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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Alarmanlage
Samuel und Frida: die Geschichte
einer fantastischen Freundschaft
VON THOMAS ANZ
Hier geht’s um Leben und Tod.“ So die Überschrift des ersten Kapitels und der erste Satz, mit dem die Drehbuchautorin Anne Gröger ihr erstes „Kinderbuch“ beginnt. Um Leben und Tod geht es in der ganzen Geschichte – 200 Seiten lang. Erzählt wird sie aus der Perspektive des elfjährigen Jungen Samuel, der seit vielen Jahren in einem Krankenhaus lebt. „Solange ich denken kann, war ich krank.“ Seit seiner Geburt sei sein Immunsystem „schrottreif“. Es habe „keine riesigen Mauern und keine ordentliche Alarmanlage, wie sich das gehört. Nein, mein Immunsystem hat nur einen löchrigen alten Zaun und sagt zu jedem Krankheitserreger: ,Herzlich willkommen!.‘ Deswegen wohne ich auch im Krankenhaus. Ist einfach sicherer.“
Doch jetzt ist dort eine neue Therapie überraschend erfolgreich. „Du darfst nach Hause“, erklärt ihm freudig lächelnd der Arzt, und „darfst ein normales Leben führen“. Die Eltern stehen strahlend dabei. Aber ihr Sohn freut sich nicht. Die Erinnerungen an frühere, beinahe tödliche Krankheitsphasen lassen ihn nicht los. „Genau sieben Mal wäre ich fast gestorben. Fünfmal an einer Lungenentzündung. Zweimal an einer inneren Blutung.“ Beim letzten Mal hatte er im Traum den Tod vor sich gesehen. „Ich riss die Augen auf und starrte ihn an. Mitten ins Gesicht. Das heißt, wenn da ein Gesicht gewesen wäre. Doch ich sah nur Schwarz.“ Sein ebenfalls kranker Freund Tobi machte ihm Mut: „Samuel! Du stirbst nicht!“ Aber Tobi weinte dabei. Das berührte Samuel so, dass es seine eigene Überlebenskraft stärkte. Er erholte sich von der Lungenentzündung und „dachte, damit hätte ich den schlimmsten Tag meines Lebens überstanden“. Doch ein paar Wochen später stirbt sein Freund…Die Ängste im Krankenhaus vor dem Tod haben Samuel traumatisiert, und das Trauma bleibt auch zu Hause wirksam. Er wagt dort nicht, sein Zimmer und die Wohnung zu verlassen. „So kannst du nicht leben“, sagt der Vater zu ihm und erhält die Antwort: „Wie ich lebe, ist meine Sache.“ Seinen Vater, der mit ihm immer etwas unternehmen will, nennt er „wahnsinnig“. In Wirklichkeit ist er selbst ein psychopathologischer Fall.
Seine Aktivitäten gegen alle möglichen Ansteckungen nehmen zwanghafte Formen an. Neue Freunde will er keine haben. „Ich habe Frank“, sagt er zum Vater und zeigt auf einen kleinen Weberknecht, der total ungefährlich sei, macht aber dann seinen Eltern einen Vorschlag: „Wenn ihr unbedingt wollt, dass ich Freunde habe, kauft mir doch einen Roboter! Der ist wenigstens keimfrei.“ Ständig putzt er sein Zimmer, hat immer ein „Desinfektionsspray“ griffbereit, einen „Schutzanzug“ und eine „Mundschutzmaske“. Er weigert sich, mit dem Vater auf einen Spielplatz zu gehen. Denn, so erklärt er unter Berufung auf Statistiken zu diversen Todesarten und -zahlen, über die er sích offensichtlich ständig informiert: Ein „durchschnittliches Kind“ ist „sechsmal mehr krank und damit eine sechsmal größere Keimschleuder als Erwachsene. Daraus folgt: Kinder sind lebensgefährlich!“ Auch in die Schule will er nicht gehen, ist aber mit seinem „Online– Unterricht sehr zufrieden“.
Die Angst vor Gefahren, auch vor Krankheiten, ist ein wichtiger Schutz gegen den Tod und für das Leben. Aber das Buch führt an seinem Protagonisten das Gegenteil vor: Die Angst kann so stark, so pathologisch werden, dass sie Menschen daran hindert, richtig zu leben. An seiner Zurechnungsfähigkeit zweifelt der Junge selbst, als er mit der zweiten Hauptfigur des Buches konfrontiert wird.
Versehentlich hat Samuel mit seinem Desinfektionsspray Frank, den kleinen Weberknecht, getötet. Da sieht er plötzlich, wie eine Sense durch die Luft fährt und Frank durchschneidet. „Das hat Spaß gemacht!“ So jubelt jemand hinter ihm. Samuel dreht sich um und erstarrt. Vor ihm „steht eine kleine Gestalt im schwarzen Umhang – mit Sense. Ein „Albtraum“ ist das, denkt er, wird ohnmächtig, erwacht wieder, erkennt ein kleines Mädchen, sieht sein „Denkorgan außer Gefecht gesetzt“, ruft zu seiner Mutter „wir müssen ins Krankenhaus! Ich hab Halluzinationen“, zeigt auf das „Sensenmädchen“, das die Mutter jedoch nicht sieht.
Nachdem die Mutter sein Zimmer wieder verlassen hat, stellt sich das Mädchen ihm mit den Worten vor: „Ich bin der kleine Tod, aber du kannst auch Frida zu mir sagen.“ Und hier beginnt nach durchaus realistischen Anfängen die märchenhaft fantastische Hauptgeschichte des Buches bis zu seinem Ende: die Geschichte der Beziehung zwischen Samuel und Frida, eine Geschichte voller Konflikte und Ängste, aber auch der Freundschaft bis hin zur Liebe. Frida wurde vom „großen Tod“ beauftragt, im Zusammensein mit Samuel zu lernen, was menschliches Leben ist, um später selbst einmal die Aufgaben des großen Tods zu übernehmen. Und Samuel wird von ihr dabei dazu verführt, sich dem richtigen Leben mit all seinen Gefahren auszusetzen.
Was Samuel darüber in dem Buch erzählt, wird unterbrochen durch Einträge Fridas in ihr Notizbuch. Der letzte Eintrag endet mit dem Satz: „Ich hab dich lieb, Samuel!“ Und das Buch endet nach einem Abschied zwischen beiden mit den Worten: „Auf Wiedersehen, Frida!“ (ab 10 Jahre und für Erwachsene)
Anne Gröger:
Hey, ich bin der kleine Tod … aber du kannst auch Frida zu mir sagen. Mit Illustrationen von
Frédéric Bertrand.
dtv Verlag,
München 2021.
208 Seiten, 13 Euro.
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