„Ich spürte die Verwurzelung meines Körpers in einem bestimmten Boden, und der Kirchturmglockenklang korrespondiert mit einem Gefühl, das diebstahlsicher im Archiv des eigenen ICHs verwahrt ist.“ (12) Der Autor versteht es, die Geborgenheit, die Menschen mit Heimat verbinden, prägnant zu
beschreiben.
Dennoch bleibt Schüle auch widersprüchlich in seinen Aussagen oder er schafft bewusst eine…mehr„Ich spürte die Verwurzelung meines Körpers in einem bestimmten Boden, und der Kirchturmglockenklang korrespondiert mit einem Gefühl, das diebstahlsicher im Archiv des eigenen ICHs verwahrt ist.“ (12) Der Autor versteht es, die Geborgenheit, die Menschen mit Heimat verbinden, prägnant zu beschreiben.
Dennoch bleibt Schüle auch widersprüchlich in seinen Aussagen oder er schafft bewusst eine Diskussionsgrundlage. Dies gilt schon hinsichtlich der Frage, was Heimat denn nun ist. Ist Heimat nur die Idylle auf dem Land? Nein. Heimat ist auch: „Die Bindung an den Ort des eigenen Ursprungs – der ebenso gut die Plattenbausiedlung einer Metropole, die Straßenschlucht einer Großstadt oder die Leere einer Mark sein kann ...“ (11/12)
Die Magie der Kirchturmglocken wird am Ende des ersten Teils des Buches noch einmal beschworen, aber in Frageform. Ist Heimat „das Produkt einer poetischen Erinnerungsleistung“ (66) oder „der mystische Modus zu ... Teilnahme an einem Kulturraum, der durch Gerüche, Geschmäcke und Tonfälle sinnlich bestimmt ist.“ (66/67) Da sind sie wieder, die Bilder, die der Autor mit seinen Worten erzeugt.
Offensichtlich ist Heimat für viele Menschen nicht die Idylle, die im ersten Teil des Buches beschworen wird. Millionen Menschen aus Afrika sind wegen Hunger, Dürre und Krieg auf der Flucht. Hier stellt sich die Frage, welche Bedeutung Heimat für diese Menschen hat. Ist Heimat der reale Geburtsort oder hat Heimat eine metaphysische Bedeutung?
Auf der Suche nach neuer Heimat werden flüchtende Menschen, insbesondere wenn sie in großer Anzahl auftreten, mit Misstrauen und Abwehr konfrontiert. Der Autor spricht von anthropologischen Konstanten, die jeder Begründung vorausgehen. (98) „Mehr oder weniger die Hälfte der Bevölkerungen zieht Geschlossenheit der Offenheit vor.“ (104) Hier wäre ein Ausflug in die Evolutionsbiologie hilfreich, um die Zusammenhänge besser verstehen zu können.
Das Thema hat eine gesellschaftliche Dimension. Es geht beim Fremden nicht primär um Hautfarbe oder Religion. Es geht um die Anerkennung der gesellschaftlichen Prinzipien des aufnehmenden Landes. Religion wird nur dann problematisch, wenn sie über das Grundgesetz gestellt wird. Eine Kultur, die Frauen unterdrückt, wird in Europa keine Anerkennung finden.
Migration ist ein schwieriger Prozess und aus den oben genannten Gründen haben es Menschen aus christlich geprägten Kulturen hier leichter als Menschen aus muslimisch geprägten Kulturen. Dabei ist der Autor nicht auf einem Auge blind, sondern macht deutlich, was im Namen des Christentums alles geschehen ist. Der Begriff „Werte“ erscheint als ein Widerspruch zu sich selbst, wenn man ihn spiegelt mit Inquisition, Folter und Verbrennung.
Auch fällt auf, dass Deutschland eine historische Last zu tragen hat und über Assimilation und strukturelle Integration nicht unbefangen diskutieren kann. Der Traum von Multi-Kulti ist in Deutschland beherrschend und die Schuld für misslungene Integration wird allein bei der aufnehmenden Gesellschaft gesucht. Wenn Deutschland als neue Heimat in Betracht gezogen wird, ist – als Minimalforderung - die Kenntnis der Sprache unbedingte Voraussetzung.
Schüle setzt sich mit der Entwicklung in Europa auseinander und benennt Schwächen. „In jeder funktionsfähigen Demokratie westlicher Prägung können die Bürger opponieren und eine Regierung abwählen – in der EU können sie das nicht.“ (207) Trotzdem bestimmt die EU mittlerweile den Alltag. Viele Menschen fühlen sich diesem Hypersystem ausgeliefert. Hier hat die Politik eine Bringschuld, den Nutzen verständlich und plausibel zu erläutern.
Der Autor zeichnet ein Bild der Zerrissenheit, aber auch der Hoffnung. Sein Entwurf ist nicht frei von Widersprüchen, aber das ist auch nicht das Ziel. Es geht nicht um einfache Antworten, sondern um eine Reflexion des Themas in seiner Vielschichtigkeit und damit um eine Diskussionsgrundlage, um den Veränderungsprozess zu begleiten. .