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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Krankheit als Strafe für jugendlichen Terrorismus? David Albaharis Roman "Heute ist Mittwoch" prüft Familienbande.
Die Insel Goli Otok liegt vor der kroatischen Adriaküste. Seit dem Ersten Weltkrieg diente sie verschiedenen Regierungen immer wieder als Lager für Kriegsgefangene und politische Häftlinge, besonders intensiv genutzt wurde sie in Titos Jugoslawien, als nach dem Bruch des Landes mit der Sowjetunion Tausende inhaftiert wurden, denen etwa Treue zu Moskau vorgeworfen wurde. Auf der Insel erwartete sie ein undurchschaubares Willkürregime, Spießrutenläufe mit Schlägen von den bisherigen Insassen, harte Arbeit und Hunger. Wer dorthin kam, konnte über den wahren Grund der Deportation oft nur mutmaßen. Und nahm das, was er dort darüber erkannt, gehört oder ergrübelt hatte, zurück in die Zivilgesellschaft, falls er die Lagerhaft überlebte.
Über seine Zeit auf Goli Otok, der "nackten Insel", hat der Vater des Erzählers von David Albaharis Roman "Heute ist Mittwoch" lange Zeit nicht groß gesprochen, wenigstens nicht mit seinen beiden Kindern, die trotzdem von der neunmonatigen Haft wussten. Nach dem Krebstod von deren Mutter, den der Vater mit unfassbarer Bösartigkeit begleitet, zeigen sich auch bei ihm Symptome, die schließlich als Parkinsonsche Krankheit diagnostiziert werden. Während seine Tochter, die damals die Mutter gepflegt hatte, sich von dem zänkischen Alten zurückzieht, widmet ihm sein knapp sechzigjähriger Sohn nun seine Zeit: Er zieht in die Wohnung des Achtzigjährigen, hilft ihm beim Anziehen, obwohl der Vater diese Hilfe wütend ablehnt, und ist geduldig, wenn er den Greis wieder einmal vom Boden aufheben muss, weil der beim Versuch, alles allein zu machen, gestürzt ist.
Vor allem aber wird er zum Adressaten einer Art Beichte, die der Vater in immer neuen Anläufen ablegt, einem lückenhaften Schuldgeständnis in vielen Variationen, das den Sohn dazu zwingt, seinerseits immer wieder nachzufragen, weil er verstehen will, was sein Vater, ehedem und vielleicht noch immer überzeugter Parteisoldat, verbrochen hat. Es sind Exzesse der Grausamkeit, staatlich sanktionierte Überfälle auf vermeintliche Faschisten und sogenannte Volksverräter, willkürliche Übergriffe, die im Bewusstsein verübt werden, als junger Vertreter der jugoslawischen Revolution könnte man sich alles erlauben. Bis eine andere Strömung an die Macht kommt und ihn nach Goli Otok verbannt.
"Ich dachte, er musste erst so schwer krank werden, damit zwischen uns ein Gefühl der Nähe entsteht", sagt der Erzähler einmal, aber dieser harmlos klingende Satz hat es in sich: Zum einen, weil er eine lange Zeit der Distanz einräumt und - im Leser wie wohl auch im diskreten Erzähler - die Frage aufwirft, wie es dazu eigentlich gekommen ist. Zweitens, weil die Frage, was das für eine Nähe ist, die der Sohn entstehen sieht, keine abschließende Antwort findet, sondern je nach der Situation, nach dem zwischen den beiden verhandelten Themen und auch dem Grad der väterlichen Krankheit unterschiedlich erscheint. Und drittens, weil auch die Krankheit selbst allen Beteiligten Rätsel aufgibt. Dem Sohn jedenfalls erscheint die Demenz, die der Vater schließlich entwickelt, als eine Flucht aus einer Welt, die sich immer mehr gegen ihn wendet.
Es sind Schuldfragen, die Vater und Sohn wälzen, der Sohn ehrlich bemüht, der Vater voller Winkelzüge. Darf man die Verbrechen des Vaters, die alten wie die aus der jüngeren Zeit, mit dem Hinweis auf die entsetzliche Haft auf Goli Otok relativieren? Welchen inneren Prozess hat der Vater, der sich gern auf sein Gewissen beruft, bereits in Gang gesetzt, um sich ganz allein von seinen Verbrechen freizusprechen? Wie passt dazu der Satz des Vaters, den der Sohn aus der Erinnerung zitiert: "Ein Gewissen zu haben, sagte er, bedeute im Frieden mit der Welt und mit sich selbst zu leben, was einfach klingt, jedoch nicht so leicht zu erreichen sei"? Er habe also mit der Vergangenheit abgeschlossen, "nur noch etwa zwei Dutzend Menschen" lasteten auf seinem Gewissen", aber jetzt, mit der "vom Herrgott" geschickten Krankheit, sei auch das beglichen. Dass der Sohn trotzdem nicht locker lässt, passt dem Greis ersichtlich nicht.
Die Handlung des Romans besteht im Wesentlichen aus langen Spaziergängen von Vater und Sohn am Donauufer in Belgrad, unterbrochen von Stürzen und Schwächeanfällen des Vaters, begleitet von langen Gesprächen und, wie es scheint, ebenso langem Schweigen. Und auch die Rückblenden sind an solche Gespräche geknüpft oder an die hilflosen Erörterungen zwischen Bruder und Schwester, denen der Vater weiterhin rätselhaft bleibt. So folgt der Roman einer in sich geschlossenen Struktur, in der das Ende unübersehbar an den Beginn anknüpft, und zugleich ist die Geschichte bestimmt vom Fortschreiten der Parkinson-Erkrankung des Vaters.
Auch der Sohn findet dafür eine Deutung, die aber nichts von einer himmlischen Strafe oder Sühne hat. Er stellt sich vor, dass Körper und Geist seines Vaters - und mithin auch dessen Gewissen - uneins sind, wenn es um die Deutung der Vergangenheit geht, dass der angespannte, schwache Zustand des Vaters also eine Folge der Lebenslüge ist, die ihn seit jeher begleitet.
Dass es Albahari in vielen Büchern bisher und auch in diesem nicht zuletzt um die Frage geht, wie in einem unentwirrbaren Gestrüpp von Äußerungen, Erinnerungen, Bezichtigungen und Verteidigungen zwischen Lüge und Wahrheit unterschieden werden könne, ist offensichtlich, und auch das hartnäckige Bohren und Wühlen seiner Protagonisten in diesem Gestrüpp ist ein vertrautes Element im Werk dieses Autors. Hier kommt hinzu, dass es für den Erzähler verführerisch wäre, den Mann, der ihm selbst, wie er einmal sagt, immer ein guter Vater gewesen ist, in dieser schwierigen Phase in Ruhe zu lassen, so dass er sich selbst mitunter fragt, in wessen Namen er den alten Mann eigentlich bedrängt.
Was dabei zutage kommt, was Albahari dem Leser in unnachahmlicher Beiläufigkeit und umso nachdrücklicher präsentiert, sind tatsächlich wahre Abgründe, und wie die Frage nach Täterschaft und Opferdasein vom Vater verzweifelt unbekümmert beantwortet, vom Sohn immer mehr als heillos verworren erkannt wird, entwickelt Albahari meisterlich und oft genug an seinem Erzähler vorbei.
Natürlich zielt der Autor auf einen Umkreis, der viel weiter ist als der dieser Familie, und dass man Anschauungsmaterial nicht nur dort findet, wo ein Krieg vorbei ist und ein Regimewechsel stattgefunden hat, liegt auf der Hand. Und doch ist "Heute ist Mittwoch" auch ein anrührendes Porträt einer Gruppe von Individuen, die sich verzweifelt fragen, was sie eigentlich miteinander zu tun haben und warum es ihnen nicht gelingt, die Fäden, die sie verbinden, endlich zu durchtrennen.
TILMAN SPRECKELSEN.
David Albahari: "Heute ist Mittwoch". Roman.
Aus dem Serbischen von Mirjana und Klaus Wittmann. Verlag Schöffling & Co, Frankfurt 2020. 208 S., geb., 22,- [Euro].
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