Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Robinsonade im Niemandsland: In Steffen Menschings Roman "Hausers Ausflug" geht es ums nackte Überleben
An das Epigraph, das "Hausers Ausflug" vorangestellt ist, erinnert man sich spätestens im letzten Viertel des Buchs. Da ahnt man, dass es die Lösung des Rätsels wohl nicht geben wird, das aber auch gar nicht so wichtig ist. Denn wie hieß es am Anfang? "Von einem gewissen Punkt an gibt es keine Rückkehr mehr. Dieser Punkt ist zu erreichen. Franz Kafka, Zürauer Zettel, Nr. 5." David Hauser hat den Punkt erreicht, der Alte wird er nicht mehr, auch wenn er herausbekommen sollte, wer ihn aus seinem komfortablen Berliner Leben in ein karges Niemandsland befördert hat.
Steffen Menschings Roman beginnt mit einer mysteriösen Entführung, und auch ohne Kafka-Zitat wäre man an "Die Verwandlung" erinnert. Der Unternehmer David Hauser erwacht und ist zwar kein Insekt, doch Teil einer Apparatur, an die er geschnallt ist. Mit Gregor Samsa teilt er die Gefasstheit, mit der er seine Lage akzeptiert. Keine Panik, kein Verzweifeln, kein Ausrasten, das kommt erst viel später. Pragmatisch analysiert Hauser die Situation und wer ihn in diese gebracht haben könnte. Dabei weiß er schon mal mehr als seine Leser, und wie sich aus seinen fieberhaften Gedankengängen nach und nach erschließt, was es auf sich hat mit dieser Kiste, die, aus einem unbemannten Flugzeug abgeworfen, einen Menschen unverletzt zu Boden befördert, ist von großem Raffinement.
Nach seinem vielgelobten, achthundert Seiten dicken Roman "Schermanns Augen" hat Steffen Mensching ein deutlich schmaleres Buch geschrieben, dessen wieder lakonisch-knapper Titel schon eine gewisse Distanz zu diesem Hauser beinhaltet. Einem Unternehmer, dem ein erfolgreich abgewickeltes Geschäft näher ist als ethische Fragen, Profiteur einer Situation, die der deutschen Regierung in einer nahen Zukunft, in der der Roman spielt, über den Kopf gewachsen ist: Wie wird man abgewiesene Asylbewerber wieder los? Im Jahr 2029 befinden sich drei Millionen Ukrainer in Deutschland, die dem Frieden in der neutralen Zone, zu der das Land erklärt wurde, nicht trauen, was die Toleranz für Flüchtlinge aus anderen Teilen der Welt nicht gerade erhöht.
Mensching widersteht dem Reiz, den Blick nach vorn in grellen Farben zu zeichnen. Er deutet bloß an, ein verzagtes Deutschland, in dem die Krisen und Befindlichkeiten des Jahres 2022 weiterschwelen. Die sechste - und bis dato schlimmste - Corona-Welle ist eben überstanden, Björn Höckes neue Partei sitzt im Bundestag. Nur ein Detail wird präzise ausgemalt und verrät nichts Gutes über die moralische Verfasstheit des Landes: die Konstruktion, in der Hauser sich wiederfindet, ein Produkt einer Firma namens Airdrop, deren Gründer und CEO er ist. Die Regierung hat bei der von Airdrop angebotenen Lösung des Asylbewerber-Problems gern zugegriffen. Die Rückführung in die rücknahmeunwilligen Heimatländer erfolgt nun per Abwurf aus dem Flugzeug in einer hoch technisierten Kiste, die das Überleben des Passagiers sichert, sowie dessen Landung in unbewohntem, von der nächsten Siedlung nicht allzu weit entferntem Gebiet.
Nun hat man sich auf diesem Weg auch Hausers entledigt. Eine Robinsonade beginnt, in klassischer, aber dennoch vielversprechender Konstellation: Reicher Zyniker - "Mein Vater war Kommunist, ich bin Konsumist" - mit Vorliebe für Maßanzüge und italienische Halbschuhe findet sich in menschenleerer Landschaft wieder, in schäbiger Kleidung, mit nichts als ein paar Energieriegeln, etwas Wasser, ein paar Zigaretten und einem syrischen Pass, der sein Bild zeigt. Die unvermeidliche Konfrontation mit sich selbst und dem abhandengekommenen saturierten Leben wird bei Hauser überdeckt von der Frage, wer ein Interesse haben könnte, ihm derart übel mitzuspielen. Linke Kreise, zu deren Lieblingsfeind er geworden ist? Der Staatssekretär, dem aufging, dass es unvorsichtig war, das Genehmigungsverfahren für Airdrop hinter den Kulissen zu beschleunigen? Sein Schriftsteller-Vater, der ihn schon mal mit den Reichsbahnangestellten verglichen hat, die die Transportzüge in die Vernichtungslager lenkten?
Mensching legt reizvolle Fährten in Milieus und zu gesellschaftlichen Reibungspunkten, geht ihnen aber nicht nach, sondern verengt den Plot zum Kammerspiel, was mit ein paar Enttäuschungen einhergeht. Als der einzige weitere Protagonist auftaucht, ein Bewohner des, wie Hauser inzwischen weiß, kurdischen Gebiets am Rand der Türkei, verliert der Roman an Fahrt, aus dem Überlebenskampf wird eine Geiselhaft, die Männer stapfen lange durch unwirtliche Landschaft. Der zunächst stumm und namenlos bleibende Andere gewinnt nicht richtig an Kontur, ist mehr Spiegel als Gegenüber. Hauser geht die emotionale Dürftigkeit seiner eigenen Existenz langsam auf, er beginnt die Familie zu vermissen, die er nicht hat. Dass er am Ende zu jenem Humanismus fähig ist, den er als Haltung an seinem Vater immer so überholt fand, und die Erzähltemperatur dabei kein bisschen ins Gefühlige steigt - das liest sich dann doch wieder sehr gut. PETRA AHNE
Steffen Mensching: "Hausers Ausflug". Roman.
Wallstein Verlag, Göttingen 2022. 249 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH