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Hofmannsthal für Fortgeschrittene: Christoph Königs große Studie
Wenn die Dichter mit ihren Werken unter die Philologen geraten, so ist dies zwar kein Garant ihres Erfolges und nicht einmal dessen Gradmesser, aber es entspricht dem erwartbaren Gang der Dinge. Anders steht die Sache, wenn sich die Autoren aktiv in die Literaturwissenschaft einschalten oder gar selbst auf der Kippe zur Gelehrtenlaufbahn stehen. Dann nämlich droht ihnen das Dilemma des poeta doctus, der Gefahr läuft, "klüger zu sein, als er's nötig hätte", wie Walter Benjamin einmal über Robert Musil bemerkte. Der Künstler möge bilden, nicht reden - die Maxime Goethes gilt in der Ästhetik der Moderne noch immer oder erst recht, denn der Schlüssel zur Professionalisierung heißt Arbeitsteilung.
Um 1900 erst ging aus dem Trend zur philologischen Spezialisierung allmählich die "Literaturwissenschaft" hervor. Genau zu dieser Zeit legte Hugo von Hofmannsthal an der Wiener Universität seine Habilitationsschrift über den französischen Romancier Victor Hugo vor. Mit diesem Schritt mischte sich der Dichter ins Gebiet der Philologen. Kaum jemand hatte das Generationsgefühl der Wiener Jahrhundertwende zwischen Neurasthenie und Kaffeehaus treffender gestaltet als der jugendlich-geniale Hofmannsthal - der freilich Ästhet genug war, seine künftige Existenzsicherung mit einer Karriere in Staatsdiensten zu betreiben. Doch seine im Frühjahr 1901 eingereichte Habilitation scheitert; kurioserweise am wohlgemeinten Vorschlag eines Kommissionsmitgliedes, das allzu weitgesteckte Fachgebiet der Romanistik zu teilen, um dem Kandidaten die sprachgeschichtlichen Anteile zu ersparen. Denn mit moderner Literatur pflegten sich die Philologen erst neuerdings und nur am Rande zu befassen. Im Studiengang der Wiener Romanistik dominierten Themen wie "altportugiesische Lautlehre" oder "historische Grammatik des Italienischen".
An dem "philologischen Zeug" arbeitete Hofmannsthal nach eigenem Bekunden "schwung- und freudlos". Als ihm das Prozedere zu umständlich wird, zieht er im Herbst 1901 sein Habilitationsgesuch zurück - und sich selbst in die Abgeschiedenheit des neuen Wohnsitzes von Rodaun. Er könne "unmöglich" länger eine "innere Doppel-Existenz führen", beschließt der Dichter. Ihm sind unterdessen im Schaffensrausch des vom gelehrten Pflichtprogramm befreiten Sommers einige Dramen-Entwürfe und Gedichte geglückt, die ihn hoffen lassen, auch ohne das Korsett "amtlich-zentralistischer" Formen sein weiteres Aus- und Fortkommen zu finden. Ob nun abgeschafft, ausgelassen oder mit Bravour durchlaufen: Das Ritual der Habilitation ist offenbar der Kreuzweg, an dem sich die Geister scheiden.
Es ist eine doppelte Weichenstellung, die sich Christoph König in seiner Habilitationsschrift über Hofmannsthal und die Philologie vorgenommen hat. Die Entwicklung eines Fachs im Umbruch kreuzte sich mit der Krise eines Dichters, der den zur Last gewordenen Ruhm des frühvollendeten Genies loswerden mußte, aber seine kreative Unbefangenheit nicht verlieren wollte. Daß König die mißlingende "Doppelexistenz" Hofmannsthals als ein strukturelles Anpassungsproblem der noch nicht so modernen Philologie erklären kann, unterstreicht die Produktivität seiner fachgeschichtlichen Perspektive (der Autor leitet die Marbacher Forschungsstelle zur Geschichte der Germanistik). Methodisch ingeniös aber ist Königs Schachzug, die Transformationen dieser Wissenschaft nicht aus der Binnenperspektive des Betriebes darzustellen, sondern anhand der schriftstellerischen Entwicklung des poeta doctus Hugo von Hofmannsthal.
Die engführende Konfrontation von Poet und Philologenzunft wirft erhellende Schlaglichter in beide Richtungen. Wenn es im Jahre 1930 immerhin möglich wird, über Hofmannsthal eine Antrittsvorlesung zu halten (Max Kommerell in Frankfurt), so kann die germanistische Rezeption des Dichters als eine Art Lackmustest auf die Selbstmodernisierung des Faches gelten. Im Gegenzug erklärt König die Wandlungen und Verwerfungen in Hofmannsthals literarischer Produktion als Reaktionen auf jenes Auseinanderbrechen von Bildung und Wissen, das auch die Einheit der Philologie zerstörte. Vehement geht der Verfasser mit einer Sekundärliteratur ins Gericht, die sich von Hofmannsthals "Poesie des Gelingens" bestricken ließ, die Brüche im Werk zu ignorieren oder aufs Biographische zu reduzieren.
Systematisch setzt König die künstlerische Entwicklung Hofmannsthals ins Verhältnis zur Krise der Kultur, die mit dem Ende des Ersten Weltkriegs manifest wurde. Dabei zeigt sich, daß die spannungsvolle Beziehung des Dichters zur Wissenschaft mit der abgebrochenen Habilitation erst am Anfang stand. Der Vorgang mutet reichlich paradox an: Obwohl Hofmannsthal der zergliedernden Gelehrsamkeit entsagte, holte ihn das Reflexionsdilemma auf ästhetischem Gebiet wieder ein. Wie der Historismus an der Unermeßlichkeit des Vergangenen, so drohte die Kultur am Vielzuviel der Stilrichtungen und Traditionslinien zu ersticken. Goethes "Wissenschaftslehre" blieb normsetzend in ihrem universellen Anspruch, doch die Zeitumstände änderten sich, "wofür Hofmannsthal ein feines Empfinden besitzt". Traditionspflege versteht sich nicht mehr von selbst, sie muß sich ihr Publikum suchen. Der große Goethe, auf den Hofmannsthal sich stets in höchster Emphase bezieht, verkommt darüber zum leeren "Mysterium" und "Stimmungswort".
Was Hofmannsthal geneigt war, als Erbschaft anzutreten, das wird zum Hemmnis, sobald es Werkgestalt annehmen soll. Ausführlich demonstriert König diese Dynamik an dem Trauerspiel "Der Turm", Hofmannsthals Adaption des Calderón-Dramas "Das Leben ein Traum". Je mehr der Dichter seine Bearbeitung an jenen gelehrten Quellen zur Renaissancekultur und zu alttestamentlichen Motiven tränkte, mit welchen ihn der befreundete Germanist Konrad Burdach versorgte, desto disparater geriet die dramaturgische Konstruktion. Hofmannsthals "Klugheit" äußert sich in der letzten Arbeitsphase darin, so König, daß sie das "Auseinanderfallen des Stücks" nicht mehr suggestiv übertüncht, sondern durch den ungebändigten Schlagabtausch einander jagender Komplotte noch rasend "beschleunigt".
Auf die Abstimmung seiner Arbeit mit der Sichtweise von Praktikern wie Max Reinhardt oder Richard Strauss war Hofmannsthal ebenso bedacht wie auf das Urteil gelehrter Freunde und Ratgeber. Auch dies ein Paradox: Nach dem Verzicht auf eigene akademische Meriten gelang es Hofmannsthal, sich mit einem hochkarätigen Kreis von Intellektuellen und Fachgelehrten zu umgeben. Vermittelt über Burdach, über Rudolf Borchardt, Walther Brecht oder Josef Nadler nahm Hofmannsthal Einfluß nicht nur auf die ästhetische Erneuerung der Philologie, sondern mehr noch auf deren künftiges Hofmannsthal-Bild.
Hofmannsthals Arbeit am Nachruhm war erfolgreich gerade darin, diese Bemühungen im Nachbild des Dichters unsichtbar werden zu lassen. Lange habe die Hofmannsthal-Philologie, so Königs Vorwurf, eine sakralisierende Haltung eingenommen; ihr Leitbild war nicht "der arbeitende, sondern der empfangende Autor". Königs Studie hingegen zeigt ihren Akteur, der die Zustimmung des Publikums und der gelehrten Welt zugleich erringen wollte, beim Erzielen von Kompromissen. Den ewigen "Streit zwischen Klugheit und Emphase" schlichtete Hofmannsthal immer wieder anders und stets nur vorläufig. Im Duktus zuweilen spröde, dann wiederum überraschend schnippisch, gibt sich Königs gründlich recherchiertes Buch auch mit diesem wenig spektakulären Fazit resistent gegenüber jeder philologischen Anbiederung an Glanz und Größe.
ALEXANDER HONOLD
Christoph König: "Hofmannsthal". Ein moderner Dichter unter den Philologen. Wallstein Verlag, Göttingen 2001. 504 S., geb., 39,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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