Claudius Seidls Biografie über Helmut Dietl: zugleich ein Künstlerportrait, ein Zeitportrait und ein Münchner Stadtportrait. Als Helmut Dietl im Mai 2014 kurz vor seinem Tod bei der Deutschen Filmakademie für sein Lebenswerk geehrt wurde, verbeugten sich seine Kolleginnen und Kollegen vor einem künstlerischen Werk voller unvergesslicher Meisterwerke: die »Münchner Geschichten«, »Der ganz normale Wahnsinn«, »Monaco Franze«, »Kir Royal«, »Schtonk!«, »Rossini«. Es ist kein Geheimnis, dass Helmut Dietl in seinen preisgekrönten Filmen immer wieder auf Erfahrungen seines eigenen Lebens zurückgegriffen hat, das selbst einem Abenteuer-Film glich. Claudius Seidl erzählt dieses Leben in all seinen Facetten: das München seit den 60er-Jahren zwischen Schwabinger Boheme und Schickeria, Rom, Los Angeles, das »Hauptstadt«-Berlin seiner letzten Jahre. Dann eine Familiengeschichte, die ein ganzes Jahrhundert umfasst, eine atemlose Karriere als Produzent, Drehbuchautor und Regisseur. Spektakuläre Abstürze und Wiederauferstehungen, ein Lebensparcours von Liebes- und Ehegeschichten und die Arbeit mit so grossartigen Partnern wie Patrick Süsskind und der Schauspielerelite seiner Zeit: Senta Berger, Mario Adorf, Christine Kaufmann, Goetz George, Veronica Ferres, Helmut Fischer, Uwe Ochsenknecht, Franz Xaver Kroetz u.v.a. So entsteht ein bunter Familienroman der deutschen Film- und Fernsehbranche in einer Epoche, in der nicht zuletzt durch Helmut Dietls Filme das provinzielle Nachkriegskino überwunden wurde.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Rezensent Moritz von Uslar hat den 2015 verstorbenen Filmregisseur Helmut Dietl nachweislich öfter getroffen als sein Journalisten-Kollege Claudius Seidl. Vielleicht liest sich seine Kritik an Seidls Biographie "Helmut Dietl. Der Mann im weißen Anzug" deshalb so indifferent. Einerseits freut er sich über die empathische Erzählhaltung. Andererseits nörgelt er, dass Seidls Stil aus Drehbüchern von Dietl stammen könnte. Streckenweise liest sich die Rezension, als beanspruche von Uslar die Deutungshoheit über Dietls biografische Daten und Anekdoten. Selbst für ihn ist allerdings neu, wie stark der Mann im weißen Anzug von drei Frauen geprägt wurde: seinen beiden Großmüttern und seiner Mutter.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.11.2022Der Fürst von Monaco
Helmut Dietl erfand ein pralles, melancholisches und
sprachkräftiges München: Claudius Seidl würdigt den Regisseur
in einer brillanten Biografie. Von Günter Rohrbach
In den Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts hatte es sich eine kleine Gruppe von Redakteuren im Kölner WDR in den Kopf gesetzt, ihr Fernsehspiel zu einem Zentrum des jungen deutschen Films zu machen. Doch die Autoren und Regisseure der Bewegung saßen nicht bei uns im Rheinland, sondern in München. Dort hatten sie sich versammelt, wild entschlossen, dem miefigen deutschen Nachkriegsfilm ihre Moderne entgegenzustellen. Inspiriert von der französischen Nouvelle Vague und aufgeladen mit ambitiösen Ideen, stießen sie auf eine Wand des Misstrauens. Niemand wollte ihre Filme finanzieren, und eine öffentliche Förderung gab es nur in Ansätzen. Das brachte uns, also die Kölner Truppe, ins Spiel.
Wir hatten das Geld, das den Münchnern fehlte, und wir hatten den Willen, es in deren Filme zu investieren. Das setzte Pilgerströme von München nach Köln in Bewegung, angeführt von Wenders und Fassbinder, Lemke und Thome, kamen sie alle: Kluge, Reitz, Schlöndorff, Trotta, Sinkel, Geißendörfer, Herzog . . . Nur einer kam nie: Helmut Dietl.
Er, der Urmünchner, hatte nichts zu tun mit den ambitionierten, volltönenden, teils großmäuligen Matadoren. Helmut Dietl saß auf keinem hohen Ross, er ging zu Fuß. Er verdingte sich in einer Nische des Bayerischen Rundfunks, dem Vorabendprogramm, also in jener schlecht renommierten Ecke des Programms, in deren Umfeld der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Werbespots senden durfte. Dort lernte er als Aufnahmeleiter und Regieassistent das Handwerk, dort wollte er auch seine Geschichten erzählen, die er, bescheidener geht es nun wirklich nicht, „Münchner Geschichten“ nannte.
Claudius Seidl, auch er, obwohl in Würzburg geboren, begeisterter Münchner, den ein widriges Schicksal dazu verdammt hat, seinen Lebensunterhalt als fabelhafter Kulturjournalist der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Berlin verdienen zu müssen, hat jetzt eine Biografie dieses anderen Münchners vorgelegt; eine Biografie, die geprägt ist von landsmannschaftlicher Nähe, Zuneigung, Bewunderung, auch: Liebe zu seinem Gegenstand. Dabei haben Seidl und Dietl, die sich auch sprachlich nahe sind, sich kaum gekannt, sind sich überhaupt erst spät im Leben begegnet, und auch das, schlechter kann es ja nicht laufen, in Berlin. Seidl kann im ersten, privaten Teil seiner Biografie auf einen originalen Text von Dietl zurückgreifen. Helmut Dietl hatte mal die Absicht, die Darstellung seines Lebens nicht anderen zu überlassen und daher angefangen, eine Autobiografie zu schreiben. Die Krankheit, an der er 2015 starb, hat das dann abgebrochen, doch so weit er es geschafft hatte, wurde das Manuskript von seiner Witwe unter dem Titel „ A bissl was geht immer“ veröffentlicht. Seidl konnte diesen Text benutzen, und so erfahren wir, dass Dietl einen Großvater hatte, der in frühen Filmen der Bavaria nicht nur kleine Rollen gespielt hatte, dass dessen Frau, die Oma Greiner, regelmäßig in Filmen als Statistin auftrat, ihn gelegentlich mitgenommen und dem Siebenjährigen auch eine erste Rolle verschafft hatte. Wir lesen, dass Dietls offizieller Vater sich mühsam durchs Leben schlug, mal als Wirtshauspächter, mal als Kioskbetreiber, dabei dem Alkohol und auch den Frauen lebhaft zugetan, dann aber aus der Familie verschwand mit dem Ergebnis, dass Dietl von gleich drei Frauen aufgezogen wurde, seiner Mutter und zwei Großmüttern. Was den Vater angeht, dem Helmut äußerlich so gar nicht glich, gibt es die Suggestion, es könnte auch ein Italiener gewesen sein, mit dem die Mutter mal ein Verhältnis gehabt hatte. Immerhin hat sich der siebenjährige Helmut bei seiner ersten kleinen Rolle in die sehr schöne 24-jährige französische Schauspielerin Michèle Philippe verliebt und sich geschworen, sie zehn Jahre später zu heiraten. Vielleicht ist da schon der Keim für seine von nun an lebenslange erotische Hochbegabung gesetzt worden?
In seinen jeweiligen Hauptfiguren konnte er sich dann später niemand anderen vorstellen als sich selbst. Er musste also, was Seidl lebhaft beschreibt, jeweils einen Darsteller finden, der als Alter Ego durchging. Der erste war Günther Maria Halmer, der sich allerdings lange sträubte, waren diese Vorabendserien, die zudem nur regional ausgestrahlt wurden, doch womöglich schädlich fürs Image. Aber Dietl gelang es nicht nur, Halmer zu überzeugen, er gewann auch eine der größten Schauspielerinnen des deutschen Theaters, Therese Giehse, für diesen Nebenschauplatz des Programms. Die „Münchner Geschichten“ wurden ein großer Erfolg. Einige Jahre später setzte er nach mit „Der ganz normale Wahnsinn“, um dann, abermals ein paar Jahre danach, mit „Monaco Franze“ zu triumphieren. Dietl hat bei diesen Serien nicht alles selbst geschrieben und auch nicht alle Folgen inszeniert. Aber er hat den Ton gesetzt.
Die Produktionsbedingungen für diese Serien waren bescheiden. Große Bilder waren kaum möglich, aber um sie ging es Dietl da (noch) nicht. Es war die Sprache, die den Reiz ausmachte, diese wunderbare Schwerelosigkeit, die das Bayerische in seiner Münchner Domestizierung einnehmen kann, was man, wie gesagt, auch Dietls Biograf anhört. Da läuft Seidl zu sprachlicher Höchstform auf, wenn er etwa dem Monaco Franze „eine gewisse Gesinnungssüdlichkeit“ attestiert, oder demselben Helmut Fischer bei anderer Gelegenheit, die Kunst, „den eigenen Wörtern und Sätzen die Freiheit zu lassen, sich selbst dabei zuzuschauen, wie sie es schaffen, die Dinge richtig zu benennen“. Auch abseitigere Figuren bewahrten bei Dietl so ihre Schönheit, oder eben mindestens einen Hauch davon. Dietl konnte – in dieser Periode seines Schaffens – nicht anders auf seine Figuren blicken als mit Liebe. Hätte es nur diese drei Serien gegeben, so wäre Helmut Dietl zumindest im bayerischen Himmel (gibt es einen anderen?) ein Platz sicher gewesen. Ohne Zweifel ist Seidl dieser Meinung, lässt er einen doch kaum daran zweifeln, dass gerade dieser Dietl es ist, für den er dieses Buch schreiben wollte.
Freilich war nach „Monaco Franze“ auch klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Helmut Dietl, der die deutsche Komödie auf ein neues, leichtes und liebenswertes Niveau gehoben hatte, durfte nicht weiter auf einer Nebenbühne versteckt bleiben, er gehörte auf die Hauptbühne. Es war dann wieder der WDR, der ihm die neue Möglichkeit eröffnete. In „Kir Royal“ konnte Dietl endlich auch seine Fähigkeit ausleben, in großen, starken Bildern zu erzählen. Es blieb auch hier seine Münchner Welt, aber der Blick auf sie war nun böser geworden. Mit „Kir Royal“ konnte erstmals auch das ganze Land sehen, was für ein genialer Regisseur dieser Dietl war. Und klar war nun auch, dass der nächste Schritt auf einer noch größeren Bühne erfolgen müsste, dem Kinofilm. Die Geschichte der gefälschten Hitlertagebücher war ein weiter Sprung, heraus aus der vertrauten Münchner Welt, hinein in fremde Milieus, hin zu Figuren, die zu lieben nicht einfach sein würde. Es begann dann auch damit, dass er das Drehbuch nicht selber schreiben wollte, auch nicht in der bewährten Konstellation mit Patrick Süskind. Wie nicht anders zu erwarten, erwies sich dieser Weg als Irrtum. Dietl konnte keine Dialoge inszenieren, die er nicht vorher selbst abgeschmeckt hatte. Auch bei späteren Projekten sollten Anläufe mit fremden Autoren voraussehbar scheitern. Hier, bei „Schtonk!“, hat er dann das Drehbuch zusammen mit Ulli Limmer geschrieben.
Optisch war „Schtonk!“ eine weitere Steigerung und der Beweis, dass er auch den hohen Stil souverän beherrschte. Der Film, oscarnominiert und vielfach preisgekrönt, wurde auch zum Karrierestart der Schauspielerin Veronica Ferres, die Dietl während der Produktionsvorbereitung kennen und lieben gelernt hatte. Allerdings irrt Claudius Seidl, wenn er schreibt, Dietl habe die Ferres gegen den Willen seines Produzenten durchsetzen müssen. Seidl beruft sich dabei auf eine Dietl’sche Notiz. Der Autor dieser Rezension weiß es besser: Dietl hatte offenbar die berechtigte Sorge, dass er mit dem Vorschlag, seine aktuelle, damals noch weitgehend unbekannte Geliebte mit einer großen Rolle zu betrauen, auf die Skepsis seines Produzenten stoßen würde. Darum hatte er damals ein ganz großes Argumentationsgeschütz aufgefahren – und dabei gar nicht bemerkt, dass die Tür längst offen stand.
Nach „Schtonk!“ kam mit „Rossini“ ein weiterer großer Kinoerfolg. Erstmals hatte er auch selbst produziert und daran auch bei den weiteren Filmen festgehalten. „Rossini“ sollte zugleich der Abschied von München sein. Die Zeiten hatten sich geändert, die neue Hauptstadt, auch des Films, war Berlin geworden. So folgte auch er, der Urmünchner, dem Trend. Eigentlich hasste er Berlin, aber er hätte es sich auch nicht verziehen, aus Ängstlichkeit in einem München zu verharren, das den Schmelz der 70er- und 80er-Jahre verloren hatte. Doch war Helmut Dietl jetzt mehr oder weniger heimatlos. Das sollte sich auch auf seine weiteren Filme auswirken, die die Aura der früheren nicht mehr erreichten, obwohl er durch die Auswahl der Schauspieler verzweifelt versuchte, wenigstens die Sprachmelodie seiner alten Erfolge zu retten.
Auch in dieser Hinsicht konnte Helmut Dietl keinen sensibleren, verständnisvolleren Biografen finden: Seidls brillant geschriebene Biografie beschränkt sich dabei nicht auf den Autor und Regisseur. Dazu war Dietl eine zu farbige Figur mit seinen vier Ehen und zahlreichen Affären. Aber war er ein glücklicher Mensch? „Ich tu halt so“, hat er mal gesagt, auf seine knappe, einzigartige Weise. Auf dem weißen Anzug, mit dem er sich in den letzten Jahrzehnten wahrhaft stilisierte, lag ein schwerer, schwarzer Schatten von Melancholie. Zum Sterben ist er dann zurück nach München gekommen. Dort warteten auf ihn seine Tochter Serafina und seine Frau, Tamara Dietl, mit der er 14 Jahre, länger als mit jeder anderen, zusammen war.
Ganz vermissen muss man den Helmut Dietl übrigens nicht. Claudius Seidl setzt ihm ein mehr als würdiges Denkmal. Und wer will, kann an der Münchner Freiheit in Schwabing einen Kaffee mit Dietl trinken. Dort sitzt er, in Bronze gegossen, neben seinem Alter Ego, dem „Monaco Franze“ Helmut Fischer.
Günter Rohrbach, 94, zählt zu den großen Film- und Fernsehproduzenten des Landes. Nicht nur als WDR-Redakteur, auch als Produzent wie von Dietls „Schtonk!“ ist er hier nicht nur Rezensent, sondern auch Zeitzeuge.
Seidl feiert nicht die großen
Bilder, nein, sondern
diese ganz spezielle Sprache
Übrigens: Nein, er musste
Veronica Ferres nicht gegen
meinen Willen durchsetzen
Der König trägt Frottee: Helmut Dietl auf einer Couch.
Foto: Joseph Gallus Rittenberg
Claudius Seid: Der Mann im weißen Anzug. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022. 352 Seiten, 25 Euro.
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Helmut Dietl erfand ein pralles, melancholisches und
sprachkräftiges München: Claudius Seidl würdigt den Regisseur
in einer brillanten Biografie. Von Günter Rohrbach
In den Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts hatte es sich eine kleine Gruppe von Redakteuren im Kölner WDR in den Kopf gesetzt, ihr Fernsehspiel zu einem Zentrum des jungen deutschen Films zu machen. Doch die Autoren und Regisseure der Bewegung saßen nicht bei uns im Rheinland, sondern in München. Dort hatten sie sich versammelt, wild entschlossen, dem miefigen deutschen Nachkriegsfilm ihre Moderne entgegenzustellen. Inspiriert von der französischen Nouvelle Vague und aufgeladen mit ambitiösen Ideen, stießen sie auf eine Wand des Misstrauens. Niemand wollte ihre Filme finanzieren, und eine öffentliche Förderung gab es nur in Ansätzen. Das brachte uns, also die Kölner Truppe, ins Spiel.
Wir hatten das Geld, das den Münchnern fehlte, und wir hatten den Willen, es in deren Filme zu investieren. Das setzte Pilgerströme von München nach Köln in Bewegung, angeführt von Wenders und Fassbinder, Lemke und Thome, kamen sie alle: Kluge, Reitz, Schlöndorff, Trotta, Sinkel, Geißendörfer, Herzog . . . Nur einer kam nie: Helmut Dietl.
Er, der Urmünchner, hatte nichts zu tun mit den ambitionierten, volltönenden, teils großmäuligen Matadoren. Helmut Dietl saß auf keinem hohen Ross, er ging zu Fuß. Er verdingte sich in einer Nische des Bayerischen Rundfunks, dem Vorabendprogramm, also in jener schlecht renommierten Ecke des Programms, in deren Umfeld der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Werbespots senden durfte. Dort lernte er als Aufnahmeleiter und Regieassistent das Handwerk, dort wollte er auch seine Geschichten erzählen, die er, bescheidener geht es nun wirklich nicht, „Münchner Geschichten“ nannte.
Claudius Seidl, auch er, obwohl in Würzburg geboren, begeisterter Münchner, den ein widriges Schicksal dazu verdammt hat, seinen Lebensunterhalt als fabelhafter Kulturjournalist der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Berlin verdienen zu müssen, hat jetzt eine Biografie dieses anderen Münchners vorgelegt; eine Biografie, die geprägt ist von landsmannschaftlicher Nähe, Zuneigung, Bewunderung, auch: Liebe zu seinem Gegenstand. Dabei haben Seidl und Dietl, die sich auch sprachlich nahe sind, sich kaum gekannt, sind sich überhaupt erst spät im Leben begegnet, und auch das, schlechter kann es ja nicht laufen, in Berlin. Seidl kann im ersten, privaten Teil seiner Biografie auf einen originalen Text von Dietl zurückgreifen. Helmut Dietl hatte mal die Absicht, die Darstellung seines Lebens nicht anderen zu überlassen und daher angefangen, eine Autobiografie zu schreiben. Die Krankheit, an der er 2015 starb, hat das dann abgebrochen, doch so weit er es geschafft hatte, wurde das Manuskript von seiner Witwe unter dem Titel „ A bissl was geht immer“ veröffentlicht. Seidl konnte diesen Text benutzen, und so erfahren wir, dass Dietl einen Großvater hatte, der in frühen Filmen der Bavaria nicht nur kleine Rollen gespielt hatte, dass dessen Frau, die Oma Greiner, regelmäßig in Filmen als Statistin auftrat, ihn gelegentlich mitgenommen und dem Siebenjährigen auch eine erste Rolle verschafft hatte. Wir lesen, dass Dietls offizieller Vater sich mühsam durchs Leben schlug, mal als Wirtshauspächter, mal als Kioskbetreiber, dabei dem Alkohol und auch den Frauen lebhaft zugetan, dann aber aus der Familie verschwand mit dem Ergebnis, dass Dietl von gleich drei Frauen aufgezogen wurde, seiner Mutter und zwei Großmüttern. Was den Vater angeht, dem Helmut äußerlich so gar nicht glich, gibt es die Suggestion, es könnte auch ein Italiener gewesen sein, mit dem die Mutter mal ein Verhältnis gehabt hatte. Immerhin hat sich der siebenjährige Helmut bei seiner ersten kleinen Rolle in die sehr schöne 24-jährige französische Schauspielerin Michèle Philippe verliebt und sich geschworen, sie zehn Jahre später zu heiraten. Vielleicht ist da schon der Keim für seine von nun an lebenslange erotische Hochbegabung gesetzt worden?
In seinen jeweiligen Hauptfiguren konnte er sich dann später niemand anderen vorstellen als sich selbst. Er musste also, was Seidl lebhaft beschreibt, jeweils einen Darsteller finden, der als Alter Ego durchging. Der erste war Günther Maria Halmer, der sich allerdings lange sträubte, waren diese Vorabendserien, die zudem nur regional ausgestrahlt wurden, doch womöglich schädlich fürs Image. Aber Dietl gelang es nicht nur, Halmer zu überzeugen, er gewann auch eine der größten Schauspielerinnen des deutschen Theaters, Therese Giehse, für diesen Nebenschauplatz des Programms. Die „Münchner Geschichten“ wurden ein großer Erfolg. Einige Jahre später setzte er nach mit „Der ganz normale Wahnsinn“, um dann, abermals ein paar Jahre danach, mit „Monaco Franze“ zu triumphieren. Dietl hat bei diesen Serien nicht alles selbst geschrieben und auch nicht alle Folgen inszeniert. Aber er hat den Ton gesetzt.
Die Produktionsbedingungen für diese Serien waren bescheiden. Große Bilder waren kaum möglich, aber um sie ging es Dietl da (noch) nicht. Es war die Sprache, die den Reiz ausmachte, diese wunderbare Schwerelosigkeit, die das Bayerische in seiner Münchner Domestizierung einnehmen kann, was man, wie gesagt, auch Dietls Biograf anhört. Da läuft Seidl zu sprachlicher Höchstform auf, wenn er etwa dem Monaco Franze „eine gewisse Gesinnungssüdlichkeit“ attestiert, oder demselben Helmut Fischer bei anderer Gelegenheit, die Kunst, „den eigenen Wörtern und Sätzen die Freiheit zu lassen, sich selbst dabei zuzuschauen, wie sie es schaffen, die Dinge richtig zu benennen“. Auch abseitigere Figuren bewahrten bei Dietl so ihre Schönheit, oder eben mindestens einen Hauch davon. Dietl konnte – in dieser Periode seines Schaffens – nicht anders auf seine Figuren blicken als mit Liebe. Hätte es nur diese drei Serien gegeben, so wäre Helmut Dietl zumindest im bayerischen Himmel (gibt es einen anderen?) ein Platz sicher gewesen. Ohne Zweifel ist Seidl dieser Meinung, lässt er einen doch kaum daran zweifeln, dass gerade dieser Dietl es ist, für den er dieses Buch schreiben wollte.
Freilich war nach „Monaco Franze“ auch klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Helmut Dietl, der die deutsche Komödie auf ein neues, leichtes und liebenswertes Niveau gehoben hatte, durfte nicht weiter auf einer Nebenbühne versteckt bleiben, er gehörte auf die Hauptbühne. Es war dann wieder der WDR, der ihm die neue Möglichkeit eröffnete. In „Kir Royal“ konnte Dietl endlich auch seine Fähigkeit ausleben, in großen, starken Bildern zu erzählen. Es blieb auch hier seine Münchner Welt, aber der Blick auf sie war nun böser geworden. Mit „Kir Royal“ konnte erstmals auch das ganze Land sehen, was für ein genialer Regisseur dieser Dietl war. Und klar war nun auch, dass der nächste Schritt auf einer noch größeren Bühne erfolgen müsste, dem Kinofilm. Die Geschichte der gefälschten Hitlertagebücher war ein weiter Sprung, heraus aus der vertrauten Münchner Welt, hinein in fremde Milieus, hin zu Figuren, die zu lieben nicht einfach sein würde. Es begann dann auch damit, dass er das Drehbuch nicht selber schreiben wollte, auch nicht in der bewährten Konstellation mit Patrick Süskind. Wie nicht anders zu erwarten, erwies sich dieser Weg als Irrtum. Dietl konnte keine Dialoge inszenieren, die er nicht vorher selbst abgeschmeckt hatte. Auch bei späteren Projekten sollten Anläufe mit fremden Autoren voraussehbar scheitern. Hier, bei „Schtonk!“, hat er dann das Drehbuch zusammen mit Ulli Limmer geschrieben.
Optisch war „Schtonk!“ eine weitere Steigerung und der Beweis, dass er auch den hohen Stil souverän beherrschte. Der Film, oscarnominiert und vielfach preisgekrönt, wurde auch zum Karrierestart der Schauspielerin Veronica Ferres, die Dietl während der Produktionsvorbereitung kennen und lieben gelernt hatte. Allerdings irrt Claudius Seidl, wenn er schreibt, Dietl habe die Ferres gegen den Willen seines Produzenten durchsetzen müssen. Seidl beruft sich dabei auf eine Dietl’sche Notiz. Der Autor dieser Rezension weiß es besser: Dietl hatte offenbar die berechtigte Sorge, dass er mit dem Vorschlag, seine aktuelle, damals noch weitgehend unbekannte Geliebte mit einer großen Rolle zu betrauen, auf die Skepsis seines Produzenten stoßen würde. Darum hatte er damals ein ganz großes Argumentationsgeschütz aufgefahren – und dabei gar nicht bemerkt, dass die Tür längst offen stand.
Nach „Schtonk!“ kam mit „Rossini“ ein weiterer großer Kinoerfolg. Erstmals hatte er auch selbst produziert und daran auch bei den weiteren Filmen festgehalten. „Rossini“ sollte zugleich der Abschied von München sein. Die Zeiten hatten sich geändert, die neue Hauptstadt, auch des Films, war Berlin geworden. So folgte auch er, der Urmünchner, dem Trend. Eigentlich hasste er Berlin, aber er hätte es sich auch nicht verziehen, aus Ängstlichkeit in einem München zu verharren, das den Schmelz der 70er- und 80er-Jahre verloren hatte. Doch war Helmut Dietl jetzt mehr oder weniger heimatlos. Das sollte sich auch auf seine weiteren Filme auswirken, die die Aura der früheren nicht mehr erreichten, obwohl er durch die Auswahl der Schauspieler verzweifelt versuchte, wenigstens die Sprachmelodie seiner alten Erfolge zu retten.
Auch in dieser Hinsicht konnte Helmut Dietl keinen sensibleren, verständnisvolleren Biografen finden: Seidls brillant geschriebene Biografie beschränkt sich dabei nicht auf den Autor und Regisseur. Dazu war Dietl eine zu farbige Figur mit seinen vier Ehen und zahlreichen Affären. Aber war er ein glücklicher Mensch? „Ich tu halt so“, hat er mal gesagt, auf seine knappe, einzigartige Weise. Auf dem weißen Anzug, mit dem er sich in den letzten Jahrzehnten wahrhaft stilisierte, lag ein schwerer, schwarzer Schatten von Melancholie. Zum Sterben ist er dann zurück nach München gekommen. Dort warteten auf ihn seine Tochter Serafina und seine Frau, Tamara Dietl, mit der er 14 Jahre, länger als mit jeder anderen, zusammen war.
Ganz vermissen muss man den Helmut Dietl übrigens nicht. Claudius Seidl setzt ihm ein mehr als würdiges Denkmal. Und wer will, kann an der Münchner Freiheit in Schwabing einen Kaffee mit Dietl trinken. Dort sitzt er, in Bronze gegossen, neben seinem Alter Ego, dem „Monaco Franze“ Helmut Fischer.
Günter Rohrbach, 94, zählt zu den großen Film- und Fernsehproduzenten des Landes. Nicht nur als WDR-Redakteur, auch als Produzent wie von Dietls „Schtonk!“ ist er hier nicht nur Rezensent, sondern auch Zeitzeuge.
Seidl feiert nicht die großen
Bilder, nein, sondern
diese ganz spezielle Sprache
Übrigens: Nein, er musste
Veronica Ferres nicht gegen
meinen Willen durchsetzen
Der König trägt Frottee: Helmut Dietl auf einer Couch.
Foto: Joseph Gallus Rittenberg
Claudius Seid: Der Mann im weißen Anzug. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022. 352 Seiten, 25 Euro.
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»eine äußerst unterhaltsame und schonungslose Biografie« Simon Hauck Münchner Feuilleton 20221210