Der Hass, dieses knirschende, zersetzende Gefühl, ist allgegenwärtig. Er brüllt von den Straßen oder flüstert in gutbürgerlicher Feindseligkeit. Er wächst in Parlamentsreden, Querköpfen und Kinderzimmern, und ganz bestimmt nicht im Verborgenen, auch wenn viele ihn gerne dorthin verdammen würden.
Seyda Kurt holt den Hass raus aus der Verbannung und begibt sich auf die Spuren seines widerständigen Potentials. Dabei interessieren sie vor allem die Menschen als die Subjekte von Hass in einer kapitalistischen, rassistischen und patriarchalen Welt. Wer sind sie, diese Hassenden, und aus welchen Machtverhältnissen kommen sie? Wer darf überhaupt hassen und wer nicht? Welche Gefühle lähmen, welche Gefühle helfen, nicht zu erstarren, und sich immer und immer weiter zu bewegen auf dem Weg in eine gerechtere und zärtliche Gesellschaft?
Schonungslos, launig und jenseits selbstgerechter Entrüstung erkundet Seyda Kurt den Hass von seiner schöpferischen Seite: als Kategorie der Ermächtigung, der Menschen in ihrem innersten Unbehagen abholen und mobilisieren kann, als widerständiges Handwerk - und nicht zuletzt als dienliches Gefühl, das uns hilft, uns in einem Ozean aus möglichen Reaktionen auf die Welt zurechtzufinden.
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Seyda Kurt über gute Seiten des Hasses
Vor zwei Jahren schrieb Seyda Kurt in ihrem Buch "Radikale Zärtlichkeit", die Liebe sei politisch. Ihre Gedanken über ein intimes Miteinander jenseits monogamer Paarbeziehungen stießen gerade bei jüngeren Lesern, die anfingen, Zitate auf Instagram herumzureichen, auf großes Interesse. Anschließend befürchtete Kurt, als "Herzchenhippie" in Erinnerung zu bleiben. Unter dem Titel "Hass - Von der Macht eines widerständigen Gefühls" will sie jetzt richtigstellen: Radikale Zärtlichkeit ist "keine Aufforderung, lieb zu Nazis zu sein". Manchmal sei Hass ein gutes Recht, vielleicht sogar eine politische Pflicht.
Obwohl sie einräumt, ein Unbehagen angesichts eines vermeintlichen Schubladendenkens in der westlichen Philosophie zu verspüren, zeichnet Kurt die westliche Ideengeschichte des Hasses nach: Seit der griechischen Antike sei der Hass als ein Verlangen nach Schaden verstanden worden, als gefährlicher Affekt. Die christliche Tradition habe ihr Übriges getan und den Hass zum abtrünnigen Element des Widerstands gegen die göttliche und irdische Ordnung erklärt. Anderen negativen Emotionen könne die westliche Tradition durchaus noch etwas abgewinnen. Die Empörung etwa sei regelrecht "nobel angesichts der Ungerechtigkeiten der Welt", und die Wut werde akzeptiert, solange sie "augenzwinkernd, lifestylefeministisch und bloß nicht zu aggressiv daherkommt".
Sich hiervon abgrenzend, will Kurt dem Hass etwas Produktives abgewinnen. Sie setzt der These, dass Hass, egal, von wem er ausgeht, moralisch verwerflich sei, Gegenbeispiele entgegen. Im Unterschied zu Carolin Emcke, die 2016 gegen den Hass der Rechten anschrieb, richtet Kurt den Fokus auf den Hass jener, die von Rechten gehasst wurden und werden: kolonisierte, schwarze oder jüdische Menschen, Frauen und queere Personen. Sie schreibt über den bewaffneten Widerstand der Juden im Warschauer Ghetto, über die kurdische Revolutionärin Sakine Cansiz und über Luisa Toledo Sepúlveda, die drei Kinder an die faschistische Militärdiktatur in Chile verloren hat. Sie erzählt von Ilja Jakowlewitsch Lunew aus Maxim Gorkis Roman "Drei Menschen" und von ihrem persönlichen Hass auf Faschisten, deren Aufmärsche sie in ihrer Jugend blockierte.
Anhand dieser Geschichten, gespickt mit Zitaten von Frantz Fanon oder Achille Mbembe, präsentiert Kurt den Hass als widerständige Handlungsform, die politische Veränderung antreiben kann. Diese Ausprägung des Hasses als Instrument der Selbstverteidigung nennt sie "strategischen Hass". Es soll eine Art von Hass sein, die Menschen nicht zustößt, sondern von den Unterdrückten gewählt wird, um sich zu verteidigen oder um Rache zu üben.
Es drängt sich die Frage auf: Geht das überhaupt, den Hass wählen? Kann man sich zu einem Gefühl entscheiden? Oder, wenn der strategische Hass kein Gefühl ist, ist er dann überhaupt noch Hass? Diese analytische Unschärfe wie auch andere Schwachstellen nimmt Kurt selbst vorweg, wenn sie schon im Prolog schreibt, dass sie sich widersprechen wird. Eine solche um sich selbst kreisende Reflexion wirkt durchaus wie ein allzu einfacher Ausweg.
Seyda Kurt weiß, dass der Hass schon dem Klang nach eine Anmaßung ist - er pfeife "ungelenk und feindselig, wie ein kalter, unbändiger Durchzug". Sie hat sich bewusst für den Hass entschieden, um die "Friede-Freude-Eierkuchen"-Mentalität derer zu entlarven, die glauben, man könne Unrecht mit Herzen auf Pappschildern oder Regenbogenbinden aus der Welt schaffen.
Obwohl der Titel ein Gegenstück zu ihrem Bestseller über die Zärtlichkeit vermuten lässt, stellt sich "Hass" als andere Seite derselben Medaille heraus. Die richtigen Menschen zu hassen ist nicht das Gegenteil von radikaler Zärtlichkeit, sondern gehört ebenso zu Kurts Vorstellung einer herrschaftsfreien Welt. Sie will fast alle politischen Strukturen des westlichen Rechtsstaats aushebeln. Ziel ist es, eine politisierte, moralische Gesellschaft auszubilden, in der Gerichte und Gefängnisse überflüssig werden und alle kolonialen und patriarchalen Muster überwunden sind. Abgesehen davon, dass diese Ideen nicht umzusetzen sind, fragt sich, wie ernst man ein Sachbuch nehmen kann, das eine solche Utopie propagiert. HELENA SCHÄFER
Seyda Kurt: "Hass". Von der Macht eines widerständigen Gefühls.
HarperCollins Verlag, Hamburg 2023. 208 S., Abb., br., 18,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main