Studienarbeit aus dem Jahr 1998 im Fachbereich Geschichte - Allgemeines, Note: 1, Universität Wien (Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte), Veranstaltung: Lehrveranstaltung Wissenschaftstheorie I: Paradigmenwechsel in der Geschichtswissenschaft?, Sprache: Deutsch, Abstract: Unter der beschönigenden Bezeichnung „Euthanasie“ wurden im Dritten Reich Hunderttausende behinderter Menschen ermordet. Als Motiv wurden – vor allem von den Nationalsozialisten selbst, aber auch von späteren Historikern – hauptsächlich wirtschaftliche Gründe angegeben, nämlich der dringende Bedarf an Anstaltsbetten für Wehrmachtsangehörige und allgemeine Einsparungen. Der tiefere Beweggrund lag jedoch in einer Ideologie, deren Ideal ein rassisch homogenes und gesundes Volk war, das durch Ausschaltung alles „rassisch“ oder erbmäßig „Minderwertigen“ geschaffen werden sollte. In allen drei Phasen der Mordaktionen waren nicht nur Ärzte, sondern auch Pflegepersonen in die Taten verwickelt. Dementsprechend wurden in den Nachkriegsprozessen auch Pfleger und Pflegerinnen der Mitwirkung an der Euthanasie angeklagt und zum Teil verurteilt. Um diese Prozesse geht es in dieser Arbeit. Zwei in Deutschland und zwei in Österreich in den ersten Nachkriegsjahren geführte Prozesse werden im Detail verglichen; im besonderen werden die Anklagepunkte und die angewendeten Gesetze, die Verteidigung der Angeklagten, die Urteile und die Urteilsbegründungen in den Blick genommen. Die Untersuchung ergab, dass sowohl in Österreich als auch in Deutschland über ähnliche Taten sehr verschiedene Urteile gefällt wurden, wobei in Österreich drei Gesetze zur Verfügung standen, in Deutschland nur eines. Bereits zwischen 1945/46 und 1948 ist in beiden Ländern ein Milderwerden der Urteile festzustellen. Die österreichischen Urteile waren in den hier untersuchten Fällen eher strenger als die deutschen. Für die vorgefundenen Unterschiede in der Urteilssprechung zwischen Deutschland und Österreich – aber auch zwischen den einzelnen Prozessen im gleichen Land – waren vermutlich verschiedene Gründe maßgebend. Unter anderem gehören dazu: tatsächliche Unterschiede bei der Begehung der Taten, Unterschiede in der Gesetzgebung und die Anwendung unterschiedlichen Rechts; größeres oder geringeres Bemühen des Gerichts um ein Urteil, das den speziellen Umständen Rechnung trägt; die prinzipielle Einstellung der Richter, verschiedene Interventionen, die allgemeine Stimmung in der Bevölkerung und ähnliche Umstände sowie auch die weitgehende Nichteignung der für „normale“ Verhältnisse geschaffenen Gesetze für die Anwendung auf die NS-Euthanasie-Verbrechen.