Adolf Hitler wurde von Bischof Alois Hudal als "Siegfried deutscher Größe" verehrt, das Ideal des aus Graz stammenden Theologen war ein "christlicher Nationalsozialismus", verbunden mit der "Vernichtung der kommunistischen und bolschewistischen Weltgefahr". Als Rektor des deutschen Priesterkollegs Santa Maria dell'Anima und Leiter des vatikanischen Pass- und Flüchtlingsbüros avanciert der umtriebige Bischof nach 1945 zum Fluchthelfer für zahlreiche NS-Kriegsverbrecher, unter ihnen Alois Brunner und Franz Stangl. Johannes Sachslehner zeichnet in seiner umfassend recherchierten Biografie ein kritisches Porträt von Leben und Wirken dieses einflussreichen Kirchenmannes, der seinen nationalsozialistischen Prinzipien bis zum Ende treu blieb.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.01.2020Für die Flucht auf der "Rattenlinie" war er eine Schlüsselfigur
Zwar nicht Hitlers Mann im Vatikan, aber ein hartnäckiger Karrierist: Johannes Sachslehner beschreibt den Lebensweg des österreichischen Kurienbischofs Alois Hudal
"Ich habe immer für den Sieg Deutschlands gebetet und auch in diesem Sinne gepredigt und geschrieben, dessen schäme ich mich nicht." Ein solcher Satz muss befremden - erst recht, wenn er von einem katholischen Bischof stammt. Er findet sich in der postum veröffentlichten Autobiographie des österreichischen Kurienbischofs Alois Hudal (1885 bis 1963). Den Lebensweg dieses schillernden Kirchenmannes zeichnet der Wiener Autor Johannes Sachslehner in einer neuen Biographie akribisch nach.
Hervorstechendstes Merkmal Hudals, der in der Steiermark als Sohn eines slowenischen Vaters geboren wurde, blieb zeitlebens ein brennender Ehrgeiz. Nach einer kurzen akademischen Laufbahn wurde er 1923 zum Rektor des traditionsreichen deutschsprachigen Priesterkollegs Santa Maria dell'Anima in Rom ernannt. Zehn Jahre später erfolgte die Bischofsweihe, bei der er das Motto "Für Kirche und Vaterland" wählte. Wie für viele Konservative der Zwischenkriegszeit war ihm sein krisengeschütteltes Heimatland zu klein, ein Anschluss an Deutschland erschien als die einzig sinnvolle politische Option. "Der Österreicher ist und bleibt der Deutsche im österreichischen Raum", war er überzeugt. Auch der Anima versuchte er daher den Charakter einer dezidiert deutschen Institution zu geben und ihre Funktion als deutsche Nationalkirche zu stärken. Hudal verstand sich als der deutsche Bischof in Rom.
Nach Studien zur nationalsozialistischen Ideologie entwickelte er einen kühnen Plan: In seiner Schrift "Grundlagen des Nationalsozialismus" vertrat er 1936 die These, der Nationalsozialismus bestehe aus zwei Strömungen, einer konservativ-patriotischen und einer sozialistisch-kirchenfeindlichen. Erstere gelte es zu stärken, damit sie die Oberhand gewinne. In diesem Sinne schwebte ihm für Deutschland etwas Ähnliches wie die Versöhnung zwischen Staat und Kirche im faschistischen Italien vor. Gemeinsames Projekt von Nationalsozialisten und Katholiken müsse der Kampf gegen den Bolschewismus sein. Für Hudals Anliegen machte sich der ehemalige Reichskanzler Franz von Papen bei Hitler stark, doch Goebbels hielt dagegen, und das Verbot des "gänzlich untragbaren" Buches in Deutschland blieb aufrecht.
Auch unter den deutschen und österreichischen Bischöfen fand Hudals Vorstoß keine Unterstützung. Der Münchner Kardinal Faulhaber, der Hitler Ende 1936 in einem Gespräch auf dem Obersalzberg zu einer Abkehr von seiner kirchenfeindlichen Politik bewegen wollte, sprach geradezu von einem "Dolchstoß". Im Vatikan lehnte man Hudals Buch gleichfalls ab, ja man sah die eigene Haltung gegenüber dem Regime durch diese unerbetene Initiative konterkariert. Pius XI. selbst gab dem Bischof zu verstehen, dass er nicht an eine derartige Verständigung mit dem Nationalsozialismus glaube. Obwohl man ihm im Vatikan fortan mit Misstrauen begegnete, waren seine Kontakte zu Nationalsozialisten noch einmal nötig, als es während der deutschen Besatzung Italiens galt, gegen eine geplante große Judenrazzia in Rom zu protestieren.
Letztlich offenlassen muss der Autor, aus welcher Motivation heraus Hudal, der während des Krieges flüchtige alliierte Offiziere in seinem Haus versteckt hatte, nach dem Krieg zu einer Schlüsselfigur der sogenannten "Rattenlinie" wurde. Auf abenteuerliche Weise verhalf er Nazischergen wie Eduard Roschmann, dem berüchtigten "Schlächter von Riga", zur Flucht nach Südamerika. Christliche Mildtätigkeit gegenüber Hilfsbedürftigen, wie er vorgab, konnte es kaum gewesen sein, wohl auch nicht allein eine nationalsozialistische Gesinnung. Man mag vermuten, dass er sich vor allem von enttäuschtem Ehrgeiz leiten ließ. Seit 1936 stockte seine Karriere, und 1952 musste er auf Druck der Kurie auf die Leitung der Anima verzichten. In seiner Autobiographie, einem erschreckenden Dokument der Unbelehrbarkeit, zeigte Hudal jedenfalls keinerlei Mitgefühl mit den Opfern jener Männer, denen er die Flucht ermöglicht hatte.
All das ist gründlich recherchiert und liest sich spannend wie ein Roman. Deshalb ist es umso bedauerlicher, dass Autor oder Verlag doch nicht der Versuchung widerstehen konnten, die Sensationsgier des Publikums zu befriedigen. Hudal war sicher nicht, wie es der Titel vollmundig ankündigt, "Hitlers Mann im Vatikan" - weder von Hitler aus, der sich zu keiner Zeit seiner bediente, noch vom Vatikan aus, der ihn nicht als Sachwalter des Diktators ansah. Der Untertitel spricht von einem "dunklen Kapitel in der Geschichte der Kirche", und das Vorwort charakterisiert den Bischof als "umstrittensten Würdenträger der modernen Kirchengeschichte". Damit wird er aber sicher überschätzt, zumal er doch schon frühzeitig im Vatikan in Ungnade gefallen war, wie Sachslehner selbst zeigen kann.
Dass Hudal nicht nur in politischen, sondern auch in kirchlichen Fragen kein Vertrauen genoss, beweist etwa das weitgespannte Projekt einer Union zwischen Protestanten und Katholiken, das er 1941 dem Papst vorlegte. Er erhielt nicht einmal eine Antwort. Nach Kriegsende untersagte Pius XII., dass der Bischof für die Betreuung der deutschen Kriegsgefangenen in Italien zuständig wurde. Mehrfach wurde er vom Staatssekretariat ermahnt. Die Aussage, dass Pius XII. und sein Mitarbeiter Giovanni Battista Montini (der auch gleich noch zum Staatssekretär, also zum vatikanischen "Außenminister", befördert wird) "dem Treiben Hudals jahrelang zusahen, ja es billigten und zum Teil sogar unterstützten", bleibt ohne Beleg. Niemand anderer als Montini verhinderte, dass der Bischof in kirchlichen Zeitungen gegen öffentliche Angriffe verteidigt wurde. Der spätere Papst Paul VI. war es auch, der ihm die Nachricht zu überbringen hatte, er sei in Rom nicht mehr tragbar. Auch wenn es verkaufsfördernder sein mag, Hudal als Teil eines korrupten Systems darzustellen, war er das wohl nicht. Vielmehr gewinnt man bei der Lektüre den Eindruck, dass es sich bei diesem Mann um einen Karrieristen und Wichtigtuer handelte, der den Verantwortlichen in Kirche und Politik seine Einsichten aufdrängen wollte, letztlich aber auf eigene Rechnung arbeitete.
Ambivalent blieb das Bild des "Nazi-Bischofs", dessen Tun die Nachkriegspresse aufgedeckt hatte, in Österreich. Ein peinliches Foto aus dem Jahr 1961 zeigt ihn inmitten einer Regierungsdelegation, Kanzler Gorbach zu seiner Linken, Außenminister Kreisky zu seiner Rechten. Seiner Wirkung konnten sich offenkundig viele Zeitgenossen kaum entziehen, galt er doch bis ins hohe Alter als gewinnend und eloquent. Oder war es der Reiz des Dämonischen, den diese Gestalt ausstrahlte?
JÖRG ERNESTI
Johannes Sachslehner: "Bischof Alois Hudal - Hitlers Mann im Vatikan". Ein dunkles Kapitel in der Geschichte der Kirche.
Molden Verlag, Wien 2019. 288 S., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwar nicht Hitlers Mann im Vatikan, aber ein hartnäckiger Karrierist: Johannes Sachslehner beschreibt den Lebensweg des österreichischen Kurienbischofs Alois Hudal
"Ich habe immer für den Sieg Deutschlands gebetet und auch in diesem Sinne gepredigt und geschrieben, dessen schäme ich mich nicht." Ein solcher Satz muss befremden - erst recht, wenn er von einem katholischen Bischof stammt. Er findet sich in der postum veröffentlichten Autobiographie des österreichischen Kurienbischofs Alois Hudal (1885 bis 1963). Den Lebensweg dieses schillernden Kirchenmannes zeichnet der Wiener Autor Johannes Sachslehner in einer neuen Biographie akribisch nach.
Hervorstechendstes Merkmal Hudals, der in der Steiermark als Sohn eines slowenischen Vaters geboren wurde, blieb zeitlebens ein brennender Ehrgeiz. Nach einer kurzen akademischen Laufbahn wurde er 1923 zum Rektor des traditionsreichen deutschsprachigen Priesterkollegs Santa Maria dell'Anima in Rom ernannt. Zehn Jahre später erfolgte die Bischofsweihe, bei der er das Motto "Für Kirche und Vaterland" wählte. Wie für viele Konservative der Zwischenkriegszeit war ihm sein krisengeschütteltes Heimatland zu klein, ein Anschluss an Deutschland erschien als die einzig sinnvolle politische Option. "Der Österreicher ist und bleibt der Deutsche im österreichischen Raum", war er überzeugt. Auch der Anima versuchte er daher den Charakter einer dezidiert deutschen Institution zu geben und ihre Funktion als deutsche Nationalkirche zu stärken. Hudal verstand sich als der deutsche Bischof in Rom.
Nach Studien zur nationalsozialistischen Ideologie entwickelte er einen kühnen Plan: In seiner Schrift "Grundlagen des Nationalsozialismus" vertrat er 1936 die These, der Nationalsozialismus bestehe aus zwei Strömungen, einer konservativ-patriotischen und einer sozialistisch-kirchenfeindlichen. Erstere gelte es zu stärken, damit sie die Oberhand gewinne. In diesem Sinne schwebte ihm für Deutschland etwas Ähnliches wie die Versöhnung zwischen Staat und Kirche im faschistischen Italien vor. Gemeinsames Projekt von Nationalsozialisten und Katholiken müsse der Kampf gegen den Bolschewismus sein. Für Hudals Anliegen machte sich der ehemalige Reichskanzler Franz von Papen bei Hitler stark, doch Goebbels hielt dagegen, und das Verbot des "gänzlich untragbaren" Buches in Deutschland blieb aufrecht.
Auch unter den deutschen und österreichischen Bischöfen fand Hudals Vorstoß keine Unterstützung. Der Münchner Kardinal Faulhaber, der Hitler Ende 1936 in einem Gespräch auf dem Obersalzberg zu einer Abkehr von seiner kirchenfeindlichen Politik bewegen wollte, sprach geradezu von einem "Dolchstoß". Im Vatikan lehnte man Hudals Buch gleichfalls ab, ja man sah die eigene Haltung gegenüber dem Regime durch diese unerbetene Initiative konterkariert. Pius XI. selbst gab dem Bischof zu verstehen, dass er nicht an eine derartige Verständigung mit dem Nationalsozialismus glaube. Obwohl man ihm im Vatikan fortan mit Misstrauen begegnete, waren seine Kontakte zu Nationalsozialisten noch einmal nötig, als es während der deutschen Besatzung Italiens galt, gegen eine geplante große Judenrazzia in Rom zu protestieren.
Letztlich offenlassen muss der Autor, aus welcher Motivation heraus Hudal, der während des Krieges flüchtige alliierte Offiziere in seinem Haus versteckt hatte, nach dem Krieg zu einer Schlüsselfigur der sogenannten "Rattenlinie" wurde. Auf abenteuerliche Weise verhalf er Nazischergen wie Eduard Roschmann, dem berüchtigten "Schlächter von Riga", zur Flucht nach Südamerika. Christliche Mildtätigkeit gegenüber Hilfsbedürftigen, wie er vorgab, konnte es kaum gewesen sein, wohl auch nicht allein eine nationalsozialistische Gesinnung. Man mag vermuten, dass er sich vor allem von enttäuschtem Ehrgeiz leiten ließ. Seit 1936 stockte seine Karriere, und 1952 musste er auf Druck der Kurie auf die Leitung der Anima verzichten. In seiner Autobiographie, einem erschreckenden Dokument der Unbelehrbarkeit, zeigte Hudal jedenfalls keinerlei Mitgefühl mit den Opfern jener Männer, denen er die Flucht ermöglicht hatte.
All das ist gründlich recherchiert und liest sich spannend wie ein Roman. Deshalb ist es umso bedauerlicher, dass Autor oder Verlag doch nicht der Versuchung widerstehen konnten, die Sensationsgier des Publikums zu befriedigen. Hudal war sicher nicht, wie es der Titel vollmundig ankündigt, "Hitlers Mann im Vatikan" - weder von Hitler aus, der sich zu keiner Zeit seiner bediente, noch vom Vatikan aus, der ihn nicht als Sachwalter des Diktators ansah. Der Untertitel spricht von einem "dunklen Kapitel in der Geschichte der Kirche", und das Vorwort charakterisiert den Bischof als "umstrittensten Würdenträger der modernen Kirchengeschichte". Damit wird er aber sicher überschätzt, zumal er doch schon frühzeitig im Vatikan in Ungnade gefallen war, wie Sachslehner selbst zeigen kann.
Dass Hudal nicht nur in politischen, sondern auch in kirchlichen Fragen kein Vertrauen genoss, beweist etwa das weitgespannte Projekt einer Union zwischen Protestanten und Katholiken, das er 1941 dem Papst vorlegte. Er erhielt nicht einmal eine Antwort. Nach Kriegsende untersagte Pius XII., dass der Bischof für die Betreuung der deutschen Kriegsgefangenen in Italien zuständig wurde. Mehrfach wurde er vom Staatssekretariat ermahnt. Die Aussage, dass Pius XII. und sein Mitarbeiter Giovanni Battista Montini (der auch gleich noch zum Staatssekretär, also zum vatikanischen "Außenminister", befördert wird) "dem Treiben Hudals jahrelang zusahen, ja es billigten und zum Teil sogar unterstützten", bleibt ohne Beleg. Niemand anderer als Montini verhinderte, dass der Bischof in kirchlichen Zeitungen gegen öffentliche Angriffe verteidigt wurde. Der spätere Papst Paul VI. war es auch, der ihm die Nachricht zu überbringen hatte, er sei in Rom nicht mehr tragbar. Auch wenn es verkaufsfördernder sein mag, Hudal als Teil eines korrupten Systems darzustellen, war er das wohl nicht. Vielmehr gewinnt man bei der Lektüre den Eindruck, dass es sich bei diesem Mann um einen Karrieristen und Wichtigtuer handelte, der den Verantwortlichen in Kirche und Politik seine Einsichten aufdrängen wollte, letztlich aber auf eigene Rechnung arbeitete.
Ambivalent blieb das Bild des "Nazi-Bischofs", dessen Tun die Nachkriegspresse aufgedeckt hatte, in Österreich. Ein peinliches Foto aus dem Jahr 1961 zeigt ihn inmitten einer Regierungsdelegation, Kanzler Gorbach zu seiner Linken, Außenminister Kreisky zu seiner Rechten. Seiner Wirkung konnten sich offenkundig viele Zeitgenossen kaum entziehen, galt er doch bis ins hohe Alter als gewinnend und eloquent. Oder war es der Reiz des Dämonischen, den diese Gestalt ausstrahlte?
JÖRG ERNESTI
Johannes Sachslehner: "Bischof Alois Hudal - Hitlers Mann im Vatikan". Ein dunkles Kapitel in der Geschichte der Kirche.
Molden Verlag, Wien 2019. 288 S., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main