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Der Funke, der die Gegenwart abfackelt. Helene Hegemann trifft Patti Smith zum ersten Mal in einer Mehrzweckhalle in Wien, die als Probebühne für Christoph Schlingensiefs »Area 7« dient. Eine Begegnung, die der damals Dreizehnjährigen im weitesten Sinne das Leben rettet. Patti Smith sprengt in ihrer Kunst alle Gesetzmäßigkeiten und Regeln, die in der Ruhrpott-tristesse, in der Helene Hegemann aufgewachsen ist, als unumstößlich gelten. Von dem Tag an, als sie aus einem Brennpunktstadtteil an die Seite von Patti Smith und in ein Theater katapultiert wird, in der Provokationskünstler die Doktrin…mehr

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Produktbeschreibung
Der Funke, der die Gegenwart abfackelt. Helene Hegemann trifft Patti Smith zum ersten Mal in einer Mehrzweckhalle in Wien, die als Probebühne für Christoph Schlingensiefs »Area 7« dient. Eine Begegnung, die der damals Dreizehnjährigen im weitesten Sinne das Leben rettet. Patti Smith sprengt in ihrer Kunst alle Gesetzmäßigkeiten und Regeln, die in der Ruhrpott-tristesse, in der Helene Hegemann aufgewachsen ist, als unumstößlich gelten. Von dem Tag an, als sie aus einem Brennpunktstadtteil an die Seite von Patti Smith und in ein Theater katapultiert wird, in der Provokationskünstler die Doktrin vom sozialen Status komplett neu verhandeln, wächst in ihr eine Erkenntnis: Ein Leben, das an Gegensätzen nicht zerbricht, sondern aus ihnen eine explosive, heilende Kraft schöpft, ist möglich. In diesem scharfsichtigen, welthaltigen und dabei tief persönlichen Text erzählt Helene Hegemann von ihrer Liebe zu der Musikerin, Dichterin, Performance-Künstlerin, Malerin und Fotografin Patti Smith, von Menschen mit reinen Herzen und von einem toten Hasen, der im Januar 1965 durch eine Kunstausstellung geführt und vierzig Jahre später von Patti Smith in Afrika begraben wird.

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Autorenporträt
Helene Hegemann, 1992 geboren, lebt in Berlin. 2008 gewann sie mit ihrem ersten Film »Torpedo« den Max-Ophüls-Preis. 2010 debütierte sie als Autorin mit dem Roman »Axolotl Roadkill«, der in 20 Sprachen übersetzt wurde. Die Verfilmung, bei der sie selbst Regie führte, wurde beim Sundance Festival 2017 mit dem World Cinema Dramatic Special Jury Award for Cinematography ausgezeichnet. 2013 veröffentlichte sie ihren zweiten Roman »Jage zwei Tiger«, 2018 folgte »Bungalow«, für den sie für den Deutschen Buchpreis nominiert war. 2021 schrieb sie in der KiWi Musikbibliothek über Patti Smith und Christoph Schlingensief, 2022 erschien ihr Kurzgeschichtenband »Schlachtensee«. Sie inszeniert für Oper, Theater und Film.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.09.2021

Aliens und Obdachlose
Die Schriftstellerin Helene Hegemann hat ein Buch über die Sängerin Patti Smith geschrieben. Es ist das unwahrscheinliche und atemberaubende Dokument einer Rettung

Es ist eine Verkettung lebensrettender Umstände. Eine Begegnung in Wien, in einer Mehrzweckhalle, die als Probebühne für eine Inszenierung des Regisseurs Christoph Schlingensief dient. Helene Hegemann ist dreizehn, fast vierzehn, und Patti Smith achtundfünfzig. Sie weiß aber nicht, dass es Patti Smith ist. Sie hält sie für eine Obdachlose mit ihren langen Haaren und ihrem durchlöcherten Mantel. Die Frau spricht sie auf Englisch an, aber Helene Hegemann versteht kein Englisch, nickt und grinst deshalb auch nicht, sondern sitzt einfach da wie ein kleiner Zinnsoldat.

Siebenundsechzig Tage davor, im Herbst 2005, tanzte die Dreizehnjährige zu Patti Smiths "Because the night" - allerdings zu der schlechten Coverversion von Jan Wayne - bei einer westdeutschen Meisterschaft. Das Lied gefiel ihr nicht, trotzdem gewann sie. Es war der bis dahin größte Erfolg ihres Lebens, eine Mischung aus Cheerleading, MTV und Breakdance in einer Turnhalle im Ruhrgebiet zwischen zwei Kleinstädten. Sechs Stunden später starb Helene Hegemanns Mutter an einer Gehirnblutung, und das Mädchen blieb allein in jener Sozialwohnung zwischen Sonnenstudio, Gemeindehalle und Spielplatz zurück, in der sie mit der Mutter lebte. Auf dem Spielplatz übernachteten immer wieder kleine Kinder unter dem Klettergerüst, weil ihre Eltern zu betrunken waren, um ihnen die Haustür zu öffnen. "Ich haute Möbel kaputt, versuchte ab und zu, mir den Arm zu brechen, starrte tagelang auf dieselbe Stelle. Und ich heulte nicht, kein einziges Mal. Es war, als drückte mich ihr Tod in eine verschimmelnde Matratze. Als müsste ich jeden Muskel bis zur Verkrampfung anspannen, um nicht mit diesem Schimmel zu verschmelzen", schreibt sie jetzt in ihrem kurzen neuen Buch, "Patti Smith".

Auch die Mutter hatte Patti Smith gehört. Allerdings nicht an den guten Tagen. Wenn alles gut lief, lief eher keine Musik. Uferte einer ihrer schizophrenen Zustände aber in Melancholie aus, sodass sie, alkoholabhängig, zwanzig Minuten lang mit Gleichgewichtsschwierigkeiten ihr eigenes Spiegelbild anstarrte, dann drehte die Mutter David Bowie, The The, Grace Jones oder Sam Brown so laut auf, dass die Tochter, wenn sie von der Schule nach Hause kam, die Bässe schon durch das Treppenhaus wummern hören konnte. Oder Patti Smith, die auch zu den Dämonen der Mutter gehörte und deren Lieder der Tochter anzeigten, dass ein Kampf um Leben und Tod bevorstand. Die Geschichte von Patti Smith und Helene Hegemann beginnt deshalb eigentlich auch nicht mit ihrer Begegnung in Wien, sondern davor schon, mit der Angst des Mädchens vor der Musik von Patti Smith, die für sie kein gutes Zeichen war.

Als sie nach dem Tod der Mutter allein in der Wohnung sitzt, klingelt das Telefon, und der Vater, Carl Hegemann, ruft an. Er ist in Wien als Dramaturg auf einer Konzeptionsprobe im Theater. Das Kind weiß nicht, wovon der Vater, der sich gerade erst daran erinnert, dass er ein Kind hat, spricht. Es weiß nicht, wer Parsifal und Schlingensief sind. Es schreit. Und als er fragt, ob sie nach Wien kommen wolle, packt Helene Hegemann ihren Rucksack und fliegt hin. Zum gleichen Zeitpunkt ist Patti Smith noch in New York. Sie kommt drei Tage nach ihr in Wien an, weil sich Smith und Schlingensief ein Jahr zuvor durch Zufall in Bayreuth kennengelernt haben. Es stürmte, und die Musikerin suchte Zuflucht in einem Hotel, in dem der Regisseur mit seinem Ensemble feierte. Die Menschen, die Helene Hegemann nach ihrer Landung trifft, so schreibt sie es, "waren Aliens. Das war nicht nur eine Erweiterung der Welt, das fühlte sich nach einem neuen Planeten an."

Dieser neue Planet und die Aliens retteten ihr das Leben. Und so ist, wenn Helene Hegemann nach ihren Romanen "Axolotl Roadkill", nach "Jage zwei Tiger" und "Bungalow" jetzt "Patti Smith" veröffentlicht, diese autobiographische Erzählung eine Lebensrettungsgeschichte mit unglaublicher Wucht. Hundertzwölf Seiten ist dieses Buch nur lang, für das die Autorin wahrscheinlich alles gelesen, gehört und auf Youtube gesehen hat, was es zu und von der 1946 in Chicago geborenen Lyrikerin, Rockmusikerin, Singer-Songwriterin, Fotografin und Malerin, der "Godmother of Punk" gibt. Überall macht sie Beziehungen auf, versteckt kleine Verweise und verwandelt die Antwort auf die Frage, warum Patti Smith für ihr Leben so wichtig ist, in ein sprachliches Feuerwerk aus Erinnerung, Reflexion, Recherchiertem und Humor. Smith als Hohepriesterin der Auflehnung, der Freiheit oder der Geschlechterindifferenz zu huldigen liegt ihr dabei fern. Huldigung ist nicht ihr Modus. Woraus Helene Hegemann Funken schlägt, ist Ambivalenz - die eigentliche Voraussetzung für Literatur. JULIA ENCKE.

Helene Hegemann, "Patti Smith". Kiepenheuer & Witsch, 112 Seiten, 10 Euro (erscheint am 7. Oktober).

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

"Viele gute Geschichten" liest Rezensentin Marlene Knobloch in Helene Hegemanns neuem Buch über Patti Smith. Dass es sich hier keinesfalls um eine Lobeshymne handelt, stellt Hegemann gleich zu Anfang klar, so Knobloch, indem sie ihre maßlose Enttäuschung äußert - darüber, dass die einst so kritische, anarchistische, dionysische Künstlerin heute ganz gewöhnliche Bildchen auf Instagram postet - von Vintage Telefonen, Notizheften und natürlich sich selbst. Das wird Hegemann ihr nicht vergeben, glaubt die Rezensentin, genauso wenig wie sie vergessen wird, was Smith einmal für sie bedeutet hat. Davon und darüber hinaus erzählen die vielen guten Geschichten, die Hegemann so kunstvoll wie eigensinnig miteinander verknüpft, lesen wir. Dabei scheut sie sich nicht herrlichen erzählerischen Fahrlässigkeiten, jeder Menge Selbstironie und trockenem Humor, erklärt Knobloch.  Kitsch und Pathos hingegen liegen ihr fern. Am Ende dieses "wunderschönen, sehr persönlichen Essays" begreift man, was die Autorin und Patti Smith, sowie der Theatermacher Christoph Schlingensief als dritter im Bunde miteinander teilen - es ist der innere Drang, Grenzen zu überwinden, meint Knobloch. Außerdem erfährt man, was die drei Künstler*innen mit einem afrikanischen Nager, einer Bierbank und Richard Wagner zu tun haben, so die hingerissene Rezensentin.

© Perlentaucher Medien GmbH…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.11.2021

Wunderbar
verfranst
Helene Hegemann über Patti Smith –
und darüber, worauf es wirklich ankommt
VON MARLENE KNOBLOCH
Patti Smith ist auf Instagram. Patti Smith postet Fotos von alten Telefonen und hübsch beschriebenen Notizbüchern, die sich auch als Deko in einem Vintage-Café in Prenzlauer Berg eignen würden. Patti Smith, die rauschhafte Grenzkünstlerin, die freiheits- und wahrheitssuchende Experimentalpoetin, stellt im Jahr 2021 schnöde Selfies online, und all das wird Helene Hegemann ihr nie verzeihen.
So beginnt das Buch der 29-jährigen Schriftstellerin über Patti Smith mit einer Enttäuschung. Mit der Enttäuschung, dass dieser anarchische Geist, der einst zusammen mit anderen Rebellen wie Ginsberg, Burroughs, Kerouac aus der Welt ausbrach, die bestehenden Verhältnisse heute nur noch zementiert. Hegemann räumt damit gleich das Missverständnis aus dem Weg, es könnte sich bei ihrem Buch um eine Lobrede handeln. Mit ihrer bitteren Abrechnung offenbart die Autorin aber ihre ehrliche Leidenschaft für Patti Smith, die weit mehr ist als irgendein Fantum. Denn am gnadenlosesten ist man bekanntlich mit denjenigen, an die man glaubt.
Helene Hegemann und Patti Smith verbindet etwas, Anarchieverrat hin oder her. Da ist die Tanzmeisterschaft im Ruhrgebiet, bei der Helene Hegemann mit angeklebten Wimpern und Tüllrock zu einem schlimmen 2000er-Remix von Patti Smiths Hit „Because the Night“ tanzt und den größten Erfolg ihres bisher tristen Lebens erlebt. Da ist ihre schizophrene, arbeitslose Mutter, die wenige Stunden später stirbt. Da ist Patti Smith, die in New York bald ihre Koffer packen wird, um in Richtung Wien aufzubrechen. Dort probt Christoph Schlingensief am Burgtheater eine verrückte Inszenierung. Da ist aber auch ein toter Hase in Afrika und Richard Wagner und alles hängt zusammen.
Hegemanns Buch wurschtelt auf knapp 100 Seiten die irren Verknotungen ihres eigenen Lebens, Patti Smiths Schaffen, sowie Christoph Schlingensiefs Wirken und Anarchie auseinander, verheddert sich und verliert den Faden. Am Ende ist es ein wunderschöner, sehr persönlicher Essay. Hegemann versichert, dass es „eine gute Geschichte“ ist, sonst würde sie sich ja gar nicht die Mühe machen, sie aufzuschreiben. Es ist aber gar nicht nur eine, es sind sogar viele gute Geschichten.
Helene Hegemann ist 13, als sie die 58-jährige Patti Smith zum ersten Mal trifft. Sie hält Smith für eine Obdachlose, versteht kein Englisch und hat verheulte Augen. Aber diese Begegnung, die der erste Satz des Buchs schon andeutet, steht ganz am Ende. Ein Finale, in dem die zwei auf einer Bierzeltbank nebeneinandersitzen. Die eine wie ein kleiner Zinnsoldat ohne Mimik oder Worte, die andere leise Gitarre spielend. Das Buch mündet also in eine ereignislose Dreiviertelstunde, auf die die vorangegangen Gedanken über die eigene Verlorenheit, über Grenzen, Spiritualität und Patti Smith zusteuern.
Was den Theaterkünstler Christoph Schlingensief, die Poetin Patti Smith und die Teenagerin Helene Hegemann im Großen verbindet, ist der Wunsch, Schwellen zu überschreiten. Rauszukommen, aus der Enge des Theaters, wie es Schlingensief mit irren Aktionen erprobte, aus irdischen Fesseln, von denen sich Patti Smith in Richtung Gott losmacht, oder aus einem Betonbau in Bochum, in dem Helene Hegemann festsitzt, bis sie am Burgtheater in Wien endlich die Freiheit entdeckt.
Natürlich geht es auch darum, die beängstigende Macht von Musik, Zeit und Ort zu sprengen und Helene Hegemann vom verregneten Alexanderplatz in den Song „Birdland“ von Patti Smith zu katapultieren. Der Song handelt von einem realen Jungen namens Peter Reich, der nach dem Tod seines Vaters in den Himmel blickt und glaubt, Ufos zu sehen, in denen sein Vater sitzt, um mit ihm ins All zu fliegen. Dann merkt er, dass die Ufos in Wahrheit Vögel sind, und rennt verzweifelt durch die Nacht. Hegemann setzt auch hier den Webstab an, fädelt den Song, Patti Smiths Stimme, in der sie die Bewegung des rennenden Jungen hört, hin zu ihrem Gefühl nach dem Tod der eigenen Mutter, als sie sich fühlte wie „ein schwächliches Monster ohne Existenzberechtigung“, „das besser ins All oder ins Jenseits gepasst hätte als in die Welt“.
Hegemann schreibt mit dem Humor und der Sprachkunst, die man aus ihren Romanen kennt. Schlingensief und Smith wirken bei einer steifen Podiumsdiskussion etwa wie „Skorpione, die in einer Spieluhr aus falschem Gold eingesperrt sind“. Jegliches Pathos meidend, vergleicht sie selbstironisch den Lebenswechsel aus der vergammelnden Sozialwohnung in Bochum zur Theater-Avantgarde mit dem Film „Plötzlich Prinzessin“. Sie erzählt, worauf sie gerade Lust hat, spart die Tragödie ihrer Mutter grob aus („Das will ich euch nicht antun. Und mir auch nicht“), moderiert schnöde ab („kann man sich im Internet durchlesen“), schafft es, den von Kunstkritikern zerdachten Christoph Schlingensief liebevoll und klug zu reflektieren („Er war die Polarisierung in Person“, einer, „der zu ahnen schien, worum es ging auf der Welt“), und findet ohne Kitsch von den kleinen Begegnungen zurück zum Ganzen.
Zwischen allen assoziativen Erzählfetzen stößt sie bei der Frage, warum alles zusammenhängt, Patti Smith und Christoph Schlingensief und ihre Mutter, auf Fundamentales: „Man braucht Menschen, die einen in Momenten größter Not durch ihre bloße Existenz in der Welt halten.“ Und dieser radikale Verzicht auf eine Kategorie, sei es Freundschaft oder Liebe, ist ja auch fast wieder Anarchie
.
Als sie sich zum ersten Mal
in einem Bierzelt begegnen,
hält der Teenie Helene
Hegemann die 58-Jährige für
eine Obdachlose
Helene Hegemann:
Patti Smith.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021.
120 Seiten, 10 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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»Hegemann schreibt mit dem Humor und der Sprachkunst, die man schon aus ihren Romanen kennt.« Marlene Knobloch Süddeutsche Zeitung 20211129