Der angesehene Consulter Dr. Marius Tankwart will den Absprung aus seinem bisherigen Leben schaffen: nur noch ein Seminar leiten, dann geht es nach Mexiko in ein neues Leben! Doch dieses letzte Seminar im titelgebenden "Hotel Weitblick" hat es in sich: Eine Frau und drei Männer, allesamt
Führungskräfte einer Werbeagentur, finden sich zusammen und es ist an Marius, am Ende dieser drei Tage eine…mehrDer angesehene Consulter Dr. Marius Tankwart will den Absprung aus seinem bisherigen Leben schaffen: nur noch ein Seminar leiten, dann geht es nach Mexiko in ein neues Leben! Doch dieses letzte Seminar im titelgebenden "Hotel Weitblick" hat es in sich: Eine Frau und drei Männer, allesamt Führungskräfte einer Werbeagentur, finden sich zusammen und es ist an Marius, am Ende dieser drei Tage eine Empfehlung für den Geschäftsführer-Posten auszusprechen. Während sich die Kandidat*innen spinnefeind sind, entdeckt Marius plötzlich bedrohliche Parallelen zu seiner eigenen Erziehung - und droht an der Aufgabe und an sich selbst zu scheitern...
"Hotel Weitblick" ist der Debütroman Renate Silberers, der sich ganz auf die kammerspielartige Situation im Hotel einlässt und dabei zu mutigen und neugierig machenden literarischen Stilmitteln greift. Da reihen sich ganze Gedankenketten aneinander, in denen lediglich die Kommata den Leser*innen eine Verschnaufspause gönnen. Da verzichtet Silberer komplett auf Anführungszeichen, um die Rede- und Denkflüsse so selten wie möglich zu unterbrechen. Da wechselt die Erzählperspektive von einer Figur zur nächsten, manchmal innerhalb desselben Absatzes und ein Gedanke wird nicht einmal zu Ende geführt. Dass es sich dabei um mehr als eine literarische Spielerei handelt, merkt man, wenn man versucht, diesen Gedanken zu folgen. Es ist dabei höchste Konzentration gefragt, um nicht zu verpassen, wer eigentlich gerade spricht oder denkt. Gleichzeitig nimmt Silberer den Teilnehmer*innen der konformen Leistungsgesellschaft dadurch ein Stückchen Identität und deutet die Gleichförmigkeit der Figuren an. Durchaus gelungen!
Da man Consulter Marius am nächsten kommt, leidet man am ehesten noch mit ihm, während alle Kandidat*innen sich doch sehr unsympathisch mit dem gewollten Hang zur Überzeichnung präsentieren. Trotzdem funktioniert die Konstellation anfangs gut. Es ist unterhaltsam und böse, wenn man die Vorurteile der Figuren liest; ihr Verhalten lädt zum Kopfschütteln und Schmunzeln ein. Diese Ausgangssituation hätte Renate Silberer zu einem gesellschaftskritischen Roman erster Klasse ausbauen können, doch leider sinkt das Niveau in meinen Augen nach und nach.
Auslöser dafür sind die Erziehungsmethoden Johanna Haarers, die - das erfahren wir ziemlich schnell - bei Marius aufgrund seiner lieblosen Mutter ein regelrechtes Trauma ausgelöst haben. Haarers Methoden wurden vor allem zu Zeiten des Nationalsozialismus als die richtigen angesehen, setzten sich jedoch offenbar auch danach noch durch. Marius führt die furchtbarsten Erziehungsdogmen auf Karteikarten stets bei sich. Es ist ein legitimes Ansinnen der Autorin, diese schwarze Pädagogik den Leser*innen bewusst zu machen. Doch in meinen Augen sind die Mittel nicht richtig gewählt. Mit zunehmender Dauer des Romans konzentriert sich nämlich nahezu alles auf diese Karteikarten und Haarer. Marius glaubt, dass alle Kandidat*innen auf diese schreckliche Art erzogen wurden und deshalb dort stehen, wo sie sich jetzt befinden. Und tatsächlich erfahren wir, dass wirklich jede/r Einzelne ein Muttertrauma hat. Für Freudianer mag das ein Fest sein, für mich war das zu viel an Monster-Müttern, da sich ansonsten bei der Figurenentwicklung auch wenig tut.
Nach dem finalen Konflikt stellte sich bei mir die Frage, was außer Johanna Haarer und ein paar wirklich guten Ansätzen zu Beginn bei mir eigentlich hängen bleibt - und was letztlich die Moral von der Geschicht ist... Bis auf "Johanna Haarers Erziehungsmethoden waren definitiv falsch" fällt mir leider nicht viel ein.
Dass Silberer dabei den Seminarraum "Harmonie" nennt und den Corona-Lockdown trotz der Handlung im April 2020 komplett verschweigt, konnte ich da noch verkraften. Doch letztlich waren mir die Figuren zu ähnlich und zu eindimensional, um ein positiveres Fazit zu ziehen. Das "Hotel Weitblick" blickt nämlich fast ausschließlich weit nach hinten - in die verkorksten Mutter-Kind-Beziehungen sämtlicher Figu