David Hauser, Geschäftsführer der Firma AIRDROP, findet sich plötzlich in einer wüstenähnlichen, kargen Gegend wieder. Wer will ihn loswerden? Geschäftsführer David Hauser erinnert sich nicht, wie er in die Box geraten ist. Was er weiß: Jemand will ihn loswerden. Seine Firma AIRDROP stellt sogenannte Rückführungsboxen her, in denen Asylbewerber, deren Aufenthaltsgenehmigung abgelehnt worden ist, mittels eigens hierfür entwickelter Flugzeuge in ihre Herkunftsregionen zurückbefördert werden. Kurz vor dem Abwurf kommt Hauser zu Bewusstsein und findet sich wenig später in einer kargen, wüstenähnlichen und doch bergigen Landschaft wieder, in fremder Kleidung und mit gefälschten Papieren. Wo ist er? Syrien? Afghanistan? Wie konnte er, ohne es bemerkt zu haben, in die Box gesteckt worden sein? Er weiß ja, dass nicht alle hinter seinen Unternehmungen stehen – ganz vorn dabei sein sich linken Idealen verschriebener Vater –, aber wer würde so weit gehen, ihn auf diese Weise auslöschen zu wollen? Schnell wird Hauser bewusst: Der in seiner Box mitgeführte Proviant wird nicht lange vorhalten. Doch bevor er Hitze und Hunger zum Trotz einen Überlebensplan schmieden kann, wird er angegriffen und überwältigt… Ein spannungsgeladener, politischer und sprachmächtiger Roman voller meisterhafter Monologe – und unterhaltsamer Dialoge.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.09.2022Ein Unternehmer im freien Fall
Robinsonade im Niemandsland: In Steffen Menschings Roman "Hausers Ausflug" geht es ums nackte Überleben
An das Epigraph, das "Hausers Ausflug" vorangestellt ist, erinnert man sich spätestens im letzten Viertel des Buchs. Da ahnt man, dass es die Lösung des Rätsels wohl nicht geben wird, das aber auch gar nicht so wichtig ist. Denn wie hieß es am Anfang? "Von einem gewissen Punkt an gibt es keine Rückkehr mehr. Dieser Punkt ist zu erreichen. Franz Kafka, Zürauer Zettel, Nr. 5." David Hauser hat den Punkt erreicht, der Alte wird er nicht mehr, auch wenn er herausbekommen sollte, wer ihn aus seinem komfortablen Berliner Leben in ein karges Niemandsland befördert hat.
Steffen Menschings Roman beginnt mit einer mysteriösen Entführung, und auch ohne Kafka-Zitat wäre man an "Die Verwandlung" erinnert. Der Unternehmer David Hauser erwacht und ist zwar kein Insekt, doch Teil einer Apparatur, an die er geschnallt ist. Mit Gregor Samsa teilt er die Gefasstheit, mit der er seine Lage akzeptiert. Keine Panik, kein Verzweifeln, kein Ausrasten, das kommt erst viel später. Pragmatisch analysiert Hauser die Situation und wer ihn in diese gebracht haben könnte. Dabei weiß er schon mal mehr als seine Leser, und wie sich aus seinen fieberhaften Gedankengängen nach und nach erschließt, was es auf sich hat mit dieser Kiste, die, aus einem unbemannten Flugzeug abgeworfen, einen Menschen unverletzt zu Boden befördert, ist von großem Raffinement.
Nach seinem vielgelobten, achthundert Seiten dicken Roman "Schermanns Augen" hat Steffen Mensching ein deutlich schmaleres Buch geschrieben, dessen wieder lakonisch-knapper Titel schon eine gewisse Distanz zu diesem Hauser beinhaltet. Einem Unternehmer, dem ein erfolgreich abgewickeltes Geschäft näher ist als ethische Fragen, Profiteur einer Situation, die der deutschen Regierung in einer nahen Zukunft, in der der Roman spielt, über den Kopf gewachsen ist: Wie wird man abgewiesene Asylbewerber wieder los? Im Jahr 2029 befinden sich drei Millionen Ukrainer in Deutschland, die dem Frieden in der neutralen Zone, zu der das Land erklärt wurde, nicht trauen, was die Toleranz für Flüchtlinge aus anderen Teilen der Welt nicht gerade erhöht.
Mensching widersteht dem Reiz, den Blick nach vorn in grellen Farben zu zeichnen. Er deutet bloß an, ein verzagtes Deutschland, in dem die Krisen und Befindlichkeiten des Jahres 2022 weiterschwelen. Die sechste - und bis dato schlimmste - Corona-Welle ist eben überstanden, Björn Höckes neue Partei sitzt im Bundestag. Nur ein Detail wird präzise ausgemalt und verrät nichts Gutes über die moralische Verfasstheit des Landes: die Konstruktion, in der Hauser sich wiederfindet, ein Produkt einer Firma namens Airdrop, deren Gründer und CEO er ist. Die Regierung hat bei der von Airdrop angebotenen Lösung des Asylbewerber-Problems gern zugegriffen. Die Rückführung in die rücknahmeunwilligen Heimatländer erfolgt nun per Abwurf aus dem Flugzeug in einer hoch technisierten Kiste, die das Überleben des Passagiers sichert, sowie dessen Landung in unbewohntem, von der nächsten Siedlung nicht allzu weit entferntem Gebiet.
Nun hat man sich auf diesem Weg auch Hausers entledigt. Eine Robinsonade beginnt, in klassischer, aber dennoch vielversprechender Konstellation: Reicher Zyniker - "Mein Vater war Kommunist, ich bin Konsumist" - mit Vorliebe für Maßanzüge und italienische Halbschuhe findet sich in menschenleerer Landschaft wieder, in schäbiger Kleidung, mit nichts als ein paar Energieriegeln, etwas Wasser, ein paar Zigaretten und einem syrischen Pass, der sein Bild zeigt. Die unvermeidliche Konfrontation mit sich selbst und dem abhandengekommenen saturierten Leben wird bei Hauser überdeckt von der Frage, wer ein Interesse haben könnte, ihm derart übel mitzuspielen. Linke Kreise, zu deren Lieblingsfeind er geworden ist? Der Staatssekretär, dem aufging, dass es unvorsichtig war, das Genehmigungsverfahren für Airdrop hinter den Kulissen zu beschleunigen? Sein Schriftsteller-Vater, der ihn schon mal mit den Reichsbahnangestellten verglichen hat, die die Transportzüge in die Vernichtungslager lenkten?
Mensching legt reizvolle Fährten in Milieus und zu gesellschaftlichen Reibungspunkten, geht ihnen aber nicht nach, sondern verengt den Plot zum Kammerspiel, was mit ein paar Enttäuschungen einhergeht. Als der einzige weitere Protagonist auftaucht, ein Bewohner des, wie Hauser inzwischen weiß, kurdischen Gebiets am Rand der Türkei, verliert der Roman an Fahrt, aus dem Überlebenskampf wird eine Geiselhaft, die Männer stapfen lange durch unwirtliche Landschaft. Der zunächst stumm und namenlos bleibende Andere gewinnt nicht richtig an Kontur, ist mehr Spiegel als Gegenüber. Hauser geht die emotionale Dürftigkeit seiner eigenen Existenz langsam auf, er beginnt die Familie zu vermissen, die er nicht hat. Dass er am Ende zu jenem Humanismus fähig ist, den er als Haltung an seinem Vater immer so überholt fand, und die Erzähltemperatur dabei kein bisschen ins Gefühlige steigt - das liest sich dann doch wieder sehr gut. PETRA AHNE
Steffen Mensching: "Hausers Ausflug". Roman.
Wallstein Verlag, Göttingen 2022. 249 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Robinsonade im Niemandsland: In Steffen Menschings Roman "Hausers Ausflug" geht es ums nackte Überleben
An das Epigraph, das "Hausers Ausflug" vorangestellt ist, erinnert man sich spätestens im letzten Viertel des Buchs. Da ahnt man, dass es die Lösung des Rätsels wohl nicht geben wird, das aber auch gar nicht so wichtig ist. Denn wie hieß es am Anfang? "Von einem gewissen Punkt an gibt es keine Rückkehr mehr. Dieser Punkt ist zu erreichen. Franz Kafka, Zürauer Zettel, Nr. 5." David Hauser hat den Punkt erreicht, der Alte wird er nicht mehr, auch wenn er herausbekommen sollte, wer ihn aus seinem komfortablen Berliner Leben in ein karges Niemandsland befördert hat.
Steffen Menschings Roman beginnt mit einer mysteriösen Entführung, und auch ohne Kafka-Zitat wäre man an "Die Verwandlung" erinnert. Der Unternehmer David Hauser erwacht und ist zwar kein Insekt, doch Teil einer Apparatur, an die er geschnallt ist. Mit Gregor Samsa teilt er die Gefasstheit, mit der er seine Lage akzeptiert. Keine Panik, kein Verzweifeln, kein Ausrasten, das kommt erst viel später. Pragmatisch analysiert Hauser die Situation und wer ihn in diese gebracht haben könnte. Dabei weiß er schon mal mehr als seine Leser, und wie sich aus seinen fieberhaften Gedankengängen nach und nach erschließt, was es auf sich hat mit dieser Kiste, die, aus einem unbemannten Flugzeug abgeworfen, einen Menschen unverletzt zu Boden befördert, ist von großem Raffinement.
Nach seinem vielgelobten, achthundert Seiten dicken Roman "Schermanns Augen" hat Steffen Mensching ein deutlich schmaleres Buch geschrieben, dessen wieder lakonisch-knapper Titel schon eine gewisse Distanz zu diesem Hauser beinhaltet. Einem Unternehmer, dem ein erfolgreich abgewickeltes Geschäft näher ist als ethische Fragen, Profiteur einer Situation, die der deutschen Regierung in einer nahen Zukunft, in der der Roman spielt, über den Kopf gewachsen ist: Wie wird man abgewiesene Asylbewerber wieder los? Im Jahr 2029 befinden sich drei Millionen Ukrainer in Deutschland, die dem Frieden in der neutralen Zone, zu der das Land erklärt wurde, nicht trauen, was die Toleranz für Flüchtlinge aus anderen Teilen der Welt nicht gerade erhöht.
Mensching widersteht dem Reiz, den Blick nach vorn in grellen Farben zu zeichnen. Er deutet bloß an, ein verzagtes Deutschland, in dem die Krisen und Befindlichkeiten des Jahres 2022 weiterschwelen. Die sechste - und bis dato schlimmste - Corona-Welle ist eben überstanden, Björn Höckes neue Partei sitzt im Bundestag. Nur ein Detail wird präzise ausgemalt und verrät nichts Gutes über die moralische Verfasstheit des Landes: die Konstruktion, in der Hauser sich wiederfindet, ein Produkt einer Firma namens Airdrop, deren Gründer und CEO er ist. Die Regierung hat bei der von Airdrop angebotenen Lösung des Asylbewerber-Problems gern zugegriffen. Die Rückführung in die rücknahmeunwilligen Heimatländer erfolgt nun per Abwurf aus dem Flugzeug in einer hoch technisierten Kiste, die das Überleben des Passagiers sichert, sowie dessen Landung in unbewohntem, von der nächsten Siedlung nicht allzu weit entferntem Gebiet.
Nun hat man sich auf diesem Weg auch Hausers entledigt. Eine Robinsonade beginnt, in klassischer, aber dennoch vielversprechender Konstellation: Reicher Zyniker - "Mein Vater war Kommunist, ich bin Konsumist" - mit Vorliebe für Maßanzüge und italienische Halbschuhe findet sich in menschenleerer Landschaft wieder, in schäbiger Kleidung, mit nichts als ein paar Energieriegeln, etwas Wasser, ein paar Zigaretten und einem syrischen Pass, der sein Bild zeigt. Die unvermeidliche Konfrontation mit sich selbst und dem abhandengekommenen saturierten Leben wird bei Hauser überdeckt von der Frage, wer ein Interesse haben könnte, ihm derart übel mitzuspielen. Linke Kreise, zu deren Lieblingsfeind er geworden ist? Der Staatssekretär, dem aufging, dass es unvorsichtig war, das Genehmigungsverfahren für Airdrop hinter den Kulissen zu beschleunigen? Sein Schriftsteller-Vater, der ihn schon mal mit den Reichsbahnangestellten verglichen hat, die die Transportzüge in die Vernichtungslager lenkten?
Mensching legt reizvolle Fährten in Milieus und zu gesellschaftlichen Reibungspunkten, geht ihnen aber nicht nach, sondern verengt den Plot zum Kammerspiel, was mit ein paar Enttäuschungen einhergeht. Als der einzige weitere Protagonist auftaucht, ein Bewohner des, wie Hauser inzwischen weiß, kurdischen Gebiets am Rand der Türkei, verliert der Roman an Fahrt, aus dem Überlebenskampf wird eine Geiselhaft, die Männer stapfen lange durch unwirtliche Landschaft. Der zunächst stumm und namenlos bleibende Andere gewinnt nicht richtig an Kontur, ist mehr Spiegel als Gegenüber. Hauser geht die emotionale Dürftigkeit seiner eigenen Existenz langsam auf, er beginnt die Familie zu vermissen, die er nicht hat. Dass er am Ende zu jenem Humanismus fähig ist, den er als Haltung an seinem Vater immer so überholt fand, und die Erzähltemperatur dabei kein bisschen ins Gefühlige steigt - das liest sich dann doch wieder sehr gut. PETRA AHNE
Steffen Mensching: "Hausers Ausflug". Roman.
Wallstein Verlag, Göttingen 2022. 249 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Steffen Menschings neuer Roman ist auf den ersten Blick das Gegenteil von seinem vorhergehenden Roman, stellt Rezensent Oliver Pfohlmann fest. Während sein 800 Seiten langer Wälzer "Schermanns Augen" in der Vergangenheit spiele und eine Vielzahl von Schicksalen behandle, biete sein neuer, kurzer Roman ein Einzelschicksal in der Zukunft: Es geht um einen skrupellosen Unternehmer mit der gewinnbringenden Geschäftsidee, abgeschobene Geflüchtete betäubt in einer fallschirmversehenen Aluminiumkapsel aus einem Flugzeug über ihrem Heimatland abzuwerfen - bis er plötzlich selbst zum Opfer seiner Methode wird. Was der Roman mit seinem Vorgänger jedoch gemeinsam habe, und das ist für Pfohlmann auch das Spannende am Roman, ist die Konfrontation mit Extremsituationen: Wie der Protagonist auf sich allein gestellt durch die karge Landschaft irrt, dabei an die Grenzen seines kapitalistischen Weltbildes gerät und sich in seinen Reflexionen fortwährend "selbst entlarvt", findet der Kritiker lesenswert genug, um über den eher "holprigen" Plot hinwegzusehen.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Wie bei "Schermanns Augen" hat mich "Hausers Ausflug" von der ersten Seite an gefesselt - ein Weglegen war nicht möglich. Er glänzt durch einen klugen Plot, der den Leser zum Nachdenken zwingt und doch keine Moral predigt. Ein spannendes und geistreiches Kleinod.« (Heide Käthe Büdcher, Buchhandlung Graff in Braunschweig) »Ich bin überaus begeistert von "Hausers Ausflug", ein Buch das man verschlingt, so spannend, dabei hochpolitisch und hyperaktuell, sprachlich ein Genuss! Böse, komisch und ein Schuft als Hauptfigur mit dem man trotz allem mitleidet und mitfiebert!« (Gudrun Heine, Buchhandlung G. Heine Verden/Aller) »Man sollte anderen nur zumuten, was man auch sich selbst zumuten mag!" Und Mensching mutet Hauser in "Hausers Ausflug" das zu, was er anderen zumutet: Er lässt ihn in einer Überlebensbox in irgendeiner wüstenartigen Gegend per Fallschirm abwerfen. Das ist das Geschäftsmodell des Startup-Unternehmers Hauser, mit dem er reich geworden ist. Nun hat ihn jemand reingelegt. Wer? Egal! Denn was passiert nun mit Hauser, zurückgeworfen nur auf sich selbst ? Hoch spannend, hochpolitisch, aber hoffentlich nie hochaktuell! Ein grandioses Kammerspiel, das Steffen Mensching da abgeliefert hat.« (Manfred Keiper, Die andere Buchhandlung in Rostock) »Ich habe das Buch mit wachsender Spannung gelesen. David Hausers Situation im Nirgendwo, sein Überlebenswille, seine Gedanken an Vergangenes und Gegenwärtiges - das ist alles so fesselnd und bildhaft erzählt, einfach fabelhaft. Hausers menschliche Tat gegen Ende des Romans ist ein Hoffnungsschimmer in den unmenschlichen Zeiten einer Zukunft, wie Steffen Mensching sie schildert. Toll!« (Renate Braun, Buchhandlung in Johannis Nürnberg)