Der vergessene Rebell: Die erste Biografie über den Freiheitskämpfer, Dichter und Maler Harro Harring Harro Harring ist der tragische Held der politischen Romantik, der "Dichter Unbekannt" des 19. Jahrhunderts. Der gebürtige Friese liebte die schönen Künste – und er liebte den Kampf für die Freiheit. Zu Lebzeiten gleichermaßen verehrt und gefürchtet, kämpfte er an der Seite von Guiseppe Mazzini für ein vereintes Europa ohne Grenzen, schrieb flammende Plädoyers zur Gleichberechtigung der Frau und berichtete als einer der ersten von der Sklaverei in Brasilien. In Peter Mathews, fesselnder Biografie verdichtet sich die Lebensgeschichte des heute nahezu vergessenen Rebellen zu einer Meistererzählung des stürmischen deutschen Vormärz. 1798 als Sohn eines Deichgrafen bei Husum geboren, zog Harro Harring in die Welt, um das Malen zu lernen. 1821 ging er nach Griechenland, um für die Freiheit Griechenlands gegen die Türken zu kämpfen, und verfasste nach dem Warschauer Aufstand 1830 einen entlarvenden Bericht über Polen unter russischer Herrschaft, der unmittelbar ein Bestseller, aber auch sofort verboten wurde und in Deutschland eine Polenbegeisterung auslöste. 1832 wurden seine Lieder auf dem Hambacher Schloss gesungen. Harring gehörte zum Kreis des Geheimbundes des "Jungen Europa", das 1834 unter der Leitung von Giuseppe Mazzini ein vereintes Europa ohne Grenzen forderte, und wurde von Metternichs Agenten verfolgt. Er floh nach England, Helgoland und Brasilien, traf in New York Edgar Allen Poe und Margaret Fuller und versuchte 1848 vergeblich, die Friesen zum Kampf für die Freiheit zu rufen. Über zwanzig Mal wurde der Lyriker und Romancier für seine Aktivitäten verhaftet, er war als vogelwilder Rebell berühmt und scheiterte wie die Revolution selbst. Harring war ein Wegweiser in eine neue Zeit und starb doch vergessen und verarmt 1870 durch eigene Hand.
Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
Biograf Peter Mathews ist dem Helden seiner Biografie verfallen, glaubt Rezensent Elmar Krekeler. Was Krekeler nachvollziehbar findet, ihm scheint es ähnlich gegangen zu sein: Hingerissen ist er von den Geschichten um diesen Freiheitskämpfer, die Mathews zu einem "herrlich seltsamem Bällebad" zusammenfließen lässt. Krekeler beschreibt Harring als "meistgesuchten, meistverhafteten und meistabgeschobenen Dichter des 19. Jahrhunderts" und wundert sich, dass seine Biografie erste jetzt geschrieben wurde, so viel habe der Revolutionär und Schriftsteller an Briefen, Romanen und Autobiografischem hinterlassen, außerdem sei er von Heinrich Heine über Ibsen und Viktor Hugo bis Karl Marx mit allen bekannt gewesen. Abgesehen von dieser sehr spannenden fast romanhaften Biografie erzählt Mathews außerdem die Geschichte des deutschen Bundes von 1810-1870, für Krekeler eine "prima Einstiegsdroge" in die deutsche Geschichte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.12.2017Der rastlose Aufständische
Peter Mathews erzählt das Leben von Harro Harring
In den gut drei Jahrzehnten zwischen der Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress und der Märzrevolution 1848 war Harro Harring bei fast jeder Rebellion dabei. Im philhellenischen Kampf der Griechen gegen die Osmanen 1821 wie im polnischen Novemberaufstand gegen den russischen Zaren 1830, beim revolutionären Hambacher Fest und Frankfurter Wachensturm 1832/33 wie ein Jahr später als Mitglied in Giuseppe Mazzinis Geheimbund "Junges Europa". In Rio de Janeiro will er 1842 gegen Unterdrückung und Sklaverei die Vereinigten Staaten von Südamerika begründen, 1848 kämpft er in seiner Heimat für ein freies Friesland und wenig später für eine panskandinavische Republik. In Kämpfen und Duellen bekommt er dabei einiges ab, wird oft inhaftiert, ausgewiesen und von Agenten verfolgt. Vor allem ist Harro Harring aber auch ein Mann des Wortes.
Mindestens so unglaublich wie dieses rastlose Leben eines revolutionären Schriftstellers ist, dass er fast völlig in Vergessenheit geriet. Der nordfriesische Bauernsohn, der als Zolllehrling in die Welt zog, Malerei studierte und dann als politischer Publizist überall gekannt und gefürchtet war, fand gegen Ende fast nur noch im Husumer Gerichtsherrn Theodor Storm einen Fürsprecher. Der plädierte 1867 dafür, diesem überspannten, aber letztlich harmlosen "alten müden Abenteurer die Rückkehr und das Grab in der Heimat" nicht zu versagen. Doch Harring, der sich von preußischen und russischen Agenten verfolgt wähnte, erdolcht sich 1870 an seinem letzten Zufluchtsort, der Kanalinsel Jersey.
Das Leben dieses Abenteuers hat der Publizist Peter Mathews jetzt in einem selbst ziemlich abenteuerlichen Buch eingefangen. Der Untertitel "Geschichte" ist naturgemäß doppeldeutig, denn dieses Lebensbild ist Historia und Fabula zugleich. Vor allem im ersten Drittel weiß der Biograph stets, wie sein Held sich gerade fühlt, was er und andere denken und sagen. In Dresden etwa hört er Schopenhauer am Nebentisch raunen, der alte Goethe wolle "seine junge Geliebte mit orientalischen Oden auf den Diwan zwingen". Selbst als Harring 1848 wegen einer Satire aus Norwegen ausgewiesen werden soll und sich eine spontane Demonstration dagegen erhebt, der jungen Henrik Ibsen ist darunter, glaubt Mathews eines kitschigen Hintergrunds zu bedürfen: "Die See war still und die Sonne stand hoch, die Wolken spiegelten sich im Wasser, Berge leuchteten in der Ferne, der Klabautermann der Freiheit verließ Christiania."
Solche redseligen Kommentare verfehlen leider das Ziel, Situationen nahezubringen. Statt zu lesen, Harring habe den letzten Brief seiner Verlobten zerrissen und ins Meer geworfen, würde man lieber wissen, was darin stand. Einige Briefe an Heinrich Todsen, der sich des Halbwaisen nach dem frühen Tod des Vaters annahm, zieht Mathews zwar aus der Landesbibliothek Kiel heran, was ist aber mit den zahlreichen weiteren Korrespondenzstücken, die nach Ausweis der Datenbank "Kalliope" weit verstreut sind? Harring hat sein Leben selbst mehrfach beschrieben, in der dänischen "Biographisk Skitse" (1863) wie auch in den "Erinnerungen aus Warschau", den "Memoires sur la Jeune Italie" oder der "Skizze aus London". Zugleich wurde er verschiedentlich porträtiert, etwa in New York von dem Diplomaten Alexander H. Everett in der "Democratic Review", was ihm auch zur amerikanischen Staatsbürgerschaft verhalf.
Es wäre also nicht sonderlich schwierig gewesen, belegbare Informationen als solche zu markieren und von den teils kühnen Erfindungen abzuheben. Das reiche Material über diese Ausnahmeexistenz hätte es jedenfalls verdient. Harring stand mit vielen Größen seiner Zeit in Kontakt. Während Byron, Börne, Garibaldi, Heine, Victor Hugo oder Poe aber Geschichte schrieben, geriet dieser "Hund der Revolution" völlig in Vergessenheit. Karl Marx, der den Republikaner Harring in London traf, schrieb in seinem geheimen, erst 1935 entdeckten Dossier "Die großen Männer des Exils" über diesen "Emigrationsagitator": "heute unter Wasserpolacken, morgen unter Gauchos, übermorgen unter Schiffskapitänen; verkannt, verlassen, ignoriert, überall aber irrender Ritter der Freiheit".
Harring schrieb dabei unaufhörlich Freiheitslieder, Pamphlete, politische Tendenzstücke fürs Theater, Reiseskizzen oder den Südamerika-Roman "Dolores". Von diesen Werken hätte man gerne mehr als ein paar beiläufige Inhaltsangaben erfahren. Mathews interessiert sich dafür kaum, ihn treibt die Begeisterung für den Rebellen voran, manchmal so vehement, dass er den Boden unter den Füßen verliert. Es gelingt ihm immerhin eine flott geschriebene "Geschichte", die im Sinne eines biographischen Romans viele politische Wirren des Deutschen Bundes und Europas erhellt, der man aber eben nicht alles glauben darf.
ALEXANDER KOSENINA
Peter Mathews: "Harro Harring". Rebell der Freiheit. Die Geschichte des Dichters, Malers und Revolutionärs 1798-1870.
Europa Verlag, Berlin, München, Zürich, Wien 2017. 447 S., Abb., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Peter Mathews erzählt das Leben von Harro Harring
In den gut drei Jahrzehnten zwischen der Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress und der Märzrevolution 1848 war Harro Harring bei fast jeder Rebellion dabei. Im philhellenischen Kampf der Griechen gegen die Osmanen 1821 wie im polnischen Novemberaufstand gegen den russischen Zaren 1830, beim revolutionären Hambacher Fest und Frankfurter Wachensturm 1832/33 wie ein Jahr später als Mitglied in Giuseppe Mazzinis Geheimbund "Junges Europa". In Rio de Janeiro will er 1842 gegen Unterdrückung und Sklaverei die Vereinigten Staaten von Südamerika begründen, 1848 kämpft er in seiner Heimat für ein freies Friesland und wenig später für eine panskandinavische Republik. In Kämpfen und Duellen bekommt er dabei einiges ab, wird oft inhaftiert, ausgewiesen und von Agenten verfolgt. Vor allem ist Harro Harring aber auch ein Mann des Wortes.
Mindestens so unglaublich wie dieses rastlose Leben eines revolutionären Schriftstellers ist, dass er fast völlig in Vergessenheit geriet. Der nordfriesische Bauernsohn, der als Zolllehrling in die Welt zog, Malerei studierte und dann als politischer Publizist überall gekannt und gefürchtet war, fand gegen Ende fast nur noch im Husumer Gerichtsherrn Theodor Storm einen Fürsprecher. Der plädierte 1867 dafür, diesem überspannten, aber letztlich harmlosen "alten müden Abenteurer die Rückkehr und das Grab in der Heimat" nicht zu versagen. Doch Harring, der sich von preußischen und russischen Agenten verfolgt wähnte, erdolcht sich 1870 an seinem letzten Zufluchtsort, der Kanalinsel Jersey.
Das Leben dieses Abenteuers hat der Publizist Peter Mathews jetzt in einem selbst ziemlich abenteuerlichen Buch eingefangen. Der Untertitel "Geschichte" ist naturgemäß doppeldeutig, denn dieses Lebensbild ist Historia und Fabula zugleich. Vor allem im ersten Drittel weiß der Biograph stets, wie sein Held sich gerade fühlt, was er und andere denken und sagen. In Dresden etwa hört er Schopenhauer am Nebentisch raunen, der alte Goethe wolle "seine junge Geliebte mit orientalischen Oden auf den Diwan zwingen". Selbst als Harring 1848 wegen einer Satire aus Norwegen ausgewiesen werden soll und sich eine spontane Demonstration dagegen erhebt, der jungen Henrik Ibsen ist darunter, glaubt Mathews eines kitschigen Hintergrunds zu bedürfen: "Die See war still und die Sonne stand hoch, die Wolken spiegelten sich im Wasser, Berge leuchteten in der Ferne, der Klabautermann der Freiheit verließ Christiania."
Solche redseligen Kommentare verfehlen leider das Ziel, Situationen nahezubringen. Statt zu lesen, Harring habe den letzten Brief seiner Verlobten zerrissen und ins Meer geworfen, würde man lieber wissen, was darin stand. Einige Briefe an Heinrich Todsen, der sich des Halbwaisen nach dem frühen Tod des Vaters annahm, zieht Mathews zwar aus der Landesbibliothek Kiel heran, was ist aber mit den zahlreichen weiteren Korrespondenzstücken, die nach Ausweis der Datenbank "Kalliope" weit verstreut sind? Harring hat sein Leben selbst mehrfach beschrieben, in der dänischen "Biographisk Skitse" (1863) wie auch in den "Erinnerungen aus Warschau", den "Memoires sur la Jeune Italie" oder der "Skizze aus London". Zugleich wurde er verschiedentlich porträtiert, etwa in New York von dem Diplomaten Alexander H. Everett in der "Democratic Review", was ihm auch zur amerikanischen Staatsbürgerschaft verhalf.
Es wäre also nicht sonderlich schwierig gewesen, belegbare Informationen als solche zu markieren und von den teils kühnen Erfindungen abzuheben. Das reiche Material über diese Ausnahmeexistenz hätte es jedenfalls verdient. Harring stand mit vielen Größen seiner Zeit in Kontakt. Während Byron, Börne, Garibaldi, Heine, Victor Hugo oder Poe aber Geschichte schrieben, geriet dieser "Hund der Revolution" völlig in Vergessenheit. Karl Marx, der den Republikaner Harring in London traf, schrieb in seinem geheimen, erst 1935 entdeckten Dossier "Die großen Männer des Exils" über diesen "Emigrationsagitator": "heute unter Wasserpolacken, morgen unter Gauchos, übermorgen unter Schiffskapitänen; verkannt, verlassen, ignoriert, überall aber irrender Ritter der Freiheit".
Harring schrieb dabei unaufhörlich Freiheitslieder, Pamphlete, politische Tendenzstücke fürs Theater, Reiseskizzen oder den Südamerika-Roman "Dolores". Von diesen Werken hätte man gerne mehr als ein paar beiläufige Inhaltsangaben erfahren. Mathews interessiert sich dafür kaum, ihn treibt die Begeisterung für den Rebellen voran, manchmal so vehement, dass er den Boden unter den Füßen verliert. Es gelingt ihm immerhin eine flott geschriebene "Geschichte", die im Sinne eines biographischen Romans viele politische Wirren des Deutschen Bundes und Europas erhellt, der man aber eben nicht alles glauben darf.
ALEXANDER KOSENINA
Peter Mathews: "Harro Harring". Rebell der Freiheit. Die Geschichte des Dichters, Malers und Revolutionärs 1798-1870.
Europa Verlag, Berlin, München, Zürich, Wien 2017. 447 S., Abb., geb., 22,90 [Euro].
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