«Ich wüsste nicht, welcher Partei ich meine Stimme gäbe.» Links zu sein, ist in Deutschland kein Problem. Aber kann man auch konservativ sein? Oder ist man dann rechts? Ulrich Greiner nimmt für sich das Recht in Anspruch, konservativ geworden zu sein. Und er stellt fest, dass der konservative Gedanke in Deutschland politisch und intellektuell heimatlos geworden ist. Weil er vom Diskurs der Mehrheit abweicht, ist er in der rechten Ecke gelandet. Doch die alten Kategorien greifen nicht mehr, die ideologischen Fronten nehmen einen neuen Verlauf. Was also kann es in Zeiten von Ehe für alle, Flüchtlingskrise und Trump bedeuten, konservativ und dabei doch aufgeklärt zu sein? Wer vertritt die Kritik an einer immer stärkeren Verflechtung Europas? Woher kommt der deutsche Selbsthass? Wie elitär ist der Multikulturalismus? Was gilt es von der geistigen Tradition des christlichen Abendlandes in der globalisierten Welt zu bewahren? Solchen Fragen stellt sich der langjährige Feuilleton-Chef der «Zeit». Sein Buch ist der streitbare Versuch, im Jahr der Bundestagswahl den politischen und intellektuellen Raum für einen modernen Konservativismus auszuloten - jenseits von politischer Korrektheit und diesseits der AfD.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.09.2017Auch weiß er nicht, wen er wählen soll
Ulrich Greiner bekennt sich als Konservativer, dem etwas Entscheidendes fehlt
Zur Buchmesse 1975 beklagte Ulrich Greiner, damals Literaturredakteur dieser Zeitung, die großen Verlage publizierten kaum mehr linke Titel. Die "Reduzierung mißliebiger Texte" sah er einer "neuen Generation lernwilliger, autoritätsfixierter, erfolgsorientierter Studenten" geschuldet, die durch "äußere Pressionen" zur Stromlinienförmigkeit gezwungen worden seien: "Nummerus clausus und Radikalenbeschluß züchten einen neuen Typus des Anpassers." Zugleich gab Greiner aber hinsichtlich einer konservativen Tendenzwende Entwarnung, "weil es auf diesem Gebiet nichts zu drucken gibt".
Das hat sich offensichtlich geändert. Denn Greiner trägt nun selbst zu einem mittlerweile reich bestellten Feld bei. Mit seinen "Bekenntnissen eines Konservativen" reiht er sich ein in die Schar ehedem sich links verstehender Journalisten und Intellektueller, die nun auf konservativen Kurs gehen. Bei Greiner begann die Abkehr von der Linken 1990 nach einem Gespräch mit Joseph Rovan, der ihm die mit der intellektuellen Anziehungskraft und Theoriehöhe begründete vermeintliche Höherwertigkeit des Kommunismus gegenüber anderen Totalitarismen ausredete.
Greiner fand so zu einer Äquidistanz gegenüber den Extremen. Warum "links" angesichts der Hinterlassenschaften des Sozialismus moralisch privilegiert sein soll, leuchtete ihm nicht länger ein. Das politische Engagement hatte auch ihn moralisch blind werden lassen. Im Hinblick auf seine damalige, rein die politischen Folgen abschätzenden Reaktion auf den Mord an Generalbundesanwalt Siegfried Buback empfindet Greiner heute Scham ob seines Mangels an Mitgefühl. Entspricht Greiners neugewonnene Äquidistanz einer liberalen Haltung, so trifft dies auf das zweite Motiv seiner Neuorientierung nicht zu, denn die Gretchenfrage beantwortet er im Grundsatz doch sehr eindeutig: Greiner ist wieder in die katholische Kirche eingetreten.
Deren politische Stellungnahmen waren es sicher nicht, die ihn dazu veranlassten, auch nicht die Profanierung der Messfeier in der reformierten Liturgie und schon gar nicht die Moralisierung der Politik, welche die Unzuständigen und Unverständigen betreiben. All das kritisiert Greiner nämlich. Und angesichts der Geschichte des Christentums tut er etwas sehr Konservatives: Er kritisiert nicht, er hadert nicht, er staunt.
Sein Staunen auch über das Wunder des Lebens sieht Greiner freilich durch die Biotechnologie bedroht. Die Abkopplung der Reproduktion von der Familie zerstöre die Genealogie, den familiären Zusammenhang, die Herkunft. Die linke Identitätspolitik mit ihrer Ächtung diskriminierender Begriffe und unliebsamer Straßennamen tut das Übrige, um sich dem Szenario von Orwells in "1984" zu nähern: die permanente Austilgung oder Umschreibung der Vergangenheit. Greiner sieht nun die Religion nicht nur als schutzwürdiges Kulturgut an, er nimmt das Christentum auch in seinem Absolutheitsanspruch ernst.
Und das heißt, gerade keine Äquidistanz gegenüber den Religionen zu wahren, wie Greiner mit einem Schuss Kapitalismuskritik, die er sich bewahrt hat, proklamiert: "Entweder wir berufen uns auf unser Herkommen (das, ob man will oder nicht, abendländisch ist), oder wir folgen einem Kulturrelativismus, dessen einziges Credo ein Anpassungsdenken ist, wie wir es von jenem global agierenden Kapitalismus kennen, dem alles gleich gültig ist, sofern nur profitabel.
Dieser Zynismus wird uns nicht retten. Die Vorstellung, die monotheistischen Religionen seien einander im Wesentlichen ähnlich, es empfehle sich also, von beiden Missgeburten Abstand zu halten, führt in die Irre. Es ist kein geringer Unterschied, dass die eine Religion von einem gekreuzigten Wanderprediger gegründet wurde und die andere von einem kriegführenden Kaufmann."
Greiner gehörte in den siebziger Jahren nicht zu den Linksextremen, und er hält auch nun Maß und plädiert eher für eine Art von Traditionsschonung im Sinne Hermann Lübbes als für Fundamentalopposition. Greiner hat auch kein klares Feindbild und weiß nicht, wen er bei der Bundestagswahl wählen soll. Er wendet sich mit Grausen von den etablierten Parteien ab, obgleich er de Maizières Auffrischung der Leitkulturdebatte goutiert. Nach der Lektüre von Greiners Essay ist man freilich weniger darauf gespannt, wie nun am Ende seine Wahlentscheidung ausfällt (wäre trotzdem nett, wenn er das nach so viel öffentlichem Räsonieren mitteilte), als wer nun der Nächste im Renegatenkreis ist.
PETER HOERES
Ulrich Greiner:
"Heimatlos". Bekenntnisse eines Konservativen.
Rowohlt Verlag,
Reinbek 2017.
160 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ulrich Greiner bekennt sich als Konservativer, dem etwas Entscheidendes fehlt
Zur Buchmesse 1975 beklagte Ulrich Greiner, damals Literaturredakteur dieser Zeitung, die großen Verlage publizierten kaum mehr linke Titel. Die "Reduzierung mißliebiger Texte" sah er einer "neuen Generation lernwilliger, autoritätsfixierter, erfolgsorientierter Studenten" geschuldet, die durch "äußere Pressionen" zur Stromlinienförmigkeit gezwungen worden seien: "Nummerus clausus und Radikalenbeschluß züchten einen neuen Typus des Anpassers." Zugleich gab Greiner aber hinsichtlich einer konservativen Tendenzwende Entwarnung, "weil es auf diesem Gebiet nichts zu drucken gibt".
Das hat sich offensichtlich geändert. Denn Greiner trägt nun selbst zu einem mittlerweile reich bestellten Feld bei. Mit seinen "Bekenntnissen eines Konservativen" reiht er sich ein in die Schar ehedem sich links verstehender Journalisten und Intellektueller, die nun auf konservativen Kurs gehen. Bei Greiner begann die Abkehr von der Linken 1990 nach einem Gespräch mit Joseph Rovan, der ihm die mit der intellektuellen Anziehungskraft und Theoriehöhe begründete vermeintliche Höherwertigkeit des Kommunismus gegenüber anderen Totalitarismen ausredete.
Greiner fand so zu einer Äquidistanz gegenüber den Extremen. Warum "links" angesichts der Hinterlassenschaften des Sozialismus moralisch privilegiert sein soll, leuchtete ihm nicht länger ein. Das politische Engagement hatte auch ihn moralisch blind werden lassen. Im Hinblick auf seine damalige, rein die politischen Folgen abschätzenden Reaktion auf den Mord an Generalbundesanwalt Siegfried Buback empfindet Greiner heute Scham ob seines Mangels an Mitgefühl. Entspricht Greiners neugewonnene Äquidistanz einer liberalen Haltung, so trifft dies auf das zweite Motiv seiner Neuorientierung nicht zu, denn die Gretchenfrage beantwortet er im Grundsatz doch sehr eindeutig: Greiner ist wieder in die katholische Kirche eingetreten.
Deren politische Stellungnahmen waren es sicher nicht, die ihn dazu veranlassten, auch nicht die Profanierung der Messfeier in der reformierten Liturgie und schon gar nicht die Moralisierung der Politik, welche die Unzuständigen und Unverständigen betreiben. All das kritisiert Greiner nämlich. Und angesichts der Geschichte des Christentums tut er etwas sehr Konservatives: Er kritisiert nicht, er hadert nicht, er staunt.
Sein Staunen auch über das Wunder des Lebens sieht Greiner freilich durch die Biotechnologie bedroht. Die Abkopplung der Reproduktion von der Familie zerstöre die Genealogie, den familiären Zusammenhang, die Herkunft. Die linke Identitätspolitik mit ihrer Ächtung diskriminierender Begriffe und unliebsamer Straßennamen tut das Übrige, um sich dem Szenario von Orwells in "1984" zu nähern: die permanente Austilgung oder Umschreibung der Vergangenheit. Greiner sieht nun die Religion nicht nur als schutzwürdiges Kulturgut an, er nimmt das Christentum auch in seinem Absolutheitsanspruch ernst.
Und das heißt, gerade keine Äquidistanz gegenüber den Religionen zu wahren, wie Greiner mit einem Schuss Kapitalismuskritik, die er sich bewahrt hat, proklamiert: "Entweder wir berufen uns auf unser Herkommen (das, ob man will oder nicht, abendländisch ist), oder wir folgen einem Kulturrelativismus, dessen einziges Credo ein Anpassungsdenken ist, wie wir es von jenem global agierenden Kapitalismus kennen, dem alles gleich gültig ist, sofern nur profitabel.
Dieser Zynismus wird uns nicht retten. Die Vorstellung, die monotheistischen Religionen seien einander im Wesentlichen ähnlich, es empfehle sich also, von beiden Missgeburten Abstand zu halten, führt in die Irre. Es ist kein geringer Unterschied, dass die eine Religion von einem gekreuzigten Wanderprediger gegründet wurde und die andere von einem kriegführenden Kaufmann."
Greiner gehörte in den siebziger Jahren nicht zu den Linksextremen, und er hält auch nun Maß und plädiert eher für eine Art von Traditionsschonung im Sinne Hermann Lübbes als für Fundamentalopposition. Greiner hat auch kein klares Feindbild und weiß nicht, wen er bei der Bundestagswahl wählen soll. Er wendet sich mit Grausen von den etablierten Parteien ab, obgleich er de Maizières Auffrischung der Leitkulturdebatte goutiert. Nach der Lektüre von Greiners Essay ist man freilich weniger darauf gespannt, wie nun am Ende seine Wahlentscheidung ausfällt (wäre trotzdem nett, wenn er das nach so viel öffentlichem Räsonieren mitteilte), als wer nun der Nächste im Renegatenkreis ist.
PETER HOERES
Ulrich Greiner:
"Heimatlos". Bekenntnisse eines Konservativen.
Rowohlt Verlag,
Reinbek 2017.
160 S., geb., 19,95 [Euro].
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Ein gründlicher, bedachter Leser, dessen Urteil eine Art Goldstandard darstellt. Gustav Seibt Süddeutsche Zeitung