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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Der Klimaforscher Mojib Latif glaubt an die Wende in der Klimakrise - gerade nach dem Corona-Schock. In seinem neuen Buch erklärt er, was er dafür gesellschaftlich wie politisch für nötig hält.
In der Nach-Corona-Welt, die vorerst noch auf unbestimmte Zeit vertagt ist, müssen wir uns nach menschlichem Ermessen auf einen Showdown einstellen, wie ihn der Klimaforscher Mojib Latif in seinem neuen Buch über die "Heißzeit" skizziert. Wir erinnern uns: Das Wort, das die Gesellschaft für deutsche Sprache vor zwei Jahren zum Wort des Jahres kürte und das zuvor in der wissenschaftlichen Literatur aufgetaucht war (dort ungewöhnlich genug in seiner Bildkräftigkeit), soll den gefährlichen geophysikalischen Epochenwandel signalisieren.
Die "Klimakatastrophe" also. Ob man den Sachverhalt so noch nennen sollte, weil die meisten Katastrophen doch fast immer auch das Überraschungsmoment enthalten und der Klimawandel schon seit Jahrzehnten angekündigt wird, lässt sich nach der Lektüre von Latifs Buch nicht sicher sagen. Denn Apokalypse-Warnungen sind für Latif jedenfalls nicht das Rezept der Wahl für den Klimadiskurs. Aufbruch ist vielmehr sein Thema, die schöne Idee der "positiven Narrative", mit der sich die Klimakommunikation seit ein paar Jahren beschäftigt. Doch die Unheilsprosa lässt sich nicht verdrängen, auch beim ihm nicht.
Ein halbes Jahr hat die massive Gesundheitskrise die Krise des Planeten nun schon in den Hintergrund gedrängt. Und die Frage ist, was man mit einem Buch, wie Mojib Latif es vorlegt, in der nächsten Runde der Klimadebatte erreichen kann. Latif geht politisch jedenfalls durchaus in die Vollen. Er hat nach einem vorigen Jahr, das mit Klimabüchern von Aktivisten und Nachhaltigkeitsexperten und grünen Zukunftsdeutern aufwartete, ein über weite Strecken ausgesprochen persönliches Wissenschaftsbuch zum Zweck der Mobilisierung vorgelegt.
"Die Dringlichkeit des Heute", Latif zitiert hier Martin Luther King jr., werde die Klimakrise wieder ganz nach oben spülen. Da knüpft er nicht nur an die Klimarealität an, etwa die seit Jahren grassierende Trockenheit und deren Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, er kann sich auch auf Umfragen berufen oder den gesellschaftlichen Meinungsumschwung anführen, den vor allem junge Leute bewirkt haben. An diese Vor-Corona-Stimmung dockt Latif an.
Als einer der gefragtesten Klimaforscher der ersten Stunde, der schon in den neunziger Jahren neben den Hamburger Max-Planck-Forschern die Öffentlichkeit wachzurütteln versuchte, weiß er von den unseligen wie unvermeidlichen Aufmerksamkeitszyklen, die der Klimapolitik zum Verhängnis geworden sind. Und das ist auch ein Thema des neuen Buchs, mit der er nun als Forscher am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung einen neuen Anlauf startet.
Die Ausgangslage ist nun aber eine ganz andere. Einen Großteil des Buches verwendet Latif darauf, zu zeigen, warum jetzt die entscheidende, vielleicht letzte Gelegenheit ist, das Ruder zugunsten einer Stabilisierung des Weltklimas herumzureißen. Natürlich tauchen da auch die im Klimadiskurs üblichen Vorhaltungen an die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft auf, auch an die Gesellschaft, die im Großen und Ganzen immer noch unbeeindruckt von den gewaltigen Umweltrisiken die "Wegwerfgesellschaft" zu retten versucht.
Was Latif immer noch sehr ärgert, heute aber selten noch diskutiert wird: die Schlagseite, die der Klimadiskurs bekommt, wenn den Klimaleugnern und den sogenannten Skeptikern das Wort im politischen Streit erteilt wird. Da schwingen Verletzungen mit, mindestens intellektuelle, vielleicht auch persönliche. Würde man es positiv sehen, wofür Latif am Ende des Buches dann vehement plädiert, könnte man sagen: Hier trägt Latif zu dick auf. Die Saboteure der Klimapolitik, die kaum noch seriöse, geschweige denn neue Argumente zur Entkräftung der Klimawandel-Wahrnehmung vorzubringen imstande sind, haben die Bedeutung, die Latif ihnen zuschreibt, fast überall verloren. Selbst in den Vereinigten Staaten, wohin der Blick der Klimabewegten verständlicherweise geht, weil das politische Gewicht und die schiere Emissionslast der westlichen Industrienation Nummer eins immer noch groß sind, brechen die Lügengebäude immer schneller ein. Zwei Drittel der Befragten haben in einer Repräsentativumfrage jüngst angegeben, die Folgen der Erderwärmung in ihrer Heimat spüren zu können.
Doch an den Klimaskeptikern allein macht Latif nicht die Stagnation in der realen Klimapolitik fest. Was er in seinem Buch über weite Strecken versucht: Erklärungen zu finden dafür, wie es allen Warnsignalen zum Trotz zu der Weigerung kommt, in der Klimapolitik und auch im Alltagsverhalten der meisten Bürger schnellstmöglich die Wende zu versuchen. Keine der Deutungen ist neu: die Entkoppelung von Ursache und Wirkung, das Störfeuer der Lobbyisten, die Schräglage durch soziale Netze, die physikalische und soziale Komplexität des globalen Wandels überhaupt - alles schon vielfach thematisiert. Aber auch alles nicht unplausibel.
Latifs Rezept für alle, die den Umbruch kommunikativ forcieren möchten: die Menschen "in ihrer persönlichen Lebenswelt abholen", die positiven Nebeneffekte des Klimaschutzes betonen, beispielsweise weniger Luftverschmutzung nach der Energiewende. Auch damit trägt Latif die bekannten Eulen nach Athen. Kluge Gedanken findet man in dem Buch viele, neue und revolutionäre sicher nicht. Viel eher werden sich diejenigen mit dem Buch anfreunden können, die wie Latif selbst die Hoffnung nicht aufgeben wollen, dass die Welt in den nächsten Jahren noch rechtzeitig auf einen anderen Klimakurs gebracht werden kann.
Vielleicht ist Mojib Latifs Werk auch deshalb ein Motivationsbuch zur rechten Zeit. Was wäre auch gewonnen, wenn die Zahl derer wächst, die sich der verzweifelt-pessimistischen Analyse des Romanciers Jonathan Franzen anschließen. Noch sieht Latif das Klima nicht im freien Fall. Die Ohnmacht der Politik werde ein Ende haben - erst recht nach den Erfahrungen des Corona-Schocks. Der Autor ist ein hemmungsloser Optimist.
JOACHIM MÜLLER-JUNG
Mojib Latif: "Heißzeit". Mit Vollgas in die
Klimakatastrophe - und wie wir auf die Bremse treten.
Herder Verlag,
Freiburg 2020. 224 S., br., 20,- [Euro].
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