Nachdem Archimedes in der Badewanne das nach ihm benannte Archimedische Prinzip entdeckt hatte, soll er unbekleidet durch die Straßen gelaufen sein und dabei laut "Heureka!" gerufen haben, was so viel heißt wie: "Ich hab's gefunden!" Seitdem steht der Ausruf als Synonym für plötzliche Erkenntnis. Der renommierte Philosophiehistoriker Wolfgang Röd stellt hier die besten philosophischen Anekdoten vor und klopft sie darauf ab, was sie über die einprägsame Geschichte hinaus an erhellender Erkenntnis und philosophischem Selbstverständnis beinhalten. Eine gute Anekdote braucht nicht historisch wahr zu sein; sie muss aber insofern "wahr" sein, als sie etwas für eine Person, eine Denkweise oder eine Tradition Charakteristisches zum Ausdruck bringt. Das gilt für alle der von Röd ausgewählten Anekdoten - von der respektlosen Zurechtweisung "Geh mir aus der Sonne!", mit der Diogenes den mächtigsten Herrscher seiner Zeit, Alexander den Großen, abgefertigt haben soll, über Galileis trotziges Gemurmel "Sie bewegt sich doch!", als die Inquisition ihn mit Folter bedrohte, bis hin zu dem Schürhaken, mit dem Ludwig Wittgenstein auf Karl Popper bei ihrem einzigen Aufeinandertreffen zugegangen sein soll. Das Anekdotische ist keineswegs belanglos, jedenfalls nicht, wenn man davon so geistreich und kenntnisreich berichtet wie Wolfgang Röd.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.04.2013Philosophenwege
Gute philosophische Anekdoten bringen auf schmalstem Raum zum Ausdruck, was durch ihre Erläuterung nicht unbedingt kurzweiliger wird. Hans Blumenberg etwa wusste sie nicht nur abseits des einschlägigen Kanons zu finden, sondern auch mit umwegiger Eleganz und Hintersinn zu entwickeln. Dergleichen muss man bei einem nüchternen Philosophiehistoriker wie Wolfgang Röd nicht erwarten. Eigentlich ist der Titel seines Buchs, der "Philosophische Streifzüge im Licht von Anekdoten" verspricht, sogar ein bisschen irreführend. Zwar kommen bekannte Anekdoten bei ihm durchaus vor, von der lachenden thrakischen Magd des Thales über Samuel Johnsons "I refute it thus" bis zu Karl Poppers Empörung angesichts des Schürhakens in den Händen des ihm unbegreiflichen Ludwig Wittgenstein. Aber viele der insgesamt über dreißig kurzen Kapitel haben es schlicht mit Topoi und Themen der philosophischen Tradition zu tun - ob es nun um Gottesbeweise, Sprachkritik, das Freiheitsproblem oder soziale Utopik geht -, ohne dass prägnant Anekdotisches dabei eine besonders große Rolle spielte. Diese knappen Essays, in denen die Jahrhunderte mitunter schnell durchschritten werden, behandeln ihre Gegenstände entsprechend ausschnitthaft und doch fast schulhaft. Als Einstiege in die Philosophiegeschichte kann man sie gut verwenden. Komplizieren lässt sich die Angelegenheit, so man bei ihr hängenbleibt, später immer noch. (Wolfgang Röd: "Heureka!" Philosophische Streifzüge im Licht von Anekdoten. C. H. Beck Verlag, München 2013. 260 S., br., 17,50 [Euro].)
hmay
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Gute philosophische Anekdoten bringen auf schmalstem Raum zum Ausdruck, was durch ihre Erläuterung nicht unbedingt kurzweiliger wird. Hans Blumenberg etwa wusste sie nicht nur abseits des einschlägigen Kanons zu finden, sondern auch mit umwegiger Eleganz und Hintersinn zu entwickeln. Dergleichen muss man bei einem nüchternen Philosophiehistoriker wie Wolfgang Röd nicht erwarten. Eigentlich ist der Titel seines Buchs, der "Philosophische Streifzüge im Licht von Anekdoten" verspricht, sogar ein bisschen irreführend. Zwar kommen bekannte Anekdoten bei ihm durchaus vor, von der lachenden thrakischen Magd des Thales über Samuel Johnsons "I refute it thus" bis zu Karl Poppers Empörung angesichts des Schürhakens in den Händen des ihm unbegreiflichen Ludwig Wittgenstein. Aber viele der insgesamt über dreißig kurzen Kapitel haben es schlicht mit Topoi und Themen der philosophischen Tradition zu tun - ob es nun um Gottesbeweise, Sprachkritik, das Freiheitsproblem oder soziale Utopik geht -, ohne dass prägnant Anekdotisches dabei eine besonders große Rolle spielte. Diese knappen Essays, in denen die Jahrhunderte mitunter schnell durchschritten werden, behandeln ihre Gegenstände entsprechend ausschnitthaft und doch fast schulhaft. Als Einstiege in die Philosophiegeschichte kann man sie gut verwenden. Komplizieren lässt sich die Angelegenheit, so man bei ihr hängenbleibt, später immer noch. (Wolfgang Röd: "Heureka!" Philosophische Streifzüge im Licht von Anekdoten. C. H. Beck Verlag, München 2013. 260 S., br., 17,50 [Euro].)
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.08.2013Bad und Hahn
„Heureka!“ – Wolfgang Röd fragt
nach der Wahrheit der Anekdote
Die Anekdote ist ein polemisches Genre. Eine Erzählform, mit der zuweilen eine bestimmte Lesart von Ereignissen fixiert, ein Gemeinplatz übermittelt oder das Profil eines Individuums konturiert werden soll und die deshalb nicht unbedingt mit historisch Verbürgtem operiert. Die Anekdote orientiert sich am Möglichen: Eine eigentlich vielleicht banale Geschichte darf zwecks Lancierung einer handgerechten pädagogischen „Wahrheit“ schon mal dramaturgisch aufgemotzt werden. Wichtig ist nicht, was war. Es zählt vor allem die Suggestivkraft der Pointe.
In seinem Buch „Heureka! Philosophische Streifzüge im Licht von Anekdoten“ verfährt der emeritierte Philosophieprofessor Wolfgang Röd nach dem Grundsatz, dass das Wahre und das Gute im Hinblick auf die Anekdote einmal nicht zusammenfallen; für letztere zähle vielmehr, dass sie „gut erfunden ist“, und sei dem so, dann „ist sie wahr in übertragendem Sinn.“
Der Wahrheitsgehalt einer (philosophischen) Anekdote bemisst sich also im Hinblick auf ihr Erkenntnispotential. Zumeist verwendet Röd die Anekdote denn auch als Aufhänger, um zum Beispiel die Wege und Irrwege eines Denkers nachzuzeichnen, mit hartnäckigen Klischees aufzuräumen oder um erkenntnistheoretische und moralphilosophische Fragen zu diskutieren.
Konkret sieht das so aus, dass Röd mit der Heureka-Anekdote – die davon handelt, wie Archimedes in der Badewanne vom Blitz der Erleuchtung getroffen wird – jene Interpretationen kritisiert, die Erkenntnis nicht als Ergebnis jahrelanger Forschung, sondern als plötzliche Eingebung beschreiben. Im Blick auf die Anekdote über Frau Heidegger – die, als ihr Mann im Auditorium gegen einen Lärmpegel ansprechen musste, gemahnt haben soll: „Ich bitte um Ruhe, das Sein spricht“ – erörtert er die Auffassung, derzufolge sich in philosophischen Konzeptionen das Sein selbst oder der Weltgeist manifestiert. So anschaulich wie hier wurde einem die hegelsche Selbstbewegung des Begriffs auf einer halben Seite nur selten erläutert.
In weiteren Kapiteln fächert Röd mit Sokrates’ vermeintlich letzten Worten nach dem Schierlingsbecher – „Wir schulden dem Asklepios einen Hahn“ – philosophische Deutungen des Todes auf, oder er fragt mit Nietzsches Lou-Andreas-Salomé-Debakel nach dem in der Philosophiegeschichte häufig nicht unproblematischen Geschlechterverhältnis.
Zwar führen nicht alle 31 vorgestellten Anekdoten gleichermaßen elegant in die jeweiligen Themengebiete ein. Auch finden manche Darstellungen erst nach Umwegen zu ihrem anekdotischen Aufhänger zurück. Das stört aber nur unwesentlich, denn Röd ist – ohne bahnbrechend Neues zu Tage fördern zu wollen – argumentativ durchweg auf der Höhe, diskutiert fast ohne Fachvokabular zentrale philosophische Topoi und unterhält durch historische Details, in denen die Gedankengänge plastischer hervortreten und die Form der Anekdote mehr ist als dekorative Rhetorik.
CHRISTOPH DAVID PIORKOWSKI
Wolfgang Röd : Heureka! Philosophische Streifzüge im Licht von Anekdoten. C. H. Beck Verlag, München 2013. 260 Seiten, 16,95 Euro.
„Ich bitte um Ruhe, das Sein
spricht“, mahnte Frau Heidegger
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„Heureka!“ – Wolfgang Röd fragt
nach der Wahrheit der Anekdote
Die Anekdote ist ein polemisches Genre. Eine Erzählform, mit der zuweilen eine bestimmte Lesart von Ereignissen fixiert, ein Gemeinplatz übermittelt oder das Profil eines Individuums konturiert werden soll und die deshalb nicht unbedingt mit historisch Verbürgtem operiert. Die Anekdote orientiert sich am Möglichen: Eine eigentlich vielleicht banale Geschichte darf zwecks Lancierung einer handgerechten pädagogischen „Wahrheit“ schon mal dramaturgisch aufgemotzt werden. Wichtig ist nicht, was war. Es zählt vor allem die Suggestivkraft der Pointe.
In seinem Buch „Heureka! Philosophische Streifzüge im Licht von Anekdoten“ verfährt der emeritierte Philosophieprofessor Wolfgang Röd nach dem Grundsatz, dass das Wahre und das Gute im Hinblick auf die Anekdote einmal nicht zusammenfallen; für letztere zähle vielmehr, dass sie „gut erfunden ist“, und sei dem so, dann „ist sie wahr in übertragendem Sinn.“
Der Wahrheitsgehalt einer (philosophischen) Anekdote bemisst sich also im Hinblick auf ihr Erkenntnispotential. Zumeist verwendet Röd die Anekdote denn auch als Aufhänger, um zum Beispiel die Wege und Irrwege eines Denkers nachzuzeichnen, mit hartnäckigen Klischees aufzuräumen oder um erkenntnistheoretische und moralphilosophische Fragen zu diskutieren.
Konkret sieht das so aus, dass Röd mit der Heureka-Anekdote – die davon handelt, wie Archimedes in der Badewanne vom Blitz der Erleuchtung getroffen wird – jene Interpretationen kritisiert, die Erkenntnis nicht als Ergebnis jahrelanger Forschung, sondern als plötzliche Eingebung beschreiben. Im Blick auf die Anekdote über Frau Heidegger – die, als ihr Mann im Auditorium gegen einen Lärmpegel ansprechen musste, gemahnt haben soll: „Ich bitte um Ruhe, das Sein spricht“ – erörtert er die Auffassung, derzufolge sich in philosophischen Konzeptionen das Sein selbst oder der Weltgeist manifestiert. So anschaulich wie hier wurde einem die hegelsche Selbstbewegung des Begriffs auf einer halben Seite nur selten erläutert.
In weiteren Kapiteln fächert Röd mit Sokrates’ vermeintlich letzten Worten nach dem Schierlingsbecher – „Wir schulden dem Asklepios einen Hahn“ – philosophische Deutungen des Todes auf, oder er fragt mit Nietzsches Lou-Andreas-Salomé-Debakel nach dem in der Philosophiegeschichte häufig nicht unproblematischen Geschlechterverhältnis.
Zwar führen nicht alle 31 vorgestellten Anekdoten gleichermaßen elegant in die jeweiligen Themengebiete ein. Auch finden manche Darstellungen erst nach Umwegen zu ihrem anekdotischen Aufhänger zurück. Das stört aber nur unwesentlich, denn Röd ist – ohne bahnbrechend Neues zu Tage fördern zu wollen – argumentativ durchweg auf der Höhe, diskutiert fast ohne Fachvokabular zentrale philosophische Topoi und unterhält durch historische Details, in denen die Gedankengänge plastischer hervortreten und die Form der Anekdote mehr ist als dekorative Rhetorik.
CHRISTOPH DAVID PIORKOWSKI
Wolfgang Röd : Heureka! Philosophische Streifzüge im Licht von Anekdoten. C. H. Beck Verlag, München 2013. 260 Seiten, 16,95 Euro.
„Ich bitte um Ruhe, das Sein
spricht“, mahnte Frau Heidegger
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