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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Von imposanter Körperlichkeit waren beide: Thomas Medicus legt eine bestechende Doppelbiographie von Heinrich und Götz George vor.
Mit der Abfolge der Generationen hat es eine eigentümliche Bewandtnis. Sie vollzieht sich in einem natürlichen Rhythmus, in den sich gleichwohl äußere Ereignisse wie Zäsuren oder Initialmomente einschreiben. Für Heinrich und Götz George, denen Thomas Medicus eine gemeinsame Biographie gewidmet hat, beginnen die "Zwei Leben" 1893 in Stettin und enden 2016 in Hamburg. Ein ganzes Jahrhundert, mit einer Kindheitsgeschichte im neunzehnten und einer Rückschau aus dem 21., verteilt auf zwei Männer, zwei Schauspieler, zwei Stars. Zwei Zeitgenossen. Dass dem Sohn das Leben des Vaters wie eine Aufgabe mitgegeben ist, leuchtet unmittelbar ein, zumal wenn es so grundlegende Fragen moralischen Verhaltens enthält wie bei Heinrich George, der im Nationalsozialismus eine tragende Säule des deutschen Starsystems war. Aber ist der Vater auch noch im Leben seines Sohnes gegenwärtig, wenn der als "Tatort"-Kommissar Schimanski zu einem Idol in der Bundesrepublik wird?
Für Thomas Medicus liegt der Schlüssel zu diesem Verhältnis in den Körperbildern. Heinrich George kennt man als Ungetüm von einem Mann, ausgestattet mit imposanter Leibesfülle in einer Zeit, in der noch andere Schönheitsideale galten, als sie später wirksam wurden, als Götz George nach dem Krieg seine Karriere begann. Auch er hatte eine beeindruckende Physis, er liebte es, sich an athletischen Herausforderungen und Stunts zu erproben, und wenn er Bier und Bockwurst als Polizistendiät verfocht, dann war das auch schon ein ironisches Distanzzeichen in einer Gesellschaft, die sich längst feinere Sachen bei Tisch leisten konnte. Einen wesentlichen Aspekt in dieser Differenz kann man beinahe wie eine Entmythologisierung lesen: Heinrich Georges Körper sollte noch wirken wie ein "Naturereignis", Götz George hingegen zeigte trotz aller proletarischen Brechung einen trainierten Körper, ein Produkt von Selbsttechniken und eines Kunstverständnisses, das nicht mehr mit einem Lebensstil der Verausgabung einhergehen musste.
Heinrich George starb 1946 im sowjetischen Speziallager Sachsenhausen in Oranienburg. Sein Sohn Götz, der den Namen nach einer Lieblingsrolle des Vaters, dem Götz von Berlichingen von Goethe, bekam, war da gerade acht Jahre alt. Es gab also wenig persönlich Verbindendes zwischen den beiden, unweigerlich musste ein "Familienroman" - eine psychisch akzeptable Fiktion - an die Stelle einer persönlichen Auseinandersetzung treten. Das Buch von Thomas Medicus bekommt einen wichtigen Anlass nicht zuletzt dadurch, dass dieser Familienroman, also die Art und Weise, wie Götz George im eigenen Alter seinen Vater sehen und gesehen haben wollte, 2013 durch den Fernsehfilm "George" auch bis zu einem gewissen Grad offiziös wurde. In Form eines Dokudramas, in dem der Sohn die Hauptrolle des Vaters spielte, wurde da verhandelt, ob Heinrich George sich im Nationalsozialismus schuldig gemacht hatte. "Ich will den Vater schützen, ich will sein Bild schützen", deklarierte Götz George damals ganz offen.
Medicus geht hinter diese Schutzerzählung mit einem gelassenen, aber niemals oberflächlichen historisch-kritischen Interesse zurück. Er erzählt im ersten Teil seines Buches das Leben von Heinrich George vor dem immer wieder einbezogenen zeithistorischen Horizont: ein Traumatisierter des Ersten Weltkriegs, der in den zwanziger Jahren auf dem Theater und bald auch im Kino eine Möglichkeit fand, ganz in seiner Arbeit und in seiner Popularität aufzugehen. 1931 spielte er den Franz Biberkopf in "Berlin Alexanderplatz", der positive Höhepunkt in seinem Schaffen. 1933 schlug George sich aber umstandslos auf die Seite der neuen Machthaber in Deutschland, wie Medicus überzeugend und mit vielen Quellen darlegt. Die Ufa begrüßte die Machtergreifung mit dem Propagandafilm "Hitlerjunge Quex", in dem Heinrich George einen Berliner Proletarier spielte, dessen Sohn sich der kommunistischen "Organisation" entzieht und zu den Nazis überläuft. In "Jud Süß" von Veit Harlan, mit dem Goebbels den Rassenantisemitismus auf Hollywood-Niveau bringen wollte, setzte Heinrich George in der Rolle des dekadenten Herzogs von Württemberg auch seinem Körperbild ein Denkmal.
Das Mandat des Vaters als eines ersten Schauspielers übernahm Götz George nicht direkt, denn das gaben die Bedingungen im deutschen Kino nach 1945 nicht her. Mit "Kirmes" und "Herrenpartie" von Wolfgang Staudte bewies er in jungen Jahren aber auch schon Sinn für relevante Rollen - diese beiden Titel würde man wohl heute in seiner Filmographie als die bedeutendsten hervorheben, und Medicus würdigt sie auch ausführlich und kundig. Mit der Rolle des "Tatort"-Kommissars Horst Schimanski und einem Genre-Meisterwerk wie dem Thriller "Die Katze" von Dominik Graf wurde Götz George dann zu dem Star, der einen neuen Sinn für populäre Formen im deutschen Film verkörperte. Als "leibhaftige Anti-Bügelfalte" - eine der ganz wenigen Stilblüten in einem elegant geschriebenen Buch - fand er sogar die Aufmerksamkeit von Steven Spielberg, der ihn in "Schindlers Liste" besetzen wollte, in der Rolle des sadistischen KZ-Leiters Amon Göth. Götz George sagte ab, offiziell wegen seiner ungenügenden Englischkenntnisse.
War das auch ein Aspekt seiner "Kleinkariertheit", die er einmal für sich reklamierte, im Gegensatz zur überlebensgroßen Boheme-Existenz des Vaters? Thomas Medicus bleibt in privaten Dingen eher diskret, verzichtet vor allem auf jede Küchenpsychologie, hat aber von Freud bis Theweleit ein plausibles kulturtheoretisches Instrumentarium, um Vater und Sohn George als Individuen einer Epoche plastisch werden zu lassen. Sein Buch überzeugt durch souverän organisiertes Wissen und eine sachliche Perspektive. Das kurze zwanzigste Jahrhundert bekommt in diesen "Zwei Leben" und zwei Generationen die Konturen eines deutlich längeren.
BERT REBHANDL
Thomas Medicus:
"Heinrich und Götz George". Zwei Leben.
Rowohlt Berlin Verlag,
Berlin 2020. 416 S., geb., 26,- [Euro].
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