Die provokante Schrift zur Aktualität Hegels Hegel ist veraltet. Aber gerade deshalb - so die Pointe von Meisterdenker Slavoj Zizek - können wir durch seine Linse die Gegenwart besser verstehen. Anstatt also zu ermitteln, was an Hegels Denken heute noch aktuell ist, dreht Zizek die Frage um: Wie sieht unsere Gegenwart aus, wenn wir sie mit Hegel betrachten? Und es stellt sich heraus: Wir verstehen sie viel besser, gerade weil Hegel sie sich in keiner Weise vorstellen konnte. Zizeks Gegenstand ist das »verdrahtete Gehirn«: Was wird geschehen, wenn der menschliche Geist sich tatsächlich mit einer Maschine verdrahten kann? Welche Auswirkungen wird das auf unsere Subjektivität haben? Werden wir noch vom Unbewussten sprechen können? Wie lassen sich Geist und Materie dann denken? Und was wird aus der Freiheit? Unter Rückgriff auf Denker wie u.a. Johann Gottlieb Fichte, Jacques Lacan, Ray Kurzweil oder Yuval Noah Harari, und unter Zuhilfenahme zahlreicher Hollywood-Filme als Beispiel, diskutiert Zizek die Implikationen einer technischen Vision. Ein Thema, das für Hegel undenkbar war - und damit bestens geeignet, seine Aktualität zu erweisen. Folglich durchdenkt es Zizek in Hegelscher Manier und beweist damit: »Philosophie ist ihre Zeit in Gedanken erfasst«.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Thomas Steinfeld ist von diesem Buch, das hauptsächlich den Bezug zwischen dem deutschen Philosophen und der heutigen Welt der künstlichen Intelligenz zum Thema zu haben scheint, kein bisschen überzeugt. Überhaupt ist ihm schon fraglich, was Žižeks Thema wirklich sei, derart unkonzentriert und wahllos assoziierend kommt ihm dieses Werk vor. Selten scheint eine gewisse Kenntnis des Hegelschen Werkes überhaupt auf, so der verärgerte Kritiker, dafür würden im Vorbeigehen Philosophenkollegen von Heute und Damals wahllos abgekanzelt. Und ein bisschen merkt man, dass Steinfeld eigentlich gerne wirklich hineingeführt worden wäre in das Feld des Geistes und Bewusstseins, wie Hegel es sah, und die operationalisierte, so genannte Sprache der so genannten Künstlichen Intelligenz.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.08.2020Wiederholtes Scheitern
Wenn ein Gelehrter seinen Papierkorb über dem Kopf eines Neugierigen ausschüttet: Slavoj Žižeks Kurzschlüsse
Wer ein Buch des slowenischen Philosophen Slavoj Žižek zu lesen versucht, macht die Erfahrung, wie es sein mag, wenn der Papierkorb eines Gelehrten über dem Kopf eines Neugierigen ausgeschüttet wird. Halbwegs Ausgearbeitetes, mehr oder minder lose Einfälle und große Mengen schieren Unfugs fliegen wild durch die Gegend. Manchmal erhascht der Neugierige diesen oder jenen vernünftigen Gedanken, worauf er nach einem weiteren Zettel greift. Es könnte ja sein, dass noch etwas Konsistentes vorüberflattert. Doch dann bekommt man die Behauptung zu fassen, Hegel schreibe in Parataxen. Žižek widmet dem Einfall einen mehrseitigen Abschnitt. Er weckt den Verdacht, der Gelehrte habe nie auch nur einen Absatz aus Hegels Werken gelesen. Plausibel, wenngleich schlicht, ist indessen die Idee, der Zwang, sich „alle paar Jahre eine neue prekäre Beschäftigung zu suchen“, erscheine nunmehr oft als „Chance“, sich „selbst neu zu erfinden“.
Mit Hegel, dem Slavoj Žižek die jüngste seiner bislang mindestens drei Dutzend Monografien widmet, hat diese Idee indessen nur insofern etwas zu tun, als sie einen „Kurzschluss“ darstellen soll, „den Hegel sich nicht vorstellen konnte“.
Das Buch trägt den Titel „Hegel im verdrahteten Gehirn“. Das Wort „verdrahtet“ ist metaphorisch zu verstehen. Gemeint ist eine unmittelbare Verbindung zwischen Hirn und digitaler Datenverarbeitung, so wie sie der amerikanische Unternehmer Elon Musk mit seiner Firma Neuralink in die Welt setzen will: „Wenn ich dir eine Idee mitteilen will, würden wir im Grunde einvernehmliche Telepathie betreiben. Du müsstest nichts in Worte fassen.“ Nun ist zwar gewiss, dass aus diesem Einfall nichts werden wird, weil es keine „Ideen“ gibt, die nicht in Worte gefasst wären. „Die Sprache“, schreibt Hegel in der Vorrede zur „Phänomenologie“, ist das „Dasein des Geistes“. Erst eine bezeichnete Vorstellung besitzt nicht nur die Festigkeit, sondern auch die Allgemeinheit, die es erlaubt, sie auf andere Vorstellungen zu beziehen.
Und so viel weiß Slavoj Žižek immerhin über Hegel, dass er dieses Argument zumindest von ferne kennt: „Der wahre Inhalt eines Gedankens verwirklicht sich nur durch seine sprachliche Äußerung“. Doch einmal abgesehen davon, dass in diesem Referat Etliches durcheinandergeraten ist – was soll ein „wahrer“ Inhalt sein, wie unterscheidet sich ein „Inhalt“ von einem „Gedanken“, gäbe es andere als „sprachliche“ Äußerungen? –, trägt es den Philosophen rasch in andere Regionen: Zu Sergej Eisensteins Film „Die Beshin-Wiese“, zu den Abenteuern des Sexuallebens, zu TV-Serien. Slavoj Žižek erscheint, wie in vielen seinen Büchern zuvor, weder willens noch fähig, einen Gegenstand auch nur im Blick zu behalten, geschweige denn, ihn einer begrifflichen Klärung zuzuführen.
Das ist schade. Denn die Ankündigungen Elon Musks sind in der Welt, und Versprechungen dieser Art sind nicht nur öffentlichkeitswirksam, sondern haben, unter der Rubrik der künstlichen Intelligenz, eine Industrie in die Welt gesetzt, an deren Zukunft sich das Schicksal ganzer Volkswirtschaften zu entscheiden droht – unabhängig davon, dass der Name eine Hochstapelei ist, weil es darin um ganz andere Dinge als um die Nachahmung von „Intelligenz“ mit technischen Mitteln geht.
Tatsächlich findet man bei Hegel die Elemente einer Theorie des Bewusstseins, mit denen sich solche Versprechungen auf ihren sachlichen Gehalt bringen lassen könnten: angefangen bei der „sinnlichen Gewissheit“, über Wahrnehmung und Verstand bis hin zum Selbstbewusstsein. Bald stieße man dabei auf den Umstand, dass mit „Worten“, anders als Elon Musk meint, nur wenig erreicht ist. Vielmehr braucht es Sätze, also die Beziehung von Worten aufeinander, und Sätze von Sätzen, bis am Ende so etwas wie Denken aufscheint. „Die Hegel’sche Lehre ist daher in Bezug auf den Versuch, die Welt zu verändern, verzweifelt optimistisch: Derartige Versuche erreichen nie ihr Ziel, ihr wiederholtes Scheitern kann jedoch eine neue Seinsform hervorbringen. Ja, der Chavismus in Venezuela ist gescheitert . . .“. Auf Erklärungen hat es Slavoj Žižek nicht abgesehen.
Was tut er stattdessen? Er ist nicht einfach fahrig oder konfus. Er simuliert vielmehr eine akademische Diskussion, verteilt freigebig Zensuren an Zeitgenossen (Peter Sloterdijk, Yuval Noah Harari, Alain Badiou) wie an die Großen der Geistesgeschichte (Fichte, Cantor, Beckett) und mobilisiert auf diese Weise ein großes „Wir“: Es tut so, als arbeiteten die Klugen dieser Welt gemeinsam an der Lösung der schwierigsten Probleme, mit ihm an der Spitze. Sein Wir stellt aber nichts anderes dar als den majestätischen Plural einer ebenso allseitigen wie grundlosen Besserwisserei.
THOMAS STEINFELD
Slavoj Žižek: Hegel im verdrahteten Gehirn. Aus dem Englischen von Frank Born. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2020. 288 Seiten, 22 Euro.
Der Denker im Hausmantel in seinem Arbeitszimmer. Die Handhaltung deutet
einen Vortrag an. Foto: imago/Leemage
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Wenn ein Gelehrter seinen Papierkorb über dem Kopf eines Neugierigen ausschüttet: Slavoj Žižeks Kurzschlüsse
Wer ein Buch des slowenischen Philosophen Slavoj Žižek zu lesen versucht, macht die Erfahrung, wie es sein mag, wenn der Papierkorb eines Gelehrten über dem Kopf eines Neugierigen ausgeschüttet wird. Halbwegs Ausgearbeitetes, mehr oder minder lose Einfälle und große Mengen schieren Unfugs fliegen wild durch die Gegend. Manchmal erhascht der Neugierige diesen oder jenen vernünftigen Gedanken, worauf er nach einem weiteren Zettel greift. Es könnte ja sein, dass noch etwas Konsistentes vorüberflattert. Doch dann bekommt man die Behauptung zu fassen, Hegel schreibe in Parataxen. Žižek widmet dem Einfall einen mehrseitigen Abschnitt. Er weckt den Verdacht, der Gelehrte habe nie auch nur einen Absatz aus Hegels Werken gelesen. Plausibel, wenngleich schlicht, ist indessen die Idee, der Zwang, sich „alle paar Jahre eine neue prekäre Beschäftigung zu suchen“, erscheine nunmehr oft als „Chance“, sich „selbst neu zu erfinden“.
Mit Hegel, dem Slavoj Žižek die jüngste seiner bislang mindestens drei Dutzend Monografien widmet, hat diese Idee indessen nur insofern etwas zu tun, als sie einen „Kurzschluss“ darstellen soll, „den Hegel sich nicht vorstellen konnte“.
Das Buch trägt den Titel „Hegel im verdrahteten Gehirn“. Das Wort „verdrahtet“ ist metaphorisch zu verstehen. Gemeint ist eine unmittelbare Verbindung zwischen Hirn und digitaler Datenverarbeitung, so wie sie der amerikanische Unternehmer Elon Musk mit seiner Firma Neuralink in die Welt setzen will: „Wenn ich dir eine Idee mitteilen will, würden wir im Grunde einvernehmliche Telepathie betreiben. Du müsstest nichts in Worte fassen.“ Nun ist zwar gewiss, dass aus diesem Einfall nichts werden wird, weil es keine „Ideen“ gibt, die nicht in Worte gefasst wären. „Die Sprache“, schreibt Hegel in der Vorrede zur „Phänomenologie“, ist das „Dasein des Geistes“. Erst eine bezeichnete Vorstellung besitzt nicht nur die Festigkeit, sondern auch die Allgemeinheit, die es erlaubt, sie auf andere Vorstellungen zu beziehen.
Und so viel weiß Slavoj Žižek immerhin über Hegel, dass er dieses Argument zumindest von ferne kennt: „Der wahre Inhalt eines Gedankens verwirklicht sich nur durch seine sprachliche Äußerung“. Doch einmal abgesehen davon, dass in diesem Referat Etliches durcheinandergeraten ist – was soll ein „wahrer“ Inhalt sein, wie unterscheidet sich ein „Inhalt“ von einem „Gedanken“, gäbe es andere als „sprachliche“ Äußerungen? –, trägt es den Philosophen rasch in andere Regionen: Zu Sergej Eisensteins Film „Die Beshin-Wiese“, zu den Abenteuern des Sexuallebens, zu TV-Serien. Slavoj Žižek erscheint, wie in vielen seinen Büchern zuvor, weder willens noch fähig, einen Gegenstand auch nur im Blick zu behalten, geschweige denn, ihn einer begrifflichen Klärung zuzuführen.
Das ist schade. Denn die Ankündigungen Elon Musks sind in der Welt, und Versprechungen dieser Art sind nicht nur öffentlichkeitswirksam, sondern haben, unter der Rubrik der künstlichen Intelligenz, eine Industrie in die Welt gesetzt, an deren Zukunft sich das Schicksal ganzer Volkswirtschaften zu entscheiden droht – unabhängig davon, dass der Name eine Hochstapelei ist, weil es darin um ganz andere Dinge als um die Nachahmung von „Intelligenz“ mit technischen Mitteln geht.
Tatsächlich findet man bei Hegel die Elemente einer Theorie des Bewusstseins, mit denen sich solche Versprechungen auf ihren sachlichen Gehalt bringen lassen könnten: angefangen bei der „sinnlichen Gewissheit“, über Wahrnehmung und Verstand bis hin zum Selbstbewusstsein. Bald stieße man dabei auf den Umstand, dass mit „Worten“, anders als Elon Musk meint, nur wenig erreicht ist. Vielmehr braucht es Sätze, also die Beziehung von Worten aufeinander, und Sätze von Sätzen, bis am Ende so etwas wie Denken aufscheint. „Die Hegel’sche Lehre ist daher in Bezug auf den Versuch, die Welt zu verändern, verzweifelt optimistisch: Derartige Versuche erreichen nie ihr Ziel, ihr wiederholtes Scheitern kann jedoch eine neue Seinsform hervorbringen. Ja, der Chavismus in Venezuela ist gescheitert . . .“. Auf Erklärungen hat es Slavoj Žižek nicht abgesehen.
Was tut er stattdessen? Er ist nicht einfach fahrig oder konfus. Er simuliert vielmehr eine akademische Diskussion, verteilt freigebig Zensuren an Zeitgenossen (Peter Sloterdijk, Yuval Noah Harari, Alain Badiou) wie an die Großen der Geistesgeschichte (Fichte, Cantor, Beckett) und mobilisiert auf diese Weise ein großes „Wir“: Es tut so, als arbeiteten die Klugen dieser Welt gemeinsam an der Lösung der schwierigsten Probleme, mit ihm an der Spitze. Sein Wir stellt aber nichts anderes dar als den majestätischen Plural einer ebenso allseitigen wie grundlosen Besserwisserei.
THOMAS STEINFELD
Slavoj Žižek: Hegel im verdrahteten Gehirn. Aus dem Englischen von Frank Born. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2020. 288 Seiten, 22 Euro.
Der Denker im Hausmantel in seinem Arbeitszimmer. Die Handhaltung deutet
einen Vortrag an. Foto: imago/Leemage
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Dass der slowenische Meister-Querdenker Slavoj Zizek erwartungsgemäß kein Problem hat, Hegel weiterzudenken, zeigt seine Essaysammlung. Kleine Zeitung 20200825
Wiederholtes Scheitern
Wenn ein Gelehrter seinen Papierkorb über dem Kopf eines Neugierigen ausschüttet: Slavoj Žižeks Kurzschlüsse
Wer ein Buch des slowenischen Philosophen Slavoj Žižek zu lesen versucht, macht die Erfahrung, wie es sein mag, wenn der Papierkorb eines Gelehrten über dem Kopf eines Neugierigen ausgeschüttet wird. Halbwegs Ausgearbeitetes, mehr oder minder lose Einfälle und große Mengen schieren Unfugs fliegen wild durch die Gegend. Manchmal erhascht der Neugierige diesen oder jenen vernünftigen Gedanken, worauf er nach einem weiteren Zettel greift. Es könnte ja sein, dass noch etwas Konsistentes vorüberflattert. Doch dann bekommt man die Behauptung zu fassen, Hegel schreibe in Parataxen. Žižek widmet dem Einfall einen mehrseitigen Abschnitt. Er weckt den Verdacht, der Gelehrte habe nie auch nur einen Absatz aus Hegels Werken gelesen. Plausibel, wenngleich schlicht, ist indessen die Idee, der Zwang, sich „alle paar Jahre eine neue prekäre Beschäftigung zu suchen“, erscheine nunmehr oft als „Chance“, sich „selbst neu zu erfinden“.
Mit Hegel, dem Slavoj Žižek die jüngste seiner bislang mindestens drei Dutzend Monografien widmet, hat diese Idee indessen nur insofern etwas zu tun, als sie einen „Kurzschluss“ darstellen soll, „den Hegel sich nicht vorstellen konnte“.
Das Buch trägt den Titel „Hegel im verdrahteten Gehirn“. Das Wort „verdrahtet“ ist metaphorisch zu verstehen. Gemeint ist eine unmittelbare Verbindung zwischen Hirn und digitaler Datenverarbeitung, so wie sie der amerikanische Unternehmer Elon Musk mit seiner Firma Neuralink in die Welt setzen will: „Wenn ich dir eine Idee mitteilen will, würden wir im Grunde einvernehmliche Telepathie betreiben. Du müsstest nichts in Worte fassen.“ Nun ist zwar gewiss, dass aus diesem Einfall nichts werden wird, weil es keine „Ideen“ gibt, die nicht in Worte gefasst wären. „Die Sprache“, schreibt Hegel in der Vorrede zur „Phänomenologie“, ist das „Dasein des Geistes“. Erst eine bezeichnete Vorstellung besitzt nicht nur die Festigkeit, sondern auch die Allgemeinheit, die es erlaubt, sie auf andere Vorstellungen zu beziehen.
Und so viel weiß Slavoj Žižek immerhin über Hegel, dass er dieses Argument zumindest von ferne kennt: „Der wahre Inhalt eines Gedankens verwirklicht sich nur durch seine sprachliche Äußerung“. Doch einmal abgesehen davon, dass in diesem Referat Etliches durcheinandergeraten ist – was soll ein „wahrer“ Inhalt sein, wie unterscheidet sich ein „Inhalt“ von einem „Gedanken“, gäbe es andere als „sprachliche“ Äußerungen? –, trägt es den Philosophen rasch in andere Regionen: Zu Sergej Eisensteins Film „Die Beshin-Wiese“, zu den Abenteuern des Sexuallebens, zu TV-Serien. Slavoj Žižek erscheint, wie in vielen seinen Büchern zuvor, weder willens noch fähig, einen Gegenstand auch nur im Blick zu behalten, geschweige denn, ihn einer begrifflichen Klärung zuzuführen.
Das ist schade. Denn die Ankündigungen Elon Musks sind in der Welt, und Versprechungen dieser Art sind nicht nur öffentlichkeitswirksam, sondern haben, unter der Rubrik der künstlichen Intelligenz, eine Industrie in die Welt gesetzt, an deren Zukunft sich das Schicksal ganzer Volkswirtschaften zu entscheiden droht – unabhängig davon, dass der Name eine Hochstapelei ist, weil es darin um ganz andere Dinge als um die Nachahmung von „Intelligenz“ mit technischen Mitteln geht.
Tatsächlich findet man bei Hegel die Elemente einer Theorie des Bewusstseins, mit denen sich solche Versprechungen auf ihren sachlichen Gehalt bringen lassen könnten: angefangen bei der „sinnlichen Gewissheit“, über Wahrnehmung und Verstand bis hin zum Selbstbewusstsein. Bald stieße man dabei auf den Umstand, dass mit „Worten“, anders als Elon Musk meint, nur wenig erreicht ist. Vielmehr braucht es Sätze, also die Beziehung von Worten aufeinander, und Sätze von Sätzen, bis am Ende so etwas wie Denken aufscheint. „Die Hegel’sche Lehre ist daher in Bezug auf den Versuch, die Welt zu verändern, verzweifelt optimistisch: Derartige Versuche erreichen nie ihr Ziel, ihr wiederholtes Scheitern kann jedoch eine neue Seinsform hervorbringen. Ja, der Chavismus in Venezuela ist gescheitert . . .“. Auf Erklärungen hat es Slavoj Žižek nicht abgesehen.
Was tut er stattdessen? Er ist nicht einfach fahrig oder konfus. Er simuliert vielmehr eine akademische Diskussion, verteilt freigebig Zensuren an Zeitgenossen (Peter Sloterdijk, Yuval Noah Harari, Alain Badiou) wie an die Großen der Geistesgeschichte (Fichte, Cantor, Beckett) und mobilisiert auf diese Weise ein großes „Wir“: Es tut so, als arbeiteten die Klugen dieser Welt gemeinsam an der Lösung der schwierigsten Probleme, mit ihm an der Spitze. Sein Wir stellt aber nichts anderes dar als den majestätischen Plural einer ebenso allseitigen wie grundlosen Besserwisserei.
THOMAS STEINFELD
Slavoj Žižek: Hegel im verdrahteten Gehirn. Aus dem Englischen von Frank Born. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2020. 288 Seiten, 22 Euro.
Der Denker im Hausmantel in seinem Arbeitszimmer. Die Handhaltung deutet
einen Vortrag an. Foto: imago/Leemage
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Wenn ein Gelehrter seinen Papierkorb über dem Kopf eines Neugierigen ausschüttet: Slavoj Žižeks Kurzschlüsse
Wer ein Buch des slowenischen Philosophen Slavoj Žižek zu lesen versucht, macht die Erfahrung, wie es sein mag, wenn der Papierkorb eines Gelehrten über dem Kopf eines Neugierigen ausgeschüttet wird. Halbwegs Ausgearbeitetes, mehr oder minder lose Einfälle und große Mengen schieren Unfugs fliegen wild durch die Gegend. Manchmal erhascht der Neugierige diesen oder jenen vernünftigen Gedanken, worauf er nach einem weiteren Zettel greift. Es könnte ja sein, dass noch etwas Konsistentes vorüberflattert. Doch dann bekommt man die Behauptung zu fassen, Hegel schreibe in Parataxen. Žižek widmet dem Einfall einen mehrseitigen Abschnitt. Er weckt den Verdacht, der Gelehrte habe nie auch nur einen Absatz aus Hegels Werken gelesen. Plausibel, wenngleich schlicht, ist indessen die Idee, der Zwang, sich „alle paar Jahre eine neue prekäre Beschäftigung zu suchen“, erscheine nunmehr oft als „Chance“, sich „selbst neu zu erfinden“.
Mit Hegel, dem Slavoj Žižek die jüngste seiner bislang mindestens drei Dutzend Monografien widmet, hat diese Idee indessen nur insofern etwas zu tun, als sie einen „Kurzschluss“ darstellen soll, „den Hegel sich nicht vorstellen konnte“.
Das Buch trägt den Titel „Hegel im verdrahteten Gehirn“. Das Wort „verdrahtet“ ist metaphorisch zu verstehen. Gemeint ist eine unmittelbare Verbindung zwischen Hirn und digitaler Datenverarbeitung, so wie sie der amerikanische Unternehmer Elon Musk mit seiner Firma Neuralink in die Welt setzen will: „Wenn ich dir eine Idee mitteilen will, würden wir im Grunde einvernehmliche Telepathie betreiben. Du müsstest nichts in Worte fassen.“ Nun ist zwar gewiss, dass aus diesem Einfall nichts werden wird, weil es keine „Ideen“ gibt, die nicht in Worte gefasst wären. „Die Sprache“, schreibt Hegel in der Vorrede zur „Phänomenologie“, ist das „Dasein des Geistes“. Erst eine bezeichnete Vorstellung besitzt nicht nur die Festigkeit, sondern auch die Allgemeinheit, die es erlaubt, sie auf andere Vorstellungen zu beziehen.
Und so viel weiß Slavoj Žižek immerhin über Hegel, dass er dieses Argument zumindest von ferne kennt: „Der wahre Inhalt eines Gedankens verwirklicht sich nur durch seine sprachliche Äußerung“. Doch einmal abgesehen davon, dass in diesem Referat Etliches durcheinandergeraten ist – was soll ein „wahrer“ Inhalt sein, wie unterscheidet sich ein „Inhalt“ von einem „Gedanken“, gäbe es andere als „sprachliche“ Äußerungen? –, trägt es den Philosophen rasch in andere Regionen: Zu Sergej Eisensteins Film „Die Beshin-Wiese“, zu den Abenteuern des Sexuallebens, zu TV-Serien. Slavoj Žižek erscheint, wie in vielen seinen Büchern zuvor, weder willens noch fähig, einen Gegenstand auch nur im Blick zu behalten, geschweige denn, ihn einer begrifflichen Klärung zuzuführen.
Das ist schade. Denn die Ankündigungen Elon Musks sind in der Welt, und Versprechungen dieser Art sind nicht nur öffentlichkeitswirksam, sondern haben, unter der Rubrik der künstlichen Intelligenz, eine Industrie in die Welt gesetzt, an deren Zukunft sich das Schicksal ganzer Volkswirtschaften zu entscheiden droht – unabhängig davon, dass der Name eine Hochstapelei ist, weil es darin um ganz andere Dinge als um die Nachahmung von „Intelligenz“ mit technischen Mitteln geht.
Tatsächlich findet man bei Hegel die Elemente einer Theorie des Bewusstseins, mit denen sich solche Versprechungen auf ihren sachlichen Gehalt bringen lassen könnten: angefangen bei der „sinnlichen Gewissheit“, über Wahrnehmung und Verstand bis hin zum Selbstbewusstsein. Bald stieße man dabei auf den Umstand, dass mit „Worten“, anders als Elon Musk meint, nur wenig erreicht ist. Vielmehr braucht es Sätze, also die Beziehung von Worten aufeinander, und Sätze von Sätzen, bis am Ende so etwas wie Denken aufscheint. „Die Hegel’sche Lehre ist daher in Bezug auf den Versuch, die Welt zu verändern, verzweifelt optimistisch: Derartige Versuche erreichen nie ihr Ziel, ihr wiederholtes Scheitern kann jedoch eine neue Seinsform hervorbringen. Ja, der Chavismus in Venezuela ist gescheitert . . .“. Auf Erklärungen hat es Slavoj Žižek nicht abgesehen.
Was tut er stattdessen? Er ist nicht einfach fahrig oder konfus. Er simuliert vielmehr eine akademische Diskussion, verteilt freigebig Zensuren an Zeitgenossen (Peter Sloterdijk, Yuval Noah Harari, Alain Badiou) wie an die Großen der Geistesgeschichte (Fichte, Cantor, Beckett) und mobilisiert auf diese Weise ein großes „Wir“: Es tut so, als arbeiteten die Klugen dieser Welt gemeinsam an der Lösung der schwierigsten Probleme, mit ihm an der Spitze. Sein Wir stellt aber nichts anderes dar als den majestätischen Plural einer ebenso allseitigen wie grundlosen Besserwisserei.
THOMAS STEINFELD
Slavoj Žižek: Hegel im verdrahteten Gehirn. Aus dem Englischen von Frank Born. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2020. 288 Seiten, 22 Euro.
Der Denker im Hausmantel in seinem Arbeitszimmer. Die Handhaltung deutet
einen Vortrag an. Foto: imago/Leemage
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