Und plötzlich dachte ich: Es wäre einmal tatsächlich über ALLES zu schreiben, genau an diesem Ort, an dem für mich erstmal so wenig ist. Das Dorf, das Flimmern des Internets, die Nachbarskatze, die kleinen Bewegungen, Donald Trump und die Schönheit, Miley Cyrus und Peter Handke, die spielenden Kinder, das Nachdenken über Theater und Literatur, der Himmel über dem Weinberg und das Überleben zwischen den alltäglichen Dingen, schreibend, Tag für Tag - die Heilige Schrift handelt von dem radikalen Versuch, das Leben möglichst vollständig und unmittelbar zu erfassen, mit allen literarischen Mitteln. In einem kleinen Dorf in Frankreich schreibt Wolfram Lotz ein Jahr lang mit, jeden Tag, von morgens bis nachts. Knapp 3000 Seiten. Kurz danach löscht er den entstandenen Riesentext wieder. Dennoch liegen nun über 900 Seiten vor, weil er im Frühjahr 2018, noch während der Arbeit, den Anfang des Textes per Mail an einen Freund geschickt hat. »Heilige Schrift I« ist das poetische Dokument eines wahnwitzigen Projektes, das sich dem puren Exzess öffnet und dabei zeigt, was es wirklich bedeutet, über die Gegenwart zu schreiben.
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezensentin Eva Behrendt gefallen die Notate von Wolfram Lotz am besten, wenn der Autor locker und in "maximal offenen" Versen Alltag einfängt, so zwischen Größenwahn und Selbstironie: Korrespondenzen, Nachbarschaftsgespräche, Reisen, Familie etc. Dass der Autor für Behrendt ganz offensichtlich gegen die "Verfestigung" anschreibt, findet die Rezensentin fein, auch wenn es dabei zu komplexen Satzverhältnissen kommt. Dass dieses Schreiben und das Ringen damit der Leserin nachvollziehbar wird, ist für Behrendt vielleicht der größte Gewinn dieser Lektüre. Wenn Lotz dagegen über den Literatur- und Theaterbetrieb herzieht, läuft er Gefahr, sich zu verrennen, meint sie.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Innensichtlich kleiner ist kaum möglich [...] Beflissene und Nostalgiker lesen im Sommer Proust, alle anderen in diesem Jahr Wolfram Lotz. Süddeutsche Zeitung 20220730