Als Linn bei einem Vortrag zusammenbricht, holt ihre Mutter Annett sie zu sich auf eine kleine Halbinsel am Wattenmeer – in jenes Haus, in dem sie als junge Witwe ihre Tochter großgezogen hat. Vieles hat Annett damals zurückgestellt, um Linn den bestmöglichen Start ins Leben zu ermöglichen. Und
tatsächlich schien es zunächst gelungen: Linn geht ihren Weg, reist durch Europa, engagiert sich in…mehrAls Linn bei einem Vortrag zusammenbricht, holt ihre Mutter Annett sie zu sich auf eine kleine Halbinsel am Wattenmeer – in jenes Haus, in dem sie als junge Witwe ihre Tochter großgezogen hat. Vieles hat Annett damals zurückgestellt, um Linn den bestmöglichen Start ins Leben zu ermöglichen. Und tatsächlich schien es zunächst gelungen: Linn geht ihren Weg, reist durch Europa, engagiert sich in Umweltprojekten.
Doch aus einer geplanten Woche zur Erholung werden Monate. Die Mutter ist ratlos, wie sie mit dieser neuen, antriebslosen Version ihrer Tochter umgehen soll. Linn wirkt wie eingefroren. Und doch ist es nicht nur ihre Starre, die auffällt – sondern auch die der Mutter. Annett träumt zwar von beruflichen Veränderungen, von einem anderen Alltag, einem anderen Selbst – aber es bleibt beim Gedanken:
> „Trotzdem, wenn ich eine interessante Ausschreibung lese, stelle ich mir vor, wie dieser neue Alltag aussehen könnte, wo ich wohnen würde, was ich sonst noch tun würde, wer ich sein könnte.“
Auch als Linn später nach Schweden geht, scheint Annett auf Befreiung zu hoffen – doch es ändert sich nichts. Statt sich neu zu orientieren, lebt sie gedanklich weiterhin in der Welt ihrer Tochter. Sie malt sich eine Zukunft als Großmutter aus, sieht sich quasi schon mit Kinderwagen am Deich entlanggehen. Es ist ein Leben in der Vorstellung, nicht in der Realität.
Linn dagegen organisiert im Hintergrund längst ihren Auszug aus der Unterkunft in Berlin. Sie versucht, sich zu lösen – während Annett immer noch über Dinge nachgrübelt, die nicht mehr in ihren Zuständigkeitsbereich gehören. Besonders deutlich wird das, als es im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch etwas zu klären gibt: Annett übernimmt Aufgaben, die eindeutig die ihrer volljährigen Tochter wären. Sie meint es gut – aber sie ist übergriffig.
Linn bringt es in einem Satz auf den Punkt:
> „Manchmal habe ich den Eindruck, ich bin wie ein Projekt für dich. Ich soll deinen Ehrgeiz befriedigen, den du dir selbst aber nie eingestehen würdest. Ich soll deine Hoffnungen erfüllen.“
Es sind starke Sätze, und doch bleibt der Roman – trotz solcher Momente – seltsam zurückhaltend. Die Konflikte werden angerissen, ausgesprochen, aber selten durchlebt oder gar gelöst. Die Figuren verheddern sich in alten Rollenbildern, reden aneinander vorbei – und das Buch scheint sich mit diesem Status quo zufrieden zu geben.
Der Stil ist schnörkellos, fast nüchtern – das passt zur norddeutschen Küstenlandschaft, in der der Roman spielt. Und doch wünsche ich mir an manchen Stellen mehr Reibung, mehr Mut zum Konflikt. Ich bin selbst keine Mutter, sehe diese Beziehung also als außenstehende Beobachterin – und ich hätte die beiden manchmal am liebsten geschüttelt und gesagt: Redet doch einfach mal miteinander!
Ich hatte mich auf das Buch gefreut, auch wegen der Nominierung für den Deutschen Buchpreis. Doch die Begeisterung der Jury kann ich nicht teilen. Halbinsel hat gute Ansätze, ein stimmungsvolles Setting, und eine psychologisch interessante Konstellation – aber es bleibt mir zu sehr in Andeutungen stecken. Kein schlechtes Buch. Aber eben auch keines, das lange bei mir nachklingt.