Die Kraft der Wahrheit. Frank Money hat den Koreakrieg überlebt - als Einziger von drei Freiwilligen aus seinem Heimatort Lotus, Georgia. Die Stadt ist ein rassistisches Höllenloch, in das er nie mehr zurückwill. Doch auch andernorts erlebt Frank die Segregation der Fünfzigerjahre: getrennte Restaurants, Hotels, Waschräume. Dann erreicht Frank die Nachricht, dass seine Schwester Cee in Gefahr ist - er muss zurück nach Lotus, zum Elternhaus und zu einem Geheimnis aus der Kindheit, dem er bis zu seiner bitteren Enthüllung nachgeht.
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"Alle großen Themen der Nobelpreisträgerin sind hier vereint, prägnant und eindringlich." -- The Washington Post
"Das gefühlvollste Buch von Morrison." -- The New York Review of Books
"Das gefühlvollste Buch von Morrison." -- The New York Review of Books
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2014Sogar die Schatten lügen
Die Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison erzählt in "Heimkehr" von einem schwarzen Geschwisterpaar, das unfreiwillig ein Verbrechen beobachtet hat.
Von Hubert Spiegel
Toni Morrison, Amerikas Literaturnobelpreisträgerin und der Stachel, den Stockholm ins Fleisch ihrer weißen Schriftstellerkollegen wie John Updike und Philip Roth gepflanzt hat, erzählt in ihren Romanen von den Dämonen, von denen das schwarze Amerika gejagt wird: Sklaverei, Diskriminierung, Armut, Hass und Gewalt. Ihre Hauptfiguren sind überwiegend weiblich, Morrisons Poetik ist feministisch, emanzipatorisch und höchst allergisch gegen jede Art von Vereinnahmung: "Schwarze haben keine Nationalität in diesem Land. Wir sind Staatsbürger und Schwarze. Ich bin keine amerikanische Schriftstellerin."
Es war daher kaum zu erwarten, dass die Autorin einen Kriegsheimkehrer zum Erzähler und zur Hauptfigur ihres jüngsten Romans machen würde. Aber Frank Money, der traumatisiert aus Korea zurückkehrt, ist beides nur auf den ersten Blick. In "Heimkehr" erzählt Toni Morrison zwar Franks Geschichte, aber im Grunde ist der junge Veteran für die Autorin nur Mittel zu einem anderen Zweck.
Als Erstes lesen wir ein Gedicht. Vielleicht ist es auch ein Liedtext, ein Bluessong. Er handelt von einem fremden Haus, einem Haus, dessen Schatten lügen: "Sag mir, sag, warum mein Schlüssel hier passt." Dann folgt eine Rückblende in die Kindheit von Frank und seiner jüngeren Schwester Ycidra, genannt Cee. Die beiden Kinder werden zufällig Zeugen eines schrecklichen Geschehens: Ein Leichnam wird verscharrt, und Frank weiß sofort, dass ihr Leben in Gefahr ist, wenn sie entdeckt werden. Fortan ist die Sorge um Cee der wichtigste Inhalt von Franks leerem Leben.
Aber Frank kann seine Schwester nicht beschützen. Das Leben in dem Hundert-Seelen-Kaff Lotus in Georgia ist sterbensöde, dumpf und von Armut geprägt: "Das Verrückte ist unser Familienname, Money. Etwas, das wir nie hatten." Die Armee erscheint Frank und seinen Freunden als Geschenk Gottes - endlich eine Gelegenheit, dem verhassten Heimatort den Rücken zu kehren. Aber Lotus war nie eine Heimat, sondern nur der Zufluchtsort, an den es die Familie Money verschlagen hatte, nachdem sie von Rassisten aus ihrem Haus in Texas vertrieben worden war.
Als Frank nach Korea aufbricht, ist er ein selbstbewusster, kraftstrotzender Bursche, der eine pogromartige Vertreibung und eine traurige Kindheit und Jugend bei einer bis zur Bösartigkeit lieblosen Großmutter hinter sich hat. Als er zurückkommt, ist er Mitte zwanzig und ein Wrack: ein Trinker, der seine Freunde hat sterben sehen, der Schreckliches nicht nur erleben musste, sondern auch selbst getan hat, haltlos, von psychischen Störungen verängstigt, ohne Job und Perspektive. Erst ein Brief aus Lotus rüttelt ihn wach: Cee ist todkrank. Frank flieht aus der psychiatrischen Anstalt, in der er eines Morgens aufgewacht ist, ohne zu wissen, wie er dort hingeraten war.
Toni Morrison erzählt die Geschichte von Frank und Cee als schwarzes Märchen aus böser Zeit. In loser Folge reiht sie Szenen von Franks Reise zu Cee und Rückblenden auf Kindheits- und Kriegserlebnisse aneinander. Das Amerika der fünfziger Jahre erscheint als ein Ort brutaler Gewalt und Willkür. Schlägereien, Übergriffe der Polizei und übelste Diskriminierung sind an der Tagesordnung. Die Schwarzen reagieren darauf mit Sarkasmus und Solidarität. Frank findet Freunde und Helfer.
All das wird geschildert aus der Perspektive eines allwissenden Erzählers, aber es ist Frank selbst, der diesem Erzähler - oder dieser Erzählerin - die Grenzen aufweist. In kursiv gesetzten Passagen lässt Toni Morrison Frank selbst sprechen und das Erzählte auch kommentieren. Das erinnert an die Tradition der oral history, an die Toni Morrison in ihrem Werk immer wieder angeknüpft hat: Einer, der gut reden kann, erzählt die Geschichte eines anderen, dem die Gabe der Rede nicht zur Verfügung steht. Aber Frank ist skeptisch: "Erzähl von Erschöpfung. Erzähl von Hunger . . . Du hast keine Ahnung, was Hitze ist, solange du nicht von Texas nach Louisiana gegangen bist, über die Grenze im Sommer. Du findest die Worte nicht, die es fassen. Bäume ergeben sich. Schildkröten kochen unter ihren Panzern. Beschreib das, falls du weißt, wie."
Von Anfang an lässt Frank durchblicken, dass er seinem namenlosen Gegenüber nicht alles beichtet. Er hält etwas zurück, ein Geheimnis, das mit Cee oder mit dem Krieg zu tun haben muss. Oder mit beidem. Als er Cee findet, ist seine Schwester halb tot, missbraucht und geschändet. Er bringt sie nach Lotus, wo sie von den Frauen des Dorfes gesund gepflegt wird. Cee bleibt versehrt und gezeichnet wie ihr Bruder, entwickelt aber zum ersten Mal in ihrem Leben so etwas wie Selbstbewusstsein, auch gegenüber Frank: "In einer solchen Welt mit solchen Menschen wollte sie jemand sein, der nie wieder gerettet werden musste . . ., sie wollte diejenige sein, die sich selbst rettete." Die Heldin ist gereift, durch Schmerz gestählt, geheilt im Kreise seltsam idealisierter Frauen. Franks Mission ist erfüllt, und die Autorin lässt ihn beiläufig fallen. Der Tote, der am Anfang verscharrt wird, das schreckliche Verbrechen, das Frank in Korea begangen hat, all dies wird noch rasch aufgeklärt, und noch einmal, gegen Ende, gelingen Toni Morrison irritierende Bilder wie zu Beginn, hart und poetisch zugleich. So bleibt nur eine Frage offen: Warum hat Toni Morrison aus diesem komplexen Stoff nicht mehr gemacht, als einen kurzen Roman, dem auf den letzten dreißig Seiten spürbar die Luft ausgeht?
Toni Morrison: "Heimkehr". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Thomas Piltz. Rowohlt Verlag, Reinbek 2014. 156 S., geb., 18,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison erzählt in "Heimkehr" von einem schwarzen Geschwisterpaar, das unfreiwillig ein Verbrechen beobachtet hat.
Von Hubert Spiegel
Toni Morrison, Amerikas Literaturnobelpreisträgerin und der Stachel, den Stockholm ins Fleisch ihrer weißen Schriftstellerkollegen wie John Updike und Philip Roth gepflanzt hat, erzählt in ihren Romanen von den Dämonen, von denen das schwarze Amerika gejagt wird: Sklaverei, Diskriminierung, Armut, Hass und Gewalt. Ihre Hauptfiguren sind überwiegend weiblich, Morrisons Poetik ist feministisch, emanzipatorisch und höchst allergisch gegen jede Art von Vereinnahmung: "Schwarze haben keine Nationalität in diesem Land. Wir sind Staatsbürger und Schwarze. Ich bin keine amerikanische Schriftstellerin."
Es war daher kaum zu erwarten, dass die Autorin einen Kriegsheimkehrer zum Erzähler und zur Hauptfigur ihres jüngsten Romans machen würde. Aber Frank Money, der traumatisiert aus Korea zurückkehrt, ist beides nur auf den ersten Blick. In "Heimkehr" erzählt Toni Morrison zwar Franks Geschichte, aber im Grunde ist der junge Veteran für die Autorin nur Mittel zu einem anderen Zweck.
Als Erstes lesen wir ein Gedicht. Vielleicht ist es auch ein Liedtext, ein Bluessong. Er handelt von einem fremden Haus, einem Haus, dessen Schatten lügen: "Sag mir, sag, warum mein Schlüssel hier passt." Dann folgt eine Rückblende in die Kindheit von Frank und seiner jüngeren Schwester Ycidra, genannt Cee. Die beiden Kinder werden zufällig Zeugen eines schrecklichen Geschehens: Ein Leichnam wird verscharrt, und Frank weiß sofort, dass ihr Leben in Gefahr ist, wenn sie entdeckt werden. Fortan ist die Sorge um Cee der wichtigste Inhalt von Franks leerem Leben.
Aber Frank kann seine Schwester nicht beschützen. Das Leben in dem Hundert-Seelen-Kaff Lotus in Georgia ist sterbensöde, dumpf und von Armut geprägt: "Das Verrückte ist unser Familienname, Money. Etwas, das wir nie hatten." Die Armee erscheint Frank und seinen Freunden als Geschenk Gottes - endlich eine Gelegenheit, dem verhassten Heimatort den Rücken zu kehren. Aber Lotus war nie eine Heimat, sondern nur der Zufluchtsort, an den es die Familie Money verschlagen hatte, nachdem sie von Rassisten aus ihrem Haus in Texas vertrieben worden war.
Als Frank nach Korea aufbricht, ist er ein selbstbewusster, kraftstrotzender Bursche, der eine pogromartige Vertreibung und eine traurige Kindheit und Jugend bei einer bis zur Bösartigkeit lieblosen Großmutter hinter sich hat. Als er zurückkommt, ist er Mitte zwanzig und ein Wrack: ein Trinker, der seine Freunde hat sterben sehen, der Schreckliches nicht nur erleben musste, sondern auch selbst getan hat, haltlos, von psychischen Störungen verängstigt, ohne Job und Perspektive. Erst ein Brief aus Lotus rüttelt ihn wach: Cee ist todkrank. Frank flieht aus der psychiatrischen Anstalt, in der er eines Morgens aufgewacht ist, ohne zu wissen, wie er dort hingeraten war.
Toni Morrison erzählt die Geschichte von Frank und Cee als schwarzes Märchen aus böser Zeit. In loser Folge reiht sie Szenen von Franks Reise zu Cee und Rückblenden auf Kindheits- und Kriegserlebnisse aneinander. Das Amerika der fünfziger Jahre erscheint als ein Ort brutaler Gewalt und Willkür. Schlägereien, Übergriffe der Polizei und übelste Diskriminierung sind an der Tagesordnung. Die Schwarzen reagieren darauf mit Sarkasmus und Solidarität. Frank findet Freunde und Helfer.
All das wird geschildert aus der Perspektive eines allwissenden Erzählers, aber es ist Frank selbst, der diesem Erzähler - oder dieser Erzählerin - die Grenzen aufweist. In kursiv gesetzten Passagen lässt Toni Morrison Frank selbst sprechen und das Erzählte auch kommentieren. Das erinnert an die Tradition der oral history, an die Toni Morrison in ihrem Werk immer wieder angeknüpft hat: Einer, der gut reden kann, erzählt die Geschichte eines anderen, dem die Gabe der Rede nicht zur Verfügung steht. Aber Frank ist skeptisch: "Erzähl von Erschöpfung. Erzähl von Hunger . . . Du hast keine Ahnung, was Hitze ist, solange du nicht von Texas nach Louisiana gegangen bist, über die Grenze im Sommer. Du findest die Worte nicht, die es fassen. Bäume ergeben sich. Schildkröten kochen unter ihren Panzern. Beschreib das, falls du weißt, wie."
Von Anfang an lässt Frank durchblicken, dass er seinem namenlosen Gegenüber nicht alles beichtet. Er hält etwas zurück, ein Geheimnis, das mit Cee oder mit dem Krieg zu tun haben muss. Oder mit beidem. Als er Cee findet, ist seine Schwester halb tot, missbraucht und geschändet. Er bringt sie nach Lotus, wo sie von den Frauen des Dorfes gesund gepflegt wird. Cee bleibt versehrt und gezeichnet wie ihr Bruder, entwickelt aber zum ersten Mal in ihrem Leben so etwas wie Selbstbewusstsein, auch gegenüber Frank: "In einer solchen Welt mit solchen Menschen wollte sie jemand sein, der nie wieder gerettet werden musste . . ., sie wollte diejenige sein, die sich selbst rettete." Die Heldin ist gereift, durch Schmerz gestählt, geheilt im Kreise seltsam idealisierter Frauen. Franks Mission ist erfüllt, und die Autorin lässt ihn beiläufig fallen. Der Tote, der am Anfang verscharrt wird, das schreckliche Verbrechen, das Frank in Korea begangen hat, all dies wird noch rasch aufgeklärt, und noch einmal, gegen Ende, gelingen Toni Morrison irritierende Bilder wie zu Beginn, hart und poetisch zugleich. So bleibt nur eine Frage offen: Warum hat Toni Morrison aus diesem komplexen Stoff nicht mehr gemacht, als einen kurzen Roman, dem auf den letzten dreißig Seiten spürbar die Luft ausgeht?
Toni Morrison: "Heimkehr". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Thomas Piltz. Rowohlt Verlag, Reinbek 2014. 156 S., geb., 18,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Angela Schader verehrt Toni Morrison sehr, und auch mit diesem Roman fügt die Nobelpreisträgerin ein neues Segment in ihre "bildstarke Gesamtschau" der afroamerikanischer Geschichte. "Heimkehr" erzählt von zwei Geschwistern am Vorabend der Bürgerrechtsbewegung, berichtet die Rezensentin: Frank Money kehrt aus dem Koreakrieg zurück, wo er "als Soldat unter Soldaten" gedient hat, mit einem traumatischen Sehfehler zurück: er sieht keine Farben mehr, sondern nur noch schwarzweiß. Seine Schwester Cee ist nach einer überstürzten Ehe in die Fänge eines obskuren Heilers geraten, der sie für üble Experimente benutzt. Ikonenhafte Momente und wuchtige Tableaus hat Schader in dem Roman gefunden, wie sie es von Morrison kennt, doch das überraschende, "naiv-nostalgisch anmutende "Ende hat die Rezensentin geradezu verstört. Solch erschreckend patente Bodenständigkeit hat Schader bei Morrison noch nie erlebt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Hätte Amerika eine Nationalschriftstellerin, so wäre es Toni Morrison. The New York Times