Klaus Ferdinand Gärditz ist Professor für Öffentliches Recht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Richter am Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen im Nebenamt und stellvertretender Richter am Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Über die Macht der Expertise: Klaus Ferdinand Gärditz analysiert das Verhältnis von Politik und Wissenschaft
König Charles III. kauft seine Hemden seit mehr als vierzig Jahren bei der Firma Turnbull & Asser in London, der er noch als Prinz von Wales den Titel des Royal Warrant verliehen hat. Die über 800 Hoflieferanten des britischen Königshauses tragen den exklusiven Titel mit Stolz und betrachten ihn als Verpflichtung zur Tradition und größten Qualität ihrer Produkte. Aber bekanntlich spinnen die ja, die Briten.
In Deutschland dagegen assoziiert man mit dem Hoflieferanten Bückling und Kratzfuß, die untertänige Haltung des bürgerlichen Krämers, der seine Delikatessen mit der ihm gnädigerweise von ganz oben verliehenen Gunst bewirbt, sie genügten selbst den höchsten Ansprüchen der örtlichen Majestäten. Doch als diese 1918 Titel und Höfe abgeben mussten, verloren auch ihre Lieferanten die prestigereiche Auszeichnung.
Wer heute noch jemanden als Hoflieferanten tituliert, tut dies also in polemischer Absicht. So wie Klaus Ferdinand Gärditz in seiner "essayistischen Streitschrift" darüber, wie sich die Politik der Wissenschaft als ihres Hoflieferanten "bedient und selbst daran zerbricht". Der Titel ist reißerisch. Er klingt nach einer dramatischen Diagnose. Man erwartet eine ganze Reihe aktueller Fälle, die zunächst die Unterstellung des Hoflieferantentums der Wissenschaft zumindest plausibilisieren; und dann anschließend Belege für die weitere These, dass "die Politik" als die zeitgenössische Verkörperung des "Hofes" am Gelieferten irgendwie zerbreche.
Die Lektüre des Buches ist an diesen Erwartung gemessen eine Enttäuschung. Gärditz widmet sich dem eigentlichen Thema seines Textes auf kaum zehn Seiten. Das ist eigentlich auch plausibel, schließlich bemüht er sich auf den verbleibenden fast zweihundert Seiten auf profunde Weise, das schlichte Bild der wissenschaftlichen Hoflieferanten zu entkräften, indem er das viel komplexere Verhältnis von Wissenschaft und Politik fundiert und kenntnisreich analysiert.
Es gelingt ihm dabei durchaus, die Risiken eines "dienlichen Hoflieferantentums" der Wissenschaft herauszuarbeiten. Aber die eigentliche Leistung seines Buches besteht gerade darin, aus der Perspektive des Juristen die Schutzfunktion des Rechts für die vulnerable Wissenschaft zu verdeutlichen. Kurz: Was hat Autor und Verlag bloß geritten, dem Buch diesen Titel zu geben?
Ärgerlich ist das auch darum, weil Gärditz ausgerechnet in dem knappen Abschnitt zum Hoflieferantentum der Wissenschaft sowohl argumentativ als auch sprachlich unter das Niveau seines Textes geht. Hier polemisiert er gegen die "kleinen Sonnenkönige", die sich in "Berlin-Mitte-Kaffeekränzchen" ministerialer Beiräte "herumlümmeln" und an "verschwurbelten Positionspapieren" beteiligten. "Auch Talk bei Lanz" fülle dann die "eher gähnende Leere akademischer Midlife-Crisis".
Zum Glück belässt Gärditz es nicht bei solchen Gehässigkeiten, sondern findet zur Sachlichkeit zurück, wenn er die Problematik aus der Perspektive der parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren untersucht. Hier könne Hoflieferantentum zur Langzeitstrategie werden, wenn Wissenschaftler bereits mit der Intention veröffentlichten, sich bestimmten politischen Positionen anzudienen. Die Fraktionen würden dann nur noch solche Experten anhören, die mit ihren wissenschaftlichen Positionen die eigenen politischen Absichten stützen. Könnte man dann auf das Anhören solcher Experten nicht gleich verzichten?
Was Parlament und Regierung für eine "gebündelte Selbstinformation" bräuchten, so Gärditz, wären stattdessen "verlässliche Zulieferer" wissenschaftlicher Expertise, deren "institutionelle Professionalisierungsdienstleistung" es einer anderenfalls "völlig überforderten" Politik erst ermöglichen würde, aus dem "diffusen Rauschen des wissenschaftlichen Blätterwaldes" eine informierte Auswahl zu treffen. Aber gibt es diese nicht längst in Gestalt der Ressortforschung? Natürlich, und Gärditz lobt diese staatlichen Zulieferer wissenschaftlicher Expertise auch ausdrücklich für diese epistemische Vorleistung. Erstaunlicherweise nennt er die Ressortforschung dann aber auch "Hoflieferantentum", allerdings im "besten Sinne". Weil sich der Hof hier quasi selbst beliefert?
Dass es sich dabei traditionell um solch honorige Einrichtungen wie das Greifswalder Friedrich-Loeffler-Institut (zuständig für Tierseuchen und Zoonosen) oder die Physikalisch-Technische Bundesanstalt handelt, ist aber kein Garant dafür, dass die Ressortforschung grundsätzlich immun ist gegenüber den Selbstlegitimierungsinteressen der Politik. Gärditz' Unterscheidung von "schlechtem" Hoflieferantentum und gutem, wenn es dabei um forschende Bundesbehörden geht, ist analytisch schwach. Hier macht sich negativ bemerkbar, dass Gärditz auf die jüngere Zunahme der Ressortforschung auch in solchen Häusern wie dem Bundesfamilienministerium oder dem Bundesforschungsministerium nicht eingeht.
Man kann nicht erwarten, dass der Autor die Frage der politischen Einflussnahme auf die Finanzierungsbedingungen insbesondere der akademischen Forschung umfassend in seine Analyse einbezieht. Aber zumindest die direkte Finanzierung beispielsweise der Migrationsforschung durch ein Bundesministerium wirft grundsätzliche Fragen auf, die in diesem ansonsten sehr lesenswertem Buch hätten diskutiert werden müssen. GERALD WAGNER
Klaus Ferdinand Gärditz: "Hoflieferanten". Wie sich Politik der Wissenschaft bedient und selbst daran zerbricht.
S. Hirzel Verlag, Stuttgart 2023. 232 S., geb., 24,- Euro.
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