Sein frühes Meisterwerk: Haruki Murakami hat einen einmalig fantasievollen, wahnwitzigen und melancholischen Roman geschrieben! Mit kühner Fantastik und Fabulierkunst erzählt Japans größter zeitgenössischer Romancier in seinem Roman von zwei parallelen und wundersamen Reisen. In einem futuristisch brutalen Tokio der fernen Gegenwart tobt ein Datenkrieg zwischen dem ›System‹ der Kalkulatoren und einer Datenmafia, der ›Fabrik‹ der Semioten. Ein genialer und greiser Professor hat durch ein sicheres Codierverfahren im Unterbewusstsein allen Datendiebstahl unmöglich gemacht. Der Held und Ich-Erzähler in ›Hard-boiled Wonderland und Das Ende der Welt‹ überlebt die Bearbeitung seines Gehirns, aber nach einem Überfall auf das unterirdische Geheimlabor des Professors ist der implantierte ›Psychokern‹ wie eine Bombe im Hirn nicht mehr beherrschbar. ›Hard-boiled Wonderland und Das Ende der Welt‹ ist ein faszinierendes Leseabenteuer, rasant konstruiert zwischen den beiden Welten – einer realen an der Schwelle des Todes und einer anderen zeitlosen und zugleich seelenlosen. »Haruki Murakamis bester Roman« Hubert Winkels, DIE ZEIT
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.05.2006Das universelle „Du darfst”
Haruki Murakamis Roman „Hard-Boiled Wonderland und das Ende der Welt”
Nach der Lektüre dachte ich: Dieses Buch könnte ich mit erstaunlich geringem Aufwand meinem 15-jährigen Sohn beschreiben. Stell dir vor, würde ich sagen, zwei Romane, ineinander geschoben wie ein Kartenspiel, Kapitel für Kapitel abwechselnd. Der eine Roman, „Hard-Boiled Wonderland”, ist eine Mischung aus einem Mystery- und einem Jump-and-Run-Spiel für den PC. Allmählich entwickelt sich eine äußerst vertrackte Geschichte um Datenverschlüsselung und Datenklau, um neuronale Manipulationen und natürlich um den Krieg zweier Banden oder Systeme mit dem nicht geringen Kriegsziel: Weltherrschaft. Der Held des Spiels, unversehens mitten in die Ereignisse geraten, trägt nach und nach die Teile dieser Geschichte wie die eines Puzzles zusammen, nicht zum wenigsten aber muss er sich mit unterirdischen Schwärzlingen und oberirdischen bad Guys herumschlagen.
Der andere Roman, „Das Ende der Welt”, ist dagegen klassische Fantasy: Ein Mann findet sich in einer seltsamen, vollkommen in sich geschlossenen Welt gefangen. Von seiner Erinnerung in Form seines Schattens getrennt, beginnt er seine Seele zu verlieren, doch er rebelliert gegen diese innere Auslöschung und plant die Flucht aus der Stadt als eine Flucht aus der Seelenlosigkeit. Am Ende aber entscheidet er sich doch fürs Bleiben, aus Liebe zu einer Frau, mit der zusammen er ein, nun ja, richtiges Leben im Falschen versuchen will.
Und jetzt der Clou: Liest man die beiden Texte Kapitel für Kapitel abwechselnd, so versteht man allmählich, dass der Held aus dem PC-Spiel und der aus dem Fantasy-Roman ein und dieselbe Person sind, einmal vor und einmal nach den Folgen des Eingriffs in sein Gehirn. - Nach dieser Beschreibung würde sich mein Sohn wahrscheinlich für das Buch interessieren. Zumal er Murakamis „Kafka am Strand” und „Gefährliche Geliebte” schon gelesen und „richtig gut” gefunden hat.
Ich selbst hingegen mag beides nicht so sehr: Gewisse PC-Spiele und Fantasy-Romane. Die einen opfern in der Regel selbst die dünnste Story dem puren Aktionismus und der grafisch attraktiven Oberfläche. Die anderen huldigen hingegen dauernd und lautstark ihren stofflichen Erfindungen und folgen dabei einer Poetik des universellen „Du darfst”, sprich: die Einfälle reihen sich in fröhlicher Willkür aneinander, bis am Schluss alles, was nicht passt, passend gemacht wird. So als spiele man Schach nach Regeln, die Zug für Zug geändert werden, während allmählich auch die anderen Figuren aus der Großen Spielesammlung mittun dürfen. Ich will ganz offen sein: für mich ist das keine Literatur.
Nun täte ich Haruki Murakami freilich Unrecht, wenn ich aus solch persönlichen Prämissen ein Urteil über „Hard-Boiled Wonderland und Das Ende der Welt” entwickelte. Natürlich ist sein Doppel-Roman mehr als Game plus Fantasy - zumal er bereits vor 20 Jahren, also weit vor der Entstehung der einen bzw. dem Boom der anderen geschrieben wurde. Murakami ist das Original, das die anderen kopieren!
Glück durch Shopping
Im ersten Teil entwirft er mit dem Ich-Erzähler den mittlerweile fast dominierenden Typus des urbanen Singles. Der schaut gern alte Filme und identifiziert sich mit den Helden der Schwarzen Serie, dabei besteht sein täglicher Kampf eher darin, seinem reduzierten Alltag die unbedingt notwendigen Glücksmomente abzuringen, z.B. durch Shopping. Wenn es dann aber richtig über ihn hereinbricht, ist er so erstaunlich widerstandsfähig wie die Helden Hitchcocks. Ein intelligentes Sozialportrait, auch heute noch mit Gewinn zu lesen.
Auch die Story von „Hard-Boiled Wonderland” verschwindet nicht vollkommen in den unterirdischen Action-Szenen. Der Professor, der im Kopf des Helden ein paar Manipulationen vorgenommen hat, um ihn zu einer perfekten Verschlüsselungsmaschine zu machen, ist nicht nur „nutty” oder „evil”; vielmehr entlassen seine seltsamen Forschungen ein nach-aufklärerisches Menschenbild, in dem die Anteile von Prägung, Individualität und freiem Willen neu und nicht gerade erfreulich definiert sind.
Schließlich ist auch der zweite Teil, „Das Ende der Welt”, nicht Fantasy allein um der Fantasy willen. Die stille, hoch verschneite und emotionslose Welt hinter Mauern ist vielmehr eine Großmetapher für das Leben nach der Austreibung der Individualität, nach dem Absterben der Erinnerungen und der Emotionen.
Trotz alldem konnte ich das Buch im Gegensatz zu vielen Murakami-Fans, die zuletzt selbst für die vergriffene Taschenbuch-Ausgabe stolze Preise zahlten, nicht recht lieben. Während es selbst intelligent und unterhaltsam von Geheimnis zu Geheimnis eilte, ließ es mich immer weiter und ohne Fragen zurück. Als sich schließlich die beiden Helden nicht wieder zu einer vollen, ganzen Person vereinigten, war selbst dieses Ende „happy” genug, um mich von der Anteilnahme am Schicksal der Figur zu entheben. Und mein Bild vom autonomen Menschen fand sich in den Forschungen des Professors zwar schwer beschädigt; doch die Hauptfigur lebte mir vor, dass man mit seiner Auslöschung nicht allzu viel zu verlieren hat. Mir klang hier ein religiöser Grundton durch, der nicht meiner ist. Ich schätze Fatalismus gering!
Sie hören es durch meine Sätze hindurch: Der Respekt vor dem großen Kollegen verbietet mir, ex kathedra über das Buch zu urteilen. Ich schicke meinen Geschmack vor, mein Missbehagen zu entschuldigen. Alles an „Hard-Boiled Wonderland und Das Ende der Welt” ist wunderbar gelungen, fantasievoll und zugleich voller kulturpessimistischer Melancholie. Und wenn ich mich bei der Lektüre wie einer fühle, der sich mit einer Glasmurmel zudecken soll, dann ist das sicher mein Fehler und nicht der des Buches. BURKHARD SPINNEN
HARUKI MURAKAMI: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt. Roman. Aus dem Japanischen von Annelie Ortmanns. Dumont Verlag, Köln 2006. 506 Seiten, 24,90 Euro.
Aktionismus auf attraktiven Oberflächen: Das Computerspiel „Lineage II Chronicle 4: Scions of Destiny”
Foto: NCsoft
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Haruki Murakamis Roman „Hard-Boiled Wonderland und das Ende der Welt”
Nach der Lektüre dachte ich: Dieses Buch könnte ich mit erstaunlich geringem Aufwand meinem 15-jährigen Sohn beschreiben. Stell dir vor, würde ich sagen, zwei Romane, ineinander geschoben wie ein Kartenspiel, Kapitel für Kapitel abwechselnd. Der eine Roman, „Hard-Boiled Wonderland”, ist eine Mischung aus einem Mystery- und einem Jump-and-Run-Spiel für den PC. Allmählich entwickelt sich eine äußerst vertrackte Geschichte um Datenverschlüsselung und Datenklau, um neuronale Manipulationen und natürlich um den Krieg zweier Banden oder Systeme mit dem nicht geringen Kriegsziel: Weltherrschaft. Der Held des Spiels, unversehens mitten in die Ereignisse geraten, trägt nach und nach die Teile dieser Geschichte wie die eines Puzzles zusammen, nicht zum wenigsten aber muss er sich mit unterirdischen Schwärzlingen und oberirdischen bad Guys herumschlagen.
Der andere Roman, „Das Ende der Welt”, ist dagegen klassische Fantasy: Ein Mann findet sich in einer seltsamen, vollkommen in sich geschlossenen Welt gefangen. Von seiner Erinnerung in Form seines Schattens getrennt, beginnt er seine Seele zu verlieren, doch er rebelliert gegen diese innere Auslöschung und plant die Flucht aus der Stadt als eine Flucht aus der Seelenlosigkeit. Am Ende aber entscheidet er sich doch fürs Bleiben, aus Liebe zu einer Frau, mit der zusammen er ein, nun ja, richtiges Leben im Falschen versuchen will.
Und jetzt der Clou: Liest man die beiden Texte Kapitel für Kapitel abwechselnd, so versteht man allmählich, dass der Held aus dem PC-Spiel und der aus dem Fantasy-Roman ein und dieselbe Person sind, einmal vor und einmal nach den Folgen des Eingriffs in sein Gehirn. - Nach dieser Beschreibung würde sich mein Sohn wahrscheinlich für das Buch interessieren. Zumal er Murakamis „Kafka am Strand” und „Gefährliche Geliebte” schon gelesen und „richtig gut” gefunden hat.
Ich selbst hingegen mag beides nicht so sehr: Gewisse PC-Spiele und Fantasy-Romane. Die einen opfern in der Regel selbst die dünnste Story dem puren Aktionismus und der grafisch attraktiven Oberfläche. Die anderen huldigen hingegen dauernd und lautstark ihren stofflichen Erfindungen und folgen dabei einer Poetik des universellen „Du darfst”, sprich: die Einfälle reihen sich in fröhlicher Willkür aneinander, bis am Schluss alles, was nicht passt, passend gemacht wird. So als spiele man Schach nach Regeln, die Zug für Zug geändert werden, während allmählich auch die anderen Figuren aus der Großen Spielesammlung mittun dürfen. Ich will ganz offen sein: für mich ist das keine Literatur.
Nun täte ich Haruki Murakami freilich Unrecht, wenn ich aus solch persönlichen Prämissen ein Urteil über „Hard-Boiled Wonderland und Das Ende der Welt” entwickelte. Natürlich ist sein Doppel-Roman mehr als Game plus Fantasy - zumal er bereits vor 20 Jahren, also weit vor der Entstehung der einen bzw. dem Boom der anderen geschrieben wurde. Murakami ist das Original, das die anderen kopieren!
Glück durch Shopping
Im ersten Teil entwirft er mit dem Ich-Erzähler den mittlerweile fast dominierenden Typus des urbanen Singles. Der schaut gern alte Filme und identifiziert sich mit den Helden der Schwarzen Serie, dabei besteht sein täglicher Kampf eher darin, seinem reduzierten Alltag die unbedingt notwendigen Glücksmomente abzuringen, z.B. durch Shopping. Wenn es dann aber richtig über ihn hereinbricht, ist er so erstaunlich widerstandsfähig wie die Helden Hitchcocks. Ein intelligentes Sozialportrait, auch heute noch mit Gewinn zu lesen.
Auch die Story von „Hard-Boiled Wonderland” verschwindet nicht vollkommen in den unterirdischen Action-Szenen. Der Professor, der im Kopf des Helden ein paar Manipulationen vorgenommen hat, um ihn zu einer perfekten Verschlüsselungsmaschine zu machen, ist nicht nur „nutty” oder „evil”; vielmehr entlassen seine seltsamen Forschungen ein nach-aufklärerisches Menschenbild, in dem die Anteile von Prägung, Individualität und freiem Willen neu und nicht gerade erfreulich definiert sind.
Schließlich ist auch der zweite Teil, „Das Ende der Welt”, nicht Fantasy allein um der Fantasy willen. Die stille, hoch verschneite und emotionslose Welt hinter Mauern ist vielmehr eine Großmetapher für das Leben nach der Austreibung der Individualität, nach dem Absterben der Erinnerungen und der Emotionen.
Trotz alldem konnte ich das Buch im Gegensatz zu vielen Murakami-Fans, die zuletzt selbst für die vergriffene Taschenbuch-Ausgabe stolze Preise zahlten, nicht recht lieben. Während es selbst intelligent und unterhaltsam von Geheimnis zu Geheimnis eilte, ließ es mich immer weiter und ohne Fragen zurück. Als sich schließlich die beiden Helden nicht wieder zu einer vollen, ganzen Person vereinigten, war selbst dieses Ende „happy” genug, um mich von der Anteilnahme am Schicksal der Figur zu entheben. Und mein Bild vom autonomen Menschen fand sich in den Forschungen des Professors zwar schwer beschädigt; doch die Hauptfigur lebte mir vor, dass man mit seiner Auslöschung nicht allzu viel zu verlieren hat. Mir klang hier ein religiöser Grundton durch, der nicht meiner ist. Ich schätze Fatalismus gering!
Sie hören es durch meine Sätze hindurch: Der Respekt vor dem großen Kollegen verbietet mir, ex kathedra über das Buch zu urteilen. Ich schicke meinen Geschmack vor, mein Missbehagen zu entschuldigen. Alles an „Hard-Boiled Wonderland und Das Ende der Welt” ist wunderbar gelungen, fantasievoll und zugleich voller kulturpessimistischer Melancholie. Und wenn ich mich bei der Lektüre wie einer fühle, der sich mit einer Glasmurmel zudecken soll, dann ist das sicher mein Fehler und nicht der des Buches. BURKHARD SPINNEN
HARUKI MURAKAMI: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt. Roman. Aus dem Japanischen von Annelie Ortmanns. Dumont Verlag, Köln 2006. 506 Seiten, 24,90 Euro.
Aktionismus auf attraktiven Oberflächen: Das Computerspiel „Lineage II Chronicle 4: Scions of Destiny”
Foto: NCsoft
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
In das "Herzstück der Romanwelt" des Haruki Murakami glaubt Hubert Winkels geschaut zu haben - mit all ihren irrlichternden und gleichwohl "coolen" Helden und den "unheimlichen Sehnsuchtsschächten, in die sie immer wieder fallen". Um es kurz zu machen: Winkels hält diesen Roman für Murakamis "vielleicht bestes Buch". Natürlich ließe sich die Geschichte des Helden, der zwischen die Mühlsteine und Quellcodes zweier Systeme gerät, als klassische SF-Variation lesen, so Winkels. Aber Murakami wäre nicht der "kluge Erzähler", als den man ihn kennt, wenn er nicht eine zutiefst beunruhigende mythologische Ebene einziehen würde: Eine kunstvolle zweiteilige Romanstruktur läßt den Protagonisten zwischen zwei Welten oszillieren: einer verlockenden mit ihrer "aufgeblähten Fleischlichkeit" und einer Gegenwelt ohne Begehrlichkeiten und Erinnerungen und folglich ohne Willen. Als was dieser Roman zu lesen ist, als Antiutopie, als Einblick in die Ödwelt eines urbanen Konsumjunkies, dem man die "lustigen Wohlfühlgehäuse wegrasiert" hat - diese Entscheidung überlässt Winkels dem Leser. Für den "metaphysischen Analphabeten" freilich öffnet dieser Roman zumindest einen Einblick in die schillende "gnostische Tiefenstruktur" des japanischen Erzählers.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH