Mit bis zu 3500 Gefangenen zählte Brandenburg-Görden zu den vier größten Haftanstalten der DDR. An diesem Fallbeispiel untersucht die Studie das Funktionieren des Strafvollzugs unter den politischen Vorgaben der SED. Es ist eine bittere Ironie der Geschichte, dass das Gefängnis, in dem Generalsekretär Erich Honecker vor 1945 als politischer Häftling einsaß, in der DDR wieder dazu diente, politische Gegner gefangen zu halten.Die Studie beleuchtet auf der Grundlage zahlreicher, neu ausgewerteter Akten sämtliche Aspekte des Strafvollzugs: die Gefangenen, die Haftbedingungen, das Gefängnispersonal und die Staatssicherheit. Diese führte verdeckt Regie, indem sie Häftlinge ebenso wie deren Bewacher als Spitzel anwarb. Dabei schreckte sie noch nicht einmal vor der Instrumentalisierung des Gefängnispsychologen zurück.Die Haftwirklichkeit war durch kleinliche Regeln und die Benachteiligung der politischen Gefangenen geprägt. Es herrschte eine harte Disziplinarpraxis, die durch Willkürhandlungen von schlecht ausgebildeten und ideologisch indoktrinierten Aufsehern noch unerträglicher wurde. Fraternisierungstendenzen, die es in den fünfziger Jahren manchmal noch gab, wurden rigoros bekämpft.Die Häftlinge von Brandenburg-Görden mussten in unterschiedlichen Betrieben hart arbeiten. Zusätzlich ausgebeutet wurden sie durch das korrupte Verhalten des langjährigen autokratischen Leiters der Haftanstalt, Fritz Ackermann, der sich und seinen Leitungskadern von den Gefangenen illegal Eigenheime bauen ließ.Obwohl der Besuch westlicher Delegationen in den DDR-Gefängnissen unter Ulbricht und die Praxis des Häftlingsfreikaufs unter Honecker ein wenig zur Linderung der Haftbedingungen beitrugen, stellt sich die Frage, ob der Westen für die politischen Gefangenen in der DDR nicht mehr hätte erreichen können.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.06.2019Stätte des Unrechts
Das Gefängnis Brandenburg-Görden als Spiegelbild des politischen Systems der DDR
Denkt man an die Gefängnisse der SED-Diktatur, kommt einem als Erstes das "Gelbe Elend" in Bautzen in den Sinn, das als Sonderhaftanstalt berühmt-berüchtigt war. Allerdings gab es zahlreiche andere Haftorte, in denen das Regime seine politischen Gegner unterbrachte. Zu ihnen gehörte Brandenburg-Görden, mit bis zu 3500 Häftlingen die viertgrößte dieser Haftanstalten. Dem Verfasser dieser in mancher Hinsicht erschöpfenden Studie, Mitarbeiter des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU), kommt das Verdienst zu, mit akribischer Quellenrecherche die Geschichte dieser Stätte des Unrechts dem Vergessen zu entreißen: Der hermetisch abgeschottete Mikrokosmos von Brandenburg-Görden ermöglichte einen "besonderen Spielraum für Eigenmächtigkeiten von Gefängnisleitung wie auch Staatssicherheit". Diese bedrückende Eigenwelt der Haftanstalt wird plausibel in die allgemeine Geschichte des politischen Strafvollzugs und des Gefängniswesens in der DDR eingebettet.
Der Studie ist eine Leo Tolstoi zugeschriebene Aussage vorangestellt: "Um einen Staat zu beurteilen, muss man sich seine Gefängnisse von innen ansehen." Dieser Sichtweise schließt sich der Verfasser an. Haftanstalten seien gleichsam "das Spiegelbild des politischen Systems eines Landes". In vielerlei Hinsicht war Brandenburg-Görden ein Sinnbild für die verbrecherische Theorie und Praxis der SED-Diktatur. Auf dem Verordnungsweg dekretiert, war seit 1949 die dem Regime ergebene Volkspolizei für den gesamten Strafvollzug zuständig.
Strenge Disziplinarregimes gibt es auch anderswo. Aber in den Gefängnissen der DDR wurde die widerrechtliche Schikanierung vor allem der politischen Häftlinge zur Norm. In der Frühzeit waren diese unter den Insassen überrepräsentiert. Bis zu 90 Prozent der rund 3000 Häftlinge zählten 1951 zu dieser Rubrik, der Rest waren Kriminelle. Der lange Arm der Stasi reichte bis in die Zellen. Bespitzelung und Bestechung waren die Regel, auch die Methode, "Berufsverbrecher" zu Komplizen der Gefängnisleitung zu machen und die politischen Gefangenen auszuhorchen, war Usus. Zugleich lösten sich die Grenzen zwischen politischer Strafverfolgung und Berufskriminalität auf. Selbst gewöhnliche Straftäter verbüßten Strafen, die wesentlich härter waren als in der Bundesrepublik. All dies fand unter bedrückenden Verhältnissen statt. Brandenburg-Görden war völlig überbelegt.
Besonders die brutale Praxis unter Fritz Ackermann, der von 1958 an für fast ein Vierteljahrhundert als Anstaltsleiter geradezu autokratisch herrschte, ist aufschlussreich. Unter ihm wurde ein System der Begünstigung auf die Spitze getrieben, das durch "Vetternwirtschaft, Gönnertum, Korruption und Intrigen" gekennzeichnet war.
Die Diktatur ermöglichte es Ackermann und manchen seiner Untergebenen, dass die Häftlinge sogar beim Bau der Eigenheime der SED-Funktionäre helfen mussten. Dies wurde schließlich selbst der Parteiführung zu viel. Ackermann wurde in den Ruhestand verabschiedet, weil eine strafrechtliche Verfolgung "zu viel Staub aufgewirbelt" hätte.
Zahlreiche bislang wenig bekannte Details sind in der Studie aufgeführt. Hierzu zählten Widerstandshandlungen der Gefangenen, die vom Verfassen von Gefängniszeitungen bis zur Wiedergabe von Meldungen reichten, die heimlich aus westlichen Sendern empfangen worden waren. In den späten fünfziger Jahren versuchte die Staatspartei, ihr angeschlagenes internationales Renommee zu erhöhen. Sympathisierende Parlamentarier in westlichen Ländern wurden zu Besuchen in DDR-Strafanstalten eingeladen. Besonders linksgerichtete Hinterbänkler der britischen Labour Party wurden umworben. Für die ausländischen Besucher wurden mit großem Aufwand Potemkinsche Dörfer errichtet, frische Bettwäsche-Garnituren ausgegeben und die Böden mit frischem Bohnerwachs präpariert. Zwar gingen einige der Staatsgäste der SED-Propaganda auf den Leim, aber offenbar waren schon verhaltene kritische Zwischentöne der britischen Delegation den SED-Kadern zu viel. Weil der Versuch scheiterte, Brandenburg-Görden zu einer Art Vorzeigehaftanstalt zu stilisieren, wurden die "Westkontakte" wenige Jahre später wiedereingestellt.
Erhellend und erschütternd zugleich ist die Darstellung ausgewählter Einzelschicksale. Das Spektrum reichte von politischen Häftlingen bis zu einem harmlosen Technikliebhaber, der als "Plane Spotter" Militärflugzeuge und -hubschrauber fotografiert hatte und von einem Militärgericht zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt worden war. Nach einem erfolglosen Anwerbeversuch durch die Stasi wurde dieser 1985 durch die Bundesregierung freigekauft.
Zu dieser Zeit war der Anteil politischer Häftlinge auf etwa 15 Prozent gesunken. Durch Amnestien, Freikauf durch die Bundesregierung und Abschiebungen in den Westen war Brandenburg-Görden zu einer fast typischen Haftanstalt geworden. In den letzten Jahren als DDR-Haftanstalt genoss das Zuchthaus den zweifelhaften Ruf eines "Schwerverbrecher-Knasts", wo auch rund ein Dutzend Skinheads einsaßen, die besonders streng behandelt wurden. Der Zusammenbruch der DDR spiegelte sich selbst in Brandenburg-Görden wider. Im Spätherbst 1989 fanden hinter den Gefängnismauern Massenproteste und ein Hungerstreik statt. Zur Bestrafung von Vollzugsbeamten, die Häftlinge misshandelt hatten, kam es nach 1990 nur selten. Es fehlten Zeugen und schriftliche Beweise, die unter rechtsstaatlichen Bedingungen für eine Verurteilung zwingend notwendig gewesen wären. Alle Urteile der DDR-Justiz wurden nach der Wiedervereinigung überprüft, weil selbst kriminelle Häftlinge unter unrechtmäßigen Vernehmungen und einer abhängigen Judikative verurteilt und inhaftiert worden waren. Wurden Urteile für rechtens erachtet, wurden die Gefangenen im Rahmen eines demokratischen Strafvollzugs Insassen der heute noch bestehenden Justizvollzugsanstalt.
Die Studie gibt zu weiterführenden Überlegungen Anlass. Während in den siebziger Jahren in der Bundesrepublik weite Teile der politischen Linken gegen die angebliche Misshandlung "politischer Gefangener" der Roten Armee Fraktion protestierten, ignorierten sie die Verbrechen des DDR-Strafvollzugs. Michel Foucaults 1971 erschienene Studie zum "Überwachen und Strafen", die sich grundsätzlich mit dem System der Repression auseinandersetzte, wurde selektiv gelesen und ausgerechnet der eklatante Machtmissbrauch in den Kerkern der sozialistischen Staaten ausgeblendet. Diese Aspekte können in der Studie über "Honeckers Zuchthaus" verständlicherweise nicht behandelt werden, aber sie rufen nach einer vergleichenden Studie. Auch deshalb bietet die wichtige Arbeit über Brandenburg-Görden nicht nur Anschauungsmaterial, sondern dient als Anregung für weitere Forschungen zum politischen Strafvollzug in Demokratie und Diktatur.
JOACHIM SCHOLTYSECK.
Tobias Wunschik: Honeckers Zuchthaus. Brandenburg-Görden und der politische Strafvollzug der DDR 1949-1989.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2018. 1017 S., 70,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Gefängnis Brandenburg-Görden als Spiegelbild des politischen Systems der DDR
Denkt man an die Gefängnisse der SED-Diktatur, kommt einem als Erstes das "Gelbe Elend" in Bautzen in den Sinn, das als Sonderhaftanstalt berühmt-berüchtigt war. Allerdings gab es zahlreiche andere Haftorte, in denen das Regime seine politischen Gegner unterbrachte. Zu ihnen gehörte Brandenburg-Görden, mit bis zu 3500 Häftlingen die viertgrößte dieser Haftanstalten. Dem Verfasser dieser in mancher Hinsicht erschöpfenden Studie, Mitarbeiter des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU), kommt das Verdienst zu, mit akribischer Quellenrecherche die Geschichte dieser Stätte des Unrechts dem Vergessen zu entreißen: Der hermetisch abgeschottete Mikrokosmos von Brandenburg-Görden ermöglichte einen "besonderen Spielraum für Eigenmächtigkeiten von Gefängnisleitung wie auch Staatssicherheit". Diese bedrückende Eigenwelt der Haftanstalt wird plausibel in die allgemeine Geschichte des politischen Strafvollzugs und des Gefängniswesens in der DDR eingebettet.
Der Studie ist eine Leo Tolstoi zugeschriebene Aussage vorangestellt: "Um einen Staat zu beurteilen, muss man sich seine Gefängnisse von innen ansehen." Dieser Sichtweise schließt sich der Verfasser an. Haftanstalten seien gleichsam "das Spiegelbild des politischen Systems eines Landes". In vielerlei Hinsicht war Brandenburg-Görden ein Sinnbild für die verbrecherische Theorie und Praxis der SED-Diktatur. Auf dem Verordnungsweg dekretiert, war seit 1949 die dem Regime ergebene Volkspolizei für den gesamten Strafvollzug zuständig.
Strenge Disziplinarregimes gibt es auch anderswo. Aber in den Gefängnissen der DDR wurde die widerrechtliche Schikanierung vor allem der politischen Häftlinge zur Norm. In der Frühzeit waren diese unter den Insassen überrepräsentiert. Bis zu 90 Prozent der rund 3000 Häftlinge zählten 1951 zu dieser Rubrik, der Rest waren Kriminelle. Der lange Arm der Stasi reichte bis in die Zellen. Bespitzelung und Bestechung waren die Regel, auch die Methode, "Berufsverbrecher" zu Komplizen der Gefängnisleitung zu machen und die politischen Gefangenen auszuhorchen, war Usus. Zugleich lösten sich die Grenzen zwischen politischer Strafverfolgung und Berufskriminalität auf. Selbst gewöhnliche Straftäter verbüßten Strafen, die wesentlich härter waren als in der Bundesrepublik. All dies fand unter bedrückenden Verhältnissen statt. Brandenburg-Görden war völlig überbelegt.
Besonders die brutale Praxis unter Fritz Ackermann, der von 1958 an für fast ein Vierteljahrhundert als Anstaltsleiter geradezu autokratisch herrschte, ist aufschlussreich. Unter ihm wurde ein System der Begünstigung auf die Spitze getrieben, das durch "Vetternwirtschaft, Gönnertum, Korruption und Intrigen" gekennzeichnet war.
Die Diktatur ermöglichte es Ackermann und manchen seiner Untergebenen, dass die Häftlinge sogar beim Bau der Eigenheime der SED-Funktionäre helfen mussten. Dies wurde schließlich selbst der Parteiführung zu viel. Ackermann wurde in den Ruhestand verabschiedet, weil eine strafrechtliche Verfolgung "zu viel Staub aufgewirbelt" hätte.
Zahlreiche bislang wenig bekannte Details sind in der Studie aufgeführt. Hierzu zählten Widerstandshandlungen der Gefangenen, die vom Verfassen von Gefängniszeitungen bis zur Wiedergabe von Meldungen reichten, die heimlich aus westlichen Sendern empfangen worden waren. In den späten fünfziger Jahren versuchte die Staatspartei, ihr angeschlagenes internationales Renommee zu erhöhen. Sympathisierende Parlamentarier in westlichen Ländern wurden zu Besuchen in DDR-Strafanstalten eingeladen. Besonders linksgerichtete Hinterbänkler der britischen Labour Party wurden umworben. Für die ausländischen Besucher wurden mit großem Aufwand Potemkinsche Dörfer errichtet, frische Bettwäsche-Garnituren ausgegeben und die Böden mit frischem Bohnerwachs präpariert. Zwar gingen einige der Staatsgäste der SED-Propaganda auf den Leim, aber offenbar waren schon verhaltene kritische Zwischentöne der britischen Delegation den SED-Kadern zu viel. Weil der Versuch scheiterte, Brandenburg-Görden zu einer Art Vorzeigehaftanstalt zu stilisieren, wurden die "Westkontakte" wenige Jahre später wiedereingestellt.
Erhellend und erschütternd zugleich ist die Darstellung ausgewählter Einzelschicksale. Das Spektrum reichte von politischen Häftlingen bis zu einem harmlosen Technikliebhaber, der als "Plane Spotter" Militärflugzeuge und -hubschrauber fotografiert hatte und von einem Militärgericht zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt worden war. Nach einem erfolglosen Anwerbeversuch durch die Stasi wurde dieser 1985 durch die Bundesregierung freigekauft.
Zu dieser Zeit war der Anteil politischer Häftlinge auf etwa 15 Prozent gesunken. Durch Amnestien, Freikauf durch die Bundesregierung und Abschiebungen in den Westen war Brandenburg-Görden zu einer fast typischen Haftanstalt geworden. In den letzten Jahren als DDR-Haftanstalt genoss das Zuchthaus den zweifelhaften Ruf eines "Schwerverbrecher-Knasts", wo auch rund ein Dutzend Skinheads einsaßen, die besonders streng behandelt wurden. Der Zusammenbruch der DDR spiegelte sich selbst in Brandenburg-Görden wider. Im Spätherbst 1989 fanden hinter den Gefängnismauern Massenproteste und ein Hungerstreik statt. Zur Bestrafung von Vollzugsbeamten, die Häftlinge misshandelt hatten, kam es nach 1990 nur selten. Es fehlten Zeugen und schriftliche Beweise, die unter rechtsstaatlichen Bedingungen für eine Verurteilung zwingend notwendig gewesen wären. Alle Urteile der DDR-Justiz wurden nach der Wiedervereinigung überprüft, weil selbst kriminelle Häftlinge unter unrechtmäßigen Vernehmungen und einer abhängigen Judikative verurteilt und inhaftiert worden waren. Wurden Urteile für rechtens erachtet, wurden die Gefangenen im Rahmen eines demokratischen Strafvollzugs Insassen der heute noch bestehenden Justizvollzugsanstalt.
Die Studie gibt zu weiterführenden Überlegungen Anlass. Während in den siebziger Jahren in der Bundesrepublik weite Teile der politischen Linken gegen die angebliche Misshandlung "politischer Gefangener" der Roten Armee Fraktion protestierten, ignorierten sie die Verbrechen des DDR-Strafvollzugs. Michel Foucaults 1971 erschienene Studie zum "Überwachen und Strafen", die sich grundsätzlich mit dem System der Repression auseinandersetzte, wurde selektiv gelesen und ausgerechnet der eklatante Machtmissbrauch in den Kerkern der sozialistischen Staaten ausgeblendet. Diese Aspekte können in der Studie über "Honeckers Zuchthaus" verständlicherweise nicht behandelt werden, aber sie rufen nach einer vergleichenden Studie. Auch deshalb bietet die wichtige Arbeit über Brandenburg-Görden nicht nur Anschauungsmaterial, sondern dient als Anregung für weitere Forschungen zum politischen Strafvollzug in Demokratie und Diktatur.
JOACHIM SCHOLTYSECK.
Tobias Wunschik: Honeckers Zuchthaus. Brandenburg-Görden und der politische Strafvollzug der DDR 1949-1989.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2018. 1017 S., 70,- [Euro].
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