Es sind ungewöhnliche Kriminalromane, die der Brite William Shaw schreibt, denn er setzt seine Leser in eine Zeitmaschine, die sie direkt mitten hinein in die Swinging Sixties katapultiert. Flower Power, Hippies, Joints und Afghanenmäntel kennzeichnen diese Ära, und Shaws Verweise auf Popmusik und
-musiker dieser Zeit bringen zusätzlich das entsprechende Flair in die Krimis der Breen und…mehrEs sind ungewöhnliche Kriminalromane, die der Brite William Shaw schreibt, denn er setzt seine Leser in eine Zeitmaschine, die sie direkt mitten hinein in die Swinging Sixties katapultiert. Flower Power, Hippies, Joints und Afghanenmäntel kennzeichnen diese Ära, und Shaws Verweise auf Popmusik und -musiker dieser Zeit bringen zusätzlich das entsprechende Flair in die Krimis der Breen und Tozer-Reihe, die mit dem vorliegenden „History of Murder“ mittlerweile auf drei Bände angewachsen ist. Aber es wären keine Kriminalromane, wenn der Autor nicht auch zeigen würde, dass neben „Love and Peace“ jede Menge Platz für das Verbrechen ist.
1969: Cathal „Paddy“ Breen, der zurückhaltende, besonnene, irischstämmige DS und seine Kollegin Helen Tozer haben der Londoner Polizei den Rücken gekehrt. Sie hat den Dienst quittiert und ist in Begleitung des rekonvaleszenten Paddy Breen, der eine Schussverletzung auskurieren muss, auf die elterliche Farm in Devon zurückgekehrt. Aber auch das Leben dort ist alles andere als beschaulich, denn Helens Vater vernachlässigt die Farm und ist dringend auf Hilfe angewiesen, da er noch immer um seine ermordete Tochter Alexandra trauert. Glücklicherweise gibt es Hibou, ein Hippiemädchen aus London, das Breen und Tozer aus den Fängen eines Sektengurus befreit (vgl. hierzu „Kings of London“, Bd. 2) und mit nach Devon gebracht haben. Sie gibt Helens Vater neuen Lebensmut, aber dennoch liegt der Mord wie ein Schatten auf der Familie. Als Breen wieder einigermaßen auf dem Damm ist, schaut er sich den fünf Jahre zurückliegenden Mordfall etwas genauer an und beginnt heimlich zu ermitteln. Das Ergebnis seiner Recherche ist erschreckend und verstörend, denn Alexandra war nicht das einzige Opfer. Die Spur führt in die unmittelbare Nachbarschaft und letztendlich zu einem unrühmlichen Kapitel britischer Kolonialvergangenheit, das noch immer totgeschwiegen wird.
„A book of scars“, so der Originaltitel und dieser trifft den Kern dieses Kriminalromans weit besser als das eher unverbindlich klingende „History of Murder“, denn vergangene Ereignisse haben bei allen Akteuren, unabhängig ob gut oder böse, Narben hinterlassen. Der Mordfall, natürlich, aber auch verratene Ideale, persönliche Verluste und falsche Entscheidungen.
William Shaw demaskiert in seinen Romanen den Flower Power Mythos und zeigt dessen hässliches Gesicht. Sexismus, Rassismus, Diskriminierung, Korruption und Gewalt gegen Schwache – die Reihe ließe sich endlos fortsetzen. Er schafft Atmosphäre durch ein stimmiges Setting und porträtiert eine Gesellschaft im Wandel, deren unverarbeitete Traumata bis in die Gegenwart wirken. Ergänzt werden diese „historischen“ Details durch überzeugende Charaktere und einen wohl durchdachten Plot, der fesselt und unterhält. Nicht unerwähnt bleiben soll die Übersetzung von Conny Lösch, wie immer genial!
Eine Bemerkung zum Schluss: Ich empfehle nachdrücklich die bisherigen Bände („Abbey Road Murder Song“, „Kings of London“ und „History of Murder“) in der richtigen Reihenfolge zu lesen, da immer wieder Bezüge zu vorangegangenen Ereignissen und Entwicklungen hergestellt werden. Band 4 der Reihe (Sympathy for the devil) ist im Original für Anfang Mai 2017 angekündigt und wird sehnsüchtig erwartet. In der Zwischenzeit können wir uns mit „Der gute Mörder“, einem Kriminalroman außerhalb dieser Reihe trösten, der im Juli 2017 im Suhrkamp Verlag erscheinen wird.
Und hier noch ein Musiktipp, passend zur Lektüre: „Judy Blue Eyes“ von Crosby, Stills & Nash (veröffentlicht 1969).