guantánamo de facto die Hoheit innehaben und die Insassen deshalb sehr wohl Habeas Corpus beantragen dürfen. Damit konnten "feindliche Kämpfer" Bundesrichter anrufen, um sie prüfen zu lassen, ob die Regierung genügend belastendes Material für eine unbefristete Haft habe. In den folgenden beiden Jahren gewannen 19 von 34 Gefangenen auf diesem Weg ihre Freiheit. 2010 beschloss das Washingtoner Bezirksgericht jedoch, dass die Regierungsbelege künftig weniger strikt hinterfragt werden sollten. Seither ist kaum mehr ein Insasse durch Haftprüfung freigekommen. Die elf Antragsteller dürfen sich also keine großen Hoffnungen machen. Das Lager wird wohl nur durch eine politische Entscheidung geschlossen. Danach sieht es nicht aus: Am 31. Januar 2018 unterzeichnete Präsident Trump eine Anordnung, das Lager dauerhaft offen zu halten. Solange es aber existiert, wird ein Schatten auf Amerikas Umgang mit Freiheitsrechten fallen.
STEPHAN BIERLING
Amanda L. Tyler: Habeas Corpus in Wartime. From the Tower of London to Guantánamo Bay.
Oxford University Press, New York 2017. 450 S., 85,- Dollar.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Eckpfeiler des modernen Rechtsstaates hat heute in Amerika einen schweren Stand
Noch 41 von ehemals mehr als 600 Terrorverdächtigen sitzen im amerikanischen Gefangenenlager in Guantánamo Bay. Elf von ihnen machten Mitte Januar 2018 beim Bundesbezirksgericht von Washington eine sogenannte Habeas-Corpus-Eingabe. "Habeas Corpus", lateinisch für "Du mögest deinen Leib haben", heißen seit dem Mittelalter Anträge auf Haftprüfung. Die Häftlinge wollen damit nach mehr als eineinhalb Jahrzehnten ohne offizielle Anklage gerichtlich klären lassen, ob die Gründe für ihre Festsetzung stichhaltig sind. Dieses Recht garantiert Verhafteten Artikel I, Paragraph 9 der amerikanischen Verfassung. Eine einfache Sache, möchte man denken.
Dass nichts einfach ist in der Jurisprudenz, schon gar nicht, wenn Politiker entschlossen sind, gesetzliche Vorgaben zu umgehen, zeigt Amanda Tyler, Rechtsprofessorin in Berkeley an einer der zehn besten Jurafakultäten der Welt. Gegenstand ihres Buchs: die Entwicklung von Habeas Corpus in Amerika in Zeiten von Krieg und Terror von der Staatsgründung bis heute. Ihre These: Nach 150 Jahren der Achtung dieses grundlegenden Freiheitsrechts ist es im Zweiten Weltkrieg flagrant gebrochen worden und seit 9/11 massiv unter Druck geraten. Tylers Buch ist tief an Gedanken und dicht an Informationen, allein der wissenschaftliche Apparat nimmt 170 der 450 Seiten ein. Aber nach der Lektüre ist man nicht nur klüger, sondern auch gezwungen, das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit neu zu denken.
Tyler greift weit in die Geschichte zurück, um ihr Argument aufzubauen. Das ist gerade für die Vereinigten Staaten unerlässlich, wo die Gerichte, wie im angelsächsischen Gewohnheitsrecht üblich, mit Hinweis auf Präzedenzfälle entscheiden. Die Juraprofessorin zeigt zunächst, welch freiheitsrechtlichen Fortschritt das Habeas-Corpus-Gesetz von 1679 für England brachte. Zwar hatte schon die Magna Carta 1215 willkürliche Verhaftungen verboten, aber jetzt wurden die Gründe für Freiheitsentzug eingeschränkt, und der Bürger erhielt das Recht auf unverzügliche Haftprüfung. Worum es Tyler vor allem geht, ist die mögliche Suspendierung von Habeas Corpus in Krisenzeiten. Ursprünglich war dies gar nicht vorgesehen. Angesichts der Versuche der katholischen Stuarts, mit französischer Hilfe zwischen 1689 und 1745 fünf Aufstände anzuzetteln und den englischen Thron zurückzuerobern, erlaubte das Parlament der Exekutive indes, Verschwörer gegen den König in Zeiten von Unruhen und Krieg ohne Rechtsgarantien einzusperren.
Für die abtrünnigen amerikanischen Kolonien spielte Habeas Corpus eine herausragende Rolle, enthielt ihnen das Mutterland doch dieses Recht vor. Als die Gründerväter der Vereinigten Staaten nach gewonnenem Unabhängigkeitskrieg 1787 die Verfassung schrieben, verankerten sie es deshalb als zentrales Schutzinstrument für die Freiheit des Individuums. Artikel 1, der die Kompetenzen des Parlaments festlegt, bestimmt in Abschnitt 9: "Das Habeas-Corpus-Recht darf nicht ausgesetzt werden, es sei denn, dass es die öffentliche Sicherheit in Fällen der Rebellion oder der Invasion erfordert." Freiheitsentzug ohne richterliche Haftprüfung sollte nur unter präziser Benennung der Umstände möglich sein und lediglich in engen Grenzen verhängt werden können. Tatsächlich tastete in den ersten 70 Jahren nach der Staatsgründung niemand dieses Grundrecht an.
Das änderte sich 1861, als die Sezession der Südstaaten das Land in einen Überlebenskampf stürzte. Präsident Lincoln genehmigte seinen Militärführern, Habeas Corpus zunächst für einige, später für alle gefangenen Soldaten der Konföderierten zu suspendieren. Weil dies gemäß Verfassung eigentlich nur der Kongress anordnen durfte, gab es hitzige Debatten über die Rechtmäßigkeit des Erlasses. Erst 1863 legalisierte das Parlament die Maßnahme des Präsidenten. Im Kern hielt allerdings auch Lincoln daran fest, dass Habeas Corpus formal ausgesetzt werden musste, um Bürger ohne richterliche Haftprüfung zu internieren.
Der wirkliche Sündenfall kam 1942. In Reaktion auf den japanischen Überraschungsangriff auf Pearl Harbor erlaubte Präsident Roosevelt in Verwaltungserlass 9066 dem Kriegsminister am 19. Februar, Militärzonen festzulegen, aus denen "einige oder alle Personen" entfernt werden können. Er wurde zur Grundlage für die "Umsiedlung" von 120 000 Menschen mit japanischen Wurzeln, darunter 70 000 amerikanische Staatsbürger, von der Westküste ins Hinterland und ihre dreijährige Internierung in Lagern. Und das, obwohl Justizminister Francis Biddle keinerlei Notwendigkeit für diesen Schritt sah und FBI-Direktor J. Edgar Hoover feststellte, es fehle jeder Beleg für disloyales Verhalten von Japano-Amerikanern. Aber eine antijapanische Hysterie hatte das Land erfasst, und Roosevelt, der Japaner für nicht assimilierbar und gefährlich hielt, ritt die rassistische Welle. John McCloy, Staatssekretär im Kriegsministerium, triumphierte: "Wir haben carte blanche vom Präsidenten, um das zu tun, was wir tun wollen." Die Internierung war der schwerste Bruch der Suspendierungs-Pflicht von Habeas Corpus in der amerikanischen Geschichte. Doch weder Verfassungsgericht noch Kongress konnten sich in Kriegszeiten dazu aufraffen, der Regierung Schranken aufzuzeigen.
Die Internierung der Japano-Amerikaner schuf einen Präzedenzfall für Massenverhaftungen unter militärischer Federführung. Am stärksten beeinflusste Roosevelts dunkles Vermächtnis das Regierungshandeln nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Im Zuge des Afghanistan-Feldzugs gegen Al Qaida und Taliban fielen den Amerikanern Hunderte Terrorverdächtige in die Hände. Die Regierung deklarierte sie zu "feindlichen Kämpfern" und nahm sie in Militärhaft, ohne Anklage zu erheben.
Den Internierungsort Guantánamo wählte die Regierung wohl auch in dem Glauben, er liege außerhalb der Habeas-Corpus-Jurisdiktion der Bundesgerichte, weil die Vereinigten Staaten dort keine formalen Souveränitätsrechte ausüben. Der Kongress stützte diese Sichtweise. Doch das Verfassungsgericht entschied 2008, dass die Vereinigten Staaten in Guantánamo de facto die Hoheit innehaben und die Insassen deshalb sehr wohl Habeas Corpus beantragen dürfen. Damit konnten "feindliche Kämpfer" Bundesrichter anrufen, um sie prüfen zu lassen, ob die Regierung genügend belastendes Material für eine unbefristete Haft habe. In den folgenden beiden Jahren gewannen 19 von 34 Gefangenen auf diesem Weg ihre Freiheit. 2010 beschloss das Washingtoner Bezirksgericht jedoch, dass die Regierungsbelege künftig weniger strikt hinterfragt werden sollten. Seither ist kaum mehr ein Insasse durch Haftprüfung freigekommen. Die elf Antragsteller dürfen sich also keine großen Hoffnungen machen. Das Lager wird wohl nur durch eine politische Entscheidung geschlossen. Danach sieht es nicht aus: Am 31. Januar 2018 unterzeichnete Präsident Trump eine Anordnung, das Lager dauerhaft offen zu halten. Solange es aber existiert, wird ein Schatten auf Amerikas Umgang mit Freiheitsrechten fallen.
STEPHAN BIERLING
Amanda L. Tyler: Habeas Corpus in Wartime. From the Tower of London to Guantánamo Bay.
Oxford University Press, New York 2017. 450 S., 85,- Dollar.
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