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Doch was kommt dann? Deb Olin Unferths ebenso kluger wie amüsanter Roman über eine Tierbefreiungsaktion
Von Melanie Mühl
Es steht nicht gut um die Henne in Amerikas Mittlerem Westen, der mitunter so öde ist, dass man am liebsten sofort wieder einschlafen möchte, sobald man die Augen geöffnet hat. Auf die Henne gemünzt, bedeutet diese Eintönigkeit Qual. Zusammengepfercht mit Hunderttausenden weiteren nicht selten aggressiven Schicksalsgenossen fristet sie ein erbärmliches Dasein in Ställen, die größer als Fußballfelder sind, dazu verdammt, ein Ei nach dem anderen zu produzieren. Der enorme Bedarf der lebensmittelverwöhnten Gesellschaft an Eiern muss schließlich befriedigt werden. Beim Köpfen seines (Bio-)Frühstückseis denkt man daran natürlich nicht, sondern freut sich über die wachsweiche Konsistenz.
Cleveland, eine der Protagonistinnen in Deb Olin Unferths Roman "Happy Green Family", ist es gewohnt, die Henne als Nutztier zu betrachten. Die Legefarmbetriebsprüferin begutachtet und zertifiziert Massenbetriebe und stellt sicher, dass das Tierwohl nicht ganz unter die Räder gerät - wobei Tierwohl in diesem Zusammenhang ein Euphemismus ist. Eines Tages, Cleveland hat ihren Job bei der Happy Green Family Farm erledigt und fährt nach Hause, steht eine Henne am Straßenrand. Ein einzelnes Geschöpf, eine tollkühne Ausreißerin, die sogar einen Namen von Unferth bekommt: Bwwaauk. Und anstatt weiterzufahren, was die normale Reaktion gewesen wäre, denn was schert sie dieses Tier, fängt Cleveland die Henne und nimmt sie mit nach Hause. Ihre Aktion folgt einem Impuls, keinem Plan, und aus diesem Impuls entwickelt sich bald etwas sehr viel Größeres, eine die Agrarwelt erschütternde Revolution, die Schlagzeilen machen wird.
Deb Olin Unferth hat einen Roman geschrieben, der dem Leser in jeder Zeile vermittelt, wie viel Spaß die Autorin beim Schreiben dieser irren Geschichte hatte, und man kann sich gut vorstellen, dass sie selbst sehr oft sehr laut gelacht hat. Der Plot: 900 000 Hennen sollen in einer großangelegten Aktion befreit werden, und zwar mithilfe Hunderter veganer Aktivisten, die sich recht leicht zusammentrommeln lassen, weil sie genug von Federfreiem-Freitag-Demos und dem Verteilen von Flugblättern haben. Auch ist es nicht damit getan, sich als Klingelton das Morgenkrähen eines Hahns herunterzuladen. Annabelle, eine strippenziehende Frau und Farmerstochter, formuliert es so: "Wir waren mal radikal, als wir angefangen haben, und zu diesen Wurzeln müssen wir zurück. Das ist ein Ruf zu den Waffen, eine Revolte, die längst überfällige Wende von der bürgerlich-reichen Mitte zur rebellischen Linken, wo wir hingehören."
Unferth, und das ist eine der Stärken dieses amüsanten Romans, idealisiert die Tierschützer nicht. Natürlich ist sie auf deren Seite, man selbst ist es als Leser auch, zu sympathisch durchgeknallt sind die Figuren, aber so einen richtigen Plan, wie es nach der Befreiung für die Hennen eigentlich weitergehen soll, haben die von ihrer Idee beseelten Aktivisten leider nicht. Für Zirkustiere gibt es Altenheime, für Wildtiere wie verirrte oder der Natur überdrüssige Kojoten Auffangstationen, doch wohin mit 900 000 Hennen? Danach von einem potentiellen Verbündeten gefragt, antworten Cleveland und ihre Freundin Janey, eine Halbwaise auf der Suche nach Halt: "Die Vögel sind frei." Das habe etwas Poetisches. Nur leider profitieren Hennen nicht von als poetisch verklärten Befreiungsaktionen.
Man kann dieses Buch auch als Plädoyer dafür lesen, die Henne endlich ernst zu nehmen. Zu Unrecht gilt sie als einfältig. Dass ein Huhn, auch nachdem ihm der Kopf abgeschlagen wurde, noch herumlaufen kann, heißt nicht, dass es auf diesen Kopf eigentlich verzichten könnte. Hühner lernen schnell, sind sozial veranlagt, und ihre Kommunikation ist komplex, denn sie können mehr als zwanzig verschiedene Ruflaute identifizieren. Trotz züchterischer Erbgutmanipulation, Reizentzug, Inzucht und Dauerstress sind selbst die Hennen der Happy Green Family Farm noch nicht vollends verblödete Gebilde aus "Restimpulsen und Fleisch". Insofern lohnt es sich aus Sicht der Aktivisten, den geschundenen Tieren die Freiheit zu schenken - nur, was sollen die Hennen mit dieser überhaupt anfangen?
Deb Olin Unferth: "Happy Green Family". Roman.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2022.
288 S., br., 20,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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