Im Sommersemester 1985 hält Paul Feyerabend eine Vorlesung an der ETH Zürich, in der er die These vertritt, dass wir viele Probleme der modernen Welt besser verstehen, wenn wir sie auf historische Wurzeln in der Geisteswelt der griechischen Antike zurückführen. Das überwiegend naturwissenschaftliche Publikum wird nicht enttäuscht. In gezielt antiprofessoraler Performance, gespickt mit brillanten Provokationen und anekdotischen Abschweifungen, die sein profundes Wissen offenbaren, schärft das enfant terrible der Wissenschaftsphilosophie seine berühmte Kritik am abendländischen Rationalismus.
Besonders die Monopolstellung der wissenschaftlich-technischen Vernunft mit ihren Vorstellungen von Fortschritt, Wahrheit oder Objektivität nimmt er dabei ins Visier, als mitverantwortlich für die Schieflage der Welt. Dagegen empfiehlt Feyerabend einen erkenntnistheoretischen und politischen Pluralismus, um den »modernen Problemen« seiner Zeit beizukommen: der atomaren Bedrohung, der Zerstörung außereuropäischer Zivilisationen, den sozialen Verwerfungen und der sich anbahnenden ökologischen Katastrophe. Und heute? Eine furiose Reise in die 1980er Jahre, die unter anderem zeigt, dass nicht wenige Probleme von gestern noch immer auf der Agenda stehen.
Besonders die Monopolstellung der wissenschaftlich-technischen Vernunft mit ihren Vorstellungen von Fortschritt, Wahrheit oder Objektivität nimmt er dabei ins Visier, als mitverantwortlich für die Schieflage der Welt. Dagegen empfiehlt Feyerabend einen erkenntnistheoretischen und politischen Pluralismus, um den »modernen Problemen« seiner Zeit beizukommen: der atomaren Bedrohung, der Zerstörung außereuropäischer Zivilisationen, den sozialen Verwerfungen und der sich anbahnenden ökologischen Katastrophe. Und heute? Eine furiose Reise in die 1980er Jahre, die unter anderem zeigt, dass nicht wenige Probleme von gestern noch immer auf der Agenda stehen.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Frieder Vogelmann empfiehlt einen vergleichenden Blick auf das Werk Foucaults beim Lesen von Paul Feyerabends Zürcher Vorlesung von 1985. Sehr unterhaltsam findet er Feyerabends Einlassungen zu Überbevölkerung, Umweltzerstörung und Aufrüstung, aber auch zu weniger brennenden Themen wie der Vielfalt der Meinungen. Enttäuscht scheint er über Feyerabends mangelnden Drive, wenn er auf kritische Einwände seiner Zuhörer antwortet, allerdings gehören zwei daraus folgende Diskussionen zum Besten im Buch, findet er. Dem Leser wünscht er Geduld, weil die "gewollte Unordnung" der Vorlesung mit allerhand Abschweifungen in der vorliegenden schriftlichen Form etwas ermüdend wirken kann, wie Vogelmann ahnt.
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»... es dürfte unmöglich sein von diesen Vorlesungen nicht unterhalten, verärgert und klüger gemacht zu werden.« Frieder Vogelmann Frankfurter Allgemeine Zeitung 20240313
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2024Bloß keine Idee zur beherrschenden werden lassen
Von Konrad Lorenz zu Protagoras : Eine Vorlesung Paul Feyerabends aus dem Jahr 1985
Ursprünglich wollte Paul Feyerabend im Sommersemester 1985 eine Vorlesung zur Geschichte der Atomtheorie halten. Doch das Publikum war nicht begeistert: "Atomtheorie, so was Fades." Langweilen wollte Feyerabend auf keinen Fall, daher änderte er das Thema. Und obwohl "Historische Wurzeln moderner Probleme" kein spannender Titel ist, dürfte es unmöglich sein, von diesen Vorlesungen nicht unterhalten, verärgert und klüger gemacht zu werden.
Feyerabend war 1985 eine Berühmtheit. Zehn Jahre zuvor war sein Buch "Wider den Methodenzwang" erschienen, das "Woodstock der Philosophie" (Ian Hacking): eine so fröhliche wie genau argumentierte Abrechnung mit dem überbordenden Rationalismus und Szientismus der damaligen Wissenschaftstheorie, insbesondere dem kritischen Rationalismus von Karl Popper. Dieser taucht auch in den Vorlesungen kurz als Gegner auf, doch Feyerabend greift sehr viel weiter aus, thematisch und historisch. Von verschiedenen Problemen der Gegenwart möchte er zeigen, dass sie sich besser verstehen lassen, wenn man sie an ihren historischen Wurzeln packt, also in der Zeit, in der sie zum ersten Mal auftreten oder aus der sie ihre zentralen Begriffe beziehen.
In fünf Gruppen unterteilt Feyer-abend sie in der Vorlesung: von den "unwichtigen Problemen" über die Probleme der Philosophie, der Wissenschaften und der Politik bis zu den "wichtigen Problemen". Unter letztere fallen etwa Überbevölkerung, Umweltzerstörung und nukleare Aufrüstung, aber auch "der Schwund starker Gefühle und Affekte durch Verweichlichung" oder "der genetische Verfall" - Feyerabend präsentiert hier Konrad Lorenz' "Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit" (1973) ohne jede Distanzierung. Dabei wäre es gerade für einen so politischen Kopf wie Feyerabend zwingend, auf die Kontinuitäten beispielsweise des letztgenannten Problems mit Lorenz' eugenischen Thesen zur "Verhaustierung des Menschen" durch nachlassenden Selektionsdruck von 1940 einzugehen. Zum Glück holt das Nachwort der Herausgeber dies nach.
Zu den unwichtigen Problemen rechnet Feyerabend die "weinerlichen Klagen und Schimpfereien von Intellektuellen" über das vermeintliche Ende der Aufklärung und die chaotische Vielfalt der Meinungen. Mit ihnen beginnt er, um sie in der historischen Rückschau als gegenstandslos zu entlarven. Gestützt auf Immanuel Kants Aufsatz "Beantwortung einer Frage: Was ist Aufklärung?" argumentiert Feyerabend, dass diese zwar in der Tat zu Ende sei, weil die Menschen heute weitaus weniger selbständig dächten. Doch die gegenwärtige Kritik sorge sich um das schwindende Vertrauen in die Wissenschaften - was er im Gegenteil als vorsichtige Rückkehr zum Selbstdenken deutet. Auch die Klage über die chaotische Vielfalt der Meinung gehöre zu den "Froschmäusekriegen"; mit John Stuart Mill sieht Feyerabend vielmehr einen großen Gewinn in der Meinungsvielfalt und attestiert den Klagenden "autoritäre Aspirationen . . .: Sie wollen eine Idee überall herrschen sehen."
Damit ist das philosophische Problem berührt, das Feyerabend umtreibt: die Verteidigung des Relativismus als einer Haltung, die die Vielfalt menschlicher Lebens- und Ausdrucksformen verteidigt und vermehrt. Relativisten würden es vor allem vermeiden, ihre Meinung rücksichtslos als die einzige Wahrheit durchzusetzen, obwohl auch sie ihr selbstverständlich Geltung verschaffen wollen. Feyerabend kehrt damit den klassischen philosophischen Diskurs gegen den Relativismus um. Schon Platon (im "Staat") und auch Popper behaupten, dass Relativismus gewaltaffin sei, da ohne Orientierung an einer einzigen Wahrheit das Recht des Stärkeren entscheide. Feyerabend ist dagegen überzeugt, dass es sich umgekehrt verhält: "Wer glaubt, sich im Besitz einer objektiven Wahrheit zu befinden, die über den verschiedenen Meinungen verschiedener Leute steht, wird sich jeder ihm zur Verfügung stehenden Macht bedienen."
Ein Großteil der zweiten Hälfte der Vorlesung nimmt daher sein Versuch ein, diese Einsicht zu untermauern, indem er drei antike Relativisten in ihrem Kontext darstellt: Herodot, Aischylos, Protagoras. Das ist vergnüglich zu lesen, auch wegen des lockeren Tonfalls, in dem Feyerabend Lob und Tadel verteilt, historische Szenerien ausmalt und mit Seitenhieben auf die Gegenwart nicht spart. Nachvollziehbar wird, was Feyerabend zu Beginn nur postuliert, nämlich dass er den Relativismus nicht als bloß intellektuelle Position versteht, gar als These über Thesen, wie Popper. Er sei vielmehr eine Lebensform, eine Haltung, die sich auf Denken, Handeln und Sein erstreckt. Feyerabend verteidigt einen existenziellen Relativismus gegen die Uniformierung der Welt im Namen einer einzigen Wahrheit.
Als Vorlesung muss es hinreißend gewesen sein; in gedruckter Form wird es auf Dauer etwas eintönig. Die gewollte Unordnung - Feyerabend führt seine Vorlesung als "Minestrone" ein - und die vielen Abschweifungen führen eben kaum zu konkreten Ergebnissen, und Feyerabend antwortet nicht sonderlich überzeugend auf die kritischen Nachfragen des Publikums. Zwei der daraus resultierenden Diskussionen gehören zu den Highlights der Vorlesung. Da trifft Feyerabends Verteidigung des Relativismus zuerst auf politische Kritik, auf die er eher hilflos reagiert. Gefragt nämlich, ob er auch den Faschismus als legitime Position anerkennen müsste, beißt Feyerabend in den sauren Apfel und bejaht: Auch mit Faschisten müsse man sich zusammensetzen und reden, "und dann werden wir mal sehen. Am Ende kommt es vielleicht dazu, dass man ihn umbringen muss." Historisch wie für die Gegenwart ist das zu kurz gesprungen; hier rächt sich Feyerabends naiv anmutende Reduktion von Politik auf individuelle Gespräche zwischen einzelnen Menschen. Ihm fehlt, so muss man wohl konstatieren, ein Begriff von Gesellschaft.
Gewitzter noch ist die Kritik des Publikums an seiner historischen Vorgehensweise. Warum sollte es einfacher sein, Probleme in uns unbekannten historischen Kontexten zu erörtern als in dem uns bekannten der Gegenwart? Welche Setzungen stecken in Feyerabends Schilderung der Antike und welche Annahmen in der Beziehung zwischen ihren Problemen und unseren? Tatsächlich scheint Feyerabend ganz konventionell davon auszugehen, dass es mehr oder minder ewige philosophische Probleme gibt, die nur in neuer Gestalt auftreten.
Hier, wie auch in Bezug auf die politische Kritik, läge es nahe, einen vergleichenden Blick auf Michel Foucaults Werk zu werfen, dessen Genealogien mit ausgearbeitetem methodologischen Besteck die langsame und wechselvolle Geschichte der Begriffe und Theorien schildern, mit denen wir unsere heutigen Probleme überhaupt stellen. Aber Feyerabend hat sich mit Foucault nie ernsthaft auseinandergesetzt.
Dass die Verbindung naheliegt, zeigt sich am Ende, als Feyerabend um Vorschläge für die Vorlesung im kommenden Semester bittet und das Publikum eine "Geschichte der Sexualität" verlangt. Dazu kam es nicht, Feyerabend hielt stattdessen eine Vorlesung zur Wissenschaftstheorie - ob leider oder zum Glück, werden wir nie erfahren. FRIEDER VOGELMANN
Paul Feyerabend: "Historische Wurzeln moderner Probleme".
Vorlesung an der ETH Zürich 1985. Hrsgg. von M. Hagner und M. Hampe. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2023. 600 S., Abb., geb., 40,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Von Konrad Lorenz zu Protagoras : Eine Vorlesung Paul Feyerabends aus dem Jahr 1985
Ursprünglich wollte Paul Feyerabend im Sommersemester 1985 eine Vorlesung zur Geschichte der Atomtheorie halten. Doch das Publikum war nicht begeistert: "Atomtheorie, so was Fades." Langweilen wollte Feyerabend auf keinen Fall, daher änderte er das Thema. Und obwohl "Historische Wurzeln moderner Probleme" kein spannender Titel ist, dürfte es unmöglich sein, von diesen Vorlesungen nicht unterhalten, verärgert und klüger gemacht zu werden.
Feyerabend war 1985 eine Berühmtheit. Zehn Jahre zuvor war sein Buch "Wider den Methodenzwang" erschienen, das "Woodstock der Philosophie" (Ian Hacking): eine so fröhliche wie genau argumentierte Abrechnung mit dem überbordenden Rationalismus und Szientismus der damaligen Wissenschaftstheorie, insbesondere dem kritischen Rationalismus von Karl Popper. Dieser taucht auch in den Vorlesungen kurz als Gegner auf, doch Feyerabend greift sehr viel weiter aus, thematisch und historisch. Von verschiedenen Problemen der Gegenwart möchte er zeigen, dass sie sich besser verstehen lassen, wenn man sie an ihren historischen Wurzeln packt, also in der Zeit, in der sie zum ersten Mal auftreten oder aus der sie ihre zentralen Begriffe beziehen.
In fünf Gruppen unterteilt Feyer-abend sie in der Vorlesung: von den "unwichtigen Problemen" über die Probleme der Philosophie, der Wissenschaften und der Politik bis zu den "wichtigen Problemen". Unter letztere fallen etwa Überbevölkerung, Umweltzerstörung und nukleare Aufrüstung, aber auch "der Schwund starker Gefühle und Affekte durch Verweichlichung" oder "der genetische Verfall" - Feyerabend präsentiert hier Konrad Lorenz' "Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit" (1973) ohne jede Distanzierung. Dabei wäre es gerade für einen so politischen Kopf wie Feyerabend zwingend, auf die Kontinuitäten beispielsweise des letztgenannten Problems mit Lorenz' eugenischen Thesen zur "Verhaustierung des Menschen" durch nachlassenden Selektionsdruck von 1940 einzugehen. Zum Glück holt das Nachwort der Herausgeber dies nach.
Zu den unwichtigen Problemen rechnet Feyerabend die "weinerlichen Klagen und Schimpfereien von Intellektuellen" über das vermeintliche Ende der Aufklärung und die chaotische Vielfalt der Meinungen. Mit ihnen beginnt er, um sie in der historischen Rückschau als gegenstandslos zu entlarven. Gestützt auf Immanuel Kants Aufsatz "Beantwortung einer Frage: Was ist Aufklärung?" argumentiert Feyerabend, dass diese zwar in der Tat zu Ende sei, weil die Menschen heute weitaus weniger selbständig dächten. Doch die gegenwärtige Kritik sorge sich um das schwindende Vertrauen in die Wissenschaften - was er im Gegenteil als vorsichtige Rückkehr zum Selbstdenken deutet. Auch die Klage über die chaotische Vielfalt der Meinung gehöre zu den "Froschmäusekriegen"; mit John Stuart Mill sieht Feyerabend vielmehr einen großen Gewinn in der Meinungsvielfalt und attestiert den Klagenden "autoritäre Aspirationen . . .: Sie wollen eine Idee überall herrschen sehen."
Damit ist das philosophische Problem berührt, das Feyerabend umtreibt: die Verteidigung des Relativismus als einer Haltung, die die Vielfalt menschlicher Lebens- und Ausdrucksformen verteidigt und vermehrt. Relativisten würden es vor allem vermeiden, ihre Meinung rücksichtslos als die einzige Wahrheit durchzusetzen, obwohl auch sie ihr selbstverständlich Geltung verschaffen wollen. Feyerabend kehrt damit den klassischen philosophischen Diskurs gegen den Relativismus um. Schon Platon (im "Staat") und auch Popper behaupten, dass Relativismus gewaltaffin sei, da ohne Orientierung an einer einzigen Wahrheit das Recht des Stärkeren entscheide. Feyerabend ist dagegen überzeugt, dass es sich umgekehrt verhält: "Wer glaubt, sich im Besitz einer objektiven Wahrheit zu befinden, die über den verschiedenen Meinungen verschiedener Leute steht, wird sich jeder ihm zur Verfügung stehenden Macht bedienen."
Ein Großteil der zweiten Hälfte der Vorlesung nimmt daher sein Versuch ein, diese Einsicht zu untermauern, indem er drei antike Relativisten in ihrem Kontext darstellt: Herodot, Aischylos, Protagoras. Das ist vergnüglich zu lesen, auch wegen des lockeren Tonfalls, in dem Feyerabend Lob und Tadel verteilt, historische Szenerien ausmalt und mit Seitenhieben auf die Gegenwart nicht spart. Nachvollziehbar wird, was Feyerabend zu Beginn nur postuliert, nämlich dass er den Relativismus nicht als bloß intellektuelle Position versteht, gar als These über Thesen, wie Popper. Er sei vielmehr eine Lebensform, eine Haltung, die sich auf Denken, Handeln und Sein erstreckt. Feyerabend verteidigt einen existenziellen Relativismus gegen die Uniformierung der Welt im Namen einer einzigen Wahrheit.
Als Vorlesung muss es hinreißend gewesen sein; in gedruckter Form wird es auf Dauer etwas eintönig. Die gewollte Unordnung - Feyerabend führt seine Vorlesung als "Minestrone" ein - und die vielen Abschweifungen führen eben kaum zu konkreten Ergebnissen, und Feyerabend antwortet nicht sonderlich überzeugend auf die kritischen Nachfragen des Publikums. Zwei der daraus resultierenden Diskussionen gehören zu den Highlights der Vorlesung. Da trifft Feyerabends Verteidigung des Relativismus zuerst auf politische Kritik, auf die er eher hilflos reagiert. Gefragt nämlich, ob er auch den Faschismus als legitime Position anerkennen müsste, beißt Feyerabend in den sauren Apfel und bejaht: Auch mit Faschisten müsse man sich zusammensetzen und reden, "und dann werden wir mal sehen. Am Ende kommt es vielleicht dazu, dass man ihn umbringen muss." Historisch wie für die Gegenwart ist das zu kurz gesprungen; hier rächt sich Feyerabends naiv anmutende Reduktion von Politik auf individuelle Gespräche zwischen einzelnen Menschen. Ihm fehlt, so muss man wohl konstatieren, ein Begriff von Gesellschaft.
Gewitzter noch ist die Kritik des Publikums an seiner historischen Vorgehensweise. Warum sollte es einfacher sein, Probleme in uns unbekannten historischen Kontexten zu erörtern als in dem uns bekannten der Gegenwart? Welche Setzungen stecken in Feyerabends Schilderung der Antike und welche Annahmen in der Beziehung zwischen ihren Problemen und unseren? Tatsächlich scheint Feyerabend ganz konventionell davon auszugehen, dass es mehr oder minder ewige philosophische Probleme gibt, die nur in neuer Gestalt auftreten.
Hier, wie auch in Bezug auf die politische Kritik, läge es nahe, einen vergleichenden Blick auf Michel Foucaults Werk zu werfen, dessen Genealogien mit ausgearbeitetem methodologischen Besteck die langsame und wechselvolle Geschichte der Begriffe und Theorien schildern, mit denen wir unsere heutigen Probleme überhaupt stellen. Aber Feyerabend hat sich mit Foucault nie ernsthaft auseinandergesetzt.
Dass die Verbindung naheliegt, zeigt sich am Ende, als Feyerabend um Vorschläge für die Vorlesung im kommenden Semester bittet und das Publikum eine "Geschichte der Sexualität" verlangt. Dazu kam es nicht, Feyerabend hielt stattdessen eine Vorlesung zur Wissenschaftstheorie - ob leider oder zum Glück, werden wir nie erfahren. FRIEDER VOGELMANN
Paul Feyerabend: "Historische Wurzeln moderner Probleme".
Vorlesung an der ETH Zürich 1985. Hrsgg. von M. Hagner und M. Hampe. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2023. 600 S., Abb., geb., 40,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main