War Hitler, dessen Name für Diktatur, Krieg und Völkermord steht, das zwangsläufige Resultat der deutschen Geschichte? Ralf Georg Reuth beantwortet diese Frage in seiner politischen Biographie mit einem klaren Nein. Aber Hitlers Weg zur Macht war ohne die überwältigende Niederlage im Ersten Weltkrieg, ohne Angst vor dem Bolschewismus und ohne ...
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.02.2003Größter Ruinierer aller Zeiten?
Vom "Klumpfuß" zum "Führer": Goebbels-Biograph Reuth wagt sich an Hitlers Leben
Ralf Georg Reuth: Hitler. Eine politische Biographie. Piper Verlag, München 2003. 685 Seiten, 24,90 [Euro].
Es ist mutig, nach den monumentalen Werken von Bullock, Fest, Kershaw noch eine Hitler-Biographie zu wagen. Wissen wir von diesem Menschen nicht schon alles, was man überhaupt wissen kann? Was ist die Räson dieses Buches? Was bringt es Neues an Quellen, an Deutungen? Was Ralf Georg Reuth von Hitlers Herkunft, seiner Sozialisation, seinen Linzer und Wiener Jahren berichtet, ist alles andere als neu, aber ein wenig neu drapiert: Nicht das Schönerersche Wien habe Hitler zum Judenhasser geformt, das besorgten erst in München die Mannen um die Thule-Gesellschaft mit dem fatalen Dietrich Eckart an der Spitze; auch Henry Ford hatte seinen Anteil. Als Beweis führt Reuth an, Hitler habe Gustav Mahler geschätzt - der war bekanntlich Jude, was ihm in Wien zum Schicksal wurde.
Hätte Reuth das jüngste Werk von Brigitte Hamann studiert, so hätte ihm auffallen müssen, daß Hitler sehr wohl zur gleichen Zeit Antisemit und Mahler-Freund sein konnte, denn Hitler verstand vieles nicht, die Musik von Wagner bis Mahler aber durchaus. Nicht im Lohengrin wollte sich Hitler stilisieren, sondern in Rienzi, Siegfried, Parsifal. Es mag ja sein, daß die vom "jüdischen" Wien dem künftigen Tyrannen aufgedrückte Matrix nur oberflächlich war, gleichwohl hat sie den Boden bereitet. Eckart und Ford hätten nichts vermocht, wäre Hitler nicht schon längst antisemitisch infiziert gewesen - eben in Wien, eben in seinen jungen Jahren. Die wurden auch vom Ersten Weltkrieg geprägt. Der Glaube an die Unverwundbarkeit, die Vorsehung, die "Sendung" sind Derivate seiner militärischen Meldegängerexistenz. Es hätte Reuth abermals auffallen müssen, daß Hitler auch später dem Volk oder der Geschichte zu "melden" pflegte: so 1938 die "Heimkehr" seiner Heimat in das Deutsche Reich.
Neues gibt es auch aus München nicht zu berichten - welcher Putsch in der deutschen Geschichte wäre besser dokumentiert als der vom 9./10. November 1923! Reuth schildert die dramatischen Eisner-Tage von 1919 ebenso wie die unsäglichen von Kahr, Seisser und Konsorten, 1921 bis 1923; Hitlers Entree in die feine Münchner Gesellschaft findet Erwähnung, und was die frühe Politik angeht, vermutet Reuth, Eisner habe Hitler so beeindruckt wie später Stalin - im Guten wie im Bösen. Wer nun aber hofft, der Autor würde sich auf Ernst Noltes Thesen wie auch immer einlassen, sieht sich enttäuscht, wie die wissenschaftlichen Diskurse der vergangenen zwanzig Jahre an diesem Buch merkwürdig spurlos vorbeigegangen sind. Unreflektiert wird die These von Andreas Hillgruber übernommen, nach der Hitler über ein "Programm" a priori verfügt habe, der Holocaust schon 1925 beschlossene Sache gewesen und der "neue Staat" schon 1926 konzipiert worden sei.
Anderes erfährt der Leser nicht: Was haben in Landsberg Hitler gesagt und Heß geschrieben? Hat Hitler Weiningers "Geschlecht und Charakter" oder wenigstens dessen 13. Kapitel ("Das Judentum") wirklich gelesen? Kannte er Mackinders "Pivot of History", oder hat ihm Karl Haushofer davon via Heß berichten lassen? Das sind keine belanglosen Fragen nach der Bildung des Braunauers. Könnten sie beantwortet werden, wüßten wir über Hitlers Wissen und die daraus abgeleitete Weltanschauung tatsächlich mehr als bisher. Reuth ist nicht vorzuwerfen, daß er keine Antwort weiß, sondern daß ihm solche Fragen gar nicht gekommen sind. So bleibt der jeder Rationalität hohnsprechende Eindruck des buchstäblich "märchenhaften" Aufstiegs einer ebenfalls buchstäblich unbeschreiblichen Gestalt vom Obdachlosenasyl zur Reichskanzlei.
Dieser wird vom Autor in Form einer "Parteierzählung" geschildert, wenn es um den Weg der Deutschen Arbeiterpartei (DAP) und dann der NSDAP von 1919 und 1926 bis zur Eroberung der Macht geht. Ganz richtig sieht Reuth, daß das Landsberger Zwischenspiel Hitlers Ego gestärkt, nicht beschädigt hat. Am Rand der via triumphalis Hitlers zum Herrn der Reichskanzlei tauchen die üblichen Figuren auf, wenn auch blaß und gestanzt, was vor allem für Brüning, Papen und Schleicher gilt. Daß Hindenburg Monarchist geblieben war, was Hitler geschickt zu nutzen wußte, kann man schon bei Brüning nachlesen. Von den Paladinen des "Führers" gewinnt nur Goebbels ein schärferes Profil; kein Wunder, hat Reuth dem "Klumpfuß" doch vor Jahren eine bemerkenswerte Biographie gewidmet. In Goebbels spiegelten sich wie in keiner anderen Gestalt dieses Zeitalters die Zerrissenheit und das Faszinosum des Nationalsozialismus zugleich.
Tatsächlich schrammt Reuths neuestes Buch manchmal nur haarscharf an einem "Jenninger-Effekt" vorbei, so wenn von den "ungeheuerlichen Vertragsbedingungen" von Versailles, der "Umklammerung des Reiches" im Jahr 1934 (!) oder davon die Rede ist, daß die Deutschen 1936 nun nicht mehr "die Parias" der Welt seien - was alles nicht von Hitler stammt, sondern von Reuth. Der Autor wehrt sich aber redlich gegen die "Verführung" durch seinen "Helden", indem er nüchtern und präzise die verbrecherische "Gewalt" schildert, mit der Hitler die Juden verfolgen und ermorden ließ. An diesem Punkt läßt der Verfasser nicht deuteln: Hitler ist der Satan des Holocaust: von Anfang an, unbestritten, konsequent bis zum entsetzlichen Ende. Aber genau so deutlich heißt es im Zusammenhang mit dem Wahlergebnis vom 12. September 1930, das den Durchbruch der NSDAP brachte: "Wohl die wenigsten seiner Wähler verbanden daher mit dem Namen Hitler dessen Vernichtungswillen gegenüber dem Judentum." Es ist eben ein Unterschied, ob man "nur" Antisemit war oder entschlossen zum Holocaust.
Reuth betont ganz richtig, daß der Revisionismus bei Hitler von Anfang an nur vorgeschoben war, was jedermann hätte wissen können, denn Hitler hat niemals ein Hehl daraus gemacht. Es ist aber unzutreffend, daß "Mein Kampf" vor 1933 nicht rezipiert worden sei. Wenn das Ausland dennoch beharrlich an der Vorstellung festhielt, Hitler sei bloß rabiater Revisionist, so unterstreicht dies einmal mehr die politische Borniertheit einer diplomatischen Kaste, die nur in den tradierten Formen zu denken wußte - was übrigens auch für die Spitzen der Wehrmacht galt. Hitler brauchte "die alten Schuster" nicht für den Revisionskrieg, sondern den Weltanschauungs- und Vernichtungskrieg. Deswegen mußte er "seine" SA im "Röhm-Putsch" opfern. Auch die Blomberg-Fritsch-Krise wird falsch bewertet: Hier ging es um die personellen Konsequenzen aus der Besprechung in der Reichskanzlei vom 5. November 1937, die durch das sogenannte Hoßbachprotokoll berühmt wurde. Es ist ärgerlich, daß Reuth den aktuellen Forschungsstand hier ebensowenig zur Kenntnis genommen hat wie den zu Guernica: Die Bombardierung der Stadt war eben keine bewußt inszenierte "Generalprobe" für die zukünftige Bombardierung von Wohnvierteln.
Nur ein knappes Drittel des Buches bleibt für den Zweiten Weltkrieg - was vertretbar wäre, wollte man Hitler in ähnlicher Funktion sehen wie während des Ersten Weltkrieges Wilhelm II. Dann verschwände der "Größte Feldherr aller Zeiten" nach und nach in den Flammen des von ihm inszenierten Infernos. Tatsächlich war es umgekehrt: Der Zweite Weltkrieg war Hitlers Krieg; auf geradezu gespenstische Weise wurden Hitler und der Krieg eins, und nie enthüllte sich das Verbrechertum des Diktators deutlicher als hier. Allzuoft aber erliegt Reuth der bloßen Kolportage, so wenn er seitenlang über den Englandflug von Heß räsoniert, dem Luft- und Seekrieg aber nur ein paar Zeilen widmet. So geraten die Proportionen durcheinander, und deswegen bleibt das, was Reuth zu Hitlers Krieg zu sagen hat, unbefriedigend.
Die Räson des Buches? Neue Quellen, eine neue Deutung? Fehlanzeige! Dieses Stück solider historiographischer Handwerksarbeit ist nicht von jenem leidenschaftlichen Wissen-Wollen durchtränkt, das beispielsweise Joachim Fests Werk auszeichnete. Dennoch: Adolf Hitler war einer der größten "Ruinierer" und nicht ein "Großer" der Weltgeschichte. Das Unglück, das der Mann aus Braunau über die Welt brachte, aber ist so groß, daß jeder Versuch, dies zu erklären, ehrenwert ist - selbst wenn er scheitert.
MICHAEL SALEWSKI
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Vom "Klumpfuß" zum "Führer": Goebbels-Biograph Reuth wagt sich an Hitlers Leben
Ralf Georg Reuth: Hitler. Eine politische Biographie. Piper Verlag, München 2003. 685 Seiten, 24,90 [Euro].
Es ist mutig, nach den monumentalen Werken von Bullock, Fest, Kershaw noch eine Hitler-Biographie zu wagen. Wissen wir von diesem Menschen nicht schon alles, was man überhaupt wissen kann? Was ist die Räson dieses Buches? Was bringt es Neues an Quellen, an Deutungen? Was Ralf Georg Reuth von Hitlers Herkunft, seiner Sozialisation, seinen Linzer und Wiener Jahren berichtet, ist alles andere als neu, aber ein wenig neu drapiert: Nicht das Schönerersche Wien habe Hitler zum Judenhasser geformt, das besorgten erst in München die Mannen um die Thule-Gesellschaft mit dem fatalen Dietrich Eckart an der Spitze; auch Henry Ford hatte seinen Anteil. Als Beweis führt Reuth an, Hitler habe Gustav Mahler geschätzt - der war bekanntlich Jude, was ihm in Wien zum Schicksal wurde.
Hätte Reuth das jüngste Werk von Brigitte Hamann studiert, so hätte ihm auffallen müssen, daß Hitler sehr wohl zur gleichen Zeit Antisemit und Mahler-Freund sein konnte, denn Hitler verstand vieles nicht, die Musik von Wagner bis Mahler aber durchaus. Nicht im Lohengrin wollte sich Hitler stilisieren, sondern in Rienzi, Siegfried, Parsifal. Es mag ja sein, daß die vom "jüdischen" Wien dem künftigen Tyrannen aufgedrückte Matrix nur oberflächlich war, gleichwohl hat sie den Boden bereitet. Eckart und Ford hätten nichts vermocht, wäre Hitler nicht schon längst antisemitisch infiziert gewesen - eben in Wien, eben in seinen jungen Jahren. Die wurden auch vom Ersten Weltkrieg geprägt. Der Glaube an die Unverwundbarkeit, die Vorsehung, die "Sendung" sind Derivate seiner militärischen Meldegängerexistenz. Es hätte Reuth abermals auffallen müssen, daß Hitler auch später dem Volk oder der Geschichte zu "melden" pflegte: so 1938 die "Heimkehr" seiner Heimat in das Deutsche Reich.
Neues gibt es auch aus München nicht zu berichten - welcher Putsch in der deutschen Geschichte wäre besser dokumentiert als der vom 9./10. November 1923! Reuth schildert die dramatischen Eisner-Tage von 1919 ebenso wie die unsäglichen von Kahr, Seisser und Konsorten, 1921 bis 1923; Hitlers Entree in die feine Münchner Gesellschaft findet Erwähnung, und was die frühe Politik angeht, vermutet Reuth, Eisner habe Hitler so beeindruckt wie später Stalin - im Guten wie im Bösen. Wer nun aber hofft, der Autor würde sich auf Ernst Noltes Thesen wie auch immer einlassen, sieht sich enttäuscht, wie die wissenschaftlichen Diskurse der vergangenen zwanzig Jahre an diesem Buch merkwürdig spurlos vorbeigegangen sind. Unreflektiert wird die These von Andreas Hillgruber übernommen, nach der Hitler über ein "Programm" a priori verfügt habe, der Holocaust schon 1925 beschlossene Sache gewesen und der "neue Staat" schon 1926 konzipiert worden sei.
Anderes erfährt der Leser nicht: Was haben in Landsberg Hitler gesagt und Heß geschrieben? Hat Hitler Weiningers "Geschlecht und Charakter" oder wenigstens dessen 13. Kapitel ("Das Judentum") wirklich gelesen? Kannte er Mackinders "Pivot of History", oder hat ihm Karl Haushofer davon via Heß berichten lassen? Das sind keine belanglosen Fragen nach der Bildung des Braunauers. Könnten sie beantwortet werden, wüßten wir über Hitlers Wissen und die daraus abgeleitete Weltanschauung tatsächlich mehr als bisher. Reuth ist nicht vorzuwerfen, daß er keine Antwort weiß, sondern daß ihm solche Fragen gar nicht gekommen sind. So bleibt der jeder Rationalität hohnsprechende Eindruck des buchstäblich "märchenhaften" Aufstiegs einer ebenfalls buchstäblich unbeschreiblichen Gestalt vom Obdachlosenasyl zur Reichskanzlei.
Dieser wird vom Autor in Form einer "Parteierzählung" geschildert, wenn es um den Weg der Deutschen Arbeiterpartei (DAP) und dann der NSDAP von 1919 und 1926 bis zur Eroberung der Macht geht. Ganz richtig sieht Reuth, daß das Landsberger Zwischenspiel Hitlers Ego gestärkt, nicht beschädigt hat. Am Rand der via triumphalis Hitlers zum Herrn der Reichskanzlei tauchen die üblichen Figuren auf, wenn auch blaß und gestanzt, was vor allem für Brüning, Papen und Schleicher gilt. Daß Hindenburg Monarchist geblieben war, was Hitler geschickt zu nutzen wußte, kann man schon bei Brüning nachlesen. Von den Paladinen des "Führers" gewinnt nur Goebbels ein schärferes Profil; kein Wunder, hat Reuth dem "Klumpfuß" doch vor Jahren eine bemerkenswerte Biographie gewidmet. In Goebbels spiegelten sich wie in keiner anderen Gestalt dieses Zeitalters die Zerrissenheit und das Faszinosum des Nationalsozialismus zugleich.
Tatsächlich schrammt Reuths neuestes Buch manchmal nur haarscharf an einem "Jenninger-Effekt" vorbei, so wenn von den "ungeheuerlichen Vertragsbedingungen" von Versailles, der "Umklammerung des Reiches" im Jahr 1934 (!) oder davon die Rede ist, daß die Deutschen 1936 nun nicht mehr "die Parias" der Welt seien - was alles nicht von Hitler stammt, sondern von Reuth. Der Autor wehrt sich aber redlich gegen die "Verführung" durch seinen "Helden", indem er nüchtern und präzise die verbrecherische "Gewalt" schildert, mit der Hitler die Juden verfolgen und ermorden ließ. An diesem Punkt läßt der Verfasser nicht deuteln: Hitler ist der Satan des Holocaust: von Anfang an, unbestritten, konsequent bis zum entsetzlichen Ende. Aber genau so deutlich heißt es im Zusammenhang mit dem Wahlergebnis vom 12. September 1930, das den Durchbruch der NSDAP brachte: "Wohl die wenigsten seiner Wähler verbanden daher mit dem Namen Hitler dessen Vernichtungswillen gegenüber dem Judentum." Es ist eben ein Unterschied, ob man "nur" Antisemit war oder entschlossen zum Holocaust.
Reuth betont ganz richtig, daß der Revisionismus bei Hitler von Anfang an nur vorgeschoben war, was jedermann hätte wissen können, denn Hitler hat niemals ein Hehl daraus gemacht. Es ist aber unzutreffend, daß "Mein Kampf" vor 1933 nicht rezipiert worden sei. Wenn das Ausland dennoch beharrlich an der Vorstellung festhielt, Hitler sei bloß rabiater Revisionist, so unterstreicht dies einmal mehr die politische Borniertheit einer diplomatischen Kaste, die nur in den tradierten Formen zu denken wußte - was übrigens auch für die Spitzen der Wehrmacht galt. Hitler brauchte "die alten Schuster" nicht für den Revisionskrieg, sondern den Weltanschauungs- und Vernichtungskrieg. Deswegen mußte er "seine" SA im "Röhm-Putsch" opfern. Auch die Blomberg-Fritsch-Krise wird falsch bewertet: Hier ging es um die personellen Konsequenzen aus der Besprechung in der Reichskanzlei vom 5. November 1937, die durch das sogenannte Hoßbachprotokoll berühmt wurde. Es ist ärgerlich, daß Reuth den aktuellen Forschungsstand hier ebensowenig zur Kenntnis genommen hat wie den zu Guernica: Die Bombardierung der Stadt war eben keine bewußt inszenierte "Generalprobe" für die zukünftige Bombardierung von Wohnvierteln.
Nur ein knappes Drittel des Buches bleibt für den Zweiten Weltkrieg - was vertretbar wäre, wollte man Hitler in ähnlicher Funktion sehen wie während des Ersten Weltkrieges Wilhelm II. Dann verschwände der "Größte Feldherr aller Zeiten" nach und nach in den Flammen des von ihm inszenierten Infernos. Tatsächlich war es umgekehrt: Der Zweite Weltkrieg war Hitlers Krieg; auf geradezu gespenstische Weise wurden Hitler und der Krieg eins, und nie enthüllte sich das Verbrechertum des Diktators deutlicher als hier. Allzuoft aber erliegt Reuth der bloßen Kolportage, so wenn er seitenlang über den Englandflug von Heß räsoniert, dem Luft- und Seekrieg aber nur ein paar Zeilen widmet. So geraten die Proportionen durcheinander, und deswegen bleibt das, was Reuth zu Hitlers Krieg zu sagen hat, unbefriedigend.
Die Räson des Buches? Neue Quellen, eine neue Deutung? Fehlanzeige! Dieses Stück solider historiographischer Handwerksarbeit ist nicht von jenem leidenschaftlichen Wissen-Wollen durchtränkt, das beispielsweise Joachim Fests Werk auszeichnete. Dennoch: Adolf Hitler war einer der größten "Ruinierer" und nicht ein "Großer" der Weltgeschichte. Das Unglück, das der Mann aus Braunau über die Welt brachte, aber ist so groß, daß jeder Versuch, dies zu erklären, ehrenwert ist - selbst wenn er scheitert.
MICHAEL SALEWSKI
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