Tassilo Wanner entschlüsselt die Hintergründe der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den USA und dem Heiligen Stuhl. An konkreten Beispielen aus dem Innern des Weißen Hauses und des Vatikans belegt er, wie eng das bilaterale Verhältnis in der entscheidenden Phase des Kalten Kriegs war. Der Autor ermöglicht außerdem einen einzigartigen Blick auf die praktischen Mechanismen der Diplomatie des Heiligen Stuhls. Tassilo Wanner hat Einsicht in Hunderte Geheimvermerke des Weißen Hauses nehmen können und Forschungsinterviews mit damals handelnden Akteuren vom amerikanischen Außenminister bis zu hochrangigen Kurienkardinälen durchgeführt.
Der Inhalt
Amerikanisch-vatikanisches Verhältnis von 1981 bis 2016
Arbeits- und Wirkungsweise der vatikanischen Diplomatie
Mechanismen der internationalen Politik des Heiligen Stuhls
Außenpolitisches Entscheidungszentrum der USA unter Ronald Reagan
Rolle Ronald Reagans und Johannes Pauls II. in de
r letzten Phase des Kalten Krieges
Die Zielgruppen
Dozierende und Studierende der Politikwissenschaften, Neuen Geschichte, Zeitgeschichte, Theologie, Kirchengeschichte, Amerikanistik und des Völkerrechts
Praktikerinnen und Praktiker aus Medien, Forschungsinstituten, Politik, Diplomatie, Kirche und Völkerrecht
Der Autor
Dr. Tassilo Wanner studierte in München und Washington Politikwissenschaften, Neue Geschichte und Volkswirtschaftslehre. Bisherige berufliche Tätigkeiten u. a. als Vorstandsreferent einer Bundestagsfraktion und bei einer führenden internationalen Strategieberatung.
Der Inhalt
Amerikanisch-vatikanisches Verhältnis von 1981 bis 2016
Arbeits- und Wirkungsweise der vatikanischen Diplomatie
Mechanismen der internationalen Politik des Heiligen Stuhls
Außenpolitisches Entscheidungszentrum der USA unter Ronald Reagan
Rolle Ronald Reagans und Johannes Pauls II. in de
r letzten Phase des Kalten Krieges
Die Zielgruppen
Dozierende und Studierende der Politikwissenschaften, Neuen Geschichte, Zeitgeschichte, Theologie, Kirchengeschichte, Amerikanistik und des Völkerrechts
Praktikerinnen und Praktiker aus Medien, Forschungsinstituten, Politik, Diplomatie, Kirche und Völkerrecht
Der Autor
Dr. Tassilo Wanner studierte in München und Washington Politikwissenschaften, Neue Geschichte und Volkswirtschaftslehre. Bisherige berufliche Tätigkeiten u. a. als Vorstandsreferent einer Bundestagsfraktion und bei einer führenden internationalen Strategieberatung.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.12.2016Seid umschlungen, Millionen!
Offizielle Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Heiligen Stuhl
Die Nachricht am 10. Januar 1984 verblüffte die Öffentlichkeit: Der Kirchenstaat Vatikan und die Vereinigten Staaten nehmen offizielle Beziehungen auf. Papst und Präsident, Vertreter der geistlichen und der politischen Weltmacht, erkennen sich nach 126 Jahren an. Wie kam dieser völkerrechtliche Schritt zustande? Warum gelang Johannes Paul II. und dem Presbyterianer Ronald Reagan, was mehrfach zuvor fehlgeschlagen war?
Seit Anfang des 19. Jahrhunderts herrschten trotz konsularischer Beziehungen auf beiden Seiten große Vorbehalte. Kapitalismus und individuelle Freiheit, Symbole des "American way of life", schienen mit kirchlicher Hierarchie, Unterordnung und Gehorsam, den der Papst von allen Katholiken fordert, unvereinbar. Man sah sich als gefährliche Gegner an. Wegen der strikten Trennung von Staat und Kirche in der amerikanischen Verfassung verweigerte Washington dem Heiligen Stuhl und damit dem Papst als Oberhaupt der katholischen Kirche die Anerkennung. Aus Kostengründen strich der US-Kongress 1867 die Mittel für die Gesandtschaft im Vatikan-Staat. Die Beziehungen lagen auf Eis. Präsident Franklin D. Roosevelt konnte 1940 nur einen persönlichen Vertreter, keinen Botschafter, nach Rom entsenden. Der Senat versagte die erforderliche Zustimmung. Auch Präsident Harry S. Truman erlitt Schiffbruch, als er 1951, taktisch ungeschickt, General Mark W. Clark zum Botschafter beim Vatikan ernennen wollte. Protestantische Kirchen und Sekten wehrten sich heftig. Erneut lehnte der Senat ab. John F. Kennedy, erster katholischer Präsident, wagte auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges einen solchen Vorstoß erst gar nicht.
Auch Anfang der 1980er Jahre verbanden konservative Kreise des Vatikans mit Direktkontakten zu Washington schlimmste Befürchtungen. Angebahnte Beziehungen Roms zum Ostblock, so argwöhnte das Umfeld von Kardinalstaatssekretär Agostino Casaroli, faktisch Außenminister des Heiligen Stuhls und Architekt der vatikanischen Ostpolitik, könnten sich verschlechtern. Weltweit würde der Klerus angreifbar werden für Repressalien, besonders in antiamerikanisch eingestellten Staaten Lateinamerikas. Die Reagan-Administration ihrerseits sorgte sich um Wählerstimmen bei Evangelikalen und Protestanten, wenn Katholiken durch diplomatischen Verkehr mit dem Heiligen Stuhl bevorzugt und der Verfassungsgrundsatz staatlicher Neutralität verletzt würde. Realpolitisch aber war eine Annäherung längst überfällig. Nicht erst in Zeiten der Entspannungspolitik gab es immer wieder geheime Kontakte.
Ausgangspunkt des Kurswechsels binnen weniger Monate war wohl Königin Elisabeth II. Sie soll im März 1983 Präsident Ronald Reagan von der Notwendigkeit überzeugt haben, offizielle Beziehungen zum Vatikan aufzunehmen, wie dies ein Jahr zuvor Großbritannien getan hatte. Bestärkt wurde er von engen Vertrauten, darunter Richard Allen, William Clark, Alexander Haig, CIA-Direktor William J. Casey, William Wilson und Vernon Walters, die alle katholisch waren. Papst und Präsident einte konservative Werte und gleichgerichtete Interessenpolitik. Beide verfochten das Grundrecht auf Leben und Freiheit, forderten die Einhaltung der Menschenrechte, unterstützten Oppositionsbewegungen und Dissidenten in Osteuropa und lehnten Abtreibungen ab.
Auf Sondierungen aus Washington reagierten Casaroli, sein Stellvertreter Erzbischof Martínez Somalo und der Sekretär des Rates für Öffentlichkeitsfragen, Achille Silvestrini, offen, aber unverbindlich. Eine solch prekäre Entscheidung konnte aus seiner Machtfülle nur der Heilige Vater selbst treffen. Damit würde die förmliche Äquidistanz Roms zwischen den beiden Supermächten aufgegeben. Selbst wenn das ganze Ausmaß der kurieninternen Friktionen im Dunkeln bleibt, wird doch klar: Casaroli geriet mit seiner Ostpolitik in offenen Gegensatz zu Johannes Paul II. Denn die antikommunistische Haltung des Oberhirten ohne diplomatische Erfahrungen war weithin bekannt.
Die Reagan-Administration verbesserte mit der Offerte beim Vatikan das Verhältnis zur amerikanischen Bischofskonferenz, die stets Zweifel gegenüber dem Weißen Haus hegte und eine liberale Abtreibungspraxis als christenfeindlich brandmarkte. Befürworter der Aufnahme diplomatischer Beziehungen verwiesen darauf, dass Washington die katholische Kirche als starken Partner gegen die Sowjetunion gewinnen und damit vom entspannungsfreundlichen Kurs des Vorgängerpapstes Paul VI. abbringen könnte.
Der Pole auf den Papstthron wirkte maßgeblich auf die Geschicke in seiner Heimat ein und stellte im Kampf um die Befreiung des Ostblocks einen wichtigen Machtfaktor dar. Zudem hatten sich informelle Kontakte zum Vatikan bei der Freilassung der amerikanischen Geiseln in Teheran als nützlich erwiesen, was manchen zögernden Kongressabgeordneten überzeugte. Die Vermittlung des Heiligen Stuhls im Beagle-Konflikt wurde auch von den Vereinigten Staaten anerkannt. Aus Sicht Johannes Pauls II. war Reagans Politik gegen das "Reich des Bösen" eine wichtige Stütze für die Solidarnosc im Kampf gegen das Kriegsrecht in Polen. Außerdem würde der Einfluss des Vatikans auf die Weltmacht gestärkt. Für beide Seiten bestand somit eine klassische Win-win-Situation. Aus ehemaligen Gegnern wurden respektierte Partner. Selbst protestantische Wähler in den Vereinigten Staaten erkennen heute die moralische Autorität des Papstes an. Die lesenswerte Studie bezieht ihren Reiz aus neuen Erkenntnissen über die vatikanische Diplomatie, auch wenn sie sich hierbei meist nur auf Zeitzeugengespräche stützen kann.
HANNS JÜRGEN KÜSTERS.
Tassilo Wanner: Heilige Allianz? Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Heiligen Stuhl. Springer VS Fachmedien, Wiesbaden 2016. 317 S. 39,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Offizielle Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Heiligen Stuhl
Die Nachricht am 10. Januar 1984 verblüffte die Öffentlichkeit: Der Kirchenstaat Vatikan und die Vereinigten Staaten nehmen offizielle Beziehungen auf. Papst und Präsident, Vertreter der geistlichen und der politischen Weltmacht, erkennen sich nach 126 Jahren an. Wie kam dieser völkerrechtliche Schritt zustande? Warum gelang Johannes Paul II. und dem Presbyterianer Ronald Reagan, was mehrfach zuvor fehlgeschlagen war?
Seit Anfang des 19. Jahrhunderts herrschten trotz konsularischer Beziehungen auf beiden Seiten große Vorbehalte. Kapitalismus und individuelle Freiheit, Symbole des "American way of life", schienen mit kirchlicher Hierarchie, Unterordnung und Gehorsam, den der Papst von allen Katholiken fordert, unvereinbar. Man sah sich als gefährliche Gegner an. Wegen der strikten Trennung von Staat und Kirche in der amerikanischen Verfassung verweigerte Washington dem Heiligen Stuhl und damit dem Papst als Oberhaupt der katholischen Kirche die Anerkennung. Aus Kostengründen strich der US-Kongress 1867 die Mittel für die Gesandtschaft im Vatikan-Staat. Die Beziehungen lagen auf Eis. Präsident Franklin D. Roosevelt konnte 1940 nur einen persönlichen Vertreter, keinen Botschafter, nach Rom entsenden. Der Senat versagte die erforderliche Zustimmung. Auch Präsident Harry S. Truman erlitt Schiffbruch, als er 1951, taktisch ungeschickt, General Mark W. Clark zum Botschafter beim Vatikan ernennen wollte. Protestantische Kirchen und Sekten wehrten sich heftig. Erneut lehnte der Senat ab. John F. Kennedy, erster katholischer Präsident, wagte auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges einen solchen Vorstoß erst gar nicht.
Auch Anfang der 1980er Jahre verbanden konservative Kreise des Vatikans mit Direktkontakten zu Washington schlimmste Befürchtungen. Angebahnte Beziehungen Roms zum Ostblock, so argwöhnte das Umfeld von Kardinalstaatssekretär Agostino Casaroli, faktisch Außenminister des Heiligen Stuhls und Architekt der vatikanischen Ostpolitik, könnten sich verschlechtern. Weltweit würde der Klerus angreifbar werden für Repressalien, besonders in antiamerikanisch eingestellten Staaten Lateinamerikas. Die Reagan-Administration ihrerseits sorgte sich um Wählerstimmen bei Evangelikalen und Protestanten, wenn Katholiken durch diplomatischen Verkehr mit dem Heiligen Stuhl bevorzugt und der Verfassungsgrundsatz staatlicher Neutralität verletzt würde. Realpolitisch aber war eine Annäherung längst überfällig. Nicht erst in Zeiten der Entspannungspolitik gab es immer wieder geheime Kontakte.
Ausgangspunkt des Kurswechsels binnen weniger Monate war wohl Königin Elisabeth II. Sie soll im März 1983 Präsident Ronald Reagan von der Notwendigkeit überzeugt haben, offizielle Beziehungen zum Vatikan aufzunehmen, wie dies ein Jahr zuvor Großbritannien getan hatte. Bestärkt wurde er von engen Vertrauten, darunter Richard Allen, William Clark, Alexander Haig, CIA-Direktor William J. Casey, William Wilson und Vernon Walters, die alle katholisch waren. Papst und Präsident einte konservative Werte und gleichgerichtete Interessenpolitik. Beide verfochten das Grundrecht auf Leben und Freiheit, forderten die Einhaltung der Menschenrechte, unterstützten Oppositionsbewegungen und Dissidenten in Osteuropa und lehnten Abtreibungen ab.
Auf Sondierungen aus Washington reagierten Casaroli, sein Stellvertreter Erzbischof Martínez Somalo und der Sekretär des Rates für Öffentlichkeitsfragen, Achille Silvestrini, offen, aber unverbindlich. Eine solch prekäre Entscheidung konnte aus seiner Machtfülle nur der Heilige Vater selbst treffen. Damit würde die förmliche Äquidistanz Roms zwischen den beiden Supermächten aufgegeben. Selbst wenn das ganze Ausmaß der kurieninternen Friktionen im Dunkeln bleibt, wird doch klar: Casaroli geriet mit seiner Ostpolitik in offenen Gegensatz zu Johannes Paul II. Denn die antikommunistische Haltung des Oberhirten ohne diplomatische Erfahrungen war weithin bekannt.
Die Reagan-Administration verbesserte mit der Offerte beim Vatikan das Verhältnis zur amerikanischen Bischofskonferenz, die stets Zweifel gegenüber dem Weißen Haus hegte und eine liberale Abtreibungspraxis als christenfeindlich brandmarkte. Befürworter der Aufnahme diplomatischer Beziehungen verwiesen darauf, dass Washington die katholische Kirche als starken Partner gegen die Sowjetunion gewinnen und damit vom entspannungsfreundlichen Kurs des Vorgängerpapstes Paul VI. abbringen könnte.
Der Pole auf den Papstthron wirkte maßgeblich auf die Geschicke in seiner Heimat ein und stellte im Kampf um die Befreiung des Ostblocks einen wichtigen Machtfaktor dar. Zudem hatten sich informelle Kontakte zum Vatikan bei der Freilassung der amerikanischen Geiseln in Teheran als nützlich erwiesen, was manchen zögernden Kongressabgeordneten überzeugte. Die Vermittlung des Heiligen Stuhls im Beagle-Konflikt wurde auch von den Vereinigten Staaten anerkannt. Aus Sicht Johannes Pauls II. war Reagans Politik gegen das "Reich des Bösen" eine wichtige Stütze für die Solidarnosc im Kampf gegen das Kriegsrecht in Polen. Außerdem würde der Einfluss des Vatikans auf die Weltmacht gestärkt. Für beide Seiten bestand somit eine klassische Win-win-Situation. Aus ehemaligen Gegnern wurden respektierte Partner. Selbst protestantische Wähler in den Vereinigten Staaten erkennen heute die moralische Autorität des Papstes an. Die lesenswerte Studie bezieht ihren Reiz aus neuen Erkenntnissen über die vatikanische Diplomatie, auch wenn sie sich hierbei meist nur auf Zeitzeugengespräche stützen kann.
HANNS JÜRGEN KÜSTERS.
Tassilo Wanner: Heilige Allianz? Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Heiligen Stuhl. Springer VS Fachmedien, Wiesbaden 2016. 317 S. 39,99 [Euro].
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"... Hinzukommt die Chance, Sichtweisen, Zusammenhänge, Arbeits- und Wirkungsweisen sowie menschliche Komponenten bei institutionellen Entscheidungen kennenzulernen ..." (Norman Blevins, in: Politische Studien, Jg 68, Heft 473, Mai-Juni 2017)