Studienarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Jura - Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie, Rechtsgeschichte, Note: 2,25, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Veranstaltung: Interdisziplinäres Seminar "Gender, Sprache und Recht", Sprache: Deutsch, Abstract: Die Sprache der Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen (BVerfGE) zum Schwangerschaftsabbruch von 1975 und 1993 unterscheidet sich hinsichtlich ihrer Geschlechtergerechtigkeit offensichtlich. Dies ist nicht verwunderlich, liegen doch fast zwanzig Jahre Frauenbewegung und Emanzipationsbemühungen zwischen diesen beiden Urteilen, und die Ergänzung zu Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz im Zuge der Verfassungsreform von 1994 steht 1993 kurz bevor. Wird 1975 noch ungeniert von der "abtreibungswilligen" Frau gesprochen, die sich widernatürlich ihrer Verantwortung entzieht, tritt an ihre Stelle 1993 die "Frau, die den Schwangerschaftsabbruch erwägt", die von der Gesellschaft und Politik in ihrer Entscheidung für das Austragen bestärkt werden muss, und auch nach der Entbindung nicht allein gelassen werden darf. Oberflächlich liest sich die Sprache der BVerGE 88, 203 aus geschlechtergerechter Perspektive durchaus entspannter und ohne allzu viel staunendes Kopfschütteln, obwohl einige grobe Formulierungen, Darstellungen und Unachtsamkeiten die Jahre überdauern konnten. Trotzdem es mit der bloßen Feststellung der Veränderungen und Verbesserungen nicht getan. Deshalb sollen im Mittelpunkt meiner Untersuchung folgende Fragestellungen stehen, die es zu bearbeiten gilt: Welches Frauenbild beschwören die beiden Entscheidungen herauf, wie werden Frauen sprachlich dargestellt, stereotypisiert und gedanklich ausgegrenzt in einer Materie, die eigentlich stark weiblich geprägt sein müsste? Welche Veränderungen werden in der zweiten Entscheidung sprachlich gemacht, und was haben diese zur Folge? Welche Ausgrenzungen und Diskriminierungen kann die zweite Entscheidung überkommen? Und besonders: verändert sich mit der sprachlich geschlechtergerechteren Darstellung auch der Inhalt und die Aussage hin zu einer geschlechtergerechteren Haltung, oder hält die neue Sprache einzig einen Deckmantel über den alten Inhalt? In welchem Verhältnis stehen juristische Fachsprache und Alltagssprache, welche Verantwortung hat die eine der anderen gegenüber? Welchen Einfluss hat die Rechtssprache auf die gesellschaftliche Wertebildung oder den Werteerhalt und auf die soziale Einstellung zum Schwangerschaftsabbruch? Welche Position zu seiner eigenen Rolle im Wertebildungsprozess nimmt das Bundesverfassungsgericht in den betrachteten Urteilen ein? Abschließend werde ich diskutieren, ob man von einen backlash sprechen kann, betrachtet man die heutzutage erneut entflammte Diskussion über die natürliche Rolle der Frau und ihre gesellschaftliche Verpflichtung diese nachhaltig zu erfüllen. Diese spannungsgeladenen Wechselverhältnisse gilt es eingehend zu betrachten und zu bewerten, um zu einer abschließenden Bewertung der sprachlichen Einbeziehung oder Ausgrenzung von Frauen in den BVerGE 39,1 und 88,203 zu gelangen. Es muss analysiert werden welcher Weg von wem mit welcher Intention bereits beschritten wurde, wo von ihm mit welchem Ergebnis abgewichen wurde, und es gilt die Strecke abzuschätzen, die es noch zurückzulegen gilt.
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