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Es sieht nicht alles schlimm aus in den achtziger Jahren. Aber vieles. Es ist das Jahrzehnt der explodierenden Dauerwellen und Pornoschnauzbärte, der aufgepumpten Schulterpolsterjacketts und schrillen Herumprotzerei; in den Achtzigern werden die Yuppies zu Vorreitern einer neuen Egoistenkultur. Doch gleichzeitig herrscht die Angst vor der Apokalypse, vor dem Atomtod und der Umweltzerstörung; die Menschen sehnen sich nach Utopien und Zukunft, nach neuer Gemeinschaft und Wärme. Helmut Kohl lässt die «geistig-moralische Wende» ausrufen, aber Hunderttausende demonstrieren auch für Frieden und…mehr

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Produktbeschreibung
Es sieht nicht alles schlimm aus in den achtziger Jahren. Aber vieles. Es ist das Jahrzehnt der explodierenden Dauerwellen und Pornoschnauzbärte, der aufgepumpten Schulterpolsterjacketts und schrillen Herumprotzerei; in den Achtzigern werden die Yuppies zu Vorreitern einer neuen Egoistenkultur. Doch gleichzeitig herrscht die Angst vor der Apokalypse, vor dem Atomtod und der Umweltzerstörung; die Menschen sehnen sich nach Utopien und Zukunft, nach neuer Gemeinschaft und Wärme. Helmut Kohl lässt die «geistig-moralische Wende» ausrufen, aber Hunderttausende demonstrieren auch für Frieden und Abrüstung, die Grünen etablieren sich als politische Kraft. Die Popkultur wird zum Schauplatz der feministischen und schwulen Emanzipation, mit dem Hip-Hop erhalten Minderheiten eine Stimme, die bis dahin fast unsichtbar waren. Eine ganze Generation lernt am Commodore 64 das Programmieren und begibt sich auf den Weg in die digitale Gesellschaft. Am Ende des Jahrzehnts fällt die Berliner Mauer, eine Umwälzung, die unsere Welt bis heute prägt. Jens Balzer bringt die Widersprüche der Achtziger zum Leuchten, ihre befremdlichen Moden und bizarren Lebensstile ebenso wie ihren Revolutionsdrang, in dem die Wurzeln unserer Gegenwart liegen.

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Autorenporträt
Jens Balzer, geboren 1969, ist Autor und Kolumnist, u.a. für die «Zeit», «Rolling Stone», den Deutschlandfunk und radioeins. Er war stellvertretender Feuilletonchef der «Berliner Zeitung» und kuratiert den Popsalon am Deutschen Theater. 2016 erschien sein vielgelobtes Buch «Pop», 2019 «Das entfesselte Jahrzehnt. Sound und Geist der 70er», über das der «Tagesspiegel» schrieb: «So lehrreich wie unterhaltsam ... Am Ende ist man um nie geahnte Erkenntnisse reicher - und wünscht sich, dass sich der Autor bald das nächste Jahrzehnt vornehmen möge.»
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Rezensentin Claudia Mäder lässt sich von Jens Balzer kenntnisreich zurück in die 80er Jahre beamen. Anregend findet sie, wie der Kulturjournalist sein Panorama der Alltags- und Popkultur einer Epoche entwickelt. Einerseits wird für Mäder die angstvolle Atmosphäre von damals spürbar, die sich für Balzer in Filmen wie "The Day After" oder in Subkulturen wie Goth und Punk niederschlug, andererseits zieht der Autor in seiner Geschichte keinen allzu engen Rahmen und verweist auf längerfristige Tendenzen und Entwicklungen und die Vielzahl unterschiedlicher Strömungen, wie Mäder erfreut feststellt. Ein Kapitel über das angenehm fluide Phänomen der Schulterpolster macht Mäder besondere Freude, auch wenn der Autor die Herstellung von Gegenwartsbezügen weitgehend dem Leser überlässt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.07.2021

Zur Zeit der Müslis,
Zombies, Yuppies
Eine neue Kulturgeschichte der Achtziger lässt einen
die Gegenwart klarer sehen – und etwas gelassener
VON JULIANE LIEBERT
Wenn ein Buch „High Energy“ und im Untertitel „Die Achtziger - das pulsierende Jahrzehnt“ heißt, könnte das falsche Erwartungen wecken. Deshalb zuerst, womit wir es hier nicht zu tun haben: Das Buch ist keines von diesen aufgekratzten, aber mäßig informativen Memoirs einstiger Szenegrößen über die wildesten Zeiten aller Zeiten. Kein Verzeichnis der schlimmsten Hits von Modern Talking. Auch keine Leistungsschau eines Pop-Nerds, der sogar den Spitznamen der Mutter des Produzenten der maulwurfigsten Undergroundband kennt. Nein, Jens Balzer, einer der profiliertesten deutschen Popjournalisten, hat tatsächlich die Kulturgeschichte einer Dekade geschrieben. Schon zum zweiten Mal, denn sein letztes, viel gelobtes Buch „Das entfesselte Jahrzehnt“ handelte von den Siebzigern.
Balzer legt zwar den Schwerpunkt auf die Populärkultur, zeichnet aber ein Porträt der westlichen Gesellschaft bis zum Mauerfall. Ein Porträt, das uns überreizten Menschen der Zwanzigerjahre dabei helfen kann, unsere Gegenwart etwas gelassener und schärfer zu sehen. Denn um 1980 nehmen viele der Verschiebungen und Debatten ihren Anfang, die sich erst heute in ihrer ganzen transformativen Macht zeigen. Von der Gendertheorie, die Geschlecht als soziale Konstruktion betrachtet, bis zum sich ewig optimierenden und rekonfigurierenden Individuum. Auch das prägende Gefühl der Epoche dürfte uns bekannt vorkommen: Angst. Schon damals vor der ökologischen Katastrophe, vor allem aber vor dem drohenden Atomkrieg.
Diese Prämisse erlaubt es Balzer, die disparaten Phänomene der Dekade mit einem roten Faden zu versehen. Angewandte Dialektik des Erzählens, könnte man sagen, denn die Achtziger stehen im Zeichen der Ausdifferenzierung, also Unübersichtlichkeit. Während es vorher eine mehr oder weniger einheitliche Jugendkultur gab, sucht sich jetzt jeder seine Subkultur, bildet mit gleichgesinnten einen „Stamm“ (Goths, Punks etc.), dessen Inszenierung in Form von Kleidung, Musik und Habitus in erster Linie dazu dient, sich von anderen Stämmen abzugrenzen. Mit Diedrich Diederichsen und Andreas Reckwitz („Die Gesellschaft der Singularitäten“) konstatiert Balzer: Die „Achtziger sind insofern nicht nur eine Zeit der Individualisierung, sondern auch eine Zeit der Tribalisierung“.
Ehe jetzt aber jemand von zu viel Abstraktion abgeschreckt ist: In „High Energy“ wird gerade nicht ohne Bodenhaftung gedeutet, alle Erkenntnis geht vielmehr von konkreten Beobachtungen aus. Das hat oft einen ganz eigenen Witz: „Das lange Haupthaar fällt oft in fettigen Strähnen in die Stirn, wenn es nicht zu einem – bis dahin im wesentlichen Frauen vorbehaltenen – Pferdeschwanz zusammengebunden wird oder aber, je nach Spannkraft und Haartyp, als voluminöses Wuschelgebilde um den Kopf schwebt“, heißt es etwa über das Personal der Ökobewegung, die sich in der neuen Partei, den Grünen organisiert. Über die „Fusselbärte“ und „Schlabberpullis“ ist die Partei längst hinaus. Heute tritt sie mit Kanzlerkandidatin zur Bundestagswahl an, und das damals als Spottname gebrauchte „Müsli“ gibt es mittlerweile in tausend Variationen fürs hart arbeitende Kreativbürgertum im großzügig designten Biosupermarkt.
Auch wer gegenüber der These, die Achtziger seien der Prototyp unserer Zeit, skeptisch bleibt, muss zugeben, dass viele Zusammenhänge augenfällig sind. Manche haben sich erst in den vergangenen Wochen ergeben: Wer hätte gedacht, dass der Historikerstreit um die Singularität des Holocaust unter postkolonialen Vorzeichen zurückkehrt? Eher ein Zwinkern der Geschichte dagegen, wie die Spitzenkandidatin der Grünen für die Abgeordnetenhauswahlen in Berlin unlängst mit ihrem treuherzigen Bekenntnis, als Kind habe sie „Indianerhäuptling“ werden wollen, Empörung unter neuen Progressiven auslöste. In „High Energy“ erfährt man, wieso sich die Deutschen im Allgemeinen und die „Müslis“ im Besonderen gern als „Indianer“ imaginierten. Und was das mit Antisemitismus und Pädophilie zu tun hat.
Balzer moralisiert nicht, benennt aber gravierende Irrtümer und politisches Versagen, wo es nötig ist. Sei es die hysterische Law-and-Order-Politik der CSU als Reaktion auf die Aids-Pandemie – Horst Seehofer dachte damals über Internierungsheime für Infizierte nach. Oder der muffige Antimodernismus von Teilen der Linken.
Weit mehr Raum nimmt der Umgang der Deutschen mit den meist – wie sollte es anders sein – aus Amerika zu uns schwappenden popkulturellen Trends und den medientechnischen Neuerungen wie dem Videorekorder oder dem PC ein. In den beschreibenden Passagen klingt eine leise Ironie an, die nichts mit billigem Belächeln der Vergangenheit zu tun hat, sondern der menschlichen Neigung gilt, die jeweilige Gegenwart ein bisschen zu sehr aufzublasen und gerade deshalb oft zu verkennen.
Dabei blitzen Sternschnuppen der Menschlichkeit auf, etwa in einer ZDF-Dokumentation über die seinerzeit aufkommenden, natürlich hochgradig jugendgefährdenden Zombiefilme. Die armen, in Sachen Splatterhorror jungfräulichen Eltern müssen sich das bahnbrechende Werk „Ein Zombie hing am Glockenseil“ ansehen: „Eine Mutter bekundet, dass sie nach diesem Film nun bestimmt nicht mehr einschlafen kann; ein Vater hat immerhin noch die Hoffnung, dass es ihm nach ein bis zwei Flaschen Bier gelingen wird.“
Zumindest während der Lektüre von „High Energy“ wird man auch nach ein bis zwei Flaschen Bier nicht einschlafen, denn die Taktfrequenz kluger Einsichten bleibt ähnlich hoch wie das Energielevel der titelgebenden Musikrichtung, einer Verdichtung des Disco-Stils der Siebziger. Auf jeder Seite wird gedacht, nicht einfach Material gesammelt. Es entsteht ein Netz von Querverbindungen zwischen scheinbar zusammenhanglosen Entwicklungen.
Sind die nach Macht und Geld hechelnden Yuppies nicht eine hyperkapitalistische, abstrahierte Version der Aerobic-Tänzerinnen, welche wiederum die vierzigjährigen Frauen aus der Unsichtbarkeit befreien? Korrespondieren die an den boomenden Börsen gehandelten Meta-Finanzprodukte nicht mit dem freien Spiel der (Distinktions-)Zeichen, wie es die Subkulturen pflegen? Oder agieren die Yuppies schon wie Zombies, die in Katastrophenfilmen über den Atomkrieg als Strahlenkranke zurückkehren?
Wie kurz andererseits der Weg vom indizierten C-Movie zur Show für die ganze Familie ist, begreift man sofort, wenn man Michael Jacksons Video zu „Thriller“ sieht. Prince wiederum – neben Jackson und Madonna der Superstar des Jahrzehnts – performt eine Sexualität, die zugleich viril und feminin ist, codiert sie mit jedem Tanzschritt, jeder Geste neu. In der Tat wirkt er damit wie die populäre Illustration von Michel Foucaults Sexualitätstheorie. Foucault kann seine Ideen nicht fertig ausarbeiten, 1984 stirbt er an Aids. Die Pandemie sorgt für einen Boom der Sexualaufklärung – mit langfristigen Folgen. Aber stimmt es wirklich, dass schon damals für junge Menschen die Heteronormativität relativiert wurde und „jedes Paar, das es bis auf weiteres ernst meint mit einer monogamen Beziehung“, „zur Bekräftigung dieses Commitments gemeinsam zu einem Aids-Test“ ging?
Manchmal scheint der Autor die akuten emanzipatorischen Wirkungen ein wenig zu überschätzen, was dann doch ein Kollateralschaden des Konzepts sein könnte, die Vergangenheit als Spiegel der Gegenwart zu erzählen. Doch dieser Einwand betrifft Details, und Balzers Interpretationen erweitern auch dort den Horizont, wo man sie bezweifelt. Jener Spiegel, schreibt er am Ende sei vielleicht genau im Blick auf den völlig unerwarteten Fall der Mauer und Zusammenbruch des Ostblocks am klarsten: Die Achtziger „enden als ein Jahrzehnt, in dem vieles, was selbstverständlich erscheint, plötzlich hinweggefegt wird von einem Ereignis, das alle Vorstellungen und Vorahnungen übersteigt“. Ist Covid-19 schon eine solche Zäsur?
Die Dekade ist die Zeit,
in der sich die
Jugendkultur tribalisiert
Prince definiert damals
mit jedem Tanzschritt, jeder
Geste die Sexualität neu
Jens Balzer: High Energy. Die Achtziger – das pulsierende Jahrzehnt. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2021. 400 Seiten, 28 Euro.
Das waren die Achtzigerjahre: Bundeswirtschaftsminister Martin Bangemann und die ehemalige Miss World Petra Schürmann 1986 auf der Cebit mit dem kleinen sprechenden Roboter Robby.
Foto: Holger Hollemann/dpa
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.07.2021

Und dann hörten wir die Smiths

Als die Aerobic-Welle anrollte: Jens Balzer unternimmt einen abwechslungsreichen Streifzug durch Politik, Gesellschaft und Kultur der achtziger Jahre.

Mit den Frisuren explodierten die Fantasien, ob sie nun vom nahen Weltuntergang oder von berauschter Disco-Ekstase handelten. Dass Ängste wie Hoffnungen in den achtziger Jahren irrational übersteigert waren, ist so wenig neu wie die Einordnung der Epoche als Interim, eingeklemmt zwischen den Kollektivismus-Utopien der Siebziger und dem egozentrischen Neoliberalismus der Neunziger. Dennoch ist beides überzeugend, zumal wenn man dafür so schlagende Beispiele findet wie Jens Balzer in seiner Biographie des "pulsierenden Jahrzehnts".

Wer in den Achtzigern aufgewachsen ist, dürfte sich freilich nicht nur an Neonklamotten oder das Kulturleben zwischen Underground und Mainstream erinnern, auch nicht nur an die Panik vorm Waldsterben oder das im Rückblick so erdrückend wirkende Gewicht der Historie (respektive ihres Endes, wie Francis Fukuyama meinte). Im Gedächtnis bleibt vor allem eine endlose Langeweile, die einem kein Commodore-Computer und kein Smiths-Album von den Schultern nahm: das Hineinfläzen in eine No-Future-Melancholie.

Für den eine ganze Generation prägenden Ennui, das mit großem Ernst praktizierte Gammeln (plus Kiffen), interessiert sich Balzer wenig. Auch die herrlich irrsinnigen Architekturverbrechen dieser Jahre kommen im Buch nicht vor. Das ist aber auch schon alles, was sich vermissen lässt, denn ansonsten ist dem Berliner Journalisten ein weit über die allfälligen Erinnerungen an Schulterpolster und Pornoschnauzer hinausgehendes Charakterporträt eines Zeitalters gelungen.

Vor allem an eine nachgeborene Generation gerichtet, werden sämtliche Codes in Mode, Popmusik, Film und Aktivismus entschlüsselt und markante Ausprägungen des Zeitgeists ("Schwarzwaldklinik", "Terminator", Modern Talking, Aerobic-Welle) mit gesellschaftspolitischen Entwicklungen wie der von Helmut Kohl, Margaret Thatcher und Ronald Reagan angestrebten "geistig-moralischen Wende" zurück zu alten Werten oder dem entgegengesetzten Aufstieg der Grünen zusammengedacht.

Es erstaunt, wie viele der heute virulenten Themen in dieser Umbruchzeit vorgeprägt wurden, etwa die Digitalisierungsdebatte, die gleich mit den ersten Personal Computern anhob, oder die auf Michel Foucault und Judith Butler rekurrierende Trennung von "Wahrheit" und "Sexualität" im Gender-Diskurs. Der Sänger Prince gilt Balzer als Paradebeispiel einer Haltung, die die sexuelle Identität als Ergebnis eines schöpferischen Prozesses ansieht. Das war in den Achtzigern nicht weniger radikal als heute, wurde aber, diese Auffassung scheint durch, glamouröser und musikalisch genialer vertreten. Stark ist das Kapitel zur Überfremdungsangst durch "Multikulti", in dem der Autor mit Details aufwartet, die vergessen sein dürften: dass etwa der Generalsekretär des Deutschen Roten Kreuzes, Hans-Jürgen Schilling, schon 1980 so klang wie später Thilo Sarrazin (aufgrund "hoher Fruchtbarkeit vieler Gastarbeiter" drohe eine "ethnische Spaltung") oder dass "Türküola" aus Köln, spezialisiert auf türkischsprachige Musik, zwar eines der umsatzstärksten Plattenlabels der Bundesrepublik war, aber vor dem Siegeszug des Raps kein einziger türkischer Star in Deutschland Berühmtheit erlangte.

Überhaupt wird das Buch immer dann am spannendsten, wenn es um den Pop in Musik, Film, Comics oder Games geht: Sei es eine Analyse der Wirkung Michael Jacksons oder des Energielevels von Patrick Cowleys Power-Disco-Musik, sei es eine Untersuchung, welchen Einfluss der Videorekorder auf die Gestaltung von Pornos und Horrorfilmen hatte, oder welche Bedeutung dem teuren Fairlight-Synthesizer für die Sampling-Kultur zukommt. Etwas konventioneller wirken da kulturanthropologische Überlegungen etwa zur Aids-Epidemie, mit der für den Autor bei allem Schmerz immerhin auch das Sprechen über Sex vereinfacht worden sei.

Es gelingt dem bildstark geschriebenen Buch, die sehr eigene Atmosphäre dieses eingeklemmten Jahrzehnts zu evozieren: Pogo-Punks, Gothics, Disco-Queers, systemtreue Popper mit Scheitelfrisur, frühe Yuppies und eine auf dem maoistischen wie dem antisemitischen Auge blinde Linke verausgaben sich noch einmal mit ganzer Hingabe, um uns zu beweisen, wie sehr es sich bei dieser Dekade trotz des endlosen Kohl-Regimes vor allem um eine der Jugendkultur handelte. Balzer nähert sich seinem Gegenstand unvoreingenommen, hier und da auch persönlich anekdotisch, aber doch mit dem moralischen Blick von heute, sodass er auch die "kulturelle Aneignung" durch Dreadlocks oder den stumpfen, sich zum Teil für linksanarchisch haltenden Rassismus in Filmen von Thomas Gottschalk oder Otto Waalkes ("Herr Bimbo") thematisiert.

Auch das sagt viel über die Achtziger aus, die ebenso weit vom Dritten Reich entfernt waren wie von unserer Gegenwart - und in denen doch schon "Schlussstriche" unter der "Schulddebatte" gefordert wurden. Etwas zu engagiert wirkt einzig Balzers Brandmarkung jener Szene in "Zurück in die Zukunft", in der Marty McFly Chuck Berry über Bande den von Berry erfundenen Rock 'n' Roll beibringt. Eine "rassistische Umdeutung der Popgeschichte"? Es regen sich Zweifel. Schließlich ist der Witz, dass McFly diesen Stil von Berry kannte und so ein alogischer Loop konstruiert wird: eine über Hautfarbenwechsel hinweggehende Herauslösung einer ganzen Epoche aus dem Geschichtsverlauf. Damit hätte man hier doch eher ein schönes Sinnbild gefunden für dieses letztlich auch nur in und auf sich selbst begründete Jahrzehnt, das glaubte, das letzte zu sein. Und sich deshalb so hemmungslos gehen ließ.

OLIVER JUNGEN.

Jens Balzer: "High Energy". Die Achtziger - das pulsierende Jahrzehnt.

Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2021. 400 S., geb., 28,- Euro.

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Jens Balzer, einer der profiliertesten deutschen Popjournalisten, hat tatsächlich die Kulturgeschichte einer Dekade geschrieben. Juliane Liebert Süddeutsche Zeitung 20210701