- Verlag: C.H. Beck
- Seitenzahl: 432
- Erscheinungstermin: 8. Februar 2016
- Deutsch
- ISBN-13: 9783406691447
- Artikelnr.: 44532759
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Helmuth James Graf von Moltke und der deutsche Widerstand
Zum 100. Geburtstag von Helmuth James Graf von Moltke liegt eine aus den Quellen gearbeitete Studie über einen der wichtigsten Männer des Widerstands gegen Hitler vor. Ihr Verfasser, Professor für Christliche Sozialethik und Zeitgeschichte, hat zahlreiche Werke zum Kreisauer Kreis und seinem Wirken vorgelegt. Seine Moltke-Biographie ist gleichsam das Ergebnis seiner Studien zum geistigen Umfeld des Hitler-Gegners, den er als "zwei Meter großen, eloquenten, charmanten, kosmopolitischen, souveränen und offenen" Menschen charakterisiert.
Brakelmann kann sich auf einige wichtige Vorarbeiten stützen: Schon 1972 hat der britische Historiker Michal Balfour, der Moltke noch persönlich kennengelernt hat, zusammen mit Julian Frisby eine dokumentenreiche Biographie vorgelegt, die auch ins Deutsche übertragen wurde. Freya von Moltke hat zudem in ihren "Erinnerungen an Kreisau" zahlreiche weitere Details ihres Mannes beigetragen. Obwohl die Grundlinien des Lebens und Denkens von Moltkes daher bekannt sind, ist Brakelmanns Werk weit mehr als eine gefällige Jubiläumsschrift: Er hat eine Vielzahl neuer Quellen erschlossen, darunter bislang nicht publizierte Briefe an Freya von Moltke aus der Haft in Ravensbrück. Unter Berücksichtigung der aktuellen Tendenzen der Forschung zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus werden diese Quellen zu einem überzeugenden und gut lesbaren Lebensbild Moltkes und des Kreisauer Kreises verwoben. Der - gerade bei einer charismatischen Persönlichkeit wie Moltke naheliegenden - "Heldenverehrung" erliegt der Autor dabei allerdings nicht.
Moltke stammte aus privilegierten Verhältnissen und wurde auf dem schlesischen Familiengut Kreisau erzogen. Gegen eine enge nationale Bindung wirkte vor allem seine aus einer angesehenen südafrikanischen Familie stammende Mutter Dorothy: Innerhalb des deutschen Adels war sie "als liberale, kosmopolitisch denkende Demokratin und Anhängerin der internationalen Frauenbewegung eine Ausnahme". Das Commonwealth und Europa wurde für den Nachfahren des berühmten preußischen Feldmarschalls die eigentlichen Bezugspunkte. Aus seinem humanen christlich-sozialen Verständnis heraus engagierte er sich für die Belange von Kriegsgefangenen und die Einhaltung des Völkerrechts. Sein Studienaufenthalt in England, der ihn im Herbst 1937 zum Barrister-Examen führte, und seine Tätigkeiten in internationalen Organisationen schärften seinen kritischen Blick gegenüber der nationalsozialistischen Diktatur und führten ihn in die Opposition. In den folgenden Monaten der europäischen Krise bemühte er sich um den Abschluss seines Englandstudiums, um eine Basis für eine Berufspraxis in England zu schaffen.
Das Münchener Abkommen vom September 1938 empfand er zwar zunächst mit Erleichterung, allerdings stellte der Brand der Synagogen in der Nacht vom 8. auf den 9. November 1938 einen dramatischen Einschnitt dar. Moltke erwog zwar noch eine Weile die Alternative des Bleibens oder Emigrierens, entschied sich jedoch schließlich "für den bewussten Widerstand im Land der Verbrechen", weil es "bei aller totalitären Verzerrung sein Vaterland" war.
Auf dem Familiengut Kreisau führte von Moltke einen Kreis von Gleichgesinnten zusammen, um Pläne für ein Deutschland nach Hitler und dem Nationalsozialismus zu schmieden. An den Treffen nahmen Oppositionelle verschiedenster politischer Lager teil. Zunächst sprach sich von Moltke gegen eine gewaltsame Beseitigung Hitlers aus, doch die zunehmende Hoffnungslosigkeit und die missglückten Versuche, die Westmächte für ein "Deutschland nach Hitler" zu gewinnen, bewogen ihn schließlich zur Befürwortung eines Attentats. Hinsichtlich der Neuordnung Deutschlands formulierte er in einer großen Denkschrift Ende April 1941 "a) das Ende der Machtpolitik, b) das Ende des Nationalismus, c) das Ende des Rassegedankens, d) das Ende der Gewalt des Staates über den Einzelnen". Das "Dritte Reich" war für Moltke in dieser Hinsicht, wie Brakelmann feststellt, "nur der letzte Ausläufer einer pervertierten säkularen Staatlichkeit".
Seit Ende 1941 erlosch der Kontakt mit den Männern der "Abwehr" um Hans Oster und Hans von Dohnanyi. Nach der Zerschlagung des "Oster-Kreises" in der Abwehr wurde Moltke im Januar 1944 verhaftet und im Konzentrationslager Ravensbrück interniert, weil er Angehörige des Solf-Kreises vor der Telefonüberwachung der Gestapo gewarnt hatte. Nachdem es eine Zeit so ausgesehen hatte, als ob er zur "Frontbewährung" freigelassen werden würde, durchkreuzte das gescheiterte Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 diese Hoffnungen. Im Zuge der Gestapo-Ermittlungen wurde die Existenz des "Kreisauer Kreises" aufgedeckt. In der Verhandlung vor dem Volksgerichtshof wurde in aller Schärfe deutlich, dass der Nationalsozialismus sich als historische Alternative zur christlich-abendländischen Tradition verstand. Seine Gesprächspartner Alfred Delp, Eugen Gerstenmaier und er hätten in Kreisau nur "gedacht", resümierte Moltke: "Und vor den Gedanken dieser drei einsamen Männer, den bloßen Gedanken, hat der NS eine solche Angst, dass er alles, was damit infiziert ist, ausrotten will." Volksgerichtshofpräsident Roland Freisler, dem er mutig gegenübertrat, verurteilte Helmut James Graf von Moltke am 11. Januar 1945 zum Tode. Wenige Tage später wurde er in Plötzensee hingerichtet.
JOACHIM SCHOLTYSECK
Günter Brakelmann: Helmuth James von Moltke 1907-1945. Eine Biographie. Verlag C. H. Beck, München 2007. 432 S., 24,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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