William Heinesen (1900–1991) erfasste in seinen Romanen, Gedichten und Erzählungen, was das Leben auf den Färöern ausmacht, wie kein zweiter. "Hier wird getanzt!" bietet eine Auswahl seiner besten Erzählungen, mit denen Heinesen Archaik und Moderne gleichermaßen aufgriff und in einem ganz eigenen Ton das spezifische Inselleben der Färinger festhielt. Die Erzählungen und ihre Protagonisten sind wie die Inseln und ihre Bewohner geprägt vom rauen Meereswind, zerklüftet, umspült – Menschen wie Worte gehen vor der ewigen Weite von Himmel und See eigensinnig ihren Weg. Das Leben scheint klein auf den abgelegenen Inseln im nördlichen Atlantik, auf denen gerade einmal 50 000 Menschen leben, doch die Sehnsucht nach der Ferne ist groß, und im Kleinen lässt sich der ganze Kosmos umso konzentrierter ablesen. Heinesen wuchs zweisprachig auf und schrieb Dänisch – auch um ein größeres Publikum zu erreichen. In seinen Erzählungen zeigen sich tiefe Feinfühligkeit und ein existenzieller Humor. Sie bewegen sich auf dem Grund der felsigen Inseln, reichen jedoch weit ins Reich der Fantasie, der Mythen und der Halluzinationen hinein. Manchmal fabuliert Heinesen selbstbewusst, ein anderes Mal berichtet er autobiografisch, und häufig mischt er beides ebenso wie Zeiten und Räume. Die Kontraste seien auf den Färöern stärker, sagte Heinesen einmal. In Inga Meinckes präziser Übersetzung, die den Leser das Meer und die Felsen schmecken lässt, lassen die Kontraste in Heinesens Geschichten klarsichtig auf den Grund der Dinge und das Wesen der Menschen blicken.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.01.2019Welche Frau hat den Schmied nun mehr geliebt?
Ein Schiffbrüchiger verdreht allen den Kopf, der Reiche kriegt das Mädchen, ein blutiges Drama bahnt sich an: William Heinesens färingische Geschichten.
Wohin man schaut, Gegensätze. Dieser William Heinesen, ein Jahrhundertautor (was schon mit seinen Lebensdaten anfängt - geboren 1900 in Thorshavn auf den Färöern, gestorben 1991 ebendort), schreibt eine Prosa voll von elegischer Einsamkeit und lärmenden Festen, deprimierender Leere und begeisterter Lebensbejahung. Seine Literatur kann grotesk und feinfühlig sein, Wirklichkeit und Traum sind ihr gleichermaßen vertraut, mit religiösen Eiferern kann er nichts anfangen, aber antireligiös ist er auch nicht zu nennen. Und seine Offenheit ist immer auch umsichtig, beinahe vorsichtig.
Das nur vorweg, um Heinesen vor gern gebrauchten Floskeln zu bewahren: kosmisch, beschwörend, mythisch, dämonisch - solche Sachen. Obwohl Heinesen sie selbst benutzt: "Ein Gespür für das Kosmische hat man von Geburt an, wenn man Färinger ist. Die kleine Insel, der große Sternenhimmel, das gewaltige Meer", zitiert ihn Verena Stössinger in ihrem Nachwort. Und aus seiner Geburtsstadt macht er einen Mythos: "Der absolute Mittelpunkt der Welt liegt auf den Färöern und heißt Thorshavn." Die Behauptung stammt aus dem kurzen Text "Nasse Heimat", der hier leider fehlt. Er ist eine wilde, mit einer Prise Ironie angereicherte Mixtur aus allen möglichen Mythen und sämtlichen Helden der Weltgeschichte. Der Text enthält bereits, was Heinesen auszeichnet, vor allem die Gegensätze. Denn so unwirtlich die baumlosen Inseln sind, angeblich können sie auch paradiesisch sein: nach wochenlangem Regen und Sturm zum Beispiel, wenn es für Stunden aufklart und sich die "dunkle Wasserwüste in einen sanft funkelnden Acker" verwandelt. Man muss schon genügsam sein, um auf den Färöern Glück zu empfinden.
Heinesen schrieb seine Texte auf Dänisch (seine Mutter war Dänin mit deutschen Vorfahren), was ihm auf den Inseln keine Freunde einbrachte; seine Romane wie "Der schwarze Kessel", "Die gute Hoffnung" oder "Der Turm am Ende der Welt" wurden schon früh übersetzt. Nun liegt ein Band mit Erzählungen unter dem Titel "Hier wird getanzt" vor. Das führt in die Irre, weil er mit dem gleichnamigen Erzählungsband von 1980 nicht identisch ist, sondern eine Auswahl aus sieben verschiedenen Bänden präsentiert, die von 1957 bis 1998 erschienen.
Das Gegensätzliche und Verschiedenartige ist auch bei der Form seiner Kurzprosa zu sehen. Es sind nicht nur klassische Erzählungen, sondern auch Schilderungen, Erinnerungen, Fabeln, Sagen, Meditationen. Man hat seine Kurzprosa in drei Gruppen eingeteilt: die mythischen Novellen, die fiktiven Essays mit Kindheitserinnerungen sowie die mit phantastischen Elementen vermischten realistischen Erzählungen; die Letzteren überwiegen.
Eine Geschichte der Gegensätze par excellence ist "Don Juan vom Tranhaus" von 1970 - was schon damit anfängt, dass sie aus drei verschiedenen Quellen schöpft, die einander widersprechen. Sie erzählt von der Unruhe, die ein Fremder in eine geformte Gemeinschaft bringen kann. Ein gewisser Adda Geraldi, genannt "der Malteser", der nach einem Schiffbruch geborgen wurde, verdreht die Köpfe sämtlicher Thorshavnerinnen und bricht ihnen das Herz. Man gibt ihm Arbeit im Tranhaus, einer Örtlichkeit "voller Widersprüche", "grauenhaft und anziehend", und er selbst ist ein schändlicher, aber auch ehrfurchtgebietender Mann. Dann entscheidet er sich doch für eine von ihnen und heiratet sie, doch eine andere, die gerne leidet (wie in dem Kierkegaard-Zitat aus "Entweder-Oder", das als Motto am Anfang steht), verführt den Verführer, wodurch dann alles in einem blutigen Drama endet. Das erzählt Heinesen - ähnlich wie es in den isländischen Sagas ist - in einem manchmal berichtenden Stil, der genauso ironisch wie pastos sein kann.
Pastos vor allem, wenn er die Heftigkeit der Naturmächte schildert, dann kommt er der pathetischen Kraft eines Victor Hugo zumindest nahe. In der etwas kürzeren Erzählung "Die Sturmnacht" von 1957 werden zwei Frauen durch einen Orkan obdachlos, Simeons-Anna und Tongl-Anna, beide werden aufgenommen, die Erste von einer heuchlerischen Konsulin, die Zweite von der sektiererischen Frau des Schmieds, Tongl-Anna war einst dessen Geliebte. Nun soll sie ihre Sündenschuld bekennen, dabei hat sie den Schmied weit mehr geliebt, als die Gattin es tat.
Nein, Heinesens Färinger, ob Mann oder Frau, sind, wenn sie nicht bigott sind, keine Kinder von Traurigkeit, vielleicht weil es auf den öden Inseln neben den gewaltigen, oft genug auch gewalttätigen, erhabenen, aber auch furchterregenden Naturschönheiten nur noch die Liebe gibt - oder sagen wir ruhig: den Sex.
Auch in der Titelgeschichte "Hier wird getanzt" ist man nicht verklemmt, obwohl man natürlich seine Regeln hat. Es fängt mit einer Hochzeit an, Harald heiratet die schöne, aber etwas launische Sirsa, die aber eigentlich in Haralds Freund Ivar verliebt war, doch Harald hat mehr Geld. Dann unterbricht ein Schiffbruch die Feier, man muss die Männer bergen, es sind zwar Engländer, die mag man nicht, weil sie alles leer fischen, aber sie brauchen ja Hilfe und werden gerettet, aber einer der Schiffbrüchigen stirbt. Der Küster verbietet das Tanzen, man tanzt woanders weiter, Sirsa tanzt mit Ivar, bleibt aber schließlich bei Harald und hat mit ihm sehr viele Kinder, während Ivar später mit seinem Frachter untergeht. Eine anfangs packende Geschichte, die nach der Hälfte zerfranst: Heinesens Erzählungen können kompositorisch und thematisch ziemlich locker gewebt sein.
Es ist die Crux der Literatur kleinerer Länder, die erst spät ihre Souveränität erlangt haben, dass sie zur kulturellen Identität beitragen soll. Das Allgemeinmenschliche gerät dann oft in den Hintergrund. Aber William Heinesen ist groß und unabhängig genug, um nicht in diese Falle zu tappen. Seine Literatur ist nie tendenziös, dafür ist das Dasein zu vielfältig und die Natur zu überwältigend. Zwar können wir "dem Färöischen" bei ihm nie entgehen, aber seine Personen sind immer zuerst Menschen und dann erst Färinger. Wie er 1966 in einem Interview gesagt hat: "Der Mensch ist ja überall gleich."
PETER URBAN-HALLE
William Heinesen: "Hier wird getanzt!" Erzählungen.
Aus dem Dänischen von Inga Meincke. Hrsg. von Verena Stössinger. Guggolz Verlag, Berlin 2018. 352 S., geb., 24 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Schiffbrüchiger verdreht allen den Kopf, der Reiche kriegt das Mädchen, ein blutiges Drama bahnt sich an: William Heinesens färingische Geschichten.
Wohin man schaut, Gegensätze. Dieser William Heinesen, ein Jahrhundertautor (was schon mit seinen Lebensdaten anfängt - geboren 1900 in Thorshavn auf den Färöern, gestorben 1991 ebendort), schreibt eine Prosa voll von elegischer Einsamkeit und lärmenden Festen, deprimierender Leere und begeisterter Lebensbejahung. Seine Literatur kann grotesk und feinfühlig sein, Wirklichkeit und Traum sind ihr gleichermaßen vertraut, mit religiösen Eiferern kann er nichts anfangen, aber antireligiös ist er auch nicht zu nennen. Und seine Offenheit ist immer auch umsichtig, beinahe vorsichtig.
Das nur vorweg, um Heinesen vor gern gebrauchten Floskeln zu bewahren: kosmisch, beschwörend, mythisch, dämonisch - solche Sachen. Obwohl Heinesen sie selbst benutzt: "Ein Gespür für das Kosmische hat man von Geburt an, wenn man Färinger ist. Die kleine Insel, der große Sternenhimmel, das gewaltige Meer", zitiert ihn Verena Stössinger in ihrem Nachwort. Und aus seiner Geburtsstadt macht er einen Mythos: "Der absolute Mittelpunkt der Welt liegt auf den Färöern und heißt Thorshavn." Die Behauptung stammt aus dem kurzen Text "Nasse Heimat", der hier leider fehlt. Er ist eine wilde, mit einer Prise Ironie angereicherte Mixtur aus allen möglichen Mythen und sämtlichen Helden der Weltgeschichte. Der Text enthält bereits, was Heinesen auszeichnet, vor allem die Gegensätze. Denn so unwirtlich die baumlosen Inseln sind, angeblich können sie auch paradiesisch sein: nach wochenlangem Regen und Sturm zum Beispiel, wenn es für Stunden aufklart und sich die "dunkle Wasserwüste in einen sanft funkelnden Acker" verwandelt. Man muss schon genügsam sein, um auf den Färöern Glück zu empfinden.
Heinesen schrieb seine Texte auf Dänisch (seine Mutter war Dänin mit deutschen Vorfahren), was ihm auf den Inseln keine Freunde einbrachte; seine Romane wie "Der schwarze Kessel", "Die gute Hoffnung" oder "Der Turm am Ende der Welt" wurden schon früh übersetzt. Nun liegt ein Band mit Erzählungen unter dem Titel "Hier wird getanzt" vor. Das führt in die Irre, weil er mit dem gleichnamigen Erzählungsband von 1980 nicht identisch ist, sondern eine Auswahl aus sieben verschiedenen Bänden präsentiert, die von 1957 bis 1998 erschienen.
Das Gegensätzliche und Verschiedenartige ist auch bei der Form seiner Kurzprosa zu sehen. Es sind nicht nur klassische Erzählungen, sondern auch Schilderungen, Erinnerungen, Fabeln, Sagen, Meditationen. Man hat seine Kurzprosa in drei Gruppen eingeteilt: die mythischen Novellen, die fiktiven Essays mit Kindheitserinnerungen sowie die mit phantastischen Elementen vermischten realistischen Erzählungen; die Letzteren überwiegen.
Eine Geschichte der Gegensätze par excellence ist "Don Juan vom Tranhaus" von 1970 - was schon damit anfängt, dass sie aus drei verschiedenen Quellen schöpft, die einander widersprechen. Sie erzählt von der Unruhe, die ein Fremder in eine geformte Gemeinschaft bringen kann. Ein gewisser Adda Geraldi, genannt "der Malteser", der nach einem Schiffbruch geborgen wurde, verdreht die Köpfe sämtlicher Thorshavnerinnen und bricht ihnen das Herz. Man gibt ihm Arbeit im Tranhaus, einer Örtlichkeit "voller Widersprüche", "grauenhaft und anziehend", und er selbst ist ein schändlicher, aber auch ehrfurchtgebietender Mann. Dann entscheidet er sich doch für eine von ihnen und heiratet sie, doch eine andere, die gerne leidet (wie in dem Kierkegaard-Zitat aus "Entweder-Oder", das als Motto am Anfang steht), verführt den Verführer, wodurch dann alles in einem blutigen Drama endet. Das erzählt Heinesen - ähnlich wie es in den isländischen Sagas ist - in einem manchmal berichtenden Stil, der genauso ironisch wie pastos sein kann.
Pastos vor allem, wenn er die Heftigkeit der Naturmächte schildert, dann kommt er der pathetischen Kraft eines Victor Hugo zumindest nahe. In der etwas kürzeren Erzählung "Die Sturmnacht" von 1957 werden zwei Frauen durch einen Orkan obdachlos, Simeons-Anna und Tongl-Anna, beide werden aufgenommen, die Erste von einer heuchlerischen Konsulin, die Zweite von der sektiererischen Frau des Schmieds, Tongl-Anna war einst dessen Geliebte. Nun soll sie ihre Sündenschuld bekennen, dabei hat sie den Schmied weit mehr geliebt, als die Gattin es tat.
Nein, Heinesens Färinger, ob Mann oder Frau, sind, wenn sie nicht bigott sind, keine Kinder von Traurigkeit, vielleicht weil es auf den öden Inseln neben den gewaltigen, oft genug auch gewalttätigen, erhabenen, aber auch furchterregenden Naturschönheiten nur noch die Liebe gibt - oder sagen wir ruhig: den Sex.
Auch in der Titelgeschichte "Hier wird getanzt" ist man nicht verklemmt, obwohl man natürlich seine Regeln hat. Es fängt mit einer Hochzeit an, Harald heiratet die schöne, aber etwas launische Sirsa, die aber eigentlich in Haralds Freund Ivar verliebt war, doch Harald hat mehr Geld. Dann unterbricht ein Schiffbruch die Feier, man muss die Männer bergen, es sind zwar Engländer, die mag man nicht, weil sie alles leer fischen, aber sie brauchen ja Hilfe und werden gerettet, aber einer der Schiffbrüchigen stirbt. Der Küster verbietet das Tanzen, man tanzt woanders weiter, Sirsa tanzt mit Ivar, bleibt aber schließlich bei Harald und hat mit ihm sehr viele Kinder, während Ivar später mit seinem Frachter untergeht. Eine anfangs packende Geschichte, die nach der Hälfte zerfranst: Heinesens Erzählungen können kompositorisch und thematisch ziemlich locker gewebt sein.
Es ist die Crux der Literatur kleinerer Länder, die erst spät ihre Souveränität erlangt haben, dass sie zur kulturellen Identität beitragen soll. Das Allgemeinmenschliche gerät dann oft in den Hintergrund. Aber William Heinesen ist groß und unabhängig genug, um nicht in diese Falle zu tappen. Seine Literatur ist nie tendenziös, dafür ist das Dasein zu vielfältig und die Natur zu überwältigend. Zwar können wir "dem Färöischen" bei ihm nie entgehen, aber seine Personen sind immer zuerst Menschen und dann erst Färinger. Wie er 1966 in einem Interview gesagt hat: "Der Mensch ist ja überall gleich."
PETER URBAN-HALLE
William Heinesen: "Hier wird getanzt!" Erzählungen.
Aus dem Dänischen von Inga Meincke. Hrsg. von Verena Stössinger. Guggolz Verlag, Berlin 2018. 352 S., geb., 24 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main