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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Nils Mohl erzählt mit seinem Roman "Henny & Ponger" von der Liebe so, wie sie sich anfühlt: außerirdisch.
Von Eva-Maria Magel
Plötzlich macht die S-Bahn einen Ruck. Alle fallen durcheinander, manche verletzen sich, es herrscht Chaos. Nur einer hat erst wenige Tage zuvor schon einmal dasselbe erlebt. Damals ist ein Mädchen aus seinem Waggon abgehauen. Hat einfach die Notbremse gezogen. Und jetzt? Ein offenes Ende mag angeblich niemand, und das junge Publikum angeblich erst recht nicht. Also gibt es das ganz selten in Büchern, die für junge Leser geschrieben sind. Sogar Autoren, die sich sonst nicht dem üblichen Programm des Vorhersehbaren beugen, haben eine Scheu vor dem Unabgeschlossenen.
Nils Mohl nicht. Und das gilt nicht nur für das Ende von "Henny & Ponger". Mohl erzählt so, dass man ihm gar nicht kommen muss mit dem, was man so schreiblehranstaltsmäßig macht oder eben nicht. Personen einführen, Kontexte umreißen oder aber, im Gegenteil, Leerstellen mit so vielen orange-weißen rhetorischen Hütchen markieren, die signalisieren: Achtung, hier Leerstelle, bitte sorgfältig umfahren oder ergänzen. Nichts davon gibt es in diesem Roman.
Angedeutete Geschichten aber zuhauf, die zu Fragen weit über die Buchseiten hinausführen. Wie sie denn sein könnten, die Leben von Stella und Susi, von Winotzki oder Hühnerkamm. Die losen Fäden ziehen sich durch den ganzen Roman, bis die vertraute Welt, die der Hamburger Mohl mit Standbein auf Amrum noch dazu kartographisch erfasst, indem er jedem Kapitel eine exakte Ortsbezeichnung wie "S 31, Richtung Hamburg Sternschanze" oder "Kniep, Amrum" voranstellt, völlig fremd erscheint. Reizvoll und ungewöhnlich ist das, wie die ganze Geschichte um zwei außergewöhnliche Jugendliche, die nur wenige Tage miteinander zubringen.
"Gib der Welt eine Chance. Und werde der, der du bist", sagt Pörl zu Ponger, kurz bevor sie verschwindet. Damit hat Ponger die einzige Person verloren, der er je vertraut hat. Er ist allein, wie am Anfang. Nein, nicht ganz: Henny ist bei ihm. Henny, die er in der S-Bahn kennenlernt, die eine große Klappe hat und sehr rätselhaft ist. Die von ihm verlangt, dass er ein Steuerungssystem für ein Transportmittel repariert. Und die von dem ganzen Bauchkribbel-Quatsch der Menschen nichts wissen will - aber Ponger küsst.
Über fünf Seiten, die zum Teil nur ein einziges Wort tragen, verteilt Nils Mohl die Erzählung dieses Kusses, den Aussetzer im Kopf, die Gänsehaut. "Hautorgasmus" nennt Henny das. Und Ponger quittiert seine atemberaubende Kusserfahrung mit dem Satz "Einfallslos, aber gut". Nicht nur Henny ist anders als alle anderen. Und schlagfertig, wortgewandt, belesen sind sie beide.
Mohl, der viel beachtete Jugendromane wie "Es war einmal Indianerland" schreibt und auch Drehbücher verfasst (zu "Es war einmal Indianerland" und "Es gilt das gesprochene Wort", beide in der Regie von Ilker Çatak verfilmt), ist immer auch Lyriker gewesen. Die jüngsten Bücher des 1971 geborenen Autors waren Gedichtbände: "Tänze der Untertanen" eher für Jugendliche und "König der Kinder" eher für Kinder, aber stets auch für alle anderen. Den Lyriker merkt man seinem Schreiben auch in "Henny & Ponger" an. Die Kunst der Verknappung, das Spiel mit dem Weißraum und der Leerstelle haben einen großen erzählerischen Reiz, genau wie der Umgang mit dem Material Papier selbst. Der führt dazu, dass nach 55 Seiten, bei 100 und 142, in der Bindung des Buches ganz symmetrisch zwischen den schwarz auf weiß gesetzten Seiten einige wenige schwarz auf grau erscheinen, sodass man schon im Schnitt des Buches sehen kann: Hier begegnen einander zwei unterschiedliche Dimensionen einer Geschichte. Der Autor teilt offenbar die Neigung seiner Hauptfiguren zu Ordnung und Logik - was noch bemerkenswerter ist, wenn man erst einmal herausgefunden hat, wer oder vielmehr was sie sind.
Aus Pongers Sicht wird das alles erzählt, allerdings haben die Leserinnen und Leser ihm gegenüber einen Vorsprung: Sie wissen dank eines der grauen Seitenbündel viel früher als er, woher Henny kommt. Sie ist eine extraterrestrische Lebensform, die sich als "Mimikryp" die Gestalt einer jungen Frau zugelegt hat, etwa im Alter von Ponger. Um wieder in ihre Lebensform und in ihr Sonnensystem zurückzukehren, hat sie nur 120 Stunden Zeit. Danach wird es kritisch, aus der Gestalt eines Homo sapiens wieder zurückzufinden.
Die Botschaft, dass es vielen Aliens schon so ergangen ist, die nun als Menschen unter den Menschen leben, führt als weiterer Faden aus der Geschichte heraus und geradewegs hinein in das extraterrestrische Gefühl, das man als junger Mensch so richtig das erste Mal durchlebt. Ist nicht jeder Jugendliche irgendwie ein Alien? Und hat es nicht vielleicht seinen Grund, dass "Alien" im Deutschen klanglich nicht weit weg ist von "allein"?
Mohls Alien-Roman kommt mit sehr wenigen Motiven der Science-Fiction-Literatur aus, um damit eine extrem spannende Mischung aus Roadmovie, Krimi, Identitätsroman und Liebesgeschichte zu erzeugen. Die Einsamkeitserfahrung des Jungseins und die Fremdheitserfahrung einer ersten Liebe sind schließlich die Momente, in denen der Homo sapiens zum Alien wird. "Du bist ins Verliebtsein verliebt. Nicht in mich", sagt Henny. Stimmt, vielleicht, und doch wieder nicht. Denn die biblische Formulierung von "einander erkennen" trifft auch auf die beiden zu. Und der Geruch von Silber und Salz, der am Meer herrscht, und den Henny, Ponger, Pörl teilen, fast vermeint man, ihn in der Nase zu haben.
Nils Mohl: "Henny & Ponger". Roman.
Mixtvision Verlag, München 2022. 320 S., geb., 18,- Euro. Ab 14 J.
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