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Vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum Ende des Kalten Krieges gab es mehr als 150 größere bewaffnete Konflikte in der Dritten Welt
Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts 1989/90 keimte zeitweilig die Hoffnung auf einen stabilen und dauerhaften Frieden. Solchen Erwartungen stand entgegen, daß in entfernten Regionen - am Kaukasus, im Nahen und Mittleren Osten oder in Afghanistan - bewaffnete Auseinandersetzungen ohne Unterlaß weitergingen. Dabei blieb es nicht. Denn in den neunziger Jahren brach erstmals seit 1945 wieder ein Krieg auf europäischem Boden aus. So ist es kaum ein Zufall, daß seitdem in den Gesellschafts- und Kulturwissenschaften intensiv über öffentliche Gewalt und moderne Kriegführung sowie über die Unterschiede von "alten" und "neuen" Kriegen diskutiert wird. Wie aber verhält es sich mit dem längsten aller Kriege nach 1945, dem sogenannten Kalten Krieg, der von vielen Beobachtern in der Rückschau oft nur noch als ein "kalter Frieden" wahrgenommen wird? Eine genaue Sicht auf die Vorgänge zeigt zunächst, daß in dieser Phase zahlreiche heiße Kriege geführt worden sind, weil es doch vom Ende der vierziger Jahre bis 1989 mehr als 150 größere bewaffnete Konflikte in der sogenannten Dritten Welt gab. Schätzungen zufolge beläuft sich die Zahl der Kriegstoten im gleichen Zeitraum weltweit auf rund zwanzig Millionen Menschen. Über die weiteren Dimensionen und Hintergründe dieses - für viele Europäer auch heute noch unbekannten - Geschehens informiert kompetent der vorliegende Sammelband, herausgegeben von drei Mitarbeitern des Hamburger Instituts für Sozialforschung.
Zu den Vorzügen des Buches zählt, daß es den Blick auf ausgewählte Kriege vor allem in Afrika und Asien richtet und konsequent nach den regionalen und lokalen Bedingungen fragt. Die Fallbeispiele werden also nicht ausschließlich, wie sonst weithin üblich, als Stellvertreterkriege der beiden Großmächte eingestuft, sondern die Autoren fragen ausführlich nach den regionalen Interessenlagen der politischen und gesellschaftlichen Akteure sowie den jeweiligen Machtkonstellationen. Neben der ausführlichen und analytisch überzeugenden Darstellung Bernd Greiners zum Vietnam-Krieg ("Die Blutpumpe") werden in zwölf weiteren Fallstudien europäische und außereuropäische Krisenherde aus den Nachkriegsjahrzehnten unter die Lupe genommen. Zeitlich betrachtet reichen sie vom Griechischen Bürgerkrieg (1946-1949) bis zur Intervention Kubas in Afrika in den Jahren zwischen 1975 und 1991.
Im Kern bestätigen die Einzelanalysen die Hypothese des amerikanischen Historikers Robert McMahon, wonach die heißen Kriege in der Dritten Welt zwar von der Blockkonfrontation beeinflußt worden seien, aber in ihren Ursachen, Austragungsformen und den jeweiligen Folgen nicht ausschließlich auf Interventionen der Supermächte und ihrer Bündnispartner reduziert werden könnten. Vielmehr seien die Feindseligkeiten von vielen anderen Faktoren weitaus stärker bestimmt worden: Zur Erklärung verweist McMahon auf die Entkolonialisierung, ungelöste Grenzfragen, das Machtstreben lokaler und regionaler Machthaber, ethnische und religiöse Spannungen sowie Auseinandersetzungen um Ressourcen aller Art. Zusätzlich verdeutlicht Marc Frey in einem Aufsatz über die Beziehungen der Vereinigten Staaten zur Dritten Welt im Kalten Krieg, daß die Systemkonkurrenz der Supermächte in vielen Fällen durchaus zu einer Eskalation der innerstaatlichen Konflikte beitrug. Erst externe Waffenlieferungen hätten die lokalen und regionalen Konflikte zu endemischen Krisenherden gemacht, in denen Krieg zum Teil über Jahrzehnte hinweg zum sozialen Alltag gehörte.
Obwohl die Beiträge naturgemäß je nach Weltregion und Untersuchungszeitraum unterschiedliche Akzente setzen müssen, sind qualitative Abweichungen unübersehbar. Während die Abhandlung zur sowjetischen Militärhilfe auf einer nur unzureichenden Materialbasis beruht und der Korea-Krieg fast ausschließlich mit Belegstellen aus dem Internet gedeutet wird, vermitteln die weiteren Beiträge durchweg eine zuverlässige Einführung in die behandelte Teilthematik, wobei Karten eine zusätzliche Orientierung erlauben. Bedauerlich ist, daß den Autoren die Opferperspektive nur selten in den Blick gerät. Und in systematischer Hinsicht fehlt eine ausführliche Beschäftigung mit der Rüstungsindustrie und dem Rüstungshandel im Kalten Krieg.
Dennoch besticht der vorliegende Band in mehrfacher Hinsicht. Nicht das geringste Verdienst ist es, daß er der historisch-politischen Erforschung des Kriegsgeschehens in der Moderne eine globale Dimension verleiht. Darüber hinaus arbeitet er systematisch eine Hypothese heraus, an der sich die weitere Forschung zum Kalten Krieg orientieren kann. Hiernach plagten sich sowohl die Vereinigten Staaten als auch die Sowjetunion fast fortlaufend mit einem "Glaubwürdigkeitsproblem", was sie in geradezu obsessiver Weise immer wieder in heiße Kriege intervenieren ließ. Angesichts der aktuellen Gewalteskalation im Nahen und Mittleren Osten liest man mit besonderem Interesse einen Befund Bernd Greiners: Weltmacht konnte auf Dauer nur diejenige bleiben, die "nicht im Verdacht stand, beim Einsatz ihrer Instrumente - der politischen, wirtschaftlichen, psychologischen wie militärischen - zu zögern". Welche gravierenden Rückwirkungen sich daraus nicht nur für die Länder und Bevölkerungen in der Dritten Welt ergaben, sondern auch für die Supermächte selbst, verdeutlichen die Beiträge.
CHRISTOPH CORNELISSEN
Bernd Greiner/Christian Th. Müller/Dierk Walter (Herausgeber): Heiße Kriege im Kalten Krieg. Hamburger Edition, Hamburg 2006. 514 S., 35,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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