Zum 250. Geburtstag Friedrich Hölderlins: Rüdiger Safranskis Biographie über den großen unbekannten Dichter Dies ist die Geschichte eines Einzelgängers, der keinen Halt im Leben fand, obwohl er hingebungsvoll liebte und geliebt wurde: Friedrich Hölderlin. Als Dichter, Übersetzer, Philosoph, Hauslehrer und Revolutionär lebte er in zerreißenden Spannungen, unter denen er schließlich zusammenbrach. Erst das 20. Jahrhundert entdeckte seine tatsächliche Bedeutung, manche verklärten ihn sogar zu einem Mythos. Doch immer noch ist Friedrich Hölderlin der große Unbekannte unter den Klassikern der deutschen Literatur. Der 250. Geburtstag im März 2020 ist eine gute Gelegenheit, sich ihm und seinem Geheimnis zu nähern. Rüdiger Safranskis Biografie gelingt das auf bewundernswerte Weise.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.01.2020Nachricht der Nacht
Rüdiger Safranskis Hölderlin-Biographie
Diese Hölderlin-Biographie besitzt alle Qualitäten, für die Rüdiger Safranski steht: Von den Anfängen in der Klosterschule über die geistigen und politischen Aufschwünge im Tübinger Stift, von den Versuchen, eine Position im literarischen Leben um 1800 zu finden, bis hin zur resignierten Einsicht "Sie können mich nicht brauchen", von der psychischen Erkrankung bis zur Wiederentdeckung im zwanzigsten Jahrhundert wird lebendig und anschaulich von Hölderlin erzählt. Dabei umgeht Safranski keine Herausforderung, er erfasst die philosophischen Positionen, mit denen Hölderlin sich auseinandersetzte, und wenn er auf einer Seite mal eben Kants Grundideen präzise und klar erläutert, dann staunt man darüber - Safranski aber ist schon bei Fichte, den er ebenso zielsicher vorstellt.
Natürlich ist das eine Biographie, aber auch eine Erzählung, in der man mit Hölderlin mitgeht, ganz buchstäblich, denn dieser war viel zu Fuß unterwegs, bis hin zur letzten grauenhaften Wanderung nach Bordeaux, wo er wieder einmal eine der Hauslehrerstellen antreten sollte, mit denen er Geld verdienen musste, und von der er äußerlich und psychisch zerrüttet zurückkehrte. Safranski lässt die Mutter auftreten, der Hölderlin zeitlebens Rechenschaft schuldete, die verheiratete Geliebte Susette Gontard, aus deren Haus er vertrieben wurde, den bewunderten und ihn fördernden Schiller (dem Safranski auch eine Biographie gewidmet hat). Man freut sich über pointierte Zuspitzungen: Der Pietismus sei eine "eigentümliche Verbindung von Innigkeit und Misstrauen gegen sich selbst"; die Natur besitze um 1800 noch eine "religiöse Restwärme". Safranskis Urteile sind nachvollziehbar, zum Beispiel jenes, dass Hölderlin kein Romantiker sei, weil diese die nahen und alltäglichen Gegenstände mit anderen Augen ansehen wollten, während Hölderlin in ferne, vergangene oder visionäre Welten blickte. Viele der schönsten Gedichte stellt Safranski einfühlsam vor.
Auch die problematischen Seiten Hölderlins werden erfasst: der Kulturnationalismus zum Beispiel, der Deutschland für die "Revolution der Gesinnungen und Vorstellungsarten" in Europa zuständig sein lässt, das befremdliche Gedicht "Der Tod fürs Vaterland", aus dem Safranski allerdings die schlimmsten Verse - "Lebe droben, o Vaterland, / Und zähle nicht die Toten! Dir ist, / Liebes! nicht Einer zu viel gefallen" - nicht zitiert und das zum "nationalistischen Missbrauch" wohl doch selbst einlädt. Politisch hält Safranski sich insgesamt zurück, die früheren intensiven Diskussionen, ob Hölderlin Jakobiner gewesen sei oder nicht, bewegen nicht mehr, und Aktualisierungen von Hölderlins Denken sind ohnehin schwer möglich.
Ganz am Schluss des Buchs findet sich allerdings eine merkwürdige Aussage, nachdem Safranski zunächst feststellt, dass heutigen Lesern Hölderlins Rede von den Göttern fremd geworden sei: "Die Götternacht, von der Hölderlin sprach, die gibt es wirklich heutzutage, hierzulande." Was bedeutet das? Eine so starke und weitreichende Behauptung in den letzten Sätzen einer Biographie sollte man doch erläutern und ein wenig ausführen, damit es nicht beim Raunen bleibt.
Ist dies auch eines der besten Bücher Rüdiger Safranskis? Das vielleicht nicht, denn in seinen intellektuellen Biographien Nietzsches oder Heideggers zum Beispiel war Safranski gepackt, erschloss sich mit großer Neugier deren Denkbewegungen und ließ die Leser daran teilhaben. Hölderlin stellt er eher von außen dar. Wenn man dieses Buch mit der großen und nur zu bewundernden Goethe-Biographie Safranskis vergleicht, die schwungvoll und leichthändig geschrieben ist, dann scheint ihm Hölderlin weniger zu liegen, aber das gewisse Fremdeln hat auch objektive Gründe. Denn Hölderlins geistige Grundlagen sind nur noch Fachleuten direkt zugänglich. Die Elegie "Brot und Wein", die Safranski zu Recht preist und vollständig abdruckt, geht von geschichtsphilosophischen Annahmen aus: Auf die Antike als Zeitalter der Einheit von Mensch und Natur folgt die zerrissene Moderne, die von einem kommenden Gott überwunden werden soll, an dessen Ankunft die Dichter mitwirken. Diese Strophen bieten einen grandiosen und manchmal überwältigenden Klang, einer einfachen Lektüre jedoch entziehen sie sich. Wer aber Hölderlin kennenlernen und verstehen will, sollte Safranski lesen.
DIRK VON PETERSDORFF
Rüdiger Safranski: "Hölderlin - Komm! ins Offene, Freund!". Biographie.
Carl Hanser Verlag, München 2019. 400 S., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Rüdiger Safranskis Hölderlin-Biographie
Diese Hölderlin-Biographie besitzt alle Qualitäten, für die Rüdiger Safranski steht: Von den Anfängen in der Klosterschule über die geistigen und politischen Aufschwünge im Tübinger Stift, von den Versuchen, eine Position im literarischen Leben um 1800 zu finden, bis hin zur resignierten Einsicht "Sie können mich nicht brauchen", von der psychischen Erkrankung bis zur Wiederentdeckung im zwanzigsten Jahrhundert wird lebendig und anschaulich von Hölderlin erzählt. Dabei umgeht Safranski keine Herausforderung, er erfasst die philosophischen Positionen, mit denen Hölderlin sich auseinandersetzte, und wenn er auf einer Seite mal eben Kants Grundideen präzise und klar erläutert, dann staunt man darüber - Safranski aber ist schon bei Fichte, den er ebenso zielsicher vorstellt.
Natürlich ist das eine Biographie, aber auch eine Erzählung, in der man mit Hölderlin mitgeht, ganz buchstäblich, denn dieser war viel zu Fuß unterwegs, bis hin zur letzten grauenhaften Wanderung nach Bordeaux, wo er wieder einmal eine der Hauslehrerstellen antreten sollte, mit denen er Geld verdienen musste, und von der er äußerlich und psychisch zerrüttet zurückkehrte. Safranski lässt die Mutter auftreten, der Hölderlin zeitlebens Rechenschaft schuldete, die verheiratete Geliebte Susette Gontard, aus deren Haus er vertrieben wurde, den bewunderten und ihn fördernden Schiller (dem Safranski auch eine Biographie gewidmet hat). Man freut sich über pointierte Zuspitzungen: Der Pietismus sei eine "eigentümliche Verbindung von Innigkeit und Misstrauen gegen sich selbst"; die Natur besitze um 1800 noch eine "religiöse Restwärme". Safranskis Urteile sind nachvollziehbar, zum Beispiel jenes, dass Hölderlin kein Romantiker sei, weil diese die nahen und alltäglichen Gegenstände mit anderen Augen ansehen wollten, während Hölderlin in ferne, vergangene oder visionäre Welten blickte. Viele der schönsten Gedichte stellt Safranski einfühlsam vor.
Auch die problematischen Seiten Hölderlins werden erfasst: der Kulturnationalismus zum Beispiel, der Deutschland für die "Revolution der Gesinnungen und Vorstellungsarten" in Europa zuständig sein lässt, das befremdliche Gedicht "Der Tod fürs Vaterland", aus dem Safranski allerdings die schlimmsten Verse - "Lebe droben, o Vaterland, / Und zähle nicht die Toten! Dir ist, / Liebes! nicht Einer zu viel gefallen" - nicht zitiert und das zum "nationalistischen Missbrauch" wohl doch selbst einlädt. Politisch hält Safranski sich insgesamt zurück, die früheren intensiven Diskussionen, ob Hölderlin Jakobiner gewesen sei oder nicht, bewegen nicht mehr, und Aktualisierungen von Hölderlins Denken sind ohnehin schwer möglich.
Ganz am Schluss des Buchs findet sich allerdings eine merkwürdige Aussage, nachdem Safranski zunächst feststellt, dass heutigen Lesern Hölderlins Rede von den Göttern fremd geworden sei: "Die Götternacht, von der Hölderlin sprach, die gibt es wirklich heutzutage, hierzulande." Was bedeutet das? Eine so starke und weitreichende Behauptung in den letzten Sätzen einer Biographie sollte man doch erläutern und ein wenig ausführen, damit es nicht beim Raunen bleibt.
Ist dies auch eines der besten Bücher Rüdiger Safranskis? Das vielleicht nicht, denn in seinen intellektuellen Biographien Nietzsches oder Heideggers zum Beispiel war Safranski gepackt, erschloss sich mit großer Neugier deren Denkbewegungen und ließ die Leser daran teilhaben. Hölderlin stellt er eher von außen dar. Wenn man dieses Buch mit der großen und nur zu bewundernden Goethe-Biographie Safranskis vergleicht, die schwungvoll und leichthändig geschrieben ist, dann scheint ihm Hölderlin weniger zu liegen, aber das gewisse Fremdeln hat auch objektive Gründe. Denn Hölderlins geistige Grundlagen sind nur noch Fachleuten direkt zugänglich. Die Elegie "Brot und Wein", die Safranski zu Recht preist und vollständig abdruckt, geht von geschichtsphilosophischen Annahmen aus: Auf die Antike als Zeitalter der Einheit von Mensch und Natur folgt die zerrissene Moderne, die von einem kommenden Gott überwunden werden soll, an dessen Ankunft die Dichter mitwirken. Diese Strophen bieten einen grandiosen und manchmal überwältigenden Klang, einer einfachen Lektüre jedoch entziehen sie sich. Wer aber Hölderlin kennenlernen und verstehen will, sollte Safranski lesen.
DIRK VON PETERSDORFF
Rüdiger Safranski: "Hölderlin - Komm! ins Offene, Freund!". Biographie.
Carl Hanser Verlag, München 2019. 400 S., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Rüdiger Safranski ist ein genau recherchierender Biograph, der zudem klug und fesselnd zu schreiben versteht. ... In dieser Umsichtigkeit, Umfänglichkeit und Genauigkeit wurde dieser dichterische Genius schon lange nicht mehr dargestellt." Andreas Puff-Trojan, SWR2, 07.01.20
"Safranski umgeht keine Herausforderung, er erfasst die philosophischen Positionen, mit denen Hölderlin sich auseinandersetzte, und wenn er auf einer Seite mal eben Kants Grundideen präzise und klar erläutert, dann staunt man darüber. ... Wer Hölderlin kennenlernen und verstehen will, sollte Safranski lesen." Dirk von Petersdorff, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.01.20
"Mit viel Empathie, Kenntnissen lokaler und geistesgeschichtlicher Zusammenhänge gibt er einen Hölderlin für unsere Zeit." Tilman Krause, Die literarische Welt, 07.12.19
"Safranski liefert die Eloge mit großer Werkkenntnis und historischer und ideengeschichtlicher Einbettung ... Ein Wohlfühlbuch." Roman Bucheli, Neue Zürcher Zeitung, 29.11.19
"Er verwebt minutiöse Recherche, politische und literarische Kontexte zu einem gut lesbaren Ganzen." Erich Klein, Falter, 11.10.19
"Safranski erzählt mit großer Meisterschaft und entfaltet die merkwürdig schöne und ungeheure Welt des Aufbruchs in die Moderne." Hedwig Richter, Süddeutsche Zeitung, 19.10.19
"Bemerkenswert ist, dass der behandelte Gegenstand den Autor diesmal veranlasst, das Genre der Biografie, das gern zu historisierender Beschaulichkeit neigt, in seiner innersten Anlage aufzusprengen, ja fast schon aufzugeben, um Streitschrift, Memorandum und Wegweiser ins Aktuelle zu werden. ... Safranskis neuem Buch sind viele, viele Leser zu wünschen!" Eberhard Geisler, Frankfurter Rundschau, 20.10.19
"Safranski umgeht keine Herausforderung, er erfasst die philosophischen Positionen, mit denen Hölderlin sich auseinandersetzte, und wenn er auf einer Seite mal eben Kants Grundideen präzise und klar erläutert, dann staunt man darüber. ... Wer Hölderlin kennenlernen und verstehen will, sollte Safranski lesen." Dirk von Petersdorff, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.01.20
"Mit viel Empathie, Kenntnissen lokaler und geistesgeschichtlicher Zusammenhänge gibt er einen Hölderlin für unsere Zeit." Tilman Krause, Die literarische Welt, 07.12.19
"Safranski liefert die Eloge mit großer Werkkenntnis und historischer und ideengeschichtlicher Einbettung ... Ein Wohlfühlbuch." Roman Bucheli, Neue Zürcher Zeitung, 29.11.19
"Er verwebt minutiöse Recherche, politische und literarische Kontexte zu einem gut lesbaren Ganzen." Erich Klein, Falter, 11.10.19
"Safranski erzählt mit großer Meisterschaft und entfaltet die merkwürdig schöne und ungeheure Welt des Aufbruchs in die Moderne." Hedwig Richter, Süddeutsche Zeitung, 19.10.19
"Bemerkenswert ist, dass der behandelte Gegenstand den Autor diesmal veranlasst, das Genre der Biografie, das gern zu historisierender Beschaulichkeit neigt, in seiner innersten Anlage aufzusprengen, ja fast schon aufzugeben, um Streitschrift, Memorandum und Wegweiser ins Aktuelle zu werden. ... Safranskis neuem Buch sind viele, viele Leser zu wünschen!" Eberhard Geisler, Frankfurter Rundschau, 20.10.19