HERKUNFT ist ein Buch über den ersten Zufall unserer Biografie: irgendwo geboren werden. Und was danach kommt.
HERKUNFT ist ein Buch über meine Heimaten, in der Erinnerung und der Erfindung. Ein Buch über Sprache, Schwarzarbeit, die Stafette der Jugend und viele Sommer. Den Sommer, als mein Großvater meiner Großmutter beim Tanzen derart auf den Fuß trat, dass ich beinahe nie geboren worden wäre. Den Sommer, als ich fast ertrank. Den Sommer, in dem die Bundesregierung die Grenzen nicht schloss und der dem Sommer ähnlich war, als ich über viele Grenzen nach Deutschland floh.
HERKUNFT ist ein Abschied von meiner dementen Großmutter. Während ich Erinnerungen sammle, verliert sie ihre. HERKUNFT ist traurig, weil Herkunft für mich zu tun hat mit dem, das nicht mehr zu haben ist.
In HERKUNFT sprechen die Toten und die Schlangen, und meine Großtante Zagorka macht sich in die Sowjetunion auf, um Kosmonautin zu werden.
Diese sind auch HERKUNFT: ein Flößer, ein Bremser, eine Marxismus-Professorin, die Marx vergessen hat. Ein bosnischer Polizist, der gern bestochen werden möchte. Ein Wehrmachtssoldat, der Milch mag. Eine Grundschule für drei Schüler. Ein Nationalismus. Ein Yugo. Ein Tito. Ein Eichendorff. Ein SaSa StaniSic.
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Sasa Stanisics kurzweilige Lesung im Schauspiel
FRANKFURT Sasa Stanisic betritt die Bühne des Schauspiels Frankfurt gleich mit einem Scherz, nämlich den Zuhörern viel Spaß während der nächsten vier Stunden wünschend. "Ich bringe diesen Witz immer", gibt der Schriftsteller entwaffnend zu und setzt damit den Grundton für eine kurzweilige, neunzig Minuten dauernde Lesung. Stanisic kündigt ein "Best-of" seines jüngsten, mit dem Deutschen Buchpreis prämierten Werks "Herkunft" an. Hierfür habe er sogar einige Kunststücke präpariert. Die Kunst seiner Lesung liegt dann aber im lebendigen Vortrag, der mit Sprache, Gesten und Stimmlagen jonglierend im Großen Haus nicht fehl am Platze wirkt. "Tut mir leid, aber wenn man schon einmal so eine Bühne hat", lacht Stanisic und wird an manchen Stellen fast zum Schauspieler seiner selbst.
Er entfernt sich dann vom Rednerpult und spricht vollkommen frei, als entstünde die Rede spontan. Die Sätze weichen im Vortrag leicht von ihrer Druckfassung ab, und das autobiographische Element von "Herkunft" wird direkt spürbar. Anders als im Buch gliedert Stanisic den Abend chronologisch, entschärft so die komplexe Erzählstruktur und wird durch ein aufmerksames, amüsiertes Publikum sowie mit viel Zwischenapplaus belohnt. Beginnend mit seiner "Kindheit ohne Smartphone", reiht Stanisic inklusive Zugabe acht kurze anekdotenhafte Kapitel aneinander. Ein sowjetischer Stafettenlauf, der den Schein und das "Eventmanagement des real existierenden Sozialismus" humoristisch beleuchtet, abgelöst von Fußballspielen, in denen die jugoslawische Bevölkerung ein letztes Mal vereint zu sein scheint; Erfahrungen von der Flucht und dem Ankommen in Deutschland "für denjenigen, der hier jetzt ich bin". Einmal herrscht auch vollkommene Stille im ausverkauften und trotz Coronavirus fast vollen Saal. Da kommt Stanisic auf die rechtsextremen Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen von 1992 zu sprechen.
Erzählt Stanisic jedoch von der Schulzeit, Bruce Willis oder der ersten neuen Liebe, dann muss er auch manchmal gemeinsam mit dem Publikum lachen. Einzig die Passagen um die durch "Herkunft" geisternde demente Großmutter, von der es bisweilen heißt, sie sei die heimliche Hauptfigur, lässt Stanisic an diesem Abend unberücksichtigt. Aus Vorsicht vor dem Virus möchte der Autor an diesem Abend keine Bücher signieren, hat entsprechende aber schon vorbereitet. Es reicht schließlich, wenn das Lachen im Saal ansteckend ist.
DAVID NIESWANDT
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Perlentaucher-Notiz zur FAS-Rezension
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