Von der "Last der Geschichte" zur "besonderen Verantwortung". Der Umgang der amerikanischen Politik, Kultur und Gesellschaft mit dem Holocaust hat dessen Nachgeschichte seit den siebziger Jahren weltweit geprägt - ob durch die Fernsehserie "Holocaust", das Washingtoner Museum, den Film "Schindlers Liste" oder die Goldhagen-Debatte. Wie hat man in Deutschland auf diese Entwicklung reagiert? Auf der Basis erstmals zugänglicher Quellen zeigt Jacob S. Eder, dass das Umfeld von Helmut Kohl, aber auch der Kanzler selbst, die zunehmende Beschäftigung der Amerikaner mit dem nationalsozialistischen Judenmord als Gefahr für die politischen Interessen und das Ansehen der Bundesrepublik betrachteten. Vor allem amerikanische Juden und jüdische Organisationen galten als Gegenspieler, denen man bisweilen unlautere Motive unterstellte. Bonn versuchte deshalb, den Diskurs in den USA gezielt zu beeinflussen und ihm ein positives Deutschlandbild entgegenzusetzen. Im Laufe der neunziger Jahre wurde freilich klar, dass der Umgang des Auslands mit dem Holocaust nicht zu steuern war - und wie wichtig ein eindeutiges Bekenntnis zur historischen Verantwortung ist.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Mit dieser Studie kann Historiker J.S. Eder überzeugend nachweisen, dass Helmut Kohl das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin nicht aus historischer Betroffenheit erbauen ließ, erklärt Rezensent Micha Brumlik: Weil in den USA ein Holocaust Memorial Museum geplant wurde, befürchtete der Kanzler, Deutschland werde als Nation von Schuldigen in Erinnerung bleiben; diese Angst wurde auch von Antisemitismus gespeist, hat der Kritiker gelernt. Er empfiehlt die Lektüre jedem, der Deutschland und seine Geschichte verstehen will.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.07.2020Kohls Kosmos
Jacob S. Eder zeigt eindrücklich, wie der deutsche Kanzler das Geschichtsbild
der Amerikaner zur NS-Zeit und dem Holocaust beeinflussen wollte.
Jüdischen Organisationen näherten sich Kohls Leute freilich ohne Empathie und mit Ressentiments
VON BARBARA DISTEL
Die Studie von Jacob S. Eder mit dem Titel „Holocaust-Angst“ ist in den USA bereits im Jahr 2016 erschienen. Das Buch handelt von den Bemühungen deutscher Regierungsstellen seit den 1970er-Jahren, Einfluss auf die US-Geschichtspolitik im Hinblick auf deren Umgang mit dem nationalsozialistischen Völkermord an den europäischen Juden zu nehmen. Vier Jahre später kommt die Studie nun auf Deutsch heraus – jedoch unter stark veränderten Rahmenbedingungen.
Die Erkenntnisse werden zu einem Zeitpunkt präsentiert, in dem sich der Zusammenbruch der nationalsozialistischen Terrorherrschaft und damit auch die Befreiung der Todeslager zum 75. Male jähren. Mit Ausnahme der Gedenkfeiern im Januar 2020 anlässlich der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz mussten alle darauffolgenden, seit Langem geplanten Veranstaltungen aufgrund der weltweit ausgebrochenen Corona-Pandemie abgesagt werden. Die deshalb vollständig in die mediale Welt verbannten, von der Politik ersatzweise organisierten Akte des Gedenkens und des Erinnerns ohne internationale Gäste und ohne deutsches Publikum schienen das dramatische Geschehen im Frühjahr 1945 noch weiter in die Vergangenheit zu versetzen. Überlebende Opfer aus aller Welt, die zu diesem Anlass noch einmal nach Deutschland reisen wollten, mussten ausgeladen werden. Diese unvorhersehbaren Umstände trugen nicht unerheblich zur Marginalisierung des Themas in der öffentlichen Wahrnehmung bei.
Zweitens fällt die Veröffentlichung in einem Zeitabschnitt, in dem sich die deutsch-amerikanische Politik so kontrovers und konfliktreich wie nie nach dem Ende der Besatzungszeit entwickelt hat und in dem die diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den USA einen bislang nicht vorstellbaren Tiefpunkt erreicht haben. Beide Aspekte lassen die vorgelegte Studie über die Entwicklung der bilateralen Aufarbeitung des Holocaust in einem veränderten Licht erscheinen.
Der Autor umreißt in fünf Kapiteln die Geschichte der Auseinandersetzungen zwischen Akteuren der in den USA entstehenden Erinnerungskultur zum nationalsozialistischen Genozid an den Juden Europas und den Versuchen Bonns, auf diplomatischen Weg darauf Einfluss zu nehmen. Im Mittelpunkt steht die Person Helmut Kohls, promovierter Historiker und Kanzler während der Jahre 1982 bis 1998.
In diesem Zeitraum machte er die deutsche Geschichtspolitik in den USA mithilfe eines Netzwerks von Mitarbeitern und Vertrauten zur Chefsache. Er war von der Furcht getrieben, die Haltung der amerikanischen Öffentlichkeit gegenüber der Bundesrepublik werde maßgeblich von jüdischen Organisationen und prominenten Einzelpersonen geprägt, welche die deutsche Geschichte ausschließlich auf das Thema „Holocaust“ beschränken wollten. Sein Anliegen war es, im Hinblick auf die jüngste Vergangenheit die deutsche Opposition gegen Hitler hervorzuheben und darüber hinaus die positiven Entwicklungen des demokratischen Nachkriegsdeutschlands in den Vordergrund zu stellen. Mithilfe diplomatischer Kanäle, aber auch durch Bemühungen von Sonderbeauftragten wollte Kohl das Geschichtsbild insbesondere jüdischer Organisationen in den USA beeinflussen und sogar ein Mitspracherecht von deutscher Seite bei den inhaltlichen Konzepten für die seit dem Jahr 1978 laufenden Vorbereitungen für ein zentrales US Holocaust Memorial Museum in Washington erwirken.
Nach einem Exkurs über die Vorgeschichte der Ära Kohl umreißt Eder die wichtigen Meilensteine der Entwicklung während der 1980er- und 1990er-Jahre, die mit der Ausstrahlung der US-Fernsehserie „Holocaust“ (1976 in den USA, 1979 in der Bundesrepublik) begann und über den umstrittenen Besuch von Ronald Reagan und Helmut Kohl auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg (1985) bis zur Eröffnung des US Holocaust Memorial Museum in Washington (1993) führte. Vorgestellt werden zudem Bemühungen, mithilfe von Stiftungen und dem Aufbau von Verbindungen in die akademische Welt Einfluss auf das Deutschlandbild in den USA zu nehmen. Eder konnte sich für seine Recherchen auf umfangreiches Quellenmaterial stützen. Für die deutsche Seite standen ihm die Unterlagen der Regierung Kohl und für die USA die Hausakten des US Holocaust Memorial Museum sowie die des American Jewish Committee zur Verfügung.
Auf deutscher Seite waren die Agierenden mehrheitlich Männer des politisch konservativen Lagers, die während des Krieges geboren worden waren. Sie waren selbst nicht mehr in die nationalsozialistischen Verbrechen verstrickt gewesen, aber doch noch von der Ideologie geprägt und in ihrem Denken den Klischees und den Stereotypen der Nationalsozialisten verhaftet. Unter ihren amerikanischen Gesprächspartnern befand sich eine große Zahl von Überlebenden des Judenmords und deren Nachkommen, die es als ihre Lebensaufgabe ansahen, alles zu tun, um den Holocaust vor dem Vergessen zu bewahren. Von deutscher Seite gab es jedoch weder Interesse noch Empathie für das Anliegen der Opfer und die Sichtweise ihrer oftmals traumatisierten Gesprächspartner. Die deutschen Quellen offenbaren durchgängig tief sitzende Ressentiments gegen Juden und ihre angebliche Macht. Es scheint, als ob es zwei Parallelwelten gab, für die keine gemeinsame Basis zu finden war. Aber auch wenn die von offizieller deutscher Seite angestrebte Mitsprache bei der Planung des Washingtoner Museums scheiterte, entstanden im Laufe der Jahre doch eine Vielzahl deutsch-amerikanischer Kooperationen und Forschungsprojekte. Aufgrund der Beschränkung der Studie auf die deutsche Regierungspolitik und deren amerikanische Gesprächspartner fehlt leider die Kehrseite der Medaille – die sich im gleichen Zeitraum entwickelnde fruchtbare und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den US-Protagonisten der Erinnerungsarbeit und den Gedenkstätten in der Bundesrepublik. Beide Seiten profitierten von dieser Kooperation: Die amerikanischen Partner konnten die Archivbestände und das angesammelte Wissen der Gedenkstätten nutzen, und die finanziell und institutionell schlecht ausgestatteten Gedenkstätten erhielten im Gegenzug großzügige Unterstützung für ihre Arbeit.
In seinem Epilog geht der Autor, der Geschichte an der Barenboim-Said-Akademie in Berlin lehrt, kurz auf die Entwicklung nach der deutschen Wiedervereinigung ein. Am Beispiel des deutschen Beitrags zum 20-jährigen Bestehen des US Holocaust Memorial Museum im Jahr 2013 skizziert er die Entwicklung bis zur grundlegend veränderten Haltung zum Thema Holocaust. Im Laufe der 1980er- und 1990er-Jahre hatte sich ein zunehmendes öffentliches Interesse an der nationalsozialistischen Gewaltpolitik und dem Schicksal ihrer Opfer nicht nur in der Bundesrepublik und in den USA, sondern auch in vielen anderen Ländern entwickelt. Und nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und den politischen Veränderungen in Osteuropa geriet das Thema auch in diesen Ländern in den Fokus von Öffentlichkeit und Forschung.
Die dichte Studie von Jacob S. Eder führt uns den Verlauf der deutsch-amerikanischen Auseinandersetzungen um die Bedeutung des Holocaust nach 1945 auf eindringliche Weise vor Augen. Sie hatten vor einem halben Jahrhundert begonnen und sich über mehr als dreißig Jahre hingezogen. Man glaubte schließlich eine gemeinsame Basis für eine dauerhafte Zusammenarbeit gefunden zu haben. Heute jedoch bedrohen ansteigender Nationalismus, das Wiederaufleben von Antisemitismus und Xenophobie die inzwischen als gesichert geglaubte Verankerung der Gedenkarbeit in Politik und Gesellschaft.
Barbara Distel war von 1975 bis 2008 Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau.
Der CDU-Politiker fürchtete,
dass deutsche Geschichte
auf den Holocaust reduziert würde
Es dauerte lange, bis die Basis für
eine Zusammenarbeit gefunden
war. Sie ist heute wieder in Gefahr
Umstrittener Besuch in Bitburg: Helmut Kohl (mit seiner Frau Hannelore, Mitte rechts) geleitete US-Präsident Ronald Reagan und seine Frau Nancy (Mitte links) im Jahr 1985 auf einen Soldatenfriedhof, auf dem auch Angehörige der Waffen-SS beerdigt sind.
Foto: AP
Jacob S. Eder:
Holocaust-Angst.
Die Bundesrepublik,
die USA und die Erinnerung an den Judenmord seit den Siebzigerjahren.
Aus dem Englischen von Jörn Pinnow. Wallstein-
Verlag, Göttingen 2020. 365 Seiten, 42 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Jacob S. Eder zeigt eindrücklich, wie der deutsche Kanzler das Geschichtsbild
der Amerikaner zur NS-Zeit und dem Holocaust beeinflussen wollte.
Jüdischen Organisationen näherten sich Kohls Leute freilich ohne Empathie und mit Ressentiments
VON BARBARA DISTEL
Die Studie von Jacob S. Eder mit dem Titel „Holocaust-Angst“ ist in den USA bereits im Jahr 2016 erschienen. Das Buch handelt von den Bemühungen deutscher Regierungsstellen seit den 1970er-Jahren, Einfluss auf die US-Geschichtspolitik im Hinblick auf deren Umgang mit dem nationalsozialistischen Völkermord an den europäischen Juden zu nehmen. Vier Jahre später kommt die Studie nun auf Deutsch heraus – jedoch unter stark veränderten Rahmenbedingungen.
Die Erkenntnisse werden zu einem Zeitpunkt präsentiert, in dem sich der Zusammenbruch der nationalsozialistischen Terrorherrschaft und damit auch die Befreiung der Todeslager zum 75. Male jähren. Mit Ausnahme der Gedenkfeiern im Januar 2020 anlässlich der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz mussten alle darauffolgenden, seit Langem geplanten Veranstaltungen aufgrund der weltweit ausgebrochenen Corona-Pandemie abgesagt werden. Die deshalb vollständig in die mediale Welt verbannten, von der Politik ersatzweise organisierten Akte des Gedenkens und des Erinnerns ohne internationale Gäste und ohne deutsches Publikum schienen das dramatische Geschehen im Frühjahr 1945 noch weiter in die Vergangenheit zu versetzen. Überlebende Opfer aus aller Welt, die zu diesem Anlass noch einmal nach Deutschland reisen wollten, mussten ausgeladen werden. Diese unvorhersehbaren Umstände trugen nicht unerheblich zur Marginalisierung des Themas in der öffentlichen Wahrnehmung bei.
Zweitens fällt die Veröffentlichung in einem Zeitabschnitt, in dem sich die deutsch-amerikanische Politik so kontrovers und konfliktreich wie nie nach dem Ende der Besatzungszeit entwickelt hat und in dem die diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den USA einen bislang nicht vorstellbaren Tiefpunkt erreicht haben. Beide Aspekte lassen die vorgelegte Studie über die Entwicklung der bilateralen Aufarbeitung des Holocaust in einem veränderten Licht erscheinen.
Der Autor umreißt in fünf Kapiteln die Geschichte der Auseinandersetzungen zwischen Akteuren der in den USA entstehenden Erinnerungskultur zum nationalsozialistischen Genozid an den Juden Europas und den Versuchen Bonns, auf diplomatischen Weg darauf Einfluss zu nehmen. Im Mittelpunkt steht die Person Helmut Kohls, promovierter Historiker und Kanzler während der Jahre 1982 bis 1998.
In diesem Zeitraum machte er die deutsche Geschichtspolitik in den USA mithilfe eines Netzwerks von Mitarbeitern und Vertrauten zur Chefsache. Er war von der Furcht getrieben, die Haltung der amerikanischen Öffentlichkeit gegenüber der Bundesrepublik werde maßgeblich von jüdischen Organisationen und prominenten Einzelpersonen geprägt, welche die deutsche Geschichte ausschließlich auf das Thema „Holocaust“ beschränken wollten. Sein Anliegen war es, im Hinblick auf die jüngste Vergangenheit die deutsche Opposition gegen Hitler hervorzuheben und darüber hinaus die positiven Entwicklungen des demokratischen Nachkriegsdeutschlands in den Vordergrund zu stellen. Mithilfe diplomatischer Kanäle, aber auch durch Bemühungen von Sonderbeauftragten wollte Kohl das Geschichtsbild insbesondere jüdischer Organisationen in den USA beeinflussen und sogar ein Mitspracherecht von deutscher Seite bei den inhaltlichen Konzepten für die seit dem Jahr 1978 laufenden Vorbereitungen für ein zentrales US Holocaust Memorial Museum in Washington erwirken.
Nach einem Exkurs über die Vorgeschichte der Ära Kohl umreißt Eder die wichtigen Meilensteine der Entwicklung während der 1980er- und 1990er-Jahre, die mit der Ausstrahlung der US-Fernsehserie „Holocaust“ (1976 in den USA, 1979 in der Bundesrepublik) begann und über den umstrittenen Besuch von Ronald Reagan und Helmut Kohl auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg (1985) bis zur Eröffnung des US Holocaust Memorial Museum in Washington (1993) führte. Vorgestellt werden zudem Bemühungen, mithilfe von Stiftungen und dem Aufbau von Verbindungen in die akademische Welt Einfluss auf das Deutschlandbild in den USA zu nehmen. Eder konnte sich für seine Recherchen auf umfangreiches Quellenmaterial stützen. Für die deutsche Seite standen ihm die Unterlagen der Regierung Kohl und für die USA die Hausakten des US Holocaust Memorial Museum sowie die des American Jewish Committee zur Verfügung.
Auf deutscher Seite waren die Agierenden mehrheitlich Männer des politisch konservativen Lagers, die während des Krieges geboren worden waren. Sie waren selbst nicht mehr in die nationalsozialistischen Verbrechen verstrickt gewesen, aber doch noch von der Ideologie geprägt und in ihrem Denken den Klischees und den Stereotypen der Nationalsozialisten verhaftet. Unter ihren amerikanischen Gesprächspartnern befand sich eine große Zahl von Überlebenden des Judenmords und deren Nachkommen, die es als ihre Lebensaufgabe ansahen, alles zu tun, um den Holocaust vor dem Vergessen zu bewahren. Von deutscher Seite gab es jedoch weder Interesse noch Empathie für das Anliegen der Opfer und die Sichtweise ihrer oftmals traumatisierten Gesprächspartner. Die deutschen Quellen offenbaren durchgängig tief sitzende Ressentiments gegen Juden und ihre angebliche Macht. Es scheint, als ob es zwei Parallelwelten gab, für die keine gemeinsame Basis zu finden war. Aber auch wenn die von offizieller deutscher Seite angestrebte Mitsprache bei der Planung des Washingtoner Museums scheiterte, entstanden im Laufe der Jahre doch eine Vielzahl deutsch-amerikanischer Kooperationen und Forschungsprojekte. Aufgrund der Beschränkung der Studie auf die deutsche Regierungspolitik und deren amerikanische Gesprächspartner fehlt leider die Kehrseite der Medaille – die sich im gleichen Zeitraum entwickelnde fruchtbare und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den US-Protagonisten der Erinnerungsarbeit und den Gedenkstätten in der Bundesrepublik. Beide Seiten profitierten von dieser Kooperation: Die amerikanischen Partner konnten die Archivbestände und das angesammelte Wissen der Gedenkstätten nutzen, und die finanziell und institutionell schlecht ausgestatteten Gedenkstätten erhielten im Gegenzug großzügige Unterstützung für ihre Arbeit.
In seinem Epilog geht der Autor, der Geschichte an der Barenboim-Said-Akademie in Berlin lehrt, kurz auf die Entwicklung nach der deutschen Wiedervereinigung ein. Am Beispiel des deutschen Beitrags zum 20-jährigen Bestehen des US Holocaust Memorial Museum im Jahr 2013 skizziert er die Entwicklung bis zur grundlegend veränderten Haltung zum Thema Holocaust. Im Laufe der 1980er- und 1990er-Jahre hatte sich ein zunehmendes öffentliches Interesse an der nationalsozialistischen Gewaltpolitik und dem Schicksal ihrer Opfer nicht nur in der Bundesrepublik und in den USA, sondern auch in vielen anderen Ländern entwickelt. Und nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und den politischen Veränderungen in Osteuropa geriet das Thema auch in diesen Ländern in den Fokus von Öffentlichkeit und Forschung.
Die dichte Studie von Jacob S. Eder führt uns den Verlauf der deutsch-amerikanischen Auseinandersetzungen um die Bedeutung des Holocaust nach 1945 auf eindringliche Weise vor Augen. Sie hatten vor einem halben Jahrhundert begonnen und sich über mehr als dreißig Jahre hingezogen. Man glaubte schließlich eine gemeinsame Basis für eine dauerhafte Zusammenarbeit gefunden zu haben. Heute jedoch bedrohen ansteigender Nationalismus, das Wiederaufleben von Antisemitismus und Xenophobie die inzwischen als gesichert geglaubte Verankerung der Gedenkarbeit in Politik und Gesellschaft.
Barbara Distel war von 1975 bis 2008 Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau.
Der CDU-Politiker fürchtete,
dass deutsche Geschichte
auf den Holocaust reduziert würde
Es dauerte lange, bis die Basis für
eine Zusammenarbeit gefunden
war. Sie ist heute wieder in Gefahr
Umstrittener Besuch in Bitburg: Helmut Kohl (mit seiner Frau Hannelore, Mitte rechts) geleitete US-Präsident Ronald Reagan und seine Frau Nancy (Mitte links) im Jahr 1985 auf einen Soldatenfriedhof, auf dem auch Angehörige der Waffen-SS beerdigt sind.
Foto: AP
Jacob S. Eder:
Holocaust-Angst.
Die Bundesrepublik,
die USA und die Erinnerung an den Judenmord seit den Siebzigerjahren.
Aus dem Englischen von Jörn Pinnow. Wallstein-
Verlag, Göttingen 2020. 365 Seiten, 42 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Die dichte Studie von Jacob S. Eder führt uns den Verlauf der deutsch-amerikanischen Auseinandersetzungen um die Bedeutung des Holocaust nach 1945 auf eindringliche Weise vor Augen.« (Barbara Distel, Süddeutsche Zeitung, 20.07.2020) »Wer als Bürgerin oder Bürger der Bundesrepublik dieses Land und seine Geschichte verstehen will, kommt an Eders Studie nicht vorbei.« (Micha Brumlik, Frankfurter Rundschau, 19.09.2020)