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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Alena Mornstajnová erzählt in ihrem Roman "Hana", der den Tschechischen Buchpreis gewann, eine Geschichte aus dem Sudetenland
Die Besetzung erst des tschechoslowakischen Sudetenlandes, dann der ganzen Tschechoslowakei durch Hitlers Wehrmacht, die Deportation in zwei deutsche Konzentrationslager, eine Typhusepidemie 1954 - Alena Mornstajnová scheut in ihrem Roman "Hana" keine Herausforderung. Kraftvoll und unsentimental schildert sie, wie das Schicksal in der mährischen Provinz zuschlägt. Am Ende sind die meisten Angehörigen der Familie Helerová tot, doch zwei Überlebende schöpfen neuen Lebensmut. "Hana" schenkt nach düsteren Ereignissen Hoffnung - auch weil der Roman auf recht ruchlose Weise die Frage der Schuld an den Ereignissen beiseite räumt.
Der Tod ist ein steter Gast in "Hana". 1954 überlebt Mira die Epidemie im beschaulichen Mezirící nur durch Zufall. Die Neunjährige hatte sich trotz strikten Verbots auf das brüchige Eis des Flusses gewagt und erhält am Nachmittag zur Strafe kein Spritzgebäck. Weil dieses mit Typhuserregern verseucht ist, werden Eltern, Geschwister und Tante Hana in ein Krankenhaus eingeliefert. Nur die seltsame Tante kehrt zurück. Mira ist mit einem Mal Vollwaise und wird von Ivana, einer Freundin ihrer Mutter, aufgenommen. Doch Ivanas ängstlicher Ehemann Jaroslav befürchtet eine Infektion und jagt die Waise bald aus dem Haus.
Jaroslav hat noch ein anderes Motiv. In den späten dreißiger Jahren, damit beginnt der zweite Teil des Romans, lässt er Miras Tante Hana sitzen: Eine Jüdin zu heiraten, scheint dem Ängstlichen wenig karrierefördernd, auch wenn der Antisemitismus vorerst nur beim westlichen Nachbarn grassiert. Unter der deutschen Besatzung verlieren die tschechoslowakischen Juden dann alle Rechte, bevor sie deportiert werden. Die Helerovás können vor der Reise in den Tod nur Hanas Schwester Rosa bei einer Freundin verstecken. Rosa verliebt sich in deren scheuen Sohn und bringt 1945 Mira zur Welt.
Der dritte Romanteil führt die Überlebenden zusammen: Hana holt die von Jaroslav vertriebene Nichte und Vollwaise Mira zu sich. Lange begreift das Mädchen nicht, warum ihre Tante so seltsam ist. Denn Hana spricht nicht über Theresienstadt und Auschwitz-Birkenau, auch nicht über die Typhusinfektion im KZ, die sie immunisiert hat gegen das verseuchte Spritzgebäck 1954.
Geschickt verschränkt Alena Mornstajnová in ihrem dritten Buch, das 2018 mit dem Tschechischen Buchpreis ausgezeichnet wurde, die Zeiten und wechselt die Erzähler: Auf "Ich, Mira. 1954-1963" folgt in "Die vor mir. 1933-1945" ein allwissender Erzähler, bevor "Ich, Hana. 1942-1963" den Titel einlöst. Stets verwebt die 1963 geborene Autorin zwei oder drei Erzählstränge miteinander und vergegenwärtigt scheinbar mühelos eine stattliche Zahl historischer Umbrüche in alltäglichen Szenen des familiären und Kleinstadtlebens. Ein wenig schulmäßig wirkt allenfalls, dass der Schlussabsatz jedes Kapitels mit Andeutungen das Interesse wachhalten soll.
Die Deutschen bleiben in diesem Familienroman schemenhaft. Sie geben den Rahmen vor, der Tschechen wie Jaroslav Angst macht und bei anderen die Gier nach jüdischem Besitz weckt. Im Allgemeinen aber spricht der Roman die Tschechen frei von jeder Verantwortung: "Der Mensch denkt, aber etwas - ob es die Ereignisse sind, Zufälle oder die Tücken des Schicksals - lenkt die Pläne." Der feige Jaroslav, heißt das, muss die Beziehung zur Jüdin Hana nicht aufkündigen, das tut die Geschichte für ihn: Als Soldat findet er sich "wirklich nicht durch eigene Schuld im Zentrum der Ereignisse wieder", nämlich bei Einsätzen fern von zu Hause. So kann er Hana lange im Unklaren lassen über seine abgekühlte Zuneigung und zugleich mit ihrer Freundin Ivana anbändeln, die später seine Ehefrau wird.
Hana dagegen findet sich durch eigene Schuld mehrfach "im Zentrum der Ereignisse", jedenfalls glaubt sie das. Um dem geliebten Jaroslav nahe bleiben zu können, hat sie einen Brief mit Dokumenten für die Auswanderung der Familie nach England zurückgehalten. Als Jaroslavs opportunistischer Rückzug dann doch unübersehbar wird, wirft sie den Brief sofort ein, doch die Visa treffen erst nach dem Einmarsch der Deutschen ins Sudetenland ein. Später im KZ Theresienstadt nennt Hana bei einer schmerzhaften Abtreibung den Namen ihres Geliebten, der sofort nach Auschwitz deportiert und ermordet wird. Und schließlich stammt der verseuchte Spritzkuchen, der 1954 Mira Vollwaise werden lässt, von ihr. Gleich dreimal glaubt sich die KZ-Überlebende schuldig am Tod anderer.
An Schuldgefühlen scheint sonst niemand in Mezirící zu leiden. Jaroslav, den man wohl als Vertreter Millionen ehrbarer Tschechen sehen muss, hat dazu ausdrücklich keine Veranlassung. Hanas Schuldgefühle wiederum gelten nicht - wie vieltausendfach überliefert - der Tatsache, zu den wenigen KZ-Überlebenden zu gehören. Sie gelten drei konkreten Handlungen, die den Tod der Eltern, des Liebhabers und der Familie der Schwester zur Folge haben. Das Opfer hält sich bei Alena Mornstajnová für eine Täterin, die einzige im Roman. Dieser Zirkelschluss hat mehrere Vorteile: Die angesichts des mörderischen Geschehens unabwendbare Frage nach Schuld und Verantwortung wird nicht verschwiegen, sondern thematisiert und sogleich abschließend beantwortet. Denn Hanas Schuldgefühle wirken angesichts der Leichenberge so unangemessen, dass der ganze Komplex ad acta gelegt werden darf. Ob Alena Mornstajnová das bewusst war? Ihr unterhaltsamer Familien- und Zeitroman besitzt einige Qualitäten. Zu seinem Erfolg dürfte nicht zuletzt die wirkungsvolle Entsorgung der Schuldfrage beigetragen haben.
JÖRG PLATH
Alena Mornstajnová: "Hana". Roman.
Aus dem Tschechischen von Raija Hauck. Wieser Verlag, Klagenfurt 2020. 344 S., geb., 21,- [Euro].
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